Krautreporter

17. Juni 2020

Kobalt, Nickel, Manganknollen

Die Menschheit möchte Rohstoffe im Meer fördern
<https://krautreporter.de/3358-die-menschheit-mochte-rohstoffe-im-meer-forde
rn-und-hat-keine-ahnung-was-sie-da-tut> – und hat keine Ahnung, was sie da
tut

von Katharina Mau

Die Tiefsee ist einer der letzten unberührten Orte der Erde. Aber die
Staaten der Welt ebnen gerade den Weg, um dort Rohstoffe abzubauen. Die
Folgen für die Ökosysteme wären verheerend, denn unter Wasser dauert die
Erholung der Natur länger. Forscher sprechen von Jahrtausenden. 

Jonathan Mesulam ist eigentlich Lehrer. In Neuirland, einer Insel in
Papua-Neuguinea, unterrichtete er in der Schule – bis er sah, wie
Unternehmen, die in der Region Rohstoffe abbauen wollten, mit den Leuten vor
Ort umgingen. "In der Regel kommen diese gebildeten Menschen und sprechen
nur über die positiven Seiten des Projekts", sagt er im Interview
<https://www.business-humanrights.org/en/interview-with-jonathan-mesulam-pap
ua-new-guinea-png>  mit dem Business and Human Rights Resource Centre, das
die Menschenrechte im wirtschaftlichen Kontext fördern möchte. "Sie erwähnen
nicht die negativen Folgen, die das Projekt haben wird." Heute ist Mesulam
Aktivist <https://www.dtp.unsw.edu.au/jonathan-mesulam> . Er hat eine NGO
gegründet, die mit Communitys vor Ort zu Themen rund um die Klimakrise
arbeitet und setzt sich gegen Tiefseebergbau ein. Er glaubt, dass die
Menschen dadurch ihre Lebensgrundlage und ihre Kultur verlieren könnten.

Beim Tiefseebergbau schicken Unternehmen kleine Tiefseeroboter, die über
Kabel mit einem Schiff oder einer Plattform verbunden sind, bis zu sechs
Kilometer unter die Meeresoberfläche. Dadurch wollen sie Rohstoffe, wie
Nickel, Kobalt oder Kupfer gewinnen. Es ist die neueste Idee der Menschheit,
um ihren Rohstoffhunger zu befriedigen. Noch gibt es solche Minen nicht. Das
könnte sich aber ändern – auch die deutsche Bundesregierung erforscht den
Tiefseebergbau, aber nicht in der Ost- oder Nordsee. Sondern im Pazifik und
im Indischen Ozean. Weltweit verhandeln gerade Staaten über ein Papier, das
diesen Abbau möglich machen würde: den Mining Code.

In einem Umkreis von 200 Seemeilen können Staaten an der Küste über die
Rohstoffe im Meer verfügen. Das ist ihr Herrschaftsgebiet. Aber der Bereich
außerhalb, der auch die "Area" genannt wird, gehört allen Staaten auf der
Welt zusammen. Dafür verantwortlich ist die Internationale Meeresbehörde
(ISA). Sie hat den Auftrag, das "gemeinsame Erbe der Menschheit
<https://www.un.org/depts/los/convention_agreements/texts/unclos/part11-2.ht
m> " zu verwalten. Bisher dürfen Unternehmen nicht in diesen Gewässern
abbauen. Doch schon jetzt hat die ISA sogenannte Explorationslizenzen
vergeben, mit denen die Länder zum Abbau forschen dürfen. Im Auftrag der
Bundesregierung erkundet
<https://www.bgr.bund.de/DE/Themen/MarineRohstoffforschung/Meeresforschung/E
rkundung-mariner-mineralischer-Rohstoffe/erkundung-mariner-mineralischer-roh
stoffe_node.html>  die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe
(BGR) die Seegebiete im Pazifik und im Indischen Ozean, für die Deutschland
später auch eine Abbaulizenz bekommen könnte.

Der Bedarf an Rohstoffen und die Hoffnung auf das nächste Geschäft sind groß

Mesulam aus Papua-Neuguinea glaubt, dass die Kultur der Menschen auf der
Insel in Gefahr sei, wenn Unternehmen anfangen, Rohstoffe aus der Tiefsee zu
holen. Das weltweit erste konkrete Projekt ist gescheitert, bei dem das
kanadische Unternehmen Nautilus Minerals Rohstoffe in den Gewässern von
Papua-Neuguinea abbauen wollte. Das Unternehmen ging pleite. Aber es wird
nicht der letzte Versuch bleiben. Zu groß ist der Bedarf an Rohstoffen und
die Hoffnung auf das nächste große Geschäft.

