Frankfurter Allgemeine Zeitung
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26.04.2019

Im Gespräch

Yanis Varoufakis: „Nicht für mein Rockstar-Image verantwortlich“

Yanis Varoufakis war griechischer Finanzminister, als Athen mit Brüssel um
Hilfspakete rang. Jetzt will er ins EU-Parlament einziehen. Ein Gespräch
über seine politischen Ziele, „faule Griechen“ und „Nazi-Deutsche“ - und
seine Wut auf Günther Jauch nach seinem legendären Mittelfinger-Auftritt

VON OLIVER GEORGI UND JAKOB GUTMANN

Yanis Varoufakis will zurück in die Politik. Nachdem er 2015 im Streit um
das dritte Hilfspaket sein Amt als griechischer Finanzminister niedergelegt
hatte, war es relativ ruhig um den charismatischen Wirtschaftsprofessor
geworden. Nun hofft er, mit seiner paneuropäischen Bewegung „Democracy in
Europe Movement 2025“ (DiEM25) bei der diesjährigen Europawahl den
Grundstein für einen sozial-ökologischen Paradigmenwechsel in Europa legen
zu können. Dafür kandidiert Varoufakis an der Spitze der Wahlliste des
deutschen Flügels von DiEM25 für einen Einzug ins Europaparlament -
ausgerechnet also in dem Land, in dem er seit seiner Zeit als Finanzminister
aufgrund mehrerer Kontroversen stark umstritten ist.

Die Kernforderung seiner Bewegung ist der „Europäische Green New Deal“, der
für fünf Jahre jährliche Investitionen im Umfang von 500 Milliarden Euro in
Klimaschutz und die Entwicklung grüner Technologien in ganz Europa vorsieht.
Das Geld soll von der Europäischen Investitionsbank (EIB) über Anleihen, die
von privaten Investoren erstanden werden können, bereitgestellt werden.
Varoufakis verspricht außerdem, mit diesem Konjunkturpaket neue Jobs zu
schaffen und so das „kolossale Versagen Europas“ in der Energie- und
Sozialpolitik zu lindern. Daneben fordert DiEM25 unter anderem ein
bedingungsloses Grundeinkommen, eine verpflichtende Abgabe für
Technologieunternehmen und einen europäischen Mindestlohn.

FAZ: Herr Varoufakis, Sie treten bei der Europawahl für die linke
Vereinigung „Demokratie in Europa“ an - in Deutschland, weil sie in Berlin
einen Wohnsitz haben. Warum kandidieren Sie nicht in Ihrer Heimat
Griechenland?

YANIS VAROUFAKIS: Weil ich ein Zeichen setzen will. Unsere Vereinigung
„Demokratie in Europa“ ist transnational: Ich trete in Deutschland an, ein
Deutscher, Jochen Schult, im Gegenzug in Griechenland. Wir wollen den
deutschen, den griechischen und auch allen anderen europäischen Wählern
zeigen: Es gab nie einen Kampf zwischen den Griechen und den Deutschen,
zwischen dem Süden und dem Norden, es gab immer nur einen Kampf zwischen
einer rationalen, progressiven Politik und business as usual. Vor 2008, als
die Finanzkrise begann, hat eine Allianz von Oligarchen im eigenen Interesse
gigantische private und öffentliche Schuldenberge angehäuft - gegen die
Interessen der meisten Bürger in Deutschland wie in Griechenland. Als diese
Blase geplatzt ist, lautete das Narrativ, mit dem sie den zynischen Transfer
ihrer Verluste auf die Schultern der griechischen und deutschen Steuerzahler
begründet haben: „die faulen Griechen“ oder, umgekehrt, „die
Nazi-Deutschen“. Da wurde ein Kulturkampf zwischen Nationen
heraufbeschworen, den es so nie gegeben hat.

Viele würden entgegnen, dass Sie ihren guten Teil zu diesem schlechten
Verhältnis beigetragen haben - unter anderem durch Ihren Mittelfinger, den
Sie 2013 bei einem Vortrag in Zagreb in Bezug auf Griechenlands Schuldner
präsentierten und den Günther Jauch 2015 in seiner Talkshow zeigte...

Diese Sendung von Herrn Jauch war das deutsche Fernsehen in seinem
schändlichsten Moment. Ich habe 2013 in dieser Rede in Zagreb Folgendes
gesagt: Im Mai 2010 schuldete der griechische Staat den deutschen
Steuerzahlern keinen einzigen Cent. Und es ist ein Verbrechen, die Slowenen,
die Italiener, die Deutschen für die griechischen Schulden verantwortlich zu
machen. Das war immer schon meine Haltung, ich war immer schon kritisch
gegenüber der griechischen und der deutschen Regierung und gegenüber
Brüssel. Aber die Medien wollten das nicht so transportieren, sie wollten
mich dämonisieren, obwohl ich immer völlig proeuropäisch war.

