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Telepolis - 21.07.2012

Und wieder mal ein höchst radio-aktiver Staatspräsident

François Hollande hat sich rasch ans Werk gemacht, um den Atomriesen Areva mit 
Uran zu versorgen

Nathalie Roller

Also nichts Neues im französischen Atomstromland. Ob Konservative oder 
Sozialisten, die Aussicht auf eine Panne in der Nuklearversorgung flößt der 
Grande Nation Angst ein. Wähnt sie sich nicht mehr so Grande ohne Atom? Der 
neue sozialistische Präsident François Hollande [1], nun Herr und Meister der 
französischen "Dissuasion Nucléaire" (nukleare Abschreckung), hatte am 5. Mai 
den Nuklearcode von seinem Vorgänger Sarkozy überreicht bekommen. Ritueller 
Teil der Amtsübergabe in der Nation der Atomgläubigen. Am Nationalfeiertag, dem 
14. Juli, bestärkte [2] er das sture Festhalten der französischen Nation an der 
nuklearen Abschreckung. Auch wenn der Feind nun in den neue Formen des 
Terrorismus stecken soll.

Wie alle seine Vorgänger seit dem General Charles De Gaulle, der während des 
Kalten Krieges offiziell und freilich ohne demokratischen Volksentscheid [3] 
die französische "Force de Frappe" (nukleare Schlagkraft) 1958 begründete, ist 
nun Hollande, der 7. atomvernarrte Staatspräsident der 5. Französischen 
Republik. Frankreich ist das einzige Land der Welt, das sowohl seine 
Verteidigung wie auch seine Energieversorgung voll und ganz der Kernkraft 
anvertraut.

Die neue Umweltministerin Delphine Batho [4] erinnerte Anfang Juli daran, dass 
Frankreich nach den Vorstellungen Hollandes, den Anteil der Nuklearenergie in 
der Energieversorgung der Grande Nation von 75 auf 50 Prozent bis 2025 drosseln 
wollte. Zudem soll auch die in Deutschland umstrittene Ur-Oma der gallischen 
Kernkraftwerke, Fessenheim, geschlossen werden.

Wann genau wurde allerdings nicht erläutert. Hingegen soll der EPR [5] von 
Flamanville fertig gebaut werden. Neue Reaktoren würden nicht in Aussicht 
stehen, verspricht die Ministerin treuherzig. Abgesehen von der 4. Generation, 
wie der grüne Abgeordnete Noël Mamère der Erinnerung nachhilft [6]. ASTRID [7] 
nennt sich der Prototyp dieser neuen Reaktorgeneration, die erst Ende der 
laufenden Legislatur gebaut werden soll. Doch falls diesem Projekt das selbe 
Schicksal blüht wie dem EPR [8], klingt ASTRID nach reiner Zukunftsmusik der 
französischen Ingenieure und der mächtigen Atomlobby.

Mutter der Radioaktivität

Es war auch Frankreich, das zu Beginn des 20.Jahrhunderts einer Polin namens 
Marie Curie, polnischer Name Maria Sklodowska, die wissenschaftlichen Mittel 
zur Verfügung stellte, um die nukleare Spaltung zu entdecken. Diese doppelte 
Nobelpreisträgerin, Physik und Chemie, ist auch die Schöpferin des Wortes 
"Radioaktivität", die ihr wie man weiß [9], das Leben kostete. Jahrelang hatte 
sie radioaktives Material mit sich herumgetragen, dessen Gefährlichkeit ihr 
natürlich noch nicht bewusst war.

1934 ist Marie Curie, verstorben, und nun im Mai 2012 ehrte Präsident François 
Hollande bei seiner Amtsübernahme [10] diese Wissenschaftlerin ausländischer 
Herkunft, was er betonte. Die Arbeit und die Entdeckungen von Madame Curie 
"seien Teil des französischen Stolzes geworden", wie der neue Staatspräsident 
ausdrücklich hervorhob. Vive a radioactivité!?

Im Juli besuchte [11] der neue Chef der Streitkräfte, Staatspräsident Hollande, 
ein anderes Objekt des Stolzes der Grande Nation, nämlich die Mannschaft des 
nuklearen U-Boots "Le Terrible" (Der Schreckliche) - um Frankreichs 
Abschreckungskräfte zu bestärken und um darauf zu bestehen, dass die "Force de 
Dissuasion" Teil der Kampfkraft der großen Nation sei. Doch angesichts der 
weiter ausgehenden Uranreserven scheint diese nun auf einer wackeligen Basis zu 
stehen. Und oh Graus: Ohne Uran ist die nukleare Abschreckung nicht mehr 
möglich.