In der Tiefsee könnte die Menschheit unter anderem Nickel, Kobalt und Kupfer
gewinnen. Alle drei Rohstoffe braucht sie, um Batterien zu bauen – je
stärker wir auf Elektroautos setzen oder Solaranlagen mit Speicher, desto
mehr dieser Rohstoffe sind nötig. Eine Studie
<https://www.oeko.de/fileadmin/oekodoc/Fab4Lib-Rohstoffe-Elektromobilitaet.p
df>  des Öko-Instituts zeigt, dass der Bedarf an Kobalt allein für die
Elektromobilität von 20.000 Tonnen im Jahr 2016 auf 400.000 Tonnen im Jahr
2030 steigen könnte. Und bei Nickel von rund 21.000 Tonnen auf 1,4
Millionen. Zwar gibt es an Land noch sehr große Vorkommen – das Öko-Institut
geht nicht davon aus, dass diese knapp werden könnten –, für Länder wie
Deutschland wäre der Tiefseebergbau allerdings auch interessant, um weniger
abhängig von den Rohstoffen aus anderen Ländern wie Kongo oder den
Philippinen zu werden.

Für den Abbau in der Tiefsee kommen infrage: Massivsulfide, manganreiche
Krusten mit hohem Kobaltanteil und Manganknollen, in denen Nickel, Kobalt
und Kupfer enthalten sind. Zum Abbau der Massivsulfide müsste man in den
Meeresboden hineinbohren. Bei den manganreichen Krusten und den
Manganknollen trägt man die obere Schicht, also etwa 10 bis 15 Zentimeter
des Meeresbodens ab.

Technisch könnte der Unterwasser-Bergbau schon in etwa zehn Jahren
funktionieren. Wann es sich finanziell lohnt, ist unklar. Doch schon jetzt
kritisieren Umweltverbände wie Greenpeace und Menschenrechtsorganisationen
wie Misereor die Idee. Denn der Abbau würde die Ökosysteme in der Tiefsee
für Jahrhunderte zerstören und könnte auch den Menschen schaden, die an den
Küsten leben. Das Problem: Niemand weiß, was wirklich passieren würde,
sollten große Maschinen im industriellen Maßstab den Meeresboden zerpflügen.

Die Tiefsee ist der am wenigsten erforschte Teil der Erdoberfläche. Die
Geräte müssen den hohen Druck aushalten und sind deshalb sehr teuer. Und die
Gebiete sind riesig. Mehr als 60 Prozent der Erdoberfläche liegen unterhalb
1.000 Metern.

Einer, der zu den Umweltfolgen des Tiefseebergbaus forscht, ist Matthias
Haeckel <https://www.geomar.de/mhaeckel>  vom Helmholtz-Zentrum für
Ozeanforschung Kiel. Er sagt: "Ich persönlich denke, dass wir uns als
Menschheit mehr Gedanken über unseren Konsum und eine nachhaltige Nutzung
von Rohstoffen machen sollten, bevor wir anfangen, neue Ressourcen aus einem
Gebiet zu holen, das bislang halbwegs unberührt ist. Wir verstehen derzeit
nicht, was die langfristigen Konsequenzen sein könnten."

Einige Folgen können die Forscher:innen schon sehr gut voraussagen. Um zum
Beispiel sogenannte Manganknollen abzubauen, müsste man die obere Schicht
des Meeresbodens entfernen. Dadurch werden alle Tiere und Tierchen getötet,
die dort leben. Vor etwa 30 Jahren haben Biolog:innen in einem Test Furchen
in den Boden gezogen, um zu sehen, wie lange die Folgen bestehen bleiben.

"Wir haben die Spuren untersucht", sagt Haeckel, "und sehen, dass die
Ökosysteme sich nicht innerhalb von ein paar Jahrzehnten erholen, auch nicht
die Mikroorganismen." Die Mikroorganismen sind ganz unten in der
Nahrungskette. In der Tiefsee bräuchten sie viel länger als an Land, um sich
zu erholen, mindestens 50 oder 60 Jahre, alles andere komme erst danach. "Es
dauert also mindestens ein paar Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende, bis
wieder Tiere den Boden besiedeln", sagt Haeckel.

Direkt auf den Manganknollen leben noch einmal spezielle Arten: kleine
Krebse, Schlangensterne oder Oktopusse. Haeckel sagt: "Die schädigen wir für
Millionen Jahre, weil die Manganknollen so lange brauchen, um neu zu
wachsen."

Wir wissen nicht, welche Folgen die Zerstörung der Ökosysteme hätte

Was Haeckel und die anderen Forscher:innen nicht wissen: Welche Auswirkungen
hätte das noch? Teilweise seien die Tierarten von Mexiko bis vor Asien
miteinander verwandt, sagt Haeckel. Gibt es irgendeine Art von Austausch
zwischen den Arten am einen Ende des Pazifiks mit denen am anderen? Sind sie
aufeinander angewiesen? "Unter Umständen beeinträchtigen wir über den
gesamten Pazifik die Tierarten und damit ihre Funktionen für das Ökosystem",
sagt Haeckel. "Ob die Folgen negativ sind, wissen wir nicht, weil wir nicht
wissen, welche Rollen die Organismen haben."

