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Redaktion: Kathrin Klinkusch, Britta Hennigs, Annika Natus
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P R E S S E D I E N S T  ------ 4.2.2010 
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Umwelt sitzt am Katzentisch 
Umweltorganisationen mahnen in 100-Tage-Bilanz der neuen Regierung
stärkeres Umwelt-Engagement aller Ressorts an

Berlin - Nach Ansicht der fünf großen deutschen Umweltorganisationen
BUND, DNR, Greenpeace, NABU und WWF hat die neue Bundesregierung unter
Kanzlerin Angela Merkel in ihren ersten 100 Tagen die Umweltpolitik
spürbar vernachlässigt. Während sich das Umweltministerium bemühe,
seinen Aufgaben gerecht zu werden, spiele das Thema Umwelt bei der
schwarz-gelben Bundesregierung insgesamt kaum eine Rolle. Vor allem in
der Energie- und Klimapolitik, aber auch beim Schutz der biologischen
Vielfalt sei weder eine gemeinsame Linie noch ein ressortübergreifendes
Engagement aller Ministerien zu erkennen. Ein Umbau der Wirtschafts- und
Finanzpolitik sei dringend notwendig, um die ökologische Krise
abzuwenden. Die einzelnen Ministerien für Umwelt, Wirtschaft, Agrar,
Entwicklung, Verkehr und Forschung betrieben häufig eine gegensätzliche
Politik in Sachen Umwelt. Die Umweltverbände appellierten an
Bundeskanzlerin Merkel, den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in
allen Ressorts als Priorität zu verankern.

Ein völliges Versagen attestierte DNR-Präsident Hubert Weinzierl der
schwarz-gelben Bundesregierung bei der zentralen Herausforderung, die
Wirtschafts- und Finanzkrise und die ökologische Krise gemeinsam zu
bewältigen. „Es ist schon erstaunlich, dass die neue Bundesregierung
ausgerechnet bei ihrer angeblichen Kernkompetenz, der Wirtschafts- und
Finanzpolitik, so kläglich scheitert. Alte Fehler würden einfach
fortgeschrieben. Klassisches Beispiel ist das
Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Anstatt mit diesem weitgehend
wirkungslosen Gesetz der Hotelbranche eine Milliarde Euro an
Steuerreduzierung zu gewähren, hätte die Regierung den verringerten
Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent befristet für zukunftsweisende
Sektoren wie den ökologischen Landbau, der viele Vorteile beim
Klimaschutz und  Erhalt der biologischen Vielfalt aufweist, gewähren
können“, sagte der DNR-Präsident. Die Bundesregierung habe die
drängenden Fragen, wie alle diese Ausgaben gedeckt werden können,
nicht beantwortet. Bei einem Gesamtschuldenstand des Staates von 1,6
Billionen Euro, einer Neuverschuldung allein des Bundes für 2010 von
über 86 Milliarden Euro und in den nächsten vier Jahren von über 262
Milliarden Euro müsse das Steuer- und Abgabensystem nachhaltig
umgestaltet werden. Nach Auffassung des DNR seien strenge Vorschriften
zur Eindämmung des Einflusses der Banken ebenso erforderlich wie die
Einführung einer Börsenumsatzsteuer. Ein geringer Steuersatz von 0,1
Prozent erbringe dort ein Steueraufkommen von mehr als 35 Milliarden
Euro. Auf der anderen Seite könnten die Ausgaben durch den Abbau
umweltschäd¬licher Subventionen in Höhe von 42 Milliarden Euro  nach
Untersuchungen des Umweltbundesamtes im Jahre 2006 spürbar verringert
werden.

