http://www.taz.de/Agrarexperte-ueber-Saatgut-Urteil/!97340/

taz - 15.07.2012

Agrarexperte über Saatgut-Urteil

„Eine Chance für kleine Erzeuger“

Das Saatgut-Urteil des EuGH erlaubt Bauern, Samen von alten Pflanzensorten zu 
verkaufen. Laut Agrarexperte Graefe zu Baringdorf hilft das auf lange Sicht der 
Artenvielfalt

Interview: Svenja Bergt

taz: Herr Graefe zu Baringdorf, der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 
Donnerstag entschieden, dass Landwirte auch das Saatgut alter Sorten vermarkten 
dürfen. Dürfen Bauern nun anbauen und verkaufen, was sie wollen?

Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf: Nein, das nicht. Saatgut aus eigener 
Ernte dürfen Bauern sowieso für sich selbst verwenden, es aber nicht als 
Saatgut vermarkten. Für gehandeltes Saatgut sind immer noch Qualitätskriterien 
vorgeschrieben – und das halte ich auch für richtig, weil es schließlich um die 
Grundlage für die Ernten der Bauern geht.

Welche Qualitätskriterien sind das?

Nehmen wir zum Beispiel die Kartoffel. Ist sie resistent gegen die 
Faulkrankheit Phytophthora? Oder beim Getreide, ist es widerstandsfähig gegen 
eine Ährenkrankheit? All diese Angaben muss der Hersteller des Saatguts 
mitliefern. Wenn wir in der Saatgutherstellung eine vollständige Freiheit 
hätten, könnte das dazu führen, dass die zugesagten Qualitätskriterien 
überhaupt nicht eingehalten werden.

Aber die geltenden Kriterien sind umstritten.

Genau. Denn sie sind einseitig auf Ertragssteigerung und Einsatz von Chemie 
ausgerichtet und damit verantwortlich dafür, dass es überhaupt Massensorten 
gibt, während andere an den Rand gedrängt wurden. Es müssen sich also die 
Kriterien ändern, aber nicht die Tatsache, dass es sie gibt.

Der EuGH hat die Ausnahmeregelung betont, die Bauern erlaubt, Saatgut aus alten 
Sorten zu vermarkten. Was unter diese Genehmigung fällt, entscheidet aber jeder 
Staat selbst.

Ja. Deshalb muss Druck auf die Regierungen ausgeübt werden. Denn momentan ist 
die Ausnahmegenehmigung noch nicht einmal in allen Staaten Gesetz geworden. Und 
wie es aussieht, gelten die Ausnahmen bislang auch nur für Gemüse. Bei Getreide 
beispielsweise oder bei Obst gibt es sie anscheinend noch nicht. Das muss sich 
ganz dringend ändern.

Die französische Saatgut-Kooperative, die das Urteil vor dem EuGH erzwungen 
hat, sagt, in Frankreich seien gerade einmal ein Dutzend Arten als 
„erhaltungswürdig“ eingestuft worden. Deshalb bringe die Ausnahmeregelung 
nichts.

Die Staaten haben tatsächlich einen großen Spielraum dabei, zu entscheiden, was 
eine Ausnahme ist. Das heißt, einige Länder werden attraktiver für Anbau und 
Handel mit altem Saatgut als andere. Zumindest zunächst, denn das Urteil muss 
noch im politischen Raum der Länder umgesetzt werden. Und wenn das nicht oder 
nicht ausreichend passiert, muss man das eben wieder vor dem EuGH erstreiten. 
Aber ich halte nichts davon, hier von einer Niederlage zu sprechen. Wir müssen 
die rechtliche Entscheidung politisch nutzen.

Was macht alte Sorten überhaupt so attraktiv?

Zum Beispiel der Geschmack eines bestimmten Apfels, der in der Züchtung wieder 
aufgenommen und in die Zukunft transportiert wird. Das ist eine große Chance 
für kleine Erzeuger. Doch es geht ja nicht nur um alte Sorten, sondern um 
besondere Sorten. Darum, regionale Sorten neu zu züchten, zum Beispiel mit 
Eigenschaften, die in bestimmten Regionen von Verbraucherinnen und Verbrauchern 
als Besonderheit wahrgenommen werden. Alte Sorten, das klingt immer so 
rückwärtsgewandt, so nach dem Motto, irgendwann gibt es die nicht mehr und dann 
hat sich das eh erledigt. So ist das nicht. Es geht um den Erhalt der 
genetischen Vielfalt.

Welche Pflanzen sollten denn verstärkt eingesetzt werden?

