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Oberösterreichische Nachrichten - 14.04.2011

Gegen Welthunger und Agrarkrise 

"Die Zeit des billigen Fleisches ist vorbei"

Zum totalen Umbau von Landwirtschaft und Ernährung rät der Weltagrarbericht der 
Vereinten Nationen. Der deutsche Mitautor Benedikt Haerlin (54) sagt im 
OÖN-Gespräch warum

Von Josef Lehner

LINZ. Benedikt Haerlin (54) ist einer von rund 500 Experten, die am 
Weltagrarbericht der Vereinten Nationen mitgearbeitet haben. Auftrag: Wie 
können mit Wissen, Forschung und Technologie die Probleme des Hungers und des 
Agrarsektors gelöst werden? Haerlin ist auch als Journalist tätig gewesen und 
leitet heute das Berliner Büro der "Zukunftsstiftung Landwirtschaft". Er 
absolviert diese Woche auf Einladung von "Bio Austria" eine Vortragstour durch 
Österreich.

OÖN: Weil die Weltbevölkerung bis 2050 auf neun Milliarden Menschen wachsen und 
der Wohlstand in den Schwellenländern steigen wird, sollte sich die 
Agrarproduktion verdoppeln, sagen Experten. Wie können Sie das Gegenteil 
einfordern?

Haerlin: Die Welternährungsorganisation FAO stellt fest, dass vom gesamten 
Weizen, Mais und Reis im Schnitt nur 47 Prozent für die menschliche Ernährung 
verwendet werden, aber 35 Prozent für Tierfutter, damit für die 
Fleischproduktion, und der Rest für andere Dinge, darunter zu 80 Prozent für 
Energie, also Agrarsprit. Hochgerechnet würde das Getreide, das in die 
Fleischproduktion geht, 3,5 Milliarden Menschen ernähren. Die FAO spricht bis 
2050 von einer nötigen Produktionssteigerung um 70 Prozent. Können wir uns das 
überhaupt leisten, mit diesem hohen Einsatz von Erdöl, Dünger, Pestiziden? Die 
Klimarechnung spricht dagegen. Wir können weitermachen wie bisher. Dann wird es 
Crashs geben. Einen spüren wir schon, steigende Lebensmittelpreise.

OÖN: Es ändert sich doch auch beim Klimaschutz nichts, trotz warnender 
UNO-Berichte?

Haerlin: Wir haben eine Milliarde Hungernde auf der Welt und genau so viele, 
die mit hoher Wahrscheinlichkeit gesundheitliche Schäden davontragen, weil sie 
Übergewicht haben. Weitere 1,2 Milliarden Menschen haben Mangelernährung, also 
nur die Hälfte der Menschheit ist gesund ernährt. Da kommen sogar in 
Industriestaaten Zweifler, die sagen: Das geht so nicht! In Deutschland ist die 
Diskussion über Fleisch sehr heftig. Für viele Junge ist Massentierhaltung 
unerträglich.

OÖN: Sie touren mit Ihren Vorträgen durchs Land, weil Sie nicht auf einen 
Wandel warten wollen?

Haerlin: Ich möchte, dass die Umstellung der Landwirtschaft so schnell wie 
möglich geht, weil die Folgen, die die nächste Generation zu spüren bekommen 
wird, heute verursacht werden. Jedes Jahrzehnt, in dem weiter ein beispielloser 
Verlust an Artenvielfalt passiert, werden wir einmal bereuen. Das Auslaugen der 
Böden, der Verlust an genießbarem Wasser - all das sind Hypotheken, die wir 
eingehen. So wie die Staatshaushalte die nächsten Generationen mit Schulden 
belasten, tut es unser Ernährungssystem mit den Lebensgrundlagen. Je länger wir 
so weiterfahren, desto schmerzhafter wird der Aufprall an die Wand sein. Es 
spricht viel dafür, dass es kriegerische Ausmaße annehmen wird, wenn die 
Ressourcen in manchen Ländern knapp werden. Die Reform der EU-Agrarpolitik, die 
2014 wirksam wird, wird die Weichen stellen. Solange neue Viehställe gefördert 
werden und biologische Landwirtschaft weniger, geht es in die falsche Richtung.

OÖN: Bio-Landwirtschaft hat im Ackerbau rund 20 bis 30 Prozent weniger Erträge. 
Wie soll das die Menschheit ernähren? Bio-Fleisch ist um 100 bis 150 Prozent 
teurer. Wer soll sich das leisten können?