Hubert Weiger, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz
Deutschland (BUND): „Wie in anderen Politikfeldern wird deutlich, dass
die Bundesregierung auch im Umweltbereich einen Zick-Zack-Kurs fährt. Es
gibt viele Ankündigungen und Versprechen, der notwendige ökologische
Umbau der Wirtschaft aber wird auf die lange Bank geschoben. Besonders
sichtbar ist dies im Agrarsektor, wo mit milliardenschweren Subventionen
die Überproduktion und der Export von Milch und Fleisch gefördert
werden. Diese Politik macht vielen bäuerlichen Betrieben den Garaus. Der
Milchpreis ist im Keller und die Bauern protestieren zu Recht.
Unverantwortlich ist auch, dass Schwarz-Gelb den Anbau der Genkartoffel
Amflora unterstützt. Mit der Nennung dieses Namens hat es erstmals ein
konkretes Unternehmensprodukt - in diesem Falle vom Chemieunternehmen
BASF - in den Koalitionsvertrag einer Bundesregierung geschafft. Dies
zeigt, wohin die Reise geht: die Absatzinteressen der Industrie, in
diesem Falle der Gentechnik- und Agroindustrie, bekommen Vorrang,
Umwelt-, Natur- und Verbraucherschutz bleiben auf der Strecke.“ Weiger
warnte auch vor der Tendenz, das Siegel „ohne Gentechnik“ zu
diffamieren. Weil ihr die gentechnikfreie Lebensmittelproduktion ein
Dorn im Auge sei, bekämpfe eine unheilige Allianz aus Teilen der
Ernährungsindustrie, dem Deutschen Bauernverband und
Unions-Abgeordneten dieses Siegel. Insbesondere Bundesagrarministerin
Ilse Aigner müsse Flagge zeigen und für die weitere Durchsetzung der
„ohne Gentechnik“-Kennzeichnung eintreten. Nur dann habe der
Verbraucher Sicherheit, dass Produkte wie Fleisch, Milch und Eier ohne
den Einsatz von gentechnisch verändertem Futter produziert werden.

NABU-Präsident Olaf Tschimpke forderte die Regierung auf, die im
Koalitionsvertrag versprochenen Bundesprogramme für Biologische Vielfalt
und Wiedervernetzung der Landschaft hochwertig, finanzstark und schnell
umzusetzen. „Diese Programme müssen sich im Haushalt des
Bundesumweltministeriums wiederfinden. Im Internationalen Jahr der
Biodiversität brauchen wir eine spürbare Trendwende für Natur und
Arten“, sagte Tschimpke. „Hier ist die Bundesregierung gefordert.
Speziell die Kanzlerin und das Finanzministerium müssen den schönen
Worten nun Taten und Gelder folgen lassen“, so Tschimpke weiter. Zudem
müsse das Agrarministerium Mittel für Naturschutz- und
Klimaschutzmaßnahmen umwidmen. Zuletzt habe die Grüne Woche wieder
gezeigt, dass Deutschland auch von einer Klimaschutzwende in der
Landwirtschaft noch weit entfernt sei. „Außer Lippenbekenntnissen soll
es keine verbindlichen Ziele und Maßnahmen geben. Dabei trägt die
Zerstörung von Mooren und Grünland sowohl zum Verlust der
biologischen Vielfalt als auch zu rund 40 Prozent der
Treibhausgas-Emissionen durch die Landwirtschaft bei“, kritisierte
Tschimpke.

