CONTRASTE
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12. März 2021

Land und Höfe als Commons

Ende Oktober haben zehn Menschen aus dem Netzwerk Solidarische
Landwirtschaft und dem Mietshäuser Syndikat den neuen Verein »Ackersyndikat«
gegründet. Ihr Ziel ist es, einen dezentralen und solidarischen Verbund
aufzubauen, der Höfe und landwirtschaftliche Flächen als unverkäufliches
kollektives Eigentum sichert. Wie das genau funktioniert und warum es dafür
einen Verein braucht, erklärt Jost Burhop im Interview mit
CONTRASTE-Redakteurin Regine Beyß

CONTRASTE: Die Idee für das Ackersyndikat hat ihren Ursprung in der
erfolgreichen Geschichte des Mietshäuser Syndikats, kurz MHS. Das MHS wird
euch auch als Mitglied und Kapitalgeber unterstützen. Wie lässt sich diese
Struktur auf die Landwirtschaft übertragen?

JOST BURHOP: Im Prinzip ist die Struktur des MHS eine rechtliche Struktur
für einen Solidarverbund von selbstorganisierten Hausprojekten, die ihre
Immobilien in Gemeineigentum überführen wollen. Dieser Kerngedanke ist nicht
weit entfernt von der Entprivatisierung landwirtschaftlicher Flächen. Es
gibt auch bereits Projekte im MHS, die landwirtschaftliche Flächen gekauft
haben, allerdings hat dies nur in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen
wie der Kulturlandgenossenschaft funktioniert. Daher haben wir mit dem
Ackersyndikat eine Ergänzung zum MHS gegründet, um die Grundideen und
Strukturen des MHS auch für landwirtschaftliche Fläche zu nutzen. An sich
ist die Übertragung des Konzeptes nicht sonderlich schwierig. Wir kopieren
eigentlich die Strukturen des MHS und können sehr viel Wissen und weitere
Ressourcen des MHS verwenden, was uns die Arbeit an vielen Stellen
erleichtert.

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Strukturgrafik des Ackersyndikat e.V.
www.contraste.org/wp-content/uploads/2021/03/CON-438-13-1-Strukturgrafik-Ack
ersyndikat-1.png
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Komplett übernehmen können wir diese aber nicht, denn das MHS ist auf
Mietshäuser zugeschnitten und die Rahmenbedingungen der Landwirtschaft sind
andere. Mit dem Grundstückverkehrsgesetz gibt es beispielsweise besondere
Bedingungen, welche die Landkäuferin erfüllen muss, um landwirtschaftliche
Flächen kaufen zu können. Ein anderes eher vorteilhaftes Beispiel ist, dass
mit sozial-ökologischer Landwirtschaft einige anerkannte Gründe für
Gemeinnützigkeit vorliegen, weshalb der Ackersyndikat e.V. gemeinnützig sein
wird. Beim MHS geht das leider nicht, da günstiger Mietraum absurderweise
nicht (mehr) als Grund für anerkannte Gemeinnützigkeit gilt.

Spielt der Wohnraum auf den Höfen dabei auch eine Rolle?

Auf jeden Fall. Das Ziel des Ackersyndikats ist es ja, selbstorganisierte
Höfe zu ermöglichen, die sich dauerhaft selbst tragen. Das ist theoretisch
auch ohne Wohnraum möglich, wir gehen aber davon aus, dass es für die
Lebendigkeit der Höfe notwendig ist, auch dauerhaft entprivatisierten
Wohnraum für die Landwirt:innen zur Verfügung zu stellen. Das kann über die
gleiche Struktur laufen wie bei den landwirtschaftlichen Flächen: Die
Hof-GmbH kann all diese Immobilien kaufen. Darüber wird auch unnötige
Bürokratie vermieden.

Welche Probleme gibt es in der Landwirtschaft, für die das Ackersyndikat
eine Lösung anbieten könnte?

Heutzutage werden fruchtbare Böden oftmals als Kapitalanlage gesehen. Sie
werden versiegelt oder für industrielle Landwirtschaft verwendet und damit
zerstört. Durch die Spekulation sind landwirtschaftliche Flächen
mittlerweile so teuer, dass der Kauf von Flächen mit umwelt- und
sozialverträglicher landwirtschaftlicher Tätigkeit kaum noch refinanziert
werden kann. Hier setzen wir an und schaffen als Solidarverbund eine
Struktur, über die landwirtschaftliche Flächen dem Kapitalmarkt entzogen
werden und dauerhaft entprivatisiert erhalten bleiben können. Wir sehen uns
damit auch als Teil der sozial-ökologischen Transformation »von unten« und
schaffen eine dezentrale Organisationsstruktur für solidarische,
selbstorganisierte Kollektive. Auch dem Höfesterben treten wir damit
entgegen und unterstützen Landwirt:innen bei der Hofübergabe.

