die tageszeitung
http://www.taz.de/1/archiv/?dig=2014/04/07/a0066

* 07.04.2014

"Wir liefern Scheingenauigkeit"

Die Klimaforscher sollten den ökonomischen Nutzen des Klimaschutzes in den
Vordergrund und unsere Konsummuster zur Debatte stellen, sagt IPCC-Autorin
Edeltraud Günther

INTERVIEW BERNHARD PÖTTER 

taz: Frau Günther, warum kritisieren Sie als IPCC-Autorin die Berechnungen
des Klimarats?

Edeltraut Günther: So wie die Diskussion bisher geführt wird, führt sie
nicht zum Ziel. Wir liefern der Politik und den Unternehmen
Scheingenauigkeit mit ökonomischen Analysen bis 2050 oder 2100 - dabei
können wir die komplexen Vorgänge einer Weltwirtschaft im Klimawandel nicht
wirklich darstellen.

Sie sagen, bisher werden dabei nur die Kosten kommuniziert. Was heißt das?

Wir reden immer nur von den Kosten des Klimaschutzes oder der Energiewende.
Und nicht vom Nutzen, den wir und vor allem nachfolgende Generationen
dadurch haben werden. Diese Kritik geht übrigens auch an die Medien. Unser
Berechnungssystem ist falsch: Wir bewerten zukünftige Klimaschäden geringer
als heutige, weil sie noch lange auf sich warten lassen, und bewerten unsere
Gewinne in der Gegenwart zu hoch. Wir gehen viel zu sehr von unserem
jetzigen Lebensstil aus und verlängern ihn in die Zukunft, obwohl wir
wissen, dass er nicht auf Dauer für alle gelten kann.

Was müsste sich ändern?

Wir müssen unsere Sichtweise umdrehen. Die Modelle und die Daten sind nicht
per se schlecht. Wir müssen uns aber zuerst überlegen, zu welchem Ziel wir
gelangen wollen, und dann können wir die Modelle nutzen und sagen: Mit
dieser Maßnahme erreiche ich das, mit jener dieses.

Sie meinen, das IPCC müsste zielorientiert arbeiten: Wir wollen nur zwei
Grad mehr, wie können wir das erreichen?

Genau, dann müssen wir anfangen, unsere Lebensstile zu hinterfragen. Das
traut sich Politik häufig nicht, sie denkt nur in Legislaturperioden. Im
Englischen nennt man das NIMTOF: Not in my term of office, nicht während
meiner Amtszeit. An die Debatte, ob man den Deutschen ihr eigenes Auto
wegnehmen kann, traut sich kein Politiker.

Sie plädieren für Prognosen über kurze oder mittelfristige Dauer. Aber
Politik und Wirtschaft brauchen Planungssicherheit für 30 oder 40 Jahre ...

Ich bin viel in Unternehmen unterwegs, deren Planungshorizonte sind deutlich
kürzer. Ich habe gelernt: Manager denken maximal so lange, wie sie selbst in
der Verantwortung sind. Im Familienunternehmen geht das noch bis zur
Übergabe an Sohn oder Tochter. Aber börsennotierte Unternehmen denken bei
der Vergütung ihrer Manager nur ein bis zwei Jahre voraus. Wir müssen unsere
kurzfristigen Prognosen durch mehrere langfristige Szenarien ersetzen, also
Bilder einer möglichen Zukunft, die wir erreichen wollen.

Sie fordern, wir sollten Klimaschutz nicht aus ökonomischen, sondern aus
moralischen Gründen betreiben. Was meinen Sie damit?

Es ist nicht der richtige Weg und auch wirtschaftlicher Unsinn, bis zum Ende
Gewinne zu machen und dabei die Erde unbewohnbar zu machen. Zum
Bruttoinlandsprodukt tragen ja sowohl die Schäden als auch ihre Beseitigung
bei. Aber wenn Unternehmen ökonomisch erfolgreich sind und dafür ganze
Regionen unbewohnbar werden, dann ist das der falsche Weg. Ich bin
Betriebswirtin, Gewinnorientierung gehört ursächlich zu einem sinnvollen
Wirtschaften. Aber unser Planet hat oberste Priorität. Wir brauchen ihn, um
hier leben und wirtschaften zu können. Ohne Naturkapital kann ich keine
Gewinne erwirtschaften. Wir haben nur eine Erde.

Wie muss sich der IPCC ändern?

Wir müssen noch offensiver vorgehen, den ökonomischen Nutzen des
Klimaschutzes in den Vordergrund stellen, unsere Lebensstile und
Konsummuster zur Debatte stellen - und dann überlegen, wie wir das Wählern
und Konsumenten kommunizieren. Die Zeit läuft uns davon. Wir sind viel zu
vorsichtig und zu passiv. 

EDELTRAUD GÜNTHER (48) ist Professorin für Betriebswirtschaftslehre und
Betriebliche Umweltökonomie an der Technischen Universität Dresden

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Experten und Warner

IPCC: Der Intergovernmental Panel on Climate Change der UN, hier meist
Klimarat genannt, debattiert vom 7. bis 12. April in Berlin den Bericht
seiner Arbeitsgruppe III zum "Klimaschutz". Dafür haben Hunderte Autoren
über Jahre das Fachwissen zu Emissionstrends, Energieverbrauch und Maßnahmen
zum Klimaschutz zusammengetragen. Eine 29-seitige "Zusammenfassung für
Entscheidungsträger" wird in dieser letzten Runde Wort für Wort mit
Vertretern der Regierungen der UN-Staaten abgestimmt. Danach ist sie für
alle Beteiligten verbindlich.

Assessment Reports: Etwa alle sieben Jahre veröffentlicht die UN das
verfügbare Wissen über den Klimawandel, seine Auswirkungen und
Gegenmaßnahmen. Derzeit erstellt das IPCC seinen "5. Sachstandsbericht".
Bisher hat die Arbeitsgruppe I die naturwissenschaftlichen Grundlagen und
die AG II die Auswirkungen auf Mensch und Natur untersucht.

Erkenntnisse: Die Berichte bestätigten mit vielen neuen Daten: Der
Klimawandel ist real, schreitet schnell voran und ist hauptsächlich von
Menschen gemacht. Ungebremst führt er zu einem steigenden Meeresspiegel,
Dürren, Überschwemmungen, Missernten, Ausbreitung von Krankheiten und
Bedrohung von Tieren, Pflanzen und Menschen in bisher unbekanntem Ausmaß.

Ausblick: Im Herbst folgt ein Synthesebericht der drei Arbeitsgruppen. (bpo)




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