Für Greenpeace gibt die Bundesregierung beim Thema Atomkraft nach 100
Tagen ein konfuses Bild ab. "Umweltminister Röttgen bezeichnet den
Atomausstieg als unumkehrbar, während Wirtschaftsminister Brüderle die
Reaktoren am liebsten noch 20 Jahre länger am Netz lassen würde. Und
Kanzlerin Merkel geht bei diesem Thema lieber auf Tauchstation“,
stellte Greenpeace-Geschäftsführerin Brigitte Behrens fest. Sie warnte
die Bundesregierung vor einer Verlängerung der Reaktor-Laufzeiten. „Die
Mehrheit der Bundesbürger ist gegen längere Laufzeiten. Sie bedeuten
noch mehr Atommüll, von dem niemand weiß, wohin damit. Sie erhöhen die
Gefahr terroristischer Anschläge mit unabsehbaren Folgen, und  sie
behindern massiv den Ausbau der Erneuerbaren Energien.“ Mit seinem
blinden Pro-Atom-Kurs unterbinde Wirtschaftsminister Brüderle auf Jahre
den Wettbewerb im Strommarkt und blockiere mittelständische
Energieunternehmen. „Die Wahlversprechen der FDP, man werde sich gegen
die Monopole der Stromkonzerne stellen und den Mittelstand fördern,
waren nur  heiße Luft“, so Behrens. Inakzeptabel sei auch, dass die
Regierung erstmals seit zehn Jahren wieder den Neubau von
Atomkraftwerken im Ausland mit Hermes-Krediten finanziell absichern
wolle. „Wer behauptet, Atomkraft sei nur eine Brückentechnologie,
zugleich aber den Neubau von Reaktoren in Brasilien absichert, täuscht
die Öffentlichkeit“, so Behrens. Positiv bewertet Greenpeace, dass die
Regierung den im maroden Schacht Asse gelagerten Atommüll vollständig
wieder zurückholen will. „Frau Merkel sollte aus dem Asse-Skandal Lehren
ziehen und eine offene Endlagersuche starten, statt sich weiter an das
ungeeignete Salzlager in Gorleben zu klammern“, so Behrens. 

In Sachen Klimaschutz komme die Bundesregierung nicht aus den
Startlöchern, kritisierte der WWF Deutschland. Zwar habe sich die
Regierung mit der Festlegung, den Treibhausgas-Ausstoß bis 2020 um 40
Prozent gegenüber 1990 unkonditioniert senken zu wollen, gut
positioniert. Es bleibe jedoch völlig unklar, wie dieses Ziel erreicht
werden solle. „Die Regierung muss jetzt die Weichen stellen, damit wir
zur Mitte des Jahrhunderts den Treibhausgasausstoß auf fast Null fahren
können“, betonte WWF-Vorstand Eberhard Brandes. Das werde den Aufbau
ganz neuer Infrastrukturen voraussetzen, und damit viele zukunftsfähige 
Arbeitsplätze schaffen. In der WWF-Studie „Modell Deutschland“ werde
vorgerechnet, wie dieses Ziel erreicht werden könne. Beim Klimagipfel,
so der WWF,  habe sich gezeigt, dass die von der Bundesregierung
unterstützte EU-Strategie, die Reduktionsziele von Zusagen anderer
Staaten abhängig zu machen, nicht getragen habe. Sie müsse
schnellstmöglich geändert werden und den wissenschaftlichen
Anforderungen entsprechend eine Reduktion von mindestens 30 Prozent  bis
2020 gegenüber 1990 beschlossen werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel
müsse dafür sorgen, dass die EU bei den weiteren Klimaverhandlungen
nicht noch einmal so blutleer auftrete wie in Kopenhagen. Der WWF
begrüßte die Ankündigung der Bundeskanzlerin, ein Energiekonzept
für Deutschland erarbeiten zu lassen. Allerdings dürfe dies nicht im
stillen Kämmerlein mit den Managern der großen Energieunternehmen
ausgekungelt werden. Um eine breite Akzeptanz zu finden, brauche es eine
offene Diskussion und die Beteiligung der Umweltverbände. Vor allem
müssten neben der Stromversorgung alle für den Klimaschutz wichtigen
Sektoren wie der Verkehr, die Wärmeversorgung und die Landwirtschaft
berücksichtigt werden.


Weitere Informationen:
Jörn Ehlers, Pressestelle WWF Deutschland, Tel.: 0 30/30 87 42-12 
Stefan Krug, Greenpeace Politische Vertretung , Tel. 030/ 30 88 99 0,
mobil: 0171/8780836
Jörg-Andreas Krüger, NABU-Bereich Natur- und Umweltschutz, Tel. 0 30/28
49 84-16 01
Rüdiger Rosenthal, BUND-Pressestelle, Tel.: 0 30/27 586-425 
Dr. Helmut Röscheisen, DNR-Generalsekretär, Tel.: 0160/97 209 108



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