Sie selbst haben keine Fehler gemacht?

Natürlich, jeder macht Fehler, auch ich. Ich will über diese Sache aber
eigentlich gar nicht mehr reden. Nur so viel: Herr Jauch sollte sich auf
ewig und für alle Zeiten schämen; ich bin sehr froh darüber, dass seine
Sendung eingestellt wurde. Er hat mich in die Irre geführt. Seine Redaktion
hat mich regelrecht dazu gedrängt, an dieser Sendung teilzunehmen - mit
folgendem Argument, und ich rate Herrn Jauch, es nicht zu wagen, mir zu
widersprechen: Herr Varoufakis, wir wissen, dass Sie proeuropäisch
eingestellt sind - mit Ihnen in der Sendung wollen wir die Debatte zwischen
den Griechen und den Deutschen versachlichen. Also habe ich zugesagt - und
Jauch hat mich mit diesem alten, aus dem Kontext gerissenen Redeausschnitt
bewusst fertig gemacht. Herr Jauch hat vorsätzlich Fake News produziert und
die Deutschen populistisch gegen die Griechen aufgebracht. Das war
schändlich.

Haben die Deutschen ein falsches Bild von Yanis Varoufakis?

Schon möglich, zumindest haben viele Griechen ein falsches Bild von mir. Sie
halten mich für einen ausgewiesenen EU-Gegner, obwohl ich das Gegenteil bin.
Ich habe schon 2008 geschrieben, dass die deutschen Arbeiter nicht für die
griechischen Oligarchen zahlen dürfen. Und ich habe schon vor dem Beginn der
Finanzkrise davor gewarnt, dass wir vor einem möglichen Zusammenbruch des
Bankensystems in Europa stehen und das Zentrifugalkräfte heraufbeschwören
kann, die den Kontinent letztlich zerreißen könnten. Leider können die
Medien aber schnell ein falsches öffentliches Bild einer Person erschaffen,
von dem man dann lange nicht mehr loskommt.

Aber es spielt doch auch eine Rolle, wie man sich selbst in der
Öffentlichkeit gibt. Sie wissen um die Kraft der Provokation, sind als
Minister mit dem Motorrad vorgefahren, aufgetreten wie ein Rockstar. Warum
machen Sie nur die Medien verantwortlich?

Ich bin doch für mein Rockstar-Image nicht verantwortlich! Ich mag
Motorräder, die Zeitschrift „Motorrad“ ist in Deutschland eine meiner
Lieblingslektüren. Warum sollte ich mich dafür entschuldigen? Als ich 2015
Finanzminister wurde, bin ich zu Fuß ins Ministerium gelaufen. Dann
präsentierte man mir meine künftige Dienstlimousine, einen 7er BMW, fünf
Liter Hubraum, gepanzert. Die hat den griechischen Staat 750.000 Euro
gekostet. Da habe ich sofort gesagt: Nein, danke, da werde ich nicht
einsteigen. Ich fahre weiter mit meinem Motorrad, das ist schneller, schöner
und billiger. Ich hätte nie gedacht, dass die Medien das sofort zu einem
großen Thema machen würden. Dabei wäre es doch viel schlimmer gewesen, wenn
ich mein Motorrad in dem Moment, in dem ich Minister wurde, abgegeben hätte.
Wenn ich vorgegeben hätte, jemand zu sein, der ich nicht bin.

Sie haben schon angekündigt, dass Sie das EU-Parlament im Fall Ihrer Wahl
nach kurzer Zeit wieder verlassen wollen, wenn im Herbst die griechischen
Parlamentswahlen stattfinden. Ist das nicht ein Schlag ins Gesicht jener
Wähler, die Sie vielleicht wählen, um dauerhaft Europapolitik zu machen?

Die deutschen Wähler sind sehr klug. Sie verstehen, dass Personen in der
Politik nicht so wichtig sind - und das auch nicht sein sollten. Und ich
glaube, dass sie Politiker schätzen, die ehrlich und transparent zu ihnen
sind und sagen: Seht her, ich mache das nicht aus Karrieregründen und auch
nicht fürs Gehalt, ich will nicht ins EU-Parlament, um in einer Limousine zu
fahren und ständig zehn Mitarbeiter um mich herum zu haben. Sondern es geht
mir darum, die Lage zu verändern. Es ist doch ein Skandal, was in
Deutschland passiert.

Was meinen Sie?

