Jungle World
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Jungle World Nr. 37, 12. September 2013
Bio ist billiger
Die Biobranche boomt, für bessere Löhne kämpfen die Angestellten von
Biosupermärkten trotzdem nicht
VON FLORIAN WAGENER
»Wer bei uns arbeitet, der muss davon leben können«, sagt Andrea Koch. Die
Biobäuerin betreibt gemeinsam mit ihrem Mann einen Bauernhof im
niedersächsischen Betzendorf. Doch demnächst könnte damit Schluss sein, denn
vor kurzem musste der Betrieb Insolvenz anmelden. »Es ist zunehmend schwierig,
den Kunden auf dem Wochenmarkt zu erklären, warum unsere Produkte teurer sind
als in den Biosupermärkten«, sagt sie im Gespräch mit der Jungle World. Dabei
ist die Begründung eigentlich recht simpel: Andrea Koch und ihr Mann Marten
weigern sich, dem Markt - und das sind nicht zuletzt die Supermärkte -
Zugeständnisse zu machen. Sie möchten keine weiteren Kompromisse bei der
Qualität ihrer Produkte, der umweltschonenden Aufzucht und beim Personal
eingehen. Dies schlägt sich zwangsläufig in den Preisen nieder.
Die Kochs halten an den Prinzipien der Ökobewegung der siebziger Jahre fest,
als mehrheitlich nicht nur eine ökologische, sondern auch eine soziale
Lebensmittelproduktion angestrebt wurde. Doch solcherlei Produzentenromantik
wird in Zeiten des Bio-Booms ins Abseits gedrängt. Verantwortlich dafür ist
auch die Expansion der Biosupermarktketten.
Diese haben einen immer größeren Anteil am Wachstum des Biomarktes in
Deutschland, dessen Anteil am gesamten Lebensmittelmarkt in Deutschland 2012
bei 3,9 Prozent lag. Wie die Agrarmarkt Informations-Gesellschaft
herausgefunden hat, liegt der Hauptanteil des Gesamtumsatzes mit Bioprodukten
zwar noch beim konventionellen Lebensmitteleinzelhandel, über den in den
vergangenen zehn Jahren der Weg der Bioprodukte zum Massenkonsum führte. Von
sieben Milliarden Euro Gesamtumsatz entfallen auf ihn 3,53 Milliarden Euro,
also gut 50 Prozent. Der Naturkostfachhandel, zu dem Bioläden und
Biosupermärkte gezählt werden, konnte in der letzten Zeit allerdings verlorenes
Terrain zurückgewinnen. Auf ihn entfallen nun 2,21 Milliarden Euro
beziehungsweise 31 Prozent.
Verantwortlich für diese Entwicklung sind vor allem die Biosupermärkte. Hier
kaufen inzwischen 40 Prozent der Kunden Biolebensmittel ein, wie eine kürzlich
veröffentlichte Studie feststellte, die vom Bundesverbraucherministerium in
Auftrag gegeben wurde. Im Jahr zuvor waren es noch 36 Prozent. Die kleineren
Bioläden geraten dabei, ebenso wie auch die Biolandwirtschaft, unter
zunehmenden Preisdruck.
Die Biosupermärkte sind in der Lage, ein breites Sortiment verhältnismäßig
kostengünstig anzubieten. Doch durch die mittlerweile etablierte
Massenproduktion nähern sich die Produktionsbedingungen in der Biobranche immer
mehr denen der konventionellen Lebensmittelindustrie an. So berichtete Spiegel
Online vorige Woche über alarmierende Zustände in norddeutschen Ställen, in
denen massenhaft Puten für den Bioverband Naturland gezüchtet werden. Fotos
zeigen die Tiere in einem erbärmlichen Zustand. Diese Bilder würden sich schon
auf dem konventionellen Markt für Lebensmittel kaum verkaufsfördernd auswirken.
Die Käufer eines Bioputenschnitzels dürften beim Griff ins Supermarktregal erst
recht anderes im Sinn haben.
Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Arbeitsbedingungen in den
Biosupermärkten. So berichtete die Taz zuletzt im Mai von rechtswidrigen
Arbeitszeiten und Löhnen unter Tarif bei der Biosupermarktkette Denn’s. Diese
wird immer wieder als der Discounter unter den Biosupermärkten bezeichnet. Dem
Handelsblatt teilte der Mutterkonzern Dennree dann am 28. Mai mit: »Denn’s
etabliert sich derzeit im Markt. Das ermöglichte uns in 2012, vor allem die
unteren Lohngruppen um bis zu zehn Prozent anzuheben, in 2013 ist eine weitere
Erhöhung geplant.« Gegenüber der Jungle World ergänzte die Pressesprecherin
Antje Müller am 4. September: »Unser Unternehmen gibt kein zentral gesteuertes
System, wie beispielsweise einen Haustarif, vor. Dennoch haben wir eine
schützende Funktion bei den Lohnverhandlungen zwischen dem Bewerber und dem
Stellenverantwortlichen.« Gerade nach den Medienberichten habe man mit großem
Aufwand »das bestehende Lohngefüge ausgewertet und individuell angepasst«.
Diese Themen sind äußerst heikel für die Biobranche. Denn auch wenn man
inzwischen im Mainstream angekommen ist, so kann immer noch davon ausgegangen
werden, dass nach wie vor idealistische Motive auf Seiten der Kunden eine große
Rolle bei der Kaufentscheidung spielen. Eine Auswertung von Daten aus der
»Nationalen Verzehrstudie II« ergab 2011, dass die »Biokernzielgruppe«
insbesondere Frauen mit hohem Einkommen und hohem Bildungsgrad umfasst. Ein
besonders wichtiges Motiv für den Kauf von Bioprodukten sei für sie der
Altruismus. Der Gesundheit werde der Studie zufolge nur eine nachrangige
Bedeutung beigemessen.
Auch wenn sich dieses Verhältnis mit dem Fortschreiten