http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=/2012/08/15/a0070
taz - 15. 08.2012 Textilindustrie attackiert EEG Ist die Förderung erneuerbarer Energien verfassungswidrig? Die Frage stellen die Verlierer der Subventionspolitik VON INGO ARZT UND WENDELIN SANDKÜHLER BERLIN taz Drei Textilunternehmen halten das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) für verfassungswidrig. Über eine Klage vor drei Landgerichten wollen sie mit ihrem Anliegen bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Die Textilhersteller fürchten um ihre Wettbewerbsfähigkeit durch steigende Stromkosten; von 70 Millionen Euro jährlich ist die Rede - das macht knapp 0,5 Prozent des Branchenumsatzes. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung eines bereits im Januar fertiggestellten Gutachtens ist sorgfältig gewählt. Just am Wochenende wetterten die FDP-Spitzenmänner Philipp Rösler und Christian Lindner über das EEG und forderten einen Systemwechsel. EU-Energiekommissar Günther Oettinger (CDU) erneuerte daraufhin in einem Interview mit der Bild seine alte Forderung nach einer maximalen Obergrenze für die EEG-Umlage. Die wird von allen Verbrauchern automatisch mit ihrer Stromrechnung entrichtet, derzeit sind es 3,59 Cent pro Kilowattstunde, etwa 14 Prozent der Stromkosten. Teile der Industrie mit besonders hohem Energieverbrauch sind allerdings großzügig von der Umlage befreit - sehr zum Frust etwa der Textilhersteller. Die wollen am 24. Oktober mit einem weiteren Gutachten Alternativen für den Systemwechsel aufzeigen - kurz danach wird die EEG-Umlage für 2013 bekannt gegeben. Erwartet wird ein Aufschlag auf mindestens 5 Cent. Dass es vor allem um ein politisches Signal gehe, daraus machte Wolf-Rüdiger Baumann vom Gesamtverband Textil und Mode keinen Hehl. Um die "planwirtschaftliche Art der Umsetzung" der Energiewende möglichst schnell zu stoppen, müsse man jetzt auf die Politik einwirken, anstatt auf ein mögliches Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu warten. Dreh- und Angelpunkt der angeblichen Verfassungswidrigkeit des EEG ist der "Kohlepfennig", der von 1974 bis 1995 auf den Strompreis aufgeschlagen wurde, bis das Bundesverfassungsgericht die Regelung stoppte. Wenn der Staat Steinkohle fördern wolle, müsse er dies aus Steuermitteln tun, urteilten die Richter damals. Nach Ansicht des Gutachters Gerrit Manssen, Juraprofessor an der Universität Regensburg, muss deshalb auch die Förderung erneuerbarer Energien über den Staatshaushalt und nicht über die Stromverbraucher finanziert werden. Textillobbyist Baumann sagt, wenn die Energiewende tatsächlich eine Jahrhundertaufgabe sei, müsse man auch über Ungewöhnliches wie einen "Energiewende-Soli" als Sondersteuer nachdenken. "Es werden die Mittelständler bestraft, die besonders effizient geworden sind" Hintergrund ist, dass nur ein Bruchteil der Betriebe der Textilbranche von der EEG-Umlage befreit sind. Dort gibt es viele Mittelständler, die zu wenig Energie für die Befreiung verbrauchen. Einer der Kläger, Dieter Dörrmann von der Spinnweberei Uhingen, sieht Fehlanreize im System. "Es werden gerade die Mittelständler bestraft, die deutlich effizienter geworden sind." Damit würden sie nicht mehr unter die energieintensiven Betriebe fallen, die weniger EEG-Umlage zahlen müssen. Selbst die Grünen zeigen Verständnis für die Situation der Branche. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Bärbel Höhn, wirft der Bundesregierung vor, die Energiekosten für Privatleute und kleine bis mittelständische Unternehmen ungerechtfertigt in die Höhe zu treiben. ----------------------------------------------------------------------- http://www.taz.de/Kommentar-Erneuerbare-Energien-Gesetz/!99650/ Feindliche Übernahme Rösler und Co. wollen die Energiewende entdemokratisieren Kommentar von Ingo Arzt Im Oktober 2012 geht nach dem Kalender der Energiewende die Welt unter. Weil es in der öffentlichen Debatte gerade so choreografiert wird, kommt es auch so. Im Oktober wird bekannt, wie hoch die EEG-Umlage künftig sein wird, der Obolus also, den die Verbraucher mit ihrer Stromrechnung zahlen, um die Energie etwa aus Solar- oder Windanlagen zu finanzieren. Er wird steigen, von 3,59 Cent auf mindestens 5 Cent pro Kilowattstunde, so viel ist klar. Genug, um die Energiewende für alles Leid dieser Welt verantwortlich zu machen. Tatsächlich munitioniert sich das politische Berlin gerade für diese Zeit. Teile von Union und FDP trimmen die Öffentlichkeit auf Kostenempörung, um die Energiewende in ihrem Sinne umzugestalten. Wohlgemerkt: Es ist nicht grundsätzlich falsch, wenn Philipp Rösler oder Günther Oettinger eine Reform des EEG fordern. Das zeigt exemplarisch das Gutachten der Textilindustrie zur EEG-Umlage. Der These, sie sei verfassungswidrig, muss man sich nicht anschließen. Im Kern zeigt das Papier die richtigen Missstände auf: eine gewaltige Gerechtigkeitslücke bei der Finanzierung der erneuerbaren Energien - nicht nur zwischen Wirtschaft und privaten Haushalten, sondern auch innerhalb der Wirtschaft. Momentan bekommen Teile der Industrie Milliarden von Euro erlassen, zulasten anderer. Grundfalsch ist allerdings die Intention, mit der die EEG-Reform gefordert wird. Bürger, die ihre Energie selbst produzieren? Die Marktmacht der Energiekartelle aufbrechen, Demokratisierung der Energieversorgung? Das ist für Rösler und Co. irgendwie Hippiequark. Ihre Vorstellung würde den Bürgern die Energiewende aus der Hand nehmen - das Feld den alten Konzernen überlassen. Dann lieber steigende Strompreise. Ingo Arzt ist Redakteur im Ressort Wirtschaft und Umwelt der taz. _______________________________________________________________________ ++ Weitergeleitet durch DNR Redaktionsbüro Fachverteiler für Mitgliedsverbände ++ Veröffentlichungsrechte bei den AutorInnen ++ Bitte insbesondere nicht auf Webseiten stellen ++ Bitte nur in eigener Organisation weiterleiten ++ Fachverteiler abbestellen: mailto:info-ber...@dnr.de?subject=keine-mails ++ Weitere Umwelt-Infodienste: www.dnr.de/umweltinfo ++ Umweltpolitische Monatszeitschrift: www.dnr.de/umwelt-aktuell ++ Bitte prüfen Sie, ob diese E-Mail wirklich ausgedruckt werden muss. 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