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Süddeutsche Zeitung - 26.06.2012

Emissionshandel in der EU 

Klimasünde im Sonderangebot

Der Handel mit Emissionsrechten galt einst als Hoffnungsträger im Kampf gegen 
den Klimawandel. Mittlerweile steckt er in der Krise. Weil der Ausstoß einer 
Tonne Kohlendioxid mittlerweile so wenig kostet wie ein Fast-Food-Menü

Von Thomas Schmelzer

Wenn Jochen Schneider in diesen Tagen auf die Preise für CO2-Zertifikate 
schaut, wähnt er sich im Glück. Nur etwa acht Euro muss der Energiemanger einer 
großen Papierfabrik momentan dafür bezahlen, dass seine Firma eine Tonne 
Kohlendioxid in die Atmosphäre blasen darf. Eine Erleichterung für den 
Geschäftsmann, der ohnehin mit steigenden Strompreisen und naturgemäß hohen 
Emissionen im Papiergeschäft kämpfen muss. "Wenn in der jetzigen Krise noch 
teure Zertifikate dazukämen - dann Grüß Gott", sagt Schneider, der Angst um den 
Ruf seiner Firma hat, und seinen richtigen Namen deswegen lieber nicht 
veröffentlicht sehen will.

Jochen Schneider und seine Papierfabrik sind nur ein Beispiel - aber so wie dem 
Traditionsunternehmen aus Baden-Württemberg dürfte es derzeit vielen Firmen in 
Europa gehen. Seit Wochen dümpelt der Kohlendioxid-Preis an der Leipziger 
Energiebörse auf dem Niveau eines Fast-Food-Menüs. Für CO2-Schleudern wie 
Zementfabriken oder Papierhersteller ist es deshalb so günstig wie lange nicht 
mehr, ihre Abgase in die Luft zu pusten.

Dabei war der Emissionshandel gerade dafür erfunden worden, die 
Umweltverschmutzung teurer zu machen. Sobald CO2-Abgase einen Preis haben, 
investieren Unternehmen automatisch in Klimaschutz, war die Idee. Und wer so 
wenig Klimagas ausstößt, dass er Verschmutzungsrechte übrig hat, kann die 
Zertifikate an Unternehmen weiterverkaufen, für die eine Modernisierung der 
Produktionsanlagen teurer wäre. Seit 2005 teilt die Europäische Union den 
Firmen genau so viele CO2-Zertifikate aus, wie sie dem Klima zumuten will. Den 
Rest soll der Markt erledigen. Doch der spielt gerade verrückt.

Was die Unternehmer freut, ist für viele Experten ein Alarmsignal. "Der 
europäische Emissionshandel steckt zurzeit in einer Krise", sagt Hauke Hermann 
von Freiburger Öko-Institut. In einer neuen Studie kommt der Klimaforscher zu 
beunruhigenden Ergebnissen.

Niedrige Preise hemmen Investitionen

"Die derzeitigen Preise sind so niedrig, dass es sich für Unternehmen nicht 
mehr lohnt, in den Klimaschutz zu investieren", sagt Hermann zu Süddeutsche.de. 
Der Klimaforscher fordert, dass die EU massenhaft Zertifikate vom Markt nimmt. 
Nur so könne der Preis wieder auf ein Niveau steigen, das die Unternehmen zu 
Investitionen zwingt. 

Auch Andreas Löschel vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung hat 
beobachtet, dass die Investitionsanreize bei den aktuellen Preisen gegen null 
tendieren. Allerdings hält er eine Debatte über den richtigen Preis für 
irreführend. Löschel verweist darauf, dass die EU ihr CO2-Sparziel von 20 
Prozent auch mit niedrigen Preisen erreicht. "Das liegt zwar eher am niedrigen 
Wachstum in den letzten Jahren", sagt Löschel im Gespräch mit der SZ, doch im 
Grunde funktioniere der Emissionshandel.

Das Wort Krise findet Löschel deswegen übertrieben. Für ihn liegen die 
Schwächen des Emissionshandels nicht im System, sondern in 
Konstruktionsfehlern. "Die EU-Mitgliedsstaaten haben von Anfang an zu viele 
Zertifikate kostenlos herausgegeben", sagt er. Deswegen besäßen heute zwei 
Drittel aller deutschen Unternehmen zu viele Verschmutzungsrechte. "Eine 
Knappheit kann so nicht entstehen", sagt Löschel. Und damit auch keine höheren 
Preise.

Kein EU-Konsens in Sicht

Löschels Berechnungen zufolge lohnen sich große Investitionen in den 
Klimaschutz für Unternehmen aber erst, wenn die CO2-Preise die 20-Euro-Marke 
erreichen. "Wenn es politisch gewollt ist, könnte man so etwas mit 
Mindestpreisen durchsetzen", sagt Löschel. Viel wichtiger seien aber 
langfristige EU-Ziele, damit die Unternehmen Planungssicherheit bekommen.

Ein Konsens der EU-Länder aber ist momentan nicht in Sicht. Erst Anfang März 
scheiterte ein Treffen der Umweltminister in Brüssel am Widerstand Polens. 
Dabei ging es vor allem um schärfere Klimaziele, wie sie auch 
EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard fordert. Ginge es nach ihr, würde die EU 
ihr CO2-Einsparziel für 2030 von 30 auf 40 Prozent erhöhen. Außerdem erwägt 
Hedegaard eine künstliche Verknappung der Emissionszertifikate.

Damit könnte auch Hauke Hermann vom Öko-Institut leben. Allerdings nur, wenn 
die Emissionsrechte dauerhaft vom Markt genommen werden und jedes Jahr weniger 
Zertifikate hinzukommen. "Insgesamt halten wir aber am Emissionshandel fest", 
sagt Hermann.

"Subventionen für Umweltverschmutzer"

Einer der wenigen Grundsatzkritiker des Systems ist Helge Peukert von der 
Universität Erfurt. Der Umweltökonom findet, dass der Emissionshandel bislang 
zum großen Teil eine "Subventionierung für Umweltverschmutzer" ist. Schließlich 
seien die Zertifikate kostenlos verteilt worden - und die Stromerzeuger hätten 
ihre Preise trotzdem erhöht. "Mit diesen Gewinnen haben die Energieriesen dann 
problemloser neue Kohlekraftwerke in Auftrag geben können", sagt Peukert im 
SZ-Gespräch.

Er tritt für eine drastische Lösung ein und würde am liebsten die weltweite 
Erdöl- und Gasproduktion jährlich um ein Prozent drosseln. "Das würde zwar 
richtig wehtun", sagt Peukert. Aber nur so könne das Klima wirklich gerettet 
werden. "Wir müssen alle einen Gang zurückschalten - sonst rauschen wir ganz 
schnell auf noch schwerere Krisen zu."

Zumindest das Klima könnte aber von weiteren Finanzkrisen profitieren. "Wenn 
unsere Wirtschaft weiter stagniert, könnte es sein, dass wir unsere 
langfristigen Klima-Ziele quasi automatisch erreichen", sagt Andreas Löschel. 
"Der niedrige CO2-Preis wird dann aber sehr teuer erkauft." 
(Süddeutsche.de/dpa/luk/lala)


Linktipp: Eine elegante Lösung zur CO2-Reduktion wäre die Abschaffung von 
Energiesubventionen. Doch seit 2009 haben sich die Staatszuschüsse weltweit 
fast verdreifacht. Warum das so ist, erklärt der Washington-Post-Redakteuer 
Brad Plumer in seinem Blog. 
http://wapo.st/KO1FzU 

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