http://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/a-844633.html

Der Spiegel - 17.07.2012

Absage ans Geo-Engineering

Regierung lehnt Klima-Operationen ab

Soll das Klima mit Notoperationen gekühlt werden? Können CO2-Speicher, 
Schwefelwolken, künstliche Algenblüten die Energiewende begleiten? Nein, meint 
die Bundesregierung: Sie erteilt dem Geo-Engineering eine erstaunlich deutliche 
Absage. Die Folgen könnten beträchtlich sein

Von Axel Bojanowski

HAMBURG - Eigentlich rechneten alle bereits mit den neuen 
Weltrettungstechnologien - Forscher, Kraftwerksbetreiber, Politiker und 
Umweltschützer. Sogenanntes Geo-Engineering galt als mögliches Mittel zum 
Klimaschutz. Die Verklappung des Treibhausgases CO2 im Boden mit der 
sogenannten CCS-Technologie wurde zunächst gar von Umweltverbänden für die 
Klimakühlung eingeplant.

Auch künstliche Algenblüten zur CO2-Bindung oder Schwefelwolken als 
Sonnenschirm wurden erkundet. Sobald jedoch tatsächlich Experimente starten 
sollten wie in Schleswig-Holstein oder Brandenburg mit CCS, wurden die Proteste 
der Anwohner so laut, dass Politiker die Vorhaben stoppten. Prinzipiell aber 
liebäugelte die Bundesregierung weiterhin mit Notoperationen am Klima.

Nun jedoch distanziert sich die Regierung vom Geo-Engineering - und das 
überraschend deutlich. "Die Bundesregierung setzt in ihrer nationalen 
Klimapolitik vollständig auf die Minderung von Treibhausgasemissionen, sowie 
auf Anpassungsmaßnahmen. Ansätze des Geo-Engineerings verfolgt sie nicht", 
heißt es in einer Antwort der Regierung auf eine Kleine Anfrage [1] der 
SPD-Fraktion, die SPIEGEL ONLINE vorliegt.

"Möglicher Missbrauch"

Das Schreiben, das in den kommenden Tagen veröffentlicht werden soll, 
bilanziert den Stand der Klimakühlungstechnologien in Deutschland. Die 
Kenntnisse sind demnach dürftig: Es gebe "erhebliche Forschungsdefizite" und 
damit ein "Missbrauchspotential", heißt es.

Die wissenschaftlichen Kenntnisse reichten nicht aus, um zu einer Bewertung der 
Risiken zu kommen, resümiert die Regierung. Sie werde sich deshalb dafür 
einsetzen, dass Maßnahmen des Geo-Engineerings ohne ausreichenden 
Wissenszuwachs nicht eingesetzt würden.

Die Regierung scheint im Dilemma: Ohne eine Forschungsoffensive lässt sich das 
Risiko der neuen Technologien nicht einschätzen - doch die Erkundung von 
Geo-Engineering könnte in der Bevölkerung die Befürchtung auslösen, dass es 
doch irgendwann zur Anwendung kommen könnte; Proteste scheinen programmiert.

Deutschland im Abseits?

Die Antwort der Bundesregierung zeige, dass zu wenig Forschung in Deutschland 
zum Thema Geo-Engineering betrieben werde, meint der stellvertretende Sprecher 
für Forschungspolitik der SPD, René Röspel. "Dünne Antworten mit wenig 
Substanz" wirft der SPD-Politiker der Bundesregierung vor. "Es ist überraschend 
und bedauerlich, dass in dem Gebiet so wenig passiert."

Während andere Staaten wie die USA oder Norwegen die Forschung von 
Geo-Engineering mit Hunderten Millionen Dollar unterstützten, drohe Deutschland 
ins Abseits zu geraten, fürchtet Röspel. "Deutschland darf nicht ahnungslos 
sein, wenn anderswo neue Technologien eingesetzt werden", sagt der SPD-Experte.

Zwar hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des 
Programms "Geotechnologien" seit 2005 in die Erforschung von CCS und ähnlicher 
Technologien investiert. Und auch bei Experimenten mit künstlicher Algenblüte 
ist Deutschland bislang Weltspitze.

Doch die Forscher bekamen die Vorbehalte der Bevölkerung gegenüber 
Geo-Engineering vielfach zu spüren; manch geplante Projekte wurden nach 
Protesten auf Eis gelegt. Wissenschaftler fürchten nun, dass Experten und 
erarbeitetes Wissen ins Ausland abwandern.