Jonathan Mesulam, der ehemalige Lehrer und heutige Aktivist fordert, den
Tiefseebergbau komplett zu verbieten. Er hat Sorge, dass es durch den Abbau
weniger Fische geben könnte, Fischer:innen ihre Lebensgrundlage verlieren
und die lokale Wirtschaft leidet. Und er hat Angst, dass der Abbau die
Kultur vieler Menschen zerstören könnte. An einigen Orten in Papua-Neuguinea
fangen die Menschen Haie <https://www.youtube.com/watch?v=-b-HZKq3MVg>  und
die Tiere haben eine wichtige Bedeutung. "Tiefseebergbau könnte der Kultur
der 'Shark Caller' schaden", sagt Mesulam
<https://www.business-humanrights.org/en/interview-with-jonathan-mesulam-pap
ua-new-guinea-png> . So werden die Menschen dort genannt, die traditionell
Haie rufen, um sie zu fangen. Haie seien sehr sensibel für Lärm und könnten
verschwinden, wenn Maschinen Rohstoffe abbauen. "Wenn wir das verlieren, was
sagen wir zukünftigen Generationen, dass wir einmal Shark Caller waren? Wenn
wir unsere Kultur verlieren, verlieren wir unsere Identität."

Wäre es also das Beste, wenn der Tiefseebergbau nie starten würde? Ganz so
einfach ist es nicht, denn auch der Abbau an Land schadet Umwelt und
Menschen. Luise Heinrich
<https://www.marum.de/Ausbildung-Karriere/GLOMAR/Luise-Britta-Heinrich.html>
von der Jacobs University Bremen versucht, in ihrer Doktorarbeit die
Umweltfolgen an Land und unter Wasser zu vergleichen. Das ist gar nicht so
leicht. Denn über die Folgen in der Tiefsee weiß man wenig und auch über die
Folgen an Land gibt es überraschenderweise gar nicht so viel Forschung.

Heinrich zitiert zwei Studien: Die eine kommt
<https://espace.library.uq.edu.au/view/UQ:1653a05>  zum Ergebnis, dass der
Tiefseebergbau mehr Energie verbraucht als der klassische Bergbau an Land
und vom Energieverbrauch vergleichbar ist mit sehr tiefen Bergwerken. Eine
andere Studie <https://pubs.er.usgs.gov/publication/70046853>  weist darauf
hin, dass der Tiefseebergbau weniger Vorbereitung brauche, während man beim
Bergbau an Land oft erst Wälder abholzen müsse.

Die beiden Punkte, die Heinrich erwähnt, sind zusammengefasst in einem Paper
<https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/29917315/> , an dem sie mitgeschrieben hat:
Deep-sea Mining: Interdisciplinary Research on Potential Environmental,
Legal, Economic, and Societal Implications.

"Allgemein kommen Studien oft zu dem Ergebnis, dass Tiefseebergbau
umweltfreundlicher sein könnte, weil weniger abgeholzt werden muss", sagt
Heinrich. "Außerdem kann es beim Tiefseebergbau zum Beispiel keine
Kinderarbeit geben, man muss keine Dörfer umsiedeln. Und die Schiffe und
Geräte zum Abbauen kann man leicht wieder wegnehmen, während man an Land
feste Strukturen zum Abbau braucht. " Doch auch Heinrich sagt, dass wir noch
zu wenig über die Folgen des Tiefseebergbaus wissen. Und der Vorteil an Land
sei: "Die Umwelt erholt sich schneller wieder."

Heinrich weist aber auch darauf hin, dass es vielleicht nicht um ein
Entweder-oder geht, sondern dass sowohl in der Tiefsee als auch weiterhin an
Land Rohstoffe abgebaut werden könnten. Und sie sagt auch nochmal, dass die
Frage momentan eher noch theoretisch ist. Sie schätzt, dass man technisch in
den nächsten zehn Jahren soweit wäre – ob es dann zum Abbau kommt, hänge von
der wirtschaftlichen Situation, von den Umweltvorschriften und davon ab, ob
es große Investoren gebe.

Trotzdem müssen wir jetzt schon darüber sprechen. Schließlich verhandeln die
Staaten jetzt gerade über den "Mining Code", der die Grundlage für jeden
etwaigen Abbau sein wird. Forscher Matthias Haeckel geht davon aus, dass
sich die Staaten entscheiden, den Tiefseebergbau zu erlauben. "Die Debatten
sind weit fortgeschritten und mehrere Länder haben ein großes Interesse am
Tiefseebergbau."

Wer nur wenig Macht hat, die Verhandlungen zu beeinflussen: Menschen wie
Jonathan Mesulam, die dann mit den direkten Folgen leben müssten.

 

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