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18.03.2019

Ökostrom vom Ölkonzern - Shell könnte deutschen Pionier Lichtblick
übernehmen

Deutschlands Pionier im Vertrieb von grünem Strom gehört womöglich bald zum
Ölmulti Shell. Lichtblick-Mitarbeiter sind entsetzt - die Billigkonkurrenz
frohlockt

Jürgen Flauger

DÜSSELDORF. Lichtblick ist zweifelsfrei ein Pionier auf dem deutschen
Energiemarkt. Das Unternehmen wagte sich schon vor 20 Jahren, als der Markt
gerade geöffnet wurde, in den Wettbewerb mit den Energiekonzernen - und hat
sich als einer der wenigen Newcomer von damals bis heute gehalten. Von
Anfang an setzte Lichtblick auch konsequent auf Ökostrom - und das mit
Erfolg.

Mehr als 600.000 Haushalte und Betriebe beliefert das Unternehmen heute mit
grünem Strom. Lichtblick war und ist der Gegenentwurf zu den
Vertriebsabteilungen der alten Kohle- und Atomkonzerne.

Jetzt zeichnet sich für das Hamburger Unternehmen aber ein kapitales Problem
ab: Lichtblick könnte schon bald zum weltweiten Reich des Ölmultis Shell
gehören. Die Unabhängigkeit hat das Unternehmen schon verloren, als es vor
Kurzem vom niederländischen Versorger Eneco übernommen wurde. Das war noch
zu verschmerzen, die Niederländer setzen ebenfalls konsequent auf
nachhaltige Energie.

Allerdings steht Eneco jetzt selbst zum Verkauf. Die Eigentümer,
niederländische Kommunen, haben eine Auktion gestartet - und als klarer
Favorit gilt Shell. Für Lichtblick brächte das ein massives Imageproblem mit
sich. Gerade bei Ökostrom hinterfragen Kunden die Glaubwürdigkeit der
Anbieter. Einige Konkurrenten frohlocken schon.

Ökostrom vom Ölkonzern? Lichtblick-Chef Wilfried Gillrath übt sich noch in
Gelassenheit: „Es ist derzeit noch zu früh, über konkrete Eneco-Käufer zu
spekulieren“, sagte er dem Handelsblatt: „Der Verkaufsprozess hat gerade
erst begonnen und wird sich noch einige Zeit hinziehen.“

Im Unternehmen ist die Aufregung aber schon groß. Viele Mitarbeiter können
sich nicht vorstellen, künftig unter der Aufsicht eines Ölkonzerns zu
arbeiten. Für sie steht Lichtblick nicht nur für die Energiewende - sondern
ist auch eine Alternative zur alten, verkrusteten Energiewelt.

Eneco passte zu Lichtblick

„Ich bin vor 20 Jahren mit Lichtblick angetreten, um gegen die Großkonzerne
zu kämpfen“, sagt Heiko von Tschischwitz: „Wenn Lichtblick jetzt von Shell
übernommen wird, frisst die Revolution ihre Kinder.“ Von Tschischwitz hat
das Unternehmen mitgegründet und lange geführt.

Vor zwei Jahren verkauften von Tschischwitz und die anderen Eigentümer die
ersten 50 Prozent an Eneco. Die meisten waren jahrelang dabei, viele von
Beginn an - wie auch der größte Anteilseigner, der Hamburger Unternehmer
Michael Saalfeld. Mit Eneco, so hieß es damals, waren die Alteigentümer und
das Management froh, einen passenden Partner gefunden zu haben.

„Wir haben ein Unternehmen gefunden, das dieselben Visionen und Werte hat
wie wir“, freute sich Geschäftsführer Gillrath damals. Ausdrücklich wurde
auch betont, dass Eneco zwar 50 Prozent erwerbe, aber eben nicht die
Mehrheit. Lichtblick sollte unabhängig bleiben, das Management bleibe im
Amt, der Verwaltungsrat werde paritätisch besetzt.