Was ist der besondere Anreiz für Solawis, sich dem Ackersyndikat
anzuschließen?

Meiner Meinung nach ist das Ackersyndikat die konsequente Weiterführung der
Grundideen solidarischer Landwirtschaft. Diese werden hier nicht nur auf den
landwirtschaftlichen Betrieb, sondern auch auf die Organisation des
Flächeneigentums angewendet. Die Kombination von Solawi und Ackersyndikat
führt zu Höfen, auf denen Privateigentum quasi keine Rolle mehr spielt,
Entscheidungen gemeinsam getroffen werden und Solidarität gelebt wird.
Hierarchien, die in Eigentumsverhältnissen festgeschrieben sind, werden
aufgebrochen, das Hofeigentum wird unter Einbezug der Solawi-Mitglieder
verwaltet. Darüber werden zudem Einzelpersonen entlastet und Verantwortung
demokratisch und breit geteilt. Die Solawi wird über einzelne Landwirt:innen
hinaus gesichert und der Solidarverbund hilft den einzelnen Projekten zum
Beispiel bei der Hofübergabe, aber auch mit finanziellen Hilfen und
Wissensweitergabe. Und natürlich sichert er auch die Unverkäuflichkeit der
landwirtschaftlichen Flächen der Solawi.

In welchen Entscheidungen und Bereichen bleiben die Höfe autonom?

Eigentlich in allen, mit nur ganz wenigen Ausnahmen. Die Projektautonomie
ist einer der Grundpfeiler des Ackersyndikats, genauso wie es auch beim MHS
der Fall ist. Zustimmung von Seiten des Ackersyndikats wird nur für den
Verkauf von Flächen benötigt - diese Zustimmung wird vom Ackersyndikat
allerdings nicht gegeben, wodurch die Unverkäuflichkeit der Flächen
garantiert ist. Zudem muss bei der Änderung der Bewirtschaftungsweise die
Zustimmung des Ackersyndikats angefragt werden. So wird garantiert, dass die
Flächen auch dauerhaft sozial-ökologisch bewirtschaftet werden und nicht
einfach für konventionelle Landwirtschaft verwendet werden. Zudem können
Höfe dafür sorgen, dass spezielle Bewirtschaftungsweisen wie beispielsweise
Agroforestry oder biozyklisch-vegane Landwirtschaft langfristig
festgeschrieben werden. Die Autonomie der Höfe wird also nur soweit
eingeschränkt, wie es für den langfristigen Erhalt der Ziele der
Hofnutzer:innen notwendig ist. Ansonsten ist eigentlich alles der
Selbstverwaltung überlassen. Vom alltäglichen landwirtschaftlichen Betrieb
über Entscheidungen zu Flächenzukäufen bis hin zur Buchhaltung. Das
Ackersyndikat übernimmt hier nur eine aktive Rolle, wenn es vom Hofprojekt
darum gebeten wird.

Inwiefern unterscheidet sich das Ackersyndikat von Genossenschaften wie zum
Beispiel Kulturland oder BioBoden?

Die genannten Genossenschaften sind sozusagen »gute«
Investor:innengesellschaften. Bei ihnen ist das Kapital zentral gebündelt in
der Genossenschaft, in der auch alle Kapitalgeber:innen mit Stimmrecht
beteiligt sind. Das ist für uns keine Selbstverwaltung. Das Sagen haben dort
letztlich größtenteils Menschen, die nicht auf den Höfen leben. Zudem
leisten sie keine Sicherung des Landes als unverkäufliche Commons. Denn das
Eigentum an den Höfen liegt entweder komplett bei der Genossenschaft oder
aber bei Kommanditgesellschaften, deren ganzes Kapital der Genossenschaft
gehört. Das ist strukturell nicht anders als bei den »bösen« Investor:innen.
Die Kerninnovation des Mietshäuser Syndikats ist die Schaffung einer lokalen
Immobilienbesitz-Körperschaft, in der die lokalen Nutzer:innen weitgehend
autonom sind und nur in der Frage der Reprivatisierung beschränkt sind. So
eine Struktur gibt es für die Landwirtschaft nur beim Ackersyndikat, und
damit auch das höchste mögliche Maß an Sicherung vor Verkäufen. Bei der
Kulturlandgenossenschaft schreibt die Satzung hingegen noch nicht mal eine
Zustimmung der Mitgliederversammlung für einen Verkauf von Immobilien oder
Geschäftsanteilen vor. Zudem erzeugen beide Genossenschaften einiges an
Organisationskosten, die dazu führen, dass die von den Projekten selbst
eingeworbene Umfeldfinanzierung dem Hof nicht voll zugutekommt. Wir setzen
dagegen auf ein Konzept von ehrenamtlicher Hilfe zur Selbstermächtigung, wie
auch beim MHS üblich. Damit ist das Ackersyndikat auch finanziell attraktiv
für Höfe, deren Umfeld in der Lage ist, Selbstverwaltungskompetenz
aufzubauen. Wie bei der Ökologie ist aber auch bei unseren
Organisationsstrukturen eine Vielfalt schön und manchmal überlebenswichtig.