Deutschland ist eine Erfolgsgeschichte, Ihr habt gleich vier Überschüsse:
einen Handelsüberschuss, einen Haushaltsüberschuss, eine große Liquidität
und große Ersparnisse. Und trotzdem glaubt mindestens die Hälfte der
Deutschen, dass das Leben heute schwerer sei als vor 15 Jahren. Das liegt
auch daran, dass das viele Geld nicht in die Dinge investiert wird, die
dringend gebraucht werden - vor allem in gute Jobs, die die Deutschen
verdienen. Wenn ich ins Parlament gewählt werden sollte, werde ich den
Wählern meine Vorschläge unterbreiten, wie man die Dinge in Europa
verbessern kann - und danach werde ich das Parlament verlassen, um Wahlkampf
in Griechenland zu machen. Meinen Sitz wird dann Daniela Platsch übernehmen,
eine sehr fähige Ökonomin. Ich glaube, die Wähler werden das verstehen.

Viele dürften eher enttäuscht sein und sich hintergangen fühlen.

Nein, das wären sie nur, wenn ich aus dem Parlament ausscheiden würde, um
nach Miami zu fliegen und schwimmen zu gehen. Aber das werde ich nicht tun.

Sie haben über das EU-Parlament gesagt, es sei kein Parlament, sondern nur
eine Entschuldigung für das Demokratiedefizit in der Europäischen Union.
Warum wollen Sie dann trotzdem hineingewählt werden, wenn Sie es als
Institution eigentlich ablehnen?

Niemand lehnt irgendeine Institution ab. Aber als ein europäischer Patriot
habe ich nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, die europäischen
Institutionen hart zu kritisieren. Zweifelt wirklich irgend jemand daran,
dass das EU-Parlament als Feigenblatt für die nicht zu verdeckenden
Demokratiedefizite in der Union geschaffen wurde? In meinen Verhandlungen
als griechischer Finanzminister mit der deutschen Regierung habe ich oft
sehr viel Frustration über das Demokratiedefizit in der EU gehört. Auch der
französische Präsident Emmanuel Macron hat gesagt, dass wir in der EU so
nicht mehr weitermachen können. Wir müssen endlich etwas ändern.

Sie wollen in Europa eine ökologische Wende mit einem „Green New Deal“
einleiten. Sie nennen es „Europas Manhattan Projekt“. Was meinen Sie damit?

Wir müssen uns als Europäer darüber einigen, wie viel Geld wir für grüne
Energie, grünen Verkehr und eine ökologischere Industrieproduktion ausgeben
wollen. Wir finden, das Mindeste, was die Jugendlichen bei den „Fridays for
Future“-Demonstrationen von uns älteren Generationen fordern können, sind
fünf Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts. Das entspricht ungefähr
500 Milliarden Euro. Dann ist die Frage: Wo soll das Geld herkommen? Nicht
aus Steuern, darauf würden sich die 19 Staaten der Eurozone niemals einigen.
Aber wir wissen, dass es im Finanzsystem genügend liquide Mittel gibt. Wir
schlagen vor: Die Europäische Investitionsbank legt für fünf Jahre
ökologische Anleihen mit einem Volumen von 500 Milliarden pro Jahr auf - und
die EZB bürgt dafür. Allein die Ankündigung der EZB würde ausreichen, damit
Investoren die EIB-Bonds mit Kusshand kaufen. Die 500 Milliarden Euro pro
Jahr könnten auf europäischer Ebene unabhängig von den nationalen
Regierungen, vielleicht gesteuert von der Europäischen Investitionsbank, in
nachhaltige Projekte fließen. Ein grünes Konjunkturpaket. Als ich
Finanzminister war, habe ich diesen Vorschlag der EIB schon gemacht. Und es
gab nicht eine einzige Stimme dagegen. Aber die EIB kann das nicht allein
entscheiden. Dafür braucht sie die Unterstützung des Europäischen Rats.

Haben Sie eigentlich noch Kontakt zum griechischen Ministerpräsidenten
Alexis Tsipras, der mit Angela Merkel gegen Ihren ausdrücklichen Rat einem
dritten Hilfspaket für Griechenland zugestimmt hat?

Nein, überhaupt keinen. Ich wüsste auch nicht, worüber ich mit ihm reden
sollte. Die Enttäuschung ist zu groß, mittlerweile ist es sogar Verachtung.
Als Politiker muss man seinen Wählern stets in die Augen sehen können - und
wenn man das nicht mehr kann, dann muss man zurücktreten. Tsipras hat sich
komplett gedreht, nur um im Amt zu bleiben. Das ist eine Verunglimpfung der
Demokratie.


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