Tagesspiegel
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09.04.2018

Regenwald-Rodungen am Amazonas

Kinder siegen vor Gericht gegen den kolumbianischen Staat

25 Kinder und Jugendliche haben die Regierung Kolumbiens verklagt, da der
Staat nichts gegen den Klimawandel unternehme. Das Gericht gab ihnen Recht
und forderte einen Stopp der Rodungen im Amazonasbecken

Madlen Haarbach

Der Fall war außergewöhnlich: 25 Kinder und Jugendliche hatten den
kolumbianischen Staat verklagt, weil er nichts gegen die massive Abholzung
des Regenwaldes unternimmt. Die Zerstörung der Natur, so argumentierten die
jungen Leute, beeinträchtige durch den Treibhauseffekt ihr Recht auf Leben
und Gesundheit in massiver Weise. Das Oberste Gericht Kolumbiens gab ihnen
in der vergangenen Woche - überraschend - recht. 

Es war ein historisches Urteil: Im ersten Umweltprozess gegen einen
lateinamerikanischen Staat wurde die Amazonas-Region als juristische Person
anerkannt, das heißt, wie ein Mensch oder ein Unternehmen behandelt. Wer ihr
Schaden zufügt, muss künftig mit Strafe rechnen.

Agrarflächen fressen sich immer weiter in den Regenwald

Das Amazonasbecken ist Schauplatz unzähliger Umweltsünden. Die Agrarflächen
fressen sich jedes Jahr ein Stückchen weiter in den Wald hinein, Platz für
Plantagen und Viehzucht wird ohne Rücksicht geschaffen. Der Amazonas-Fluss
wird durch illegale Goldminen vergiftet, aber auch legale Bergbau- und
Ölprojekte dringen immer weiter vor. Parallel dazu konzentriert sich in der
Region ein wesentlicher Anteil der weltweiten Kokaproduktion. 

Das Amazonasbecken erstreckt sich über sieben Millionen Quadratkilometer auf
den Territorien von acht Ländern. Der Großteil ist nach wie vor nur per
Flugzeug, Boot oder gar nicht erreichbar. Straßen gibt es kaum. Hier leben
indigene Völker, die kaum Kontakt zur übrigen Welt haben. Etwa ein Zehntel
aller weltweit bekannten Tier- und Pflanzenarten ist im Einzugsgebiet des
Flusses heimisch.

Abholzung soll bis 2020 komplett gestoppt werden

Das Gericht forderte den kolumbianischen Staat dazu auf, bis September
dieses Jahres einen Aktionsplan vorzulegen, um die Abholzung bis 2020
komplett zu stoppen. Das ist auch das Ziel, auf das sich Kolumbien beim
Pariser Klimagipfel 2015 verpflichtet hatte.

Kolumbien ist eines der Länder, die am stärksten von den Folgen des
Klimawandels betroffen sind. Die Bewahrung der verbliebenen Waldfläche, der
grünen Lunge des Planeten, gilt als entscheidend für den Kampf gegen die
globale Erwärmung. Die bisher ergriffenen Maßnahmen seien jedoch nicht
ausreichend, betonte das Oberste Gericht in seiner Entscheidung. Im
Gegenteil: In den vergangenen Jahren beschleunigte sich die Abholzung
dramatisch. Allein 2016, neuere Zahlen liegen nicht vor, wurden in Kolumbien
fast 2000 Quadratkilometer Regenwald gerodet, davon 700 Quadratkilometer im
Amazonasbecken. Das entsprach einer Steigerung von 44 Prozent im Vergleich
zum Vorjahr.

Regenwald gilt als essenziell im Kampf gegen den Klimawandel

Experten gehen davon aus, dass die Rodungsflächen 2017 noch einmal größer
wurden. Das Gericht führt in seiner Urteilsbegründung aus, es gebe keine
ausreichenden Studien über die Ausmaße der Abholzungen, Umweltzerstörungen
würden nicht bestraft, selbst in den Nationalparks werde Holz illegal
abgeholzt.

