----- Weitergeleitete Nachricht ----- Von: Tadzio Müller <tadzio.muel...@rosalux.org> Datum: 5. März 2019 um 11:03:55 MEZ An: autof...@lists.riseup.net Betreff: Gegen die Autogesellschaft: Bewegt Euch. Anders.
Liebe Leute, hier ein Text von Janna Aljets und mir zur möglicherweise entstehenden Bewegung gegen die Autogesellschaft. Erschienen in Oxi 3.19 und nd-online. Gegen die Autogesellschaft: Bewegt Euch. Anders. Schluss damit, dass sich alles um dreckige, ressourcenfressende, mörderische Autos dreht Trotz noch immer hoher Verkaufszahlen knirscht und knackst es merklich im Gebälk des Systems Auto: „Dieselskandal“ und Industriebetrug, E-Mobilität und autonomes Fahren, digitale Mobilität und eskalierende sozial-ökologische Krisen. Ist vielleicht ein baldiges Ende der deutschen Autogesellschaft absehbar, wird sie sich gar selbst abschaffen? Wohl kaum, denn wie üblich: Ohne Druck von unten wird es kaum gehen. Wir wissen, dass das politische System der Bundesrepublik derzeit auf keine große Zukunftsfrage eine wirkliche Antwort hat: Klimawandel, Ungleichheit, Rechtsruck, Überwachungsstaat... Zudem können von einem politischen System, in dem jede Kanzlerin erst einmal eine Autokanzlerin und jede größere politische Partei von Vertretern des Autosektors durchzogen ist, derartige Eingriffe nicht erwartet werden. Aber eine Situation, in der sich Gesellschaften große Fragen stellen, während politische Systeme darauf keine Antworten formulieren können, ist die perfekte Voraussetzung für die Entstehung machtvoller sozialer Bewegungen - so in der Atom- oder Klimafrage, so aber auch schon in den „neuen sozialen Bewegungen“ nach 1968. Die Zeit ist also reif für eine neue soziale Bewegung gegen die Autogesellschaft. Es braucht neue Stimmen, die sich nicht nur gegen ein Symptom - Verkehrstote, Feinstaubbelastung, städtischer Flächenklau - sondern endlich gegen den Kern des Problems wenden: ein Gesellschafts-, Verkehrs- und Wirtschaftsmodell, das sich um dreckige, ressourcenfressende und viel zu oft mörderische Blechbüchsen dreht. Mehr noch als auf Kohlegruben, Investitionsschutzabkommen und Abschottungsgrenzen basiert der deutsche Exportkapitalismus auf der Autoindustrie, diesem Inbegriff einer nationalegoistischen „Externalisierungsgesellschaft“ (Stephan Lessenich). Die Vorherrschaft der Autogesellschaft geht jedoch tiefer, sie lebt auch von der unglaublichen emotionalen Wucht, mit der unsere Körper von Autos angerufen und eingebunden werden: es geht um Freiheit und Handlungsmacht, Selbstdarstellung und Überordnung, um Abkapselung und Kontrolle, um Individualisierung und Beschleunigung. Von der obersten Staatsspitze bis in die untersten Lendenbereiche, das Auto ist hierzulande immer und überall. Deutschlands Verkehrssektor emittiert ein Fünftel der deutschen Treibhausgase - Tendenz steigend, den immer mehr werdenden SUVs sei Dank. Und wie in anderen Sektoren des Kapitalismus zeigt sich, das jedes Quäntchen Wirtschaftswachstum immer mit einem korrespondierenden Verkehrswachstum einhergeht. Wer also den deutschen Autosektor angreift, greift direkt den deutschen Kapitalismus und seine soziopathische Wachstumslogik an. Die Politik gelobt nun durch Elektroautos ökologische Verbesserung. Aber Elektroautos sind so ökologisch wie der Karibik-Urlaub mit Kohlendioxid-Ausgleich. Denn eine absolute „Entkopplung“ des BIP-Wachstums vom