Ran an die Uranmine!

Angesichts dieser für die Atommacht Frankreich nicht gerade erfreulichen 
Aussichten hat François Hollande kurz nach seiner Amtsübernahme nicht lange 
gefackelt, um seinen nigrischen Amtskollegen, Mahamadou Issoufou, Anfang Juni 
in den Elyséepalast einzuladen [12]. Natürlich nicht ohne Hintergedanken. Denn 
dieses westafrikanische Land liefert [13] einen hohen Anteil des von Frankreich 
bitter benötigten Urans. Hollande kannte praktischerweise den nigrischen 
Staatspräsidenten [14] bereits persönlich, gehört dieser doch der 
sozialistischen Internationale an; zudem hat Issoufou seine Ausbildung zum 
Ingenieur in Bergbauwesen in Frankreich absolviert.

Hollande versprach seinem afrikanischen Amtskollegen, die nigrischen 
Infrastrukturen wie Straßen, einen Staudamm und die Eisenbahn mit französischer 
Hilfe zu verbessern. Zudem soll laut Hollandes Versprechen, dem Niger im Kampf 
gegen den "Terrorismus", der im benachbarten Mali wütet [15] - und dem 
nigerischen Präsidenten offenbar Kopfzerbrechen bereitet -, geholfen werden. 
Doch der französische Staat, der ebenfalls eine Ausbreitung der Gewalt in Mali 
auf die gesamte Sahel-Zone befürchtet, versucht, sich dem Vorwurf kolonialem 
Verhaltens zu entziehen. Präsident Hollande, der am 10. Juli den britischen 
Premier Cameron in London traf, teilt [16] mit dem Briten die Bewertung der 
Krise im Sahelgebiet. Mali? Eingreifen oder nicht eingreifen - das sei hier die 
Frage [17].

Der Niger, Alptraum Arevas

Während der nigerische Präsident und Hollande versuchen, gemeinsam, aber auch 
unabhängig voneinander, die explosive Situation in Mali zu entschärfen, gehen 
die radioaktiven Geschäfte ungehindert weiter: Die Uranmine in Imouraren, 
zweitgrößte Uranmine unter freiem Himmel der Welt, soll bis 2014 für den 
französischen Atomkonzern AREVA zugänglich gemacht werden. Die nigrischen Minen 
liefern bereits ein Drittel des Urans für AREVA, das wiederum die 
EDF-Kernkraftwerke damit versorgt. Hollande meinte bei dem bilateralen Treffen, 
dass Frankreich für die Sicherheit und körperliche Unversehrtheit der 
nigrischen Minenarbeiter Sorge tragen werde.

Was auch dringend notwendig zu sein scheint, sieht man sich die Befunde der 
CRIIRAD (Kommission zur unabhängigen Forschung zur Radioaktivität) vor Ort im 
Niger an. Ein Team von unabhängigen Wissenschaftern [18] hat die radioaktiven 
Folgen auf Menschen und Umwelt des bereits über 40 Jahrelang währenden 
Uranabbaus durch Areva im Niger erforscht. Die Forscher mussten eine 
offensichtliche radioaktive Verseuchung in der Nähe der Uranminen feststellen.

Nicht nur die Minenarbeiter seien verstrahlt, sondern auch die umgebende Luft, 
das Wasser und der Boden. Wer sich in der Nachbarschaft der Minen aufhielte 
ebenfalls. Die gesamte Bevölkerung hätte somit mit gesundheitlichen Folgen zu 
rechnen. Auch wenn die Strahlungsintensität verhältnismäßig niedrig sei, auf 
Dauer würde die Aussetzung an die Radioaktivität der Uranminen, gesundheitliche 
Folgen haben. Nichtsdestotrotz muss gemäß Hollande für AREVA schleunigst nach 
Uran geschürft werden können.

Das französische Atomunternehmen AREVA und seine Mitarbeiter beginnen sich 
zunehmend im Niger unwohl zu fühlen. Wurden doch im September 2010 5 Franzosen 
und 2 Afrikaner, die für AREVA arbeiteten, entführt [19]. Einige Monate zuvor 
hatten ebenfalls Entführungen von AREVA-Mitarbeitern stattgefunden. Der 
französische Staat und der Atomriese befürchten, dass diese Entführungen weiter 
gehen könnten. Diese Entführungen sollen einerseits durch Touareg-Rebellen, die 
mehr Geld für das nigrische Uran fordern, aber auch durch Mitglieder von 
Al-Qaida im islamischen Maghreb (AQUMI), durchgeführt worden sein. Die 
Entführten waren aber bald wieder frei. Neue Entführungen werden allerdings 
weder von AREVA, dem Niger oder Frankreich ausgeschlossen.