Ende des Jahres verkauften die Alteigentümer dann auch die restlichen
Anteile an Eneco, die Unabhängigkeit war damit verloren - aber wieder
betonte das Lichtblick-Management die vielen Gemeinsamkeiten mit den
Niederländern.

Tatsächlich investieren die Niederländer, die 2018 mit 3.000 Mitarbeitern
4,2 Milliarden Euro umsetzten, gezielt in Biomasse-Kraftwerke, Wind- und
Solarparks und beliefern die fünf Millionen Kunden vorzugsweise mit grüner
Energie.

„Eneco passte mit seiner nachhaltigen Ausrichtung toll zu Lichtblick, als
wir vor zwei Jahren die Partnerschaft eingegangen sind“, erklärt
Lichtblick-Gründer von Tschischwitz: „Wenn Eneco jetzt von einem Ölkonzern
geschluckt wird, würde sich das natürlich fundamental ändern. Das empfände
ich schon als sehr bitter.“

Shell gilt durch seine Finanzkraft als Favorit

Das Szenario, von dem die Alteigentümer bei ihrem Ausstieg nach eigenen
Angaben nichts wussten, ist aber real. Die 44 Kommunen, denen Eneco gehört,
haben das Unternehmen zum Verkauf gestellt. Im Laufe des Jahres wollen sie
den Energiekonzern an den Meistbietenden verkaufen, nur 25 Prozent sollen
noch in kommunaler Hand bleiben. Experten schätzen den Wert des Unternehmens
auf bis zu vier Milliarden Euro.

Shell hat frühzeitig mit dem niederländischen Pensionsfonds PGGM Interesse
signalisiert. Der Konzern versucht mit seiner Tochter Shell New Energies,
bewusst vom Image des Ölkonzerns loszukommen und in erneuerbare Energien zu
investieren. Natürlich ist nicht ausgemacht, dass der Konzern den Zuschlag
bekommt.

Wegen seiner Finanzkraft und seiner Nähe zu den jetzigen Eigentümern gilt
der niederländisch-britische Konzern aber als Favorit. Erst in der
vergangenen Woche hatte er schon zusammen mit Eneco ein Gebot für einen
Offshore-Windpark vor der niederländischen Küste abgegeben.

Und selbst wenn Shell nicht zum Zuge kommen sollte, andere Bieter wären für
Lichtblick kaum besser: Auch der französische Ölkonzern Total und der
italienische Energiekonzern Enel wollen Eneco.

„Natürlich ist es an sich positiv, wenn endlich auch die bisher
rückwärtsgewandten Konzerne ernsthaft in Nachhaltigkeit investieren, aber
Lichtblick war immer gerade durch seine Unabhängigkeit so stark und
glaubwürdig. Das würde verloren gehen“, sagt von Tschischwitz.

Er selbst hat inzwischen ein eigenes Unternehmen gegründet: Das Start-up
Enyway ist noch konsequenter als Lichtblick ausgerichtet. Es bringt auf
seiner Plattform auch kleine Ökostromproduzenten wie Landwirte direkt mit
interessierten Kunden zusammen.

Das Lichtblick-Management hat Eneco durchaus schon seine Bedenken
übermittelt. Geschäftsführer Gillrath muss aber diplomatisch vorgehen:
„Gegen eine Veränderung der Gesellschafterstruktur haben wir bei Lichtblick
grundsätzlich nichts einzuwenden“, sagt er. „Wichtig ist für Lichtblick aber
in jedem Fall, dass potenzielle neue Eigentümer die nachhaltige Ausrichtung
unseres Unternehmens unterstützen.

