Der Standard
https://www.derstandard.at/story/2000124311369/

20. Februar 2021

Feminismus als schickes Label

Verkauft und verraten

Beate Hausbichler untersucht, wie der Konsumkapitalismus die Frauenbewegung 
gekapert hat und aus politischer Arbeit Arbeit an uns selbst wurde. Ein 
Vorabdruck

Es läuft gut für den Feminismus. Er taucht inzwischen auf Notizbüchern und 
T-Shirts als Schriftzug in goldenen Lettern und in Songtexten von Superstars 
auf. Medien entdecken das Potenzial feministischer Debatten, traumhafte Leser- 
und Leserinnenzahlen zu bringen.

Mode- und Kosmetikkonzerne bieten ihre Produkte erfolgreicher denn je unter dem 
Label "Selbstermächtigung" feil, Musikstreamingdienste bieten Playlists mit den 
"Top Feminist Songs" an, und wirklich jede und jeder im mittleren bis oberen 
Management weiß, dass es ohne "Diversity" kaum noch geht.

Auch die berufliche Vernetzung entlang des gemeinsamen Nenners "Feminismus" 
läuft hervorragend: Man macht es den "old boys' clubs" dieser Welt nach und 
schmiedet entlang der Geschlechtergrenze Seilschaften - für einen leichteren, 
schnelleren, erfolgreicheren Weg an die Spitze. Warum auch nicht?

Immerhin könnte der geballte Feminismus in der Populärkultur, in den Medien, in 
Werbungen und in jedem Netzwerktreffen beruflich ambitionierter Frauen schon 
irgendwie und irgendwann durchsickern, sodass wir auch in unseren echten Leben 
etwas davon zu spüren bekommen, etwas, das weit über feministische Symbolik und 
feministische Ästhetik hinausgeht. Doch bisher ist nichts gesickert - und genau 
das ist das Problem.

Warum ausgerechnet jetzt?

Warum ausgerechnet jetzt? Warum wird Feminismus seit einigen Jahren genau von 
jenen umarmt, mit denen sich der Feminismus eigentlich angelegt hat? Der 
Schönheitsindustrie, den Mainstream-Medien, der Kulturindustrie und den Eliten. 
Was am Feminismus konnte zu einem derart funktionierenden Produkt umgeformt 
werden?

Abseits vom Label "Feminismus" gibt es viele Feminismen, mit jeweils 
unterschiedlichem Fokus. Diese Vielfalt bedeutet allerdings nicht Beliebigkeit, 
vielmehr zeugt sie von der Vielfalt feministischer Identitäts- und 
Interessenpolitiken, daran erinnert die Soziologin Christa Wichterich.

Feminismus muss auf der Seite derer stehen, die überlappenden Formen von 
Diskriminierung ausgesetzt sind. Er muss den Stimmen von schwarzen Frauen 
ebenso Gehör verschaffen wie jenen von Arbeiterinnen, intersexuellen Menschen, 
Menschen mit Migrationsgeschichte, Geflüchteten, Alleinerziehenden, Lesben oder 
Transfrauen. Er muss gegen Sexismus ebenso eintreten wie gegen Rassismus, gegen 
ökonomische Ungleichheit wie gegen Homo- und Transfeindlichkeit.

Es ist dieser Ansatz eines intersektionalen Feminismus, wie ihn die 
US-amerikanische Rechtsprofessorin Kimberlé Crenshaw formuliert hat, der mir 
sinnvoll erscheint. Und nein, es ist nicht kompliziert. Es lässt sich einfach 
auf die Frage reduzieren, auf welcher Seite man stehen will.

Verheißungsvolle Forderungen

Aber wie lässt sich nun daraus ein profitables Produkt machen? Die 
Frauenbewegung hat einige eingängige Slogans hinterlassen: "Our Bodies, 
Ourselves", die Forderung, über den eigenen Körper entscheiden zu können oder 
dass das "Private politisch" ist. Autonomie, Selbstbestimmung, 
Selbstermächtigung, Freiheit. Diese zentralen Begriffe des Feminismus sind auch 
große Versprechen des Konsumkapitalismus, der noch dazu die schnelle Einlösung 
dieser Versprechen in Aussicht stellt.

Oder sagen wir so: Ein T-Shirt mit dem Slogan "Girl Power" oder "The Future is 
Female" hilft schon mal. Es schafft ein wohliges Gefühl des Fortschritts. Und 
die verheißungsvollen Forderungen nach Autonomie, Selbstbestimmung, 
Selbstermächtigung (Empowerment!) und Freiheit liefern nicht nur Produkte, sie 
schaffen auch einen wunderbaren Rahmen für neoliberale Praktiken, in denen die 
Verantwortung für sich selbst im Vordergrund steht, während staatliche soziale 
Netze immer löchriger werden.