Leguminosen zum Beispiel, wie Bohnen und Erbsen, sind durch den Maisanbau 
beinahe vollständig zurückgedrängt. Dabei sind sie unheimlich nützlich, weil 
sie Stickstoff binden und für die nächste Pflanze in den Boden legen.


Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf, 69, ist Vorsitzender der 
Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft und Ex-Europa-Abgeordneter der 
Grünen. Er betreibt einen Biohof in Ostwestfalen.

Artikel zum Thema
EuGH erlaubt Handel mit altem Saatgut http://www.taz.de/!97173/
Europa-Urteil zu Saatgut: Unfreie Saat http://www.taz.de/!97219/


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http://science.orf.at/stories/1701641/

ORF - 13.07.2012

Biodiversität

Zwiespältiges EuGH-Urteil zu Saatgut alter Sorten

Gestern hat der Europäische Gerichtshof in Luxemburg eine Richtlinie bestätigt 
(1), wonach amtlich nicht zugelassenes Saatgut nicht verkauft werden darf - 
allerdings gibt es Ausnahmen für alte Gemüsesorten. Die Auswirkungen des 
Urteils sind umstritten

Barbara Daser, Ö1 Wissenschaft

Saatgut von alten Gemüsesorten darf in Ausnahmefällen weiterhin verkauft 
werden, mit Einschränkungen, das hat der EuGH gestern verkündet. Er bestätigt 
den Ist-Zustand, der für jene, die sich um vom Aussterben bedrohte Sorten 
bemühen, wenig zufriedenstellend sei - kritisiert Beate Koller vom 
gemeinnützigen Verein "Arche Noah" (2):

"Es gibt zwar gewisse Ausnahmeregelungen für sogenannte Erhaltungssorten, aber 
auch hier ist es nicht so, dass einfach Saatgut von diesen Sorten gehandelt 
werden darf, sondern auch bei dieser Ausnahmeregelung muss ein 
Zulassungsverfahren durchlaufen werden, und es fallen Gebühren an. Dazu kommt 
noch, dass der Verkauf dieses Saatguts von der Menge her und auch geographisch 
gesehen ganz stark eingeschränkt ist."

Anpflanzen und handeln im Sinne der Vielfalt

Aus Sicht (3) der Saatgutinitiative "Arche Noah" sollte die europäische 
Saatgut-Richtlinie gänzlich überarbeitet werden - dahingehend, dass alte Sorten 
auch ohne Zulassung auf den Markt gebracht werden können. Denn nur wenn alte 
Sorten gezüchtet und auch verkauft werden, bleiben sie erhalten, so die Idee - 
wie Beate Koller im ORF-Radio-Wissenschaftsmagazin "Ö1 Wissen aktuell" 
schildert:

"Der Austausch von Saatgut zwischen landwirtschaftlichen Betrieben und die 
Weiterentwicklung von Sorten durch landwirtschaftliche Betriebe sind 
Urtriebfedern, aus denen die Sortenvielfalt entstanden ist. Deswegen ist es 
auch so wichtig, dass das europäische Saatgutrecht dieses bäuerliche Recht 
wahrt. Es gibt noch einen zweiten Aspekt: Die derzeit vorgeschriebene 
behördliche Sortenzulassung basiert auf drei Kriterien: Homogenität einer 
Sorte, Beständigkeit und Unterscheidbarkeit. Und wie diese Kriterien gehandhabt 
werden, fördern sie ganz klar Hochleistungssorten."

Der EugH erwähnt beispielsweise ausdrücklich, dass das Hauptziel der 
Bestimmungen über die Zulassung des Saatguts von Gemüsesorten darin besteht, 
die Produktivität beim Gemüseanbau in der Union zu steigern.

Gegenläufige Auffassung der Urteilswirkung

Das gestrige Urteil des europäischen Gerichtshofes zum Saatgut alter 
Gemüsesorten wird höchst unterschiedlich bewertet: Während zum Beispiel der 
deutsche Umweltverband "Bund" meint (4), der Agrarindustrie würde damit "ein 
Strich durch die Rechnung" gemacht, kritisiert die österreichische Initiative 
"Arche Noah", dass der EuGH den Ist-Zustand bestätige und damit nicht zum 
Schutz der vom Aussterben bedrohten alten Sorten beitrage.

"Das ist eine schlechte Nachricht für die Sortenvielfalt", meint Beate Koller. 
"Das bedeutet in weiterer Folge aus unserer Sicht, dass auch den Konsumenten 
die Vielfalt zugunsten von Hochleistungssorten vorenthalten wird. Und auch, 
dass die Wahlmöglichkeiten der Landwirte eingeschränkt sind, da sie nicht frei 
wählen können, welche Sorten sie anbauen wollen."

(1) 
http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:62011CJ0059:DE:HTML
(2) http://www.arche-noah.at/
(3) 
http://www.arche-noah.at/etomite/assets/downloads/seedlaw/ARCHENOAH_PM_EUGH_Urteil_Kokopelli.pdf
(4) 
http://mz-web.de/servlet/ContentServer?pagename=ksta/page&atype=ksArtikel&aid=1342037107828

Mehr zu dem Thema: Der Kampf um den Kuchen der Biodiversität
http://science.orf.at/stories/1670696


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http://www.wienerzeitung.at/472351

Wiener Zeitung - 13.07.2012

"Altes Saatgut in Nische verdrängt"

EuGH urteilt: Alte Sorten dürfen nur regional gehandelt werden / Enttäuschung 
bei Arche Noah: "Status quo bestätigt"

Luxemburg/Wien/Schiltern. (ede/apa) – Seit mehr als zwanzig Jahren setzt sich 
der Verein Arche Noah im niederösterreichischen Schiltern für die Erhaltung und 
Verbreitung alter Gemüse-, Obst- und Getreidesorten ein. Umso größer war am 
Donnerstag die Enttäuschung von Geschäftsführerin Beate Koller über ein lang 
erwartetes Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH).

Der EuGH bestätigte die Gültigkeit der Saatgutrichtlinie der EU, wonach alle 
Sorten, die in den Handel kommen, zugelassen und in einem amtlichen Register 
eingetragen werden. Gleichzeitig weisen die Richter darauf hin, dass es eine 
Ausnahmeregelung gibt, wonach nicht-registrierte alte Saatgutsorten regional in 
einer geringen Menge gehandelt werden dürfen. "Damit wird aber nur der Status 
quo bestätigt", kritisiert Koller. Das Registrieren alter Sorten sei viel zu 
teuer [1]. Die Arche Noah etwa - mit rund 6000 verschiedenen Gemüsesorten in 
ihrer Saatgutsammlung - könne sich dies einfach nicht leisten.

Hintergrund für das EuGH-Urteil ist ein Rechtsstreit [2] in Frankreich zwischen 
dem bäuerlichen Saatgut-Netzwerk Kokopelli - dem Pendant zur österreichischen 
Arche Noah - und dem industriellen Saatguthersteller Graines Baumaux SAS über 
den Vertrieb von Gemüsesaatgut. Kokopelli war von Graines Baumaux auf 50.000 
Euro Schadenersatz geklagt worden, weil die Bauern mit amtlich nicht 
zugelassenem Saatgut gehandelt hatten.

Mehr Spielraum für Handel und Tausch gefordert

Auch Heike Schiebeck, Europa-Sprecherin für Saatgut und Biodiversität der 
Kleinbauernvereinigung Via Campesina, ist das EuGH-Urteil zu wenig [3]: "Wir 
wollen mehr Spielraum für Handel und Tausch." Altes Saatgut werde in eine 
Nische verdrängt. Der geografische und quantitative Umfang falle zu gering aus. 
"Das ist völlig unverständlich, weil Saatgut immer schon um den ganzen Erdball 
gewandert ist - in Europa gäbe es ansonsten nur Rüben und Erbsen."

"Wir könnten uns gut vorstellen, dass die Zulassung alter Sorten nicht 
verpflichtend ist. Zur Orientierung der Konsumenten könnte man ein Gütesiegel 
einführen", sagt Koller. Die UNO-Welternährungsorganisation FAO schätzt, dass 
seit 1900 rund 75 Prozent der landwirtschaftlichen Vielfalt verloren gegangen 
sei, ergänzt Koller: "Da stellt sich die Frage, ob es nötig ist, so restriktiv 
vorzugehen."

Laut Landwirtschaftsministerium ist in Österreich der Umgang mit alten 
Saatgutsorten durch die Saatgutverordnung ohnehin "etwas freier". Der Handel 
mit bis zu 200 Kilo nicht-registriertem Saatgut ist legal. Der Anbau dieser 
Saatgüter wird aus dem Umweltprogramm ÖPUL mit 1,5 Millionen Euro pro Jahr 
gefördert.

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LINKS [Red.]

[1] ARD/Tagesschau, 12.07.2012: EuGH zementiert die Macht der industriellen 
Saatgut-Hersteller
http://www.tagesschau.de/multimedia/video/video1146910.html

[2] Freie Saaten e.V./imc, 16.07.2012: Verkaufshürden für Saatgutvielfalt 
bestätigt
http://de.indymedia.org/2012/07/332647.shtml 

[3] APA/Der Standard, 12.07.2012: EuGH hebt Verbot alter Saatgutsorten auf
http://derstandard.at/1341845125656/

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