"Andere Länder werden es versuchen"

Röspel fordert mehr Forschungsprojekte, um das Risiko der einzelnen Methoden 
einschätzen zu können. "Auch wenn Geo-Engineering hierzulande keine Option ist 
- andere Länder werden es versuchen", meint der SPD-Politiker. Um eine 
politische Position Deutschlands zu erhalten, seien fundierte Bewertungen der 
einzelnen Technologien wichtig.

Dafür sei es aber noch zu früh, räumt die Regierung ein: Man habe "noch keine 
Rolle für Geo-Engineering im Hinblick auf die Begrenzung der globalen Erwärmung 
definiert", heißt es in ihrem Schreiben. Die Folgen großtechnischer Eingriffe 
in die Umwelt ließen sich noch nicht ermessen. Eine "solide Wissensbasis" sei 
notwendig.

Gleichwohl scheint es keine verstärkten Anstrengungen zu geben, den 
Kenntnisstand nachhaltig zu bessern. Zwar schreibt die Regierung, sie halte 
"grundsätzlich weitere Forschung und auch Forschungsförderung zum 
Geo-Engineering für notwendig". Doch größere Vorhaben gibt es dem Schreiben 
zufolge kaum.

Was passiert an den Unis?

Weder würde im Rahmen der Projektförderung Geo-Engineering unterstützt, noch 
habe man systematische Kenntnisse über Projekte an deutschen Universitäten, 
schreibt die Regierung. Auch eine Kooperation mit anderen Staaten sei nicht 
geplant. Und im neuen EU-Forschungsprogramm "Horizon 2020" tauchten die 
Begriffe "Geo-Engineering" und "Climate Engineering" ebenfalls nicht auf.

Erkundungen, die über Grundlagenforschung hinausgehen würden, erteilt die 
Regierung eine prinzipielle Absage: Großräumige Erprobungen von 
Geo-Engineering-Verfahren seien voreilig. Kleine Anlagen hingegen wie jene im 
brandenburgischen Ketzin, wo geringe Mengen CO2 im Boden experimentell 
verklappt werden, fallen unter Grundlagenforschung - sie werden geduldet.

Doch die kleine Testanlage von Ketzing soll offenbar ein Sonderfall bleiben. 
Die Regierung will in Sachen Klimaschutz nun weiter auf die Reduzierung des 
CO2-Ausstoßes setzen - obwohl alle Versuche der Weltgemeinschaft zur 
CO2-Beschränkung bislang gescheitert sind. Neue Ideen zur Klimarettung aber, so 
scheint es nun, werden es weiterhin schwer haben, zumindest in Deutschland.

Mehr auf SPIEGEL ONLINE:

Geo-Engineering: Klima-Bastelei würde Europa Dürre bescheren (07.06.2012)
http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,837379,00.html
Ozeandüngung: Grünes Licht für Algenexperiment (26.01.2009)
http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,603600,00.html
Bilanz des Ozeanexperiments: Eisendüngung bindet nur wenig CO2 (23.03.2009)
http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,614969,00.html
CO2-Lager: Angst vor Bürgern blockiert Klimaschutztechnik (19.11.2010)
http://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/0,1518,729915,00.html
Projekt "Spice": Briten bestellen Klimaklempner wieder ab (16.05.2012)
http://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/0,1518,833562,00.html
Gedimmte Sonne: Chinas Schwefelemissionen bremsen Klimawandel (05.07.2011)
http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,772252,00.html
Geo-Engineering: Regierung liebäugelt mit den Klimaklempnern (06.10.2011)
http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,790111,00.html
Geoengineering: Aufgehellte Wolken könnten Erderwärmung stoppen (03.03.2010)
http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,681082,00.html
Konzept gegen Erderwärmung: US-Luftwaffe soll das Sonnenlicht dimmen 
(18.12.2008)
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,597141,00.html
Erderwärmung: Sechs Notoperationen fürs Weltklima (25.04.2008)
http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,548857,00.html
Wolken-Manipulation: 1500 Roboterschiffe sollen Erderwärmung stoppen 
(03.09.2008)
http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,575874,00.html
Klimaschutz-Konzept: Künstliche Bäume sollen CO2 aus der Luft filtern 
(31.08.2009)
http://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/0,1518,645968,00.html


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LINKS [Red.]