Haerlin: Nur auf den Flächenertrag zu schauen und nicht auf den Einsatz von 
Dünger und Chemie und fossiler Energie, das ist keine seriöse Effizienzrechnung 
mehr. In dem Maße, wie Energie teurer wird, werden die Agrarmonokulturen sich 
nicht mehr rechnen. Bio-Anbau hat dagegen riesiges Potenzial. Alle 
Untersuchungen zeigen, dass Bio-Bauern in Afrika und Asien mit minimalem 
Mitteleinsatz die Erträge um das 1,5- bis Zweifache steigern können. Das ist 
entscheidend für die Bekämpfung des Welthungers. Biologisch ist konventionellen 
Methoden weit überlegen. Die Bio-Bauern können das selbst in die Hand nehmen, 
ohne teure Pakete von Monsanto, Pioneer oder Syngenta kaufen zu müssen, die sie 
sich gar nicht leisten könnten. Die Kosten von Maximalerträgen sind längst 
nicht mehr vertretbar. Das funktioniert nur noch, weil die öffentliche Hand 
Teile der Kosten trägt und die Folgekosten nicht beachtet. In Australien und 
Teilen der USA werden hohe Erträge wegen des Klimawandels nicht mehr machbar 
sein. Viele Früchte werden nicht mehr anbaubar sein. Monokulturen sind 
Hochrisiko-Technologie. Sie garantieren keine Ernährungssicherheit.

OÖN: Das Spiel lautet noch immer: Bauern müssen wachsen oder weichen.

Haerlin: 40 Prozent der Weltbevölkerung leben nach wie vor von der 
Landwirtschaft. Wenn ich auf der südlichen Halbkugel die Kleinen mit der 
Wachsen-oder-weichen-Strategie der EU kaputt mache, treibt das Milliarden 
Menschen ins Elend. In der westlichen Hälfte der EU veröden wegen der 
Agrarstruktur ganze Landstriche. Die künftige EU-Agrarpolitik wird darüber 
entscheiden, ob diese Probleme auch nach Rumänien, Bulgarien, Polen etc. 
gebracht werden. Lasse ich die fünf Millionen Bauern in den Beitrittsländern 
über die Klinge springen? Welche Arbeitsplätze kann ich ihnen in den Städten 
anbieten? Oder schaffe ich mit ein wenig Fördergeld ein postindustrielles 
Modell, das die Arbeit auf den Höfen erhält. Die EU erspart sich die 
ökologischen Probleme und die Folgekosten, die ihr Agrarmodell der 
Landwirtschaft im Osten brächte, und sie spart sich die Kosten von fünf 
Millionen Arbeitslosen.

OÖN: Es geht aber in die Gegenrichtung. Der polnische Landwirtschaftsminister 
hat kürzlich gefordert, in der EU die Fleischproduktion zu steigern, weil sie 
auf dem Weltmarkt zurückfalle.

Haerlin: Die EU importiert derzeit netto Agrarprodukte, die zur Produktion eine 
Fläche von rund 35 Millionen Hektar erfordern würden, zu 77 Prozent als 
Futtermittel. Warum muss ein Schwein in Oberösterreich mit Protein aus 
Brasilien gefüttert werden? Diese Veredelung könnten wir, wenn schon, auch in 
der EU machen. Das funktioniert nur wegen ungerechter Regeln der 
Welthandelsorganisation WTO. Mit massiven Subventionen, zum Beispiel in den 
Stallbau, wird dieser ökonomisch-ökologische Wahnsinn ermöglicht. Wie will ich 
das dem Steuerzahler vermitteln?

OÖN: Der will billiges Fleisch essen, es ist einer der großen Lockvögel der 
Supermärkte.

Haerlin: Billig hat verschiedene, nicht klassisch marktwirtschaftliche Väter. 
Es gibt keine Importsteuern auf Soja und hohe auf Fleisch. In Deutschland 
werden zehn Milliarden Euro im Jahr in Werbung investiert, um Konsumenten von 
Nahrungsmitteln zu überzeugen. Eine Botschaft lautet: Fleisch muss billig sein. 
Aber ist das volkswirtschaftlich klug?

OÖN: Würden die Menschen so einfach auf billiges Fleisch verzichten?

Haerlin: Auch wenn wir nicht auf eine totale Spar- und Verzichtswirtschaft 
umsteigen wollen, werden wir bald viel genauer hinschauen, was die Dinge 
wirklich kosten. Die Zeit des billigen Fleisches ist vorbei. Wenn die Leute in 
den TV-Soaps keine Burger mehr essen, wird sich die Nachfrage ändern. Das ist 
auch wichtig in den Schwellenländern. Dasselbe ist es mit dem Zucker. Diese 
Massen an leeren Kalorien, die wir zu uns nehmen, das ist kein natürliches 
Verhalten. Je mehr Wissen, desto weniger brauchen wir. Das gilt für Bauern wie 
für die Konsumenten.

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