Die Arbeitsbelastung in der Landwirtschaft ist tendenziell ja schon sehr
hoch. Haltet ihr es für realistisch, dass sich Landwirt:innen noch
zusätzlich in einer solchen Struktur engagieren?

Naja, einerseits beinhaltet Landwirtschaft ja heute bereits einen guten
Anteil an Bürokratie. Und das Rumschlagen mit der profitorientierten
Vermieter:in kann auch sehr viel Zeit und Energie in Anspruch nehmen.
Nichtsdestotrotz bedeutet die Selbstorganisation eines Hofprojektes
natürlich eine Menge Arbeit, weshalb das sicherlich nicht unbedingt was für
ein oder zwei Menschen ist. Sobald aber ein solidarisches Kollektiv hinter
dem Projekt steht, sich die Aufgaben gut aufteilt und der Überlastung von
Einzelpersonen entgegenwirkt, halten wir das für durchaus machbar. Menschen,
die zum Beispiel in MHS-Projekten aktiv sind, sind darüber hinaus ja auch
nicht untätig und schaffen es trotzdem, die Häuser gemeinsam zu verwalten.
Außerdem ist die Arbeitsbelastung in der Landwirtschaft ja meistens saisonal
unterschiedlich. So können zum Beispiel im ruhigeren Winter der
GmbH-Jahresabschluss und Mitgliederversammlungen erledigt werden.

Was sind eure nächsten Schritte? Welche Fragen müssen noch beantwortet
werden?

Als nächstes werden wir die Satzungsvorlagen für Hofverein und Hof-GmbH
erstellen und ein Leitbild sowie Kriterien für die Aufnahme von Projekten
erarbeiten. Im Sommer soll dann die erste Beteiligung an einem Hofprojekt
stattfinden. Das Projekt ist auch bereits in die Ausarbeitung der
Ackersyndikatsstrukturen involviert. Ein paar Fragen sind aber noch offen,
zum Beispiel wie genau ein Solidartransfer von Altprojekten zu Neuprojekten
stattfinden kann.

Wenn Menschen bei euch mitwirken oder euch unterstützen wollen - was können
sie tun?

Wir freuen uns sehr über Unterstützung und können davon allerhand
gebrauchen! Einerseits, indem sich Menschen aktiv in den Solidarverbund
einbringen, zum Beispiel in der Beratung von Projekten, in der Ausarbeitung
weiterer Details der rechtlichen Struktur oder in der Öffentlichkeitsarbeit.
Auch finanzielle Unterstützung können wir sehr gebrauchen. Sowohl durch
regelmäßige oder einmalige Spenden als auch durch Direktkredite. Und auch
Anfragen von Projekten und Initiativen, die Teil des Ackersyndikats werden
wollen, sind bei uns immer gern gesehen.

JOST BURHOP ist seit Juli 2020 im Ackersyndikat aktiv. In dieser Zeit hat er
vor allem an der Satzung und der Webseite gebastelt, Kontakt mit
interessierten Hofprojekten gepflegt und externe Anfragen beantwortet.

Link: www.ackersyndikat.org
Mail: kont...@ackersyndikat.org

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Titelbild: Gründungstreffen unterm Apfelbaum. 
www.contraste.org/wp-content/uploads/2021/03/CON-438-13-1-Ackersyndikat.jpg
Foto: Ackersyndikat e.V.
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CONTRASTE ist die einzige überregionale Monatszeitung für
Selbstorganisation. Seit 1984 dient sie den Alternativen Bewegungen als
Sprachrohr und Diskussionsforum. AktivistInnen aus den unterschiedlichsten
Bewegungen verfolgen mit der Herausgabe der Zeitung das Ziel, zu den von
Globalisierung, Sozialabbau, Massenarbeitslosigkeit und Umweltzerstörung
geprägten herrschenden Verhältnissen Alternativen zu diskutieren,
Entwicklungen aufzuzeigen, eigene Utopien zu entwickeln und diese zu
erproben.


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Mika Latuschek
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