Insgesamt setzt AREVA 2500 Personen im Niger ein. Dank Hollande kann nun AREVA, 
unruhigen Gemüts zwar, nach dem nigrischen Uran schürfen. Dem französischen 
Präsidenten wird allerdings vorgeworfen, im Niger im Namen des wertvollen 
Urans, althergebrachtes Kolonialverhalten [20] zu praktizieren. Präsident 
Hollande unterstütze die Nuklearlobby und lege noch immer den alten Reflex der 
Francafrique [21] an den Tag. Damals, als die Franzosen sich in West-Afrika 
noch auf heimischen Boden wähnten, soll ein ehemaliger Präsident der 
Elfenbeinküste 1955 erstmals dieses franco-afrikanische Wortmischmasch 
gebraucht haben. Zunächst galt es als Zeichen dafür, dass Afrika auch nach der 
Entkolonisierung noch bevorzugte Beziehungen mit Frankreich wünsche, doch dann, 
nach und nach, wurde das Wortgemisch France-Afrique zu einem Schimpfwort. Die 
Bezeichnung für Ewiggestrige, die nicht verstehen wollen und können, dass die 
ehemaligen französischen Kolonien in Afrika nun frei und unabhängig sind.

Adieu, vielgeliebte Bombe?

Während die wertvolle Uranversorgung aus der Ex-Kolonie Niger noch weiter geht, 
stellen immer mehr Franzosen, wie auch die Tageszeitung Libération, 
ausgerechnet am geheiligten Nationalfeiertag, offen die Tabufrage [22], ob es 
denn für die nicht mehr so "Grande" Nation nicht an der Zeit sei, die A-Bombe 
bleiben zu lassen. Sprich auf die berühmt-berüchtigte "Dissuasion" zu 
verzichten.

Präsident Hollande, der ein offensichtlich enges Verhältnis zur Nuklearlobby 
pflegt, ist natürlich keineswegs dieser Ansicht... Schon bei seinem Besuch auf 
dem strategischen Atom-U-Boot Le Terrible [23] betonte er wieder einmal 
Frankreichs enge Bindung an die Abschreckung. So geschehen auch am 
Nationalfeiertag, wo wieder die nukleare Abschreckung zu einer französischen 
Priorität erklärt [24] wurde.

Doch auch Politiker, wie z.B. der ehemalige Premier Mitterands, Michel Rocard 
[25], wagen es, die Atombombe und die "Dissuasion" ins Reich der nationalen 
Mythologien zu verweisen. Der kritische Journalist Daniel Schneidermann fragt 
sich, ob der "virtuelle Schatten des französischen Champignons" wirklich noch 
zum Ansehen Frankreichs auf der internationalen Bühne beitrage, wie viele 
nuklearabhängige Politiker noch immer glauben machen wollen. Man solle doch 
sehen, wie China, Russland oder der Sicherheitsrat angesichts der nuklearen 
U-Boote mit ihren ach so schrecklich klingenden Namen zittern, und deshalb 
Frankreichs internationale Vorstellungen ernster nehmen?

Ein weiterer ehemaliger Minister Mitterands, Paul Quilès [26], früher 
Verteidigungsminister, dekonstruiert einen weiteren dauerhaften Mythos der 
Bombe: Nach Ansicht ihrer Anhänger ist die "Dissuasion" Frankreichs 
Lebensversicherung. Der ehemalige sozialistische Verteidigungsminister meint 
jedoch, dass es sich viel eher um eine "Sterbeversicherung" handle - die den 
Franzosen obendrein teuer zu stehen komme: Der ehemalige Minister rechnet vor, 
dass die nukleare Strategie 3,5 Milliarden Euro pro Jahr koste. Und das sei 
laut den Befürwortern nicht teuer! Doch soll das ganze atomare Spektakel laut 
Quilès Ausführungen noch kostspieliger werden: Denn die im Namen der 
Abschreckung eingesetzten Mittel und Gerätschaften wie die Atom-U-Boote müssen 
bald erneuert werden. Viel Geld für etwas, das dazu vorgesehen ist, nicht 
eingesetzt zu werden, merkt der Exminister an. Und warum bauen die Franzosen 
und Europäer dann ein amerikanisches Raketenabwehrsystem ('Vor neuer 
Rüstungsspirale in Europa?' [27]), wenn die französische Dissuasion so 
abschreckend ist, wie behauptet wird?, fragt sich der Ex-Minister.

Präsident Hollande hatte zwar beim letzten NATO-Gipfel in Chicago sein OK zum 
entstehenden Raketenabwehrsystem der NATO gegeben [28] - unter der 
Voraussetzung, dass die französische nukleare Abschreckung damit nicht 
ausgehöhlt werde. Offenbar soll das Prinzip der "Dissuasion" nicht so schnell 
verabschiedet werden. Bis die Exkolonie Niger kein Uran mehr liefern kann? Aber 
keine Sorge: AREVA wird sich schon um Ersatz kümmern. Damit Frankreich 
weiterhin seinen nuklearen Stolz auf die gewohnte undemokratische Art und Weise 
pflegen kann. Die Grenzen der französischen Demokratie liegen seit De Gaulle 
offensichtlich im Nuklearbusiness.

Links

[1] http://www.elysee.fr/
[2] 
http://www.liberation.fr/politiques/2012/07/14/francois-hollande-lance-la-preparation-du-nouveau-livre-blanc-de-la-defense_833327
[3] 
http://www.elysee.fr/president/la-presidence/les-presidents-depuis-1848/histoire-des-presidents-de-la-republique/charles-de-gaulle-1890-1970.5356.html
[4] 
http://www.liberation.fr/terre/2012/07/06/l-ecologie-est-un-levier-pour-sortir-de-la-crise_831734
[5] 
http://www.areva.com/EN/global-offer-419/epr-reactor-one-of-the-most-powerful-in-the-world.html
[6] 
http://www.liberation.fr/politiques/2012/07/03/mamere-seul-ecologiste-a-ne-pas-voter-la-confiance-au-gouvernement_830836
[7] 
http://www.techniques-ingenieur.fr/actualite/environnement-securite-energie-thematique_191/astrid-futur-reacteur-nucleaire-de-4eme-generation-article_7066/
[8] http://www.heise.de/tp/blogs/2/150397
[9] http://www.aip.org/history/curie/brief/05_campaigns/campaigns_3.html
[10] 
http://www.leparisien.fr/election-presidentielle-2012/candidats/hollande-a-choisi-d-honorer-aussi-marie-curie-14-05-2012-1999676.php
[11] 
http://www.elysee.fr/president/les-actualites/communiques-de-presse/2012/communique-deplacement-aupres-de-l-equipage.13540.html
[12] 
http://www.lesechos.fr/economie-politique/monde/actu/0202109988848-hollande-pousse-areva-au-niger-332674.php
[13] 
http://www.elysee.fr/president/les-actualites/conferences-de-presse/2012/conference-de-presse-conjointe-de-m-le-president.13405.html
[14] http://de.wikipedia.org/wiki/Mahamadou_Issoufou
[15] http://www.heise.de/tp/blogs/8/152327
[16] 
http://www.liberation.fr/monde/2012/07/10/fair-play-de-rigueur-pour-hollande-et-cameron_832487
[17] http://md0.libe.com/api/libe/v2/paperpage/182155/?format=jpg&size=x250
[18] 
http://aixlesbains.ecologie.over-blog.com/article-niger-mines-d-uranium-film-qui-seme-le-vent-sur-arte-90630672.html
[19] 
http://www.liberation.fr/monde/01012290700-le-niger-une-mine-de-problemes-pour-areva
[20] 
http://www.placeaupeuple2012.fr/niger-hollande-soutient-la-francafrique-le-lobby-nucleaire/
[21] http://fr.wikipedia.org/wiki/Fran%C3%A7afrique
[22] 
http://www.liberation.fr/monde/01012290700-le-niger-une-mine-de-problemes-pour-areva
[23] http://www.netmarine.net/bat/smarins/terribl2/index.htm
[24] 
http://www.lefigaro.fr/flash-actu/2012/07/14/97001-20120714FILWWW00218-hollande-maintiendra-la-dissuasion.php
[25] 
http://www.rue89.com/2012/06/21/rocard-et-sa-bombe-nucledieaire-exemple-dune-mythologie-nationale-233220
[26] 
http://www.liberation.fr/terre/2012/07/13/la-bombe-nucleaire-s-apparente-a-une-assurance-mort_833251
[27] http://www.heise.de/tp/artikel/36/36374/1.html
[28] 
http://www.lejdd.fr/International/USA/Actualite/Hollande-pose-ses-conditions-pour-le-bouclier-anti-missile-de-l-Otan-512808

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