die tageszeitung
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* 10. 8. 2020

Forscherin über Klimakrise und Rassismus

„Nicht alle sitzen im selben Boot“

In der Klimakrise spiegeln sich Ungerechtigkeiten wie Rassismus, sagt 
die Sozialwissenschaftlerin Imeh Ituen. Darauf müsse die Bewegung reagieren

INTERVIEW: SUSANNE SCHWARZ

taz: Frau Ituen, Sie haben mal gesagt, Fridays for Future habe die 
nördliche Perspektive schon im Namen. Wieso?

Imeh Ituen: Der Name verweist auf die Zukunft. Er lässt die Klimakrise 
wie ein Problem aussehen, das vor allem jüngere Menschen oder kommende 
Generationen betrifft. Das blendet aus, dass Menschen im globalen Süden 
seit Jahrzehnten mit den Folgen des Klimawandels zu kämpfen haben. Das 
hat hier im Norden noch nicht wirklich Gehör gefunden und das spiegelt 
sich auch in diesem Begriff „for Future“ wider.

taz: Die Klimaaktivistin Tonny Nowshin hat kürzlich in einem Gastbeitrag 
[1] in der taz angeprangert, dass die deutsche Klimabewegung die 
Perspektiven von Schwarzen, Indigenen und People of Color (BIPoC) oft 
nicht richtig ernst nehme. Sehen Sie das auch so?

Ituen: Ja, aber das ist auch nicht überraschend. Die Klimabewegung hier 
ist überwiegend weiß - warum sollte diese Zusammensetzung nicht zu 
denselben Problemen führen wie im Rest der Gesellschaft auch?

Wichtig ist, dass das in der Bewegung immer mehr anerkannt wird. Ich 
sehe da Fortschritte, allerdings erlebe ich auch immer wieder 
Enttäuschungen. Ich werde zum Beispiel oft gebeten, erst mal zu 
erklären, ob es Rassismus in der Klimabewegung überhaupt gibt, und wenn 
dem so sei, was die Schritte zu einer Klimabewegung ohne Rassismus sind.

taz: Sie sollen also die Komplettlösung präsentieren.

Ituen: Genau, dabei habe ich natürlich nicht alle Antworten parat. Wie 
auch? Es geht hier um eine Alternative zu einem System, das sich über 
Jahrhunderte entwickelt hat. Hinter dieser Diskussion steht häufig der 
Gedanke: Wir kämpfen doch schon gegen die Klimakrise, manchmal auch ein 
bisschen gegen den Kapitalismus - und jetzt sollen wir auch noch den 
Rassismus abschaffen?

In der Klimakrise spiegeln sich aber nun mal alle Ungerechtigkeiten, die 
es sonst auch gibt: Rassismus, aber zum Beispiel auch Sexismus. Deswegen 
ist es so spannend, für Klimaschutz und vor allem Klimagerechtigkeit zu 
kämpfen. Das richtet sich gegen alle Dimensionen von Unterdrückung. 
Letztendlich hängt das alles zusammen und muss intersektional gedacht 
werden.

taz: Es ist zum geflügelten Wort geworden, dass beim Klimawandel alle im 
selben Boot säßen, weil niemand nicht betroffen sein wird. Stimmt das nicht?

Ituen: Ich finde, das Bild passt nicht. Es ist doch so, dass die reichen 
Länder des Nordens die Klimakrise größtenteils verursacht haben, die 
Hauptleidtragenden leben aber im Süden.

Ich saß neulich mit Quang Paasch, dem Sprecher von Fridays for Future 
Berlin, auf einem Podium. Er sagte, wir säßen schon alle in einem Boot, 
aber das Boot habe halt verschiedene Etagen. Die ganz unten haben 
schlechtere Chancen, wenn das Boot sinkt. Aber selbst dieses Boot kann 
ich mir nicht vorstellen. Wie viele Stockwerke soll das denn haben? 
Nein, das Bild passt nicht, auf dieser Welt sitzen nicht alle im selben 
Boot.

taz: Früher haben die Vereinten Nationen deshalb beim Klimaschutz ganz 
strikt in Entwicklungs- und Industrieländer unterschieden, nur Letztere 
waren zum Klimaschutz verpflichtet. Mit dem Paris-Abkommen hat sich das 
geändert. Da die Emissionen weltweit auf null fallen müssen, ist das 
doch grundsätzlich sinnvoll, oder?