[1] http://www.bundestag.de/presse/hib/2012_06/2012_306/04.html


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http://www.pnn.de/campus/664641/

Potsdamer Neueste Nachrichten - 18.07.2012

"Wir müssten Gott spielen"

Klimaforscher warnen vor Geoengineering

von Jana Haase

Die Ideen erinnern an Zukunftsromane. Doch erste Experimente zur Umsetzung gibt 
es bereits - auch von Potsdamer Forschern. So sollen riesige Sonnensegel in der 
Erdumlaufbahn den Planeten vor der Sonnenstrahlung schützen. Oder es soll 
Schwefeldioxid in die Stratosphäre gebracht werden, wo es Sonnenlicht 
reflektieren soll. Oder es sollen die Ozeane großflächig mit Eisensulfat 
gedüngt werden, um Algen zum Blühen zu bringen, die dann klimaschädliches 
Kohlendioxid (CO2) im Meer binden sollen. Auch die umstrittene CCS-Technologie 
(Carbon Capture and Storage), bei der Kohlendioxid im Erdboden verpresst werden 
soll, gehört zu den Methoden des sogenannten Geoengineerings.

Unter diesem Schlagwort diskutieren die Experten derzeit tiefgreifende 
Eingriffe in das System Erde, um negative Folgen des Klimawandels abzumildern. 
Doch während Geoengineering den einen als Notlösung zur Verhinderung einer 
Klimakatastrophe nur billig ist, ist es für andere eine unverantwortliche und 
teure Spinnerei, im schlimmsten Fall sogar Nährboden für neue internationale 
Konflikte.

Wie kontrovers das Thema ist, wurde jetzt auf einer Diskussion mit Hans Joachim 
Schellnhuber, dem Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung 
(PIK), deutlich: Schellnhuber debattierte im Rahmen der Summer School zur 
globalen Nachhaltigkeit, die das PIK gemeinsam mit dem Potsdamer 
Nachhaltigkeitsinstitut IASS (Institute for Advanced Sustainability Studies) 
und dem US-amerikanischen Santa Fe Institute organisiert hat, mit 
Atmosphärenwissenschaftler Ken Caldeira von der Stanford University, 
IASS-Direktor Mark Lawrence und dem Philosophen Konrad Ott.

Sowohl Schellnhuber als auch Lawrence zeigten sich dabei äußerst skeptisch 
gegenüber solchen Technologien: Es sei zwar denkbar, dass der Menschheit in 200 
Jahren kein anderer Ausweg mehr bleibe, als die Klimawandel-Folgen mit 
drastischen Maßnahmen einzudämmen - momentan müsse aber die Verhinderung des 
Klimawandels erstes Ziel sein, betonte Schellnhuber: "Eins nach dem anderen!"

Auch wenn er nicht mehr auf internationale Klimakonferenzen und kluge 
Regierungsentscheidungen hoffe, gebe es Anlass zu Optimismus. Den bezieht 
Schellnhuber aus einem beginnenden Umdenken in der Zivilgesellschaft und in der 
Wirtschaft, wo es immer häufiger kleinere und klimabewusste Unternehmen gebe. 
Der PIK-Chef hofft auf einen Systemwechsel: "Wenn das neue System erst einmal 
15 oder 20 Prozent des Marktes ausmacht, wird es irgendwann gewinnen - und wir 
sind derzeit ziemlich nahe dran."

IASS-Wissenschaftler Mark Lawrence warnte vor unvorhersehbaren Folgen von 
Geoengineering-Technologien: "Wir könnten am Ende sehr viel mehr Schaden als 
Nutzen verursachen." So sei etwa völlig unklar, wie sich die Technologien auf 
größere Regionen auswirken. Denkbar sei auch, dass es zu neuen internationalen 
Konflikten und sogar Kriegen kommt - etwa, wenn ein Land Sonnensegel 
installiert und damit auch das Klima in einem anderen Land beeinflusst.

Das Risiko ungewollter Nebeneffekte bei Geoengineering sei groß, räumte auch 
der Atmosphärenforscher Ken Caldeira, Verfechter der Schwefelwolken-Idee, ein. 
Im Zweifelsfall könne es sich aber um die einzige Möglichkeit zur Abwendung 
einer Katastrophe handeln: "Aber natürlich wