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taz - 26.07.2012

Runder Tisch zur Wissenschaftspolitik

"Unbehagen über aktuelle Antworten"

Wie bewegt man Forscher dazu, sich vermehrt den Fragen der Zukunft zu stellen? 
Diese Frage stellt sich die neugegründete Plattform zur Wissenschaftspolitik

Von Manfred Ronzheimer

Opposition und Rebellentum hat es in deutschen Wissenschaftsgefilden immer 
gegeben, vom erbitterten Gelehrtenstreit bis zu politischen 
Institutsbesetzungen. Dabei handelt es sich in der Regel um Geschehnisse 
innerhalb des Elfenbeinturms, die von der außerwissenschaftlichen Gesellschaft 
fasziniert, unverstanden oder gar nicht zur Kenntnis genommen werden. Jetzt 
gibt es eine neue wissenschaftliche Protestbewegung, die grundsätzlich anders 
auftritt.

Die Zivilgesellschaftliche Plattform Wissenschaftspolitik, die vor Kurzem in 
Berlin gegründet wurde, will die Forscher-Community dazu bewegen, sich stärker 
als bisher mit Fragen zu beschäftigen, die für die Gesellschaft von Bedeutung 
sind. Sie ist die erste Nichtregierungsorganisation (NGO) für eine 
Wissenschaftswende.

"In der Zivilgesellschaft wächst ein zunehmendes Unbehagen über die aktuellen 
wissenschaftspolitischen Antworten auf die wirtschaftlichen und ökologischen 
Krisen", erklärt Steffi Ober, die die Plattform in den nächsten zwei Jahren 
koordiniert. Beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu) hat Steffi Ober zuletzt - 
ungewöhnlich für einen Umweltschutzverband - eine Abteilung für 
Forschungspolitik aufgebaut. Von dort gab es kritische Stellungnahmen etwa zum 
Bioökonomie-Programm der Bundesregierung, das die Natur in erster Linie als 
Wirtschaftsfaktor begreift.

Ab August wird die Plattform-Initiative unter dem Dach der Vereinigung 
Deutscher Wissenschaftler (VDW) umgesetzt. Zur Gründungsveranstaltung kamen 
Anfang Juli 50 Vertreter von Umweltverbänden, Kirchen, Gewerkschaften, 
Verbraucherschutz und entwicklungspolitischen Organisationen in der Berliner 
Bundesgeschäftsstelle des Nabu zusammen.

Bürger bleiben außen vor

Ihre Kritik ist vielschichtig: Die mangelnde gesellschaftliche 
Problemorientierung der aktuellen Wissenschaftspolitik, die 
Technologie-Fixierung ihrer großen Förderprogramme sowie die fehlenden 
Möglichkeiten zur Partizipation der Zivilgesellschaft an 
wissenschaftspolitischen Entscheidungen stehen auf der Mängelliste ganz oben.

"Wir wollen langfristige Kapazitäten in der organisierten Zivilgesellschaft 
schaffen", erklärt Steffi Ober, um über Strukturen und Inhalte der 
Wissenschaftspolitik "auf Augenhöhe mitdiskutieren zu können".

Bisher ist am Tisch der Scientific Community kein Stuhl für die Vertreter der 
Gesellschaft reserviert, allenfalls für die Ko-Finanziers aus der Wirtschaft. 
Die "Hightech-Strategie" der Bundesregierung bündelt etwa die wichtigsten 
Aktionsfelder der Innovationspolitik, von Pharmaforschung bis zur 
Verkehrstechnologie.

Die Kursrichtung gibt die Forschungsunion Wirtschaft-Wissenschaft vor, ein 
Gremium von 27 Experten, davon zwei Drittel von Unternehmen und ein Drittel aus 
Hochschulen und außeruniversitärer Forschung. Die Bürger bleiben auf der 
Entscheidungsebene außen vor. Ihre Rolle erschöpft sich - neben der 
Finanzierung per Steuergroschen - auf spätere passive "Akzeptanz" der 
Forschungsergebnisse.

Kein Monopol für den traditionellen Wissenschaftsbetrieb

"Entsprechend fallen auch die Empfehlungen der Experten aus", moniert 
Plattform-Sprecherin Ober. In der Hightech-Strategie dominieren neue 
Speichertechnologien und Verkehrsinfrastrukturen. "Aber kein Wort von einer 
Forschung, die sich mit den grundlegenden Strukturen von Mobilität oder gar mit 
der Vermeidung von Verkehr befassen würde."

In den kommenden Monaten wollen die Teilnehmer der zivilgesellschaftlichen 
Plattform beraten, wie die strategische Ausrichtung der deutschen Forschung von 
allzu dominanter wirtschaftlicher Nutzung zu mehr gesellschaftlicher 
Verantwortung umgesteuert werden kann. Auch andere inhaltliche 
Schwerpunktsetzungen werden diskutiert. Als Beispiele werden Biodiversität, 
Welthunger und Suffizienz genannt - Themen, die sich auch die neue 
innerwissenschaftliche Bewegung der Nachhaltigkeits- und 
Transformationsforschung auf die Fahnen geschrieben hat.

Den Einwand, mit ihrer Einmischung werde die grundgesetzlich garantierte 
Wissenschaftsfreiheit gefährdet, lassen die Plattform-Akteure nicht gelten. Die 
postindustrielle Gesellschaft sei in solch existenzieller Weise auf Wissen 
unterschiedlichster Herkunft angewiesen, dass ein Monopol für den 
traditionellen Wissenschaftsbetrieb nicht mehr statthaft sei.

Vielfältiger Pool an Wissen

"Um das Gemeinwohl optimal zu fördern", argumentiert Steffi Ober, "ist ein 
breiter und vielfältiger Pool an Wissen aller Art wie technisches Wissen, 
sozioökonomisches Wissen, kulturelles Wissen oder Erfahrungswissen notwendig." 
Ob es um Nanotechnologie, Präimplantationsdiagnostik oder Techniken des 
Geo-Engineering wie die CO2-Speicherung CCS geht - statt sofort mit fertigen 
Lösungen aufzutreten, sollten wissenschaftliche Institutionen zunächst die 
zentralen Fragen formulieren und sie "mit allen wesentlichen Kräften der 
Gesellschaft diskutieren".

Auch Uwe Schneidewind, Präsident des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, 
Energie, ist der Überzeugung, dass die Einbeziehung der Zivilgesellschaft mehr 
Pluralität ins Wissenschaftssystem bringt und damit "einen Weg zu mehr 
Wissenschaftsfreiheit" darstellt. Vor einigen Wochen präsentierten Schneidewind 
und andere Ökoforscher ihre Ansätze einer "nachhaltigen Wissenschaft" den 
Bundestagsabgeordneten im Forschungsausschuss.

"Wir trafen dort auf sehr offene Ohren", resümiert Schneidwind. Die Politiker 
stellten interessierte Fragen nach der Beteiligung der Zivilgesellschaft in der 
Wissenschaft.

"Darauf sollten wir jetzt schnell gute Antworten geben", riet der 
Wuppertal-Mann auf der Gründungs-Veranstaltung. "Vielleicht gehen die Türen für 
uns schneller auf als wir erwarten."

Artikel zum Thema

Nachhaltige Wissenschaft: "Ganz andere Mobilitätskonzepte"
http://www.taz.de/!96529/ 

Forschung zu Nachhaltigkeit: Notwendige Neuorientierung
http://www.taz.de/!95841/ 

Wissenschaftspolitik im Argen: Unis forschen an den Menschen vorbei
http://www.taz.de/!86914/ 

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