Wir sind überzeugt, dass wir unseren Erfolgsweg fortsetzen können.“ Er geht
auch davon aus, dass jeder Investor bei Eneco die gemeinsame
„Energiewende-Ausrichtung“ der beiden Unternehmen unterstützen werde: „Jedes
andere Vorgehen eines zukünftigen Eigentümers wäre irrational, weil es einer
aktiven Geldvernichtung gleichkäme“, sagt Gillrath.

Harter Wettbewerb

Für Lichtblick wird es wichtig sein, weiter die Unabhängigkeit und
konsequente Ausrichtung auf die Energiewende herauszustellen - egal, wer die
Muttergesellschaft Eneco übernehmen wird. „Wenn Ökostromkunden daran
zweifeln, ob es ein Anbieter ernst mit der Energiewende meint, besteht die
Gefahr, dass er wechselt“, sagt Energieexperte Andreas Stender von A.T.
Kearney. Ökostromkunden seien kritischer als normale Stromkunden. „Ein
Eigentümerwechsel ist deshalb schon ein Risiko für einen Ökostromanbieter.“

Konkurrenten reiben sich bereits die Hände. „Wir fragen uns schon, wie der
Ökokunde das aufnehmen wird - und was das für die Marke bedeutet“, lästert
ein Billiganbieter. Das Problem: Im Geschäft mit Ökostrom tummeln sich fast
alle Versorger. Jeder Discountanbieter, jede Vertriebsgesellschaft eines
Energiekonzerns und jedes Stadtwerk vertreibt Ökostrom. Zehn Millionen
Stromkunden beziehen inzwischen grünen Strom in Deutschland.

Und während das Segment wächst, stagnieren seit Jahren die Kundenzahlen der
Ökostrom-Pioniere: Lichtblick gehört zu einer Hand voll Unternehmen, die
sich von Anfang an konsequent auf erneuerbare Energien konzentriert haben.

Naturstrom ist eine Aktiengesellschaft, gehört aber rund 1.000 engagierten
Bürgern, EWS Schönau ist eine Genossenschaft aus dem Schwarzwald, die aus
einer Bürgerinitiative hervorgegangen ist, und Greenpeace Energy wurde von
der Umweltschutzorganisation initiiert und ebenfalls als Genossenschaft
aufgesetzt. Sie alle stellen bewusst ihre Unabhängigkeit heraus und die
ganzheitliche Ausrichtung auf die Energiewende.

Ökostrom ist schließlich nicht gleich Ökostrom. Billiganbieter können im
Ausland Grünstromzertifikate erwerben, um Strom in Deutschland
umzudeklarieren. „Richtige“ Ökostromfirmen kaufen direkt in Deutschland
Ökostrom und investieren selbst in grüne Stromproduktion.

Während die Billigkonkurrenz hinter vorgehaltener Hand über die potenzielle
Verbindung von Lichtblick und Shell lästert, herrscht bei den
Ökostrompionieren eher Betroffenheit. Direkt äußern will sich keiner. Im
Hintergrund zeigen sich Unternehmen aber besorgt.

Lichtblick, Naturstrom, EWS und Greenpeace seien sich zwar nicht in allem
einig, hätten aber in der Vergangenheit dieselben Interessen vertreten, sagt
ein Vertreter: „Wie das demnächst funktionieren kann, wenn Shell
dahintersteht, ist fraglich.“

Er rechnet auch damit, dass Lichtblick ein Imageproblem bekommen und Kunden
verlieren werde: „Es gibt einen großen Anteil an dunkelgrünen Kunden“, sagt
er. „Die schauen genau hin, wer hinter ihrem Anbieter steckt.“

„Bei Ökostrom im Premiumsegment ist Glaubwürdigkeit ein hohes Gut“, sagt
Naturstrom-Vorstandsmitglied Oliver Hummel.

Vielen überzeugten Ökostromkunden gehe es nicht nur ums Stromprodukt,
sondern auch um den Anbieter und seine Philosophie. „Dazu gehört auch, dass
ihr Ökostromlieferant unabhängig ist von der alten Energiewelt.“


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