„Die Rechnung ist einfach: Wenn wir den Amazonasregenwald nicht bewahren,
verlieren wir den Kampf gegen den Klimawandel“, sagt Analiz Vergara vom WWF
Kolumbien und ergänzt: „Der Regenwald in Amazonien ist eine der größten
Kohlenstoffreserven der Welt. Wenn die Bäume abgeholzt werden, werden
Millionen Tonnen Kohlenstoff freigesetzt - was den Klimawandel deutlich
verschärfen würde.“

Etwa ein Fünftel des Regenwaldes wurde bereits abgeholzt

In den vergangenen 50 Jahren wurden etwa 17 Prozent der Gesamtfläche des
Regenwaldes im Amazonasbecken abgeholzt. Kolumbien hat nur einen Anteil von
etwa sieben Prozent an der Gesamtfläche des Amazonaswaldes. Für die übrigen
Länder aber hat das Urteil keine Auswirkungen. In Ecuador etwa plant die
Regierung, große Teile des Waldes für Ölförderung und Bergbau freizugeben. 

In Brasilien ist die Situation noch dramatischer: Nachdem die Rodungen bis
2012 stark zurückgingen, kehrte sich ab 2013 der Trend wieder um. 2016
wurden etwa 8000 Quadratkilometer Regenwald vernichtet, die Rodungen nahmen
um 30 Prozent zu. Seit Amtsantritt von Präsident Michel Temer Mitte 2016
wurden mehrere Schutzgebiete teils drastisch verkleinert und die
Umweltausgaben des Landes auf die Hälfte zusammengestrichen. Nun soll auch
das Verbot, Regenwald für Zuckerrohrplantagen zu roden, fallen. In den
übrigen Amazonas-Staaten sieht es kaum besser aus.

Auch in Kolumbien wird es nicht leicht, die Forderung des Gerichts zu
erfüllen. Im Land fanden bis vor Kurzem bewaffnete Konflikte statt. Viele
Gebiete kontrollierte die Farc-Guerilla - was ihre Umwelt aber auch rettete,
meinen Experten. „Die Farc war in vielen Teilen Kolumbiens die
Umweltautorität“, meinte etwa der Umweltexperte Julio Carrizosa kürzlich im
Interview mit der Tageszeitung „El Tiempo“. Durch den Friedensprozess
änderte sich nun die Lage. 

Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet 2016, im Jahr des Friedensabkommens
zwischen Farc und kolumbianischer Regierung, die Rodungen wieder massiv
zunahmen. In den Farc-Gebieten waren Rodungen streng sanktioniert,
multinationale Unternehmen wagten sich aus Sicherheitsgründen nicht in die
Region. Kriminelle Banden nutzen nun das Machtvakuum und treiben den
Koka-Anbau massiv voran.

Kinder sollen nun an Aktionsplan beteiligt werden

Umweltschützer sind besorgt und betonen dennoch, die Strategie zur Bewahrung
des Waldes dürfe nicht auf Angst beruhen. Da könnte das Urteil des Obersten
Gerichtes zur rechten Zeit kommen: Es verpflichtet den Staat nicht nur zu
schärferen Sanktionen, sondern auch zu pädagogischen Maßnahmen, um die
Umweltzerstörung zu verhindern.

Alle Maßnahmen sollen in Zusammenarbeit mit den 25 jungen Klägern geplant
werden. Auch das war eine ihrer Forderungen: „Wir sind diejenigen, die von
den Auswirkungen des Klimawandels am meisten betroffen sein werden“,
schrieben die Kinder und Jugendlichen in ihrer Klageschrift, „aber auch die,
die am wenigsten Einfluss darauf nehmen können.“ Nun haben sie die
Möglichkeit, über ihre Zukunft aktiv mitzuentscheiden. Und die Zeit drängt.




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