Ituen: Ich glaube aber schon, dass das ein bewusstes Bestreben des 
globalen Nordens war, um die eigene Verantwortung zu verschleiern. Das 
Prinzip der „Common but differentiated responsibilities“ (zu Deutsch 
„gemeinsame, aber jeweils unterschiedliche Verantwortung“, Anmerkung der 
Redaktion) ist total verschwommen [2]. Alle dürfen selbst festlegen, was 
sie leisten wollen.

taz: Der Weltklimarat IPCC hat errechnet, wie viel Treibhausgas die 
Menschheit noch ausstoßen kann, wenn die Erde sich um höchstens 1,5 oder 
2 Grad gegenüber vorindustriellen Zeiten aufheizen soll. Das sind ja die 
Ziele des Paris-Abkommens. Der Vertrag klärt aber nicht, wie dieses 
Budget zwischen den Ländern aufgeteilt wird.

Ituen: Genau. Es gibt jetzt nur noch eine moralische Verpflichtung für 
die Industrieländer, beim Klimaschutz voranzugehen. Das macht es schwer, 
einzelne Staaten zur Verantwortung zu ziehen, wenn die Rechnung 
insgesamt nicht aufgeht.

Es geht aber nicht nur darum, wer als Erstes seine Emissionen auf null 
bringen muss, sondern auch um sehr viel Geld. Die Industrieländer haben 
Angst, dass die Entwicklungsländer Entschädigungen durchsetzen könnten, 
wenn deutlich in Verursacher und Betroffene unterschieden wird.

taz: Eine vollumfängliche Haftung für die Klimakrise ist im 
Paris-Abkommen ausgeschlossen. Muss sich das ändern?

Ituen: Absolut. Das ist für mich ein zentraler Punkt. Es muss 
Kompensationszahlungen aus dem Norden an Länder des globalen Südens 
geben. Kosten und Nutzen der Treibhausgasemissionen sind ungerecht 
verteilt. Das geht zurück auf eine Geschichte von fast sechs Jahrhunderten.

taz: Normalerweise sprechen wir immer von der Industrialisierung als 
Startpunkt der Klimakrise.

Ituen: Nein, ich finde, der Startpunkt war schon 1454. Das ist das Jahr, 
in dem afrikanische Menschen erstmals auf Plantagen versklavt wurden, 
und zwar auf der Insel Madeira. Und 1492 wurde der Seeweg in die 
Amerikas gefunden. Diese Momente markieren den Start des Zeitalters des 
Kolonialismus.

Diese Ausbeutung von Schwarzen und Indigenen Menschen sowie Menschen of 
Color, die Genozide an ihnen, das sind die Prozesse, die überhaupt erst 
dafür gesorgt haben, dass in Europa so viel Kapital angehäuft wurde. Das 
hat die Industrialisierung hier ermöglicht, den Kapitalismus - und damit 
auch die Klimakrise. Man kann dieses Problem ohne die Historie und die 
damit verbundenen Macht- und Herrschaftsverhältnisse nicht richtig 
verstehen.

taz: Um das in der Klimabewegung voranzubringen, wurde das Berliner 
BIPoC-Klimakollektiv Black Earth gegründet, an dem Sie mitarbeiten. 
Warum machen Sie das nicht direkt in den bestehenden Klimaorganisationen?

Ituen: Viele von uns haben das zuerst versucht. Wir waren zum Beispiel 
alle schon bei den einschlägigen Klimacamps. Unsere Perspektiven waren 
nicht repräsentiert, wir haben uns dort nicht vertreten gefühlt. Wir 
hatten auch keine Lust, inhaltlich jedes Mal wieder bei Punkt null 
anzufangen: Was ist überhaupt Rassismus, was ist Kolonialismus und was 
hat das mit der Klimakrise zu tun?

Und natürlich haben wir auch alle irgendwelche Rassismuserfahrungen 
gemacht. Klar, wir beschäftigen uns bei Black Earth mit den Folgen von 
Rassismus - aber wir sind doch ganz dankbar, ihn während unserer 
politischen Arbeit nicht ständig praktisch erfahren zu müssen.

IMEH ITUEN, Jahrgang 1987, ist Sozialwissenschaftlerin und 
Klimaaktivistin. Ihr Fachgebiet ist die internationale Klimapolitik. Sie 
engagiert sich beim Berliner BIPoC-Klimakollektiv „Black Earth“.

[1] https://taz.de/!5689986/
[2] https://taz.de/!5210232/


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