Dass der Feminismus vom Kapitalismus gekapert wurde, das sagte die israelische 
Soziologin Eva Illouz vor Jahren fast schon schulterzuckend, weil das in 
politisch-feministischen, aktivistischen und akademischen Kreisen auch längst 
bekannt ist. Die US-amerikanische Politikwissenschafterin Nancy Fraser hat 
darüber ebenso analytisch und kompromisslos geschrieben wie die britische 
Kulturwissenschafterin Angela McRobbie. Auch die US-amerikanische 
Popkultur-Expertin Andi Zeisler hat sich ebenso ausführlich dem Ausverkauf des 
Feminismus gewidmet. Und dieser Ausverkauf geht ungehindert weiter.

Wir müssen deshalb ganz genau hinschauen, wo sich dieser marktförmige, populäre 
Feminismus überall findet und wie er sich entwickelt hat. Und inwiefern wirken 
wir selbst dabei mit, Feminismus als Marke zu nutzen, und berauben ihn so 
seiner politischen Kraft? Kapitalismus und Neoliberalismus umarmen den 
Feminismus. Und sie tun das inzwischen so fest, dass dem Feminismus als soziale 
und politische Bewegung die Luft genommen wird. So fest, dass jegliche 
Widersprüche plattgedrückt werden und jede Vielschichtigkeit, die ihn ausmacht 
und seinen kritischen Geist am Leben erhält, abhandenkommt.

Verquerer Feminismus

Denn so offenkundig der Hype um Feminismus inzwischen ist, so klar ist auch, 
dass der realpolitische Zustand feministischer Frauenpolitik in einem großen 
Widerspruch zur neuen "Sexyness" des Feminismus steht. Gegen die wenig 
aufregenden Probleme gibt es nach wie vor keine wirkungsvolle Politik: keine 
gegen die hohe Frauenarmut im Alter, keine dagegen, dass in Branchen mit einem 
starken Frauenüberhang miese Löhne gezahlt werden; keine dagegen, dass Frauen 
noch immer zum größeren Teil die Arbeiten erledigen, die es in jedem Leben 
braucht, für die aber niemand zahlt - das Pflegen, Umsorgen, Putzen und vieles 
mehr.

Bei alldem gibt es keine Fortschritte. Aufgrund der Corona-Krise werden sich 
Ungerechtigkeiten in den allermeisten Ländern noch verschärfen. Das gilt auch 
für die Auswirkungen der Klimakrise: Ärmere Bevölkerungsschichten sind auch von 
dieser weitaus stärker betroffen. 80 Prozent derer, die wegen des Klimawandels 
ihre Heimat verlassen müssen, sind Frauen.

In all den Jahren, in denen Feminismus in die Werbung, in die Medien, in Serien 
und Filme eingezogen ist und immer mehr zum Label für Selbstmarketing mit 
politischem Touch wurde, hat sich weder die riesige Lücke von 40 Prozent 
zwischen den Pensionen von Männern und Frauen verkleinert, noch sind weniger 
Frauen durch ihren Partner ermordet worden.

Die Werbung zeigt uns heute zwar ein paar Achselhaare bei ihren Models, auf 
Instagram bekommen wir Menstruationsblutflecken auf Bettlaken unter dem Motto 
"Period Pride" zu sehen, und die Debatten in sozialen Medien strotzen nur so 
vor radikalfeministischem Vokabular. All das geriert sich wahnsinnig politisch. 
Vielleicht gibt es gesellschaftliche Veränderungen als Reaktion auf all das und 
wir sehen es nur noch nicht klar genug. In den immergleichen Zahlen bezüglich 
Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Sexualität und Herkunft drücken sie 
sich jedenfalls nicht aus.

In kaptitalistischen Netzen verheddert

Doch es wäre unfair, dem jüngeren politischen Engagement vorzuwerfen, dass es 
zwar höchst aktiv und sichtbar sei, aber bisher kaum Spuren hinterlassen habe. 
Zehn oder vielleicht fünfzehn Jahre auf einer weitaus größeren Bühne, als es 
sie bisher gab, reichen dafür nicht. Allerdings müssen wir uns fragen, ob sich 
Teile dieses Aktivismus schon selbst in neoliberalen und kapitalistischen 
Netzen verheddert haben. Auch wenn das streckenweise schmerzhaft sein kann.

Die neue Warenförmigkeit von Feminismus durchdringt klassische wie soziale 
Medien, die Schönheitsindustrie und die Kulturindustrie, bis hin zu unserem 
Verständnis von Autonomie. Begonnen hat die Vereinnahmung von politischen 
Forderungen wie "Autonomie" schon früh. Schon vor 100 Jahren wurden Frauen in 
der Werbung "als Frauen" angesprochen, was und wie sie sein sollten.

"Wir helfen dir, richtig zu sein", "wir sind auf deiner Seite", so die 
dahinterliegende Botschaft: die richtige Ehefrau, die richtige Hausfrau, die 
richtige Mutter. Heute sind die Anforderungen an die Geschlechterrollen 
natürlich andere, oder besser gesagt: Heute sind weitere Anforderungen 
hinzugekommen. Unternehmen wollen uns so sehr dabei helfen, ihnen gerecht zu 
werden, dass wir inzwischen kaum mehr unterscheiden können, was noch Produkt 
und was schon eine Bewegung ist.

Body-Positivity?