Ressourcenverbrauch gibt es nicht, auch „grünes Wachstum“ hat immer eine materielle Grundlage. E-Autos sind in der Herstellung äußerst ressourcenintensiv, die Herkunft des notwendigen Stroms ist bisher ungeklärt und sie überwinden das Ideal eines privaten Fahrzeugs nicht. E-Autos sind daher nur grünkapitalistische Scheinlösungen - nur eine soziale Bewegung kann den Finger auch in diese Wunden legen. Autos sind laut, sie stinken und sind gefährlich. Die massive Luftverschmutzung durch den Autoverkehr überschreitet fast überall vorgeschriebene Grenzwerte. Nicht umsonst drohen allenthalben Fahrverbote. Die EU geht allein in Deutschland von jährlich Zehntausenden vorzeitigen Todesfällen durch automobile Emissionen aus. Hinzu kommen jährlich die Tausenden von Verkehrstoten und -verletzten. Außerdem nehmen Parkplätze einen großen Teil des urbanen Raums ein, der sonst sinnvoll für gemeinschaftliche Nutzung zur Verfügung stehen könnte. Die negativen Effekte des Autoverkehrs berühren uns also alle, jeden Tag: Eltern, die ihre Kinder auf den Straßen sicher wissen wollen, Rentnerinnen, die vom Lärm nicht schlafen können, Radler, die jeden Tag in Lebensgefahr schweben... - vielen verspricht eine autofreie Gesellschaft einen großen Gewinn an Lebensqualität. Auch sie sind alle potenzielle Verbündete in einer breiten sozialen Bewegung gegen das Auto. Ähnlich wie bei der „Energiewende“ liegen Alternativen zum herrschenden Verkehrs- und Mobilitätssystem bereits auf dem Tisch: Ticketfreier ÖPNV, Ausbau des Schienennetzes, kollektiv genutzte Fahrzeuge, Fahrradstraßen, kurze Wege et cetera. Mobilität kann nachhaltig, nicht-fossil, barriere- und diskriminierungsfrei, intelligent vernetzt und sicher sein. Das Ideal der „autogerechten Stadt“ gehört als Ausdruck unserer „imperialen Lebensweise“ (Ulrich Brand und Markus Wissen) auf die Müllhalde der Geschichte. Mobilität für alle (ob mit Bus, Fahrrad, zu Fuß oder im Rollstuhl) muss als soziale Daseinsvorsorge und nicht als profitorientierter Wachstumsmarkt verstanden werden. Um diese Kräfteverhältnisse zu verschieben, braucht es mehr Druck von unten und mehr Menschen, die zeigen, dass sie nicht mehr gewillt sind, die enormen lokalen und globalen Kosten der Autoindustrie zu (er-)tragen. Eine neue gesellschaftliche Dynamik muss in die Fußstapfen der Anti-Atom-Bewegung und der Anti-Kohle-Bewegung treten, und zeigen, dass es einen ernstzunehmenden gesellschaftlichen Konflikt um unser Leben unter dem Zeichen des Autos gibt. Sie muss die fundamentale Legitimität unserer ausbeuterischen und externalisierenden Autogesellschaft angreifen. Es ist Zeit für eine Massenkarambolage! Janna Aljets und Tadzio Müller arbeiten bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung und engagieren sich in Bewegungen für Klimagerechtigkeit ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° Ende der weitergeleiteten Nachricht. Alle Rechte bei den AutorInnen. Unverlangte und doppelte Zusendungen bitte ich zu entschuldigen! Das gelegentliche Versenden von E-Mails durch mich ist eine rein private und persönliche - und niemals berufliche oder wirtschaftliche - Tätigkeit. Ich nutze Ihre E-Mail-Adresse für keine anderen Zwecke und speichere keine weiteren Daten außer dem zugehörigen Namen/Organisation. Ich gebe niemals Daten weiter und lösche auf jede Bitte sofort. 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