In Deutschland waren Firmen maßgeblich an einer Petition beteiligt, die 
letztlich zur Senkung der sogenannten Tamponsteuer beigetragen hat. Was ist 
davon zu halten, wenn Firmen - auch wenn es hippe Start-ups sind - Politik 
machen? Und was sollen wir von einem Aktivismus halten, der uns noch weitere 
Aufgaben, weitere Arbeit am Selbst umhängt?

Mit dem kämpferischen Ruf "Body Positivity!" erzählen uns jene Unternehmen, die 
uns jahrzehntelang völlig jenseitige Idealvorstellungen von Frauenkörpern 
eingehämmert haben, nun: "Liebe deinen Körper!" Für die Arbeit daran, wie wir 
diese Selbstliebe plötzlich hinbekommen, steht die Ratgeberindustrie schon 
Gewehr bei Fuß. Meditieren, achtsam sein, richtig atmen. So oder so: Die Arbeit 
bleibt. Und nicht mehr nur am schlanken Körper, sondern gleich am ganzen 
Selbst. Und dieser Arbeit sind keine Grenzen gesetzt.

Den größten Einfluss auf die Popularisierung von Feminismus haben wohl - wie 
bei anderen Entwicklungen auch - die sogenannten Neuen Medien. 
Geschlechterdebatten haben durch soziale Medien einen noch nie dagewesenen 
Stellenwert gewonnen. Allerdings liegt das nicht an einem neuen Bewusstsein für 
die Notwendigkeit von Gleichberechtigung, so viel sei schon verraten.

In den Medien wird Gleichberechtigung lediglich zur Debatte gestellt. Maßnahmen 
gegen Diskriminierung werden zum Streitthema gemacht. Feminismus kommt medial 
häufiger vor, das stimmt. Er kommt aber in einem krawalligen Stil vor, dem von 
sozialen Medien noch zusätzlich eingeheizt wird. Und soziale Medien sind 
ohnehin ein heikles Feld für politische Inhalte.

Die dort herrschende Ökonomie der Aufmerksamkeit ringt uns immer wieder den 
Griff zu unlauteren Mitteln ab: Kategorische, kantige Aussagen bringen dort 
mehr als Abwägung und Annäherung - überlegen oder gar zögern geht nicht. Was 
uns das bringt? Sehr schlampig geführte politische Diskurse und kaum 
Erkenntnisgewinn.

Doch darum geht es Facebook, Twitter oder Instagram auch gar nicht. Es geht 
darum, dass wir maximal viel Zeit auf diesen Plattformen verbringen, damit sie 
uns maximal viel Werbung zeigen können. Wenn Feminismus nun vorwiegend auf 
diesen Plattformen stattfindet, wird auch der dortige politische Diskurs davon 
vereinnahmt. Auch im Kontext von Feminismus werden die strikten Regeln der 
Kommunikation, die uns diese Plattformen vorgeben, bereitwillig befolgt.

Selbstermächtigung

Wir müssen uns auch jenen Netzwerken für Frauen widmen, die sich ebenfalls 
verstärkt unter dem Label Feminismus zusammenfinden. Netzwerke, die sich 
letztendlich aber nur den Karrieren der Einzelnen verschrieben haben. 
Netzwerke, in denen jeder Erfolg der Einzelnen als feministischer Erfolg 
gefeiert wird.

Es ist genau diese Art der Individualisierung, die sich durch alle Bereiche 
zieht, in denen Feminismus heute so erfolgreich verkauft wird. Es geht nicht um 
politische Ziele für möglichst viele, sondern um den Erfolg oder auch nur um 
das Zurandekommen der Einzelnen. In diesem Sinne werden Autonomie und 
Selbstermächtigung erfolgreich zu neoliberalen Praktiken umgemodelt.

Der britischen Amerikanistin Catherine Rottenberg zufolge ist Neoliberalismus 
nicht nur ein ökonomisches System, das Privatisierung und Deregulierung 
forciert. Wir haben es vielmehr mit einer alles durchdringenden neoliberalen 
Rationalität zu tun, die auch den Diskurs über Feminismus erreicht hat.

Eine Rationalität, die Menschen zu unternehmerischen, Profit generierenden 
Akteurinnen und Akteuren macht, eine Rationalität, die eine neue Form des 
Individualismus kreiert, den auch der populäre Feminismus anpreist. Auch er 
steht in einem erschreckenden Zusammenhang mit Leistung und der Optimierung des 
Selbst, des eigenen, und nur des eigenen Lebens. (Beate Hausbichler, 20.2.2021)

Beate Hausbichler (geb. 1978) ist seit 2008 Redakteurin beim STANDARD und 
leitet das frauenpolitische Ressort dieStandard.

Das Buch erscheint am 23. 2. Die Buchpräsentation findet am 29. 4. um 19 Uhr in 
der Hauptbücherei am Gürtel in Wien statt.

Beate Hausbichler
"Der verkaufte Feminismus
Wie aus einer politischen Bewegung ein profitables Label wurde"
22,- Euro / 224 Seiten
Residenz-Verlag (Salzburg/Wien) 2021

https://www.residenzverlag.com/buch/der-verkaufte-feminismus


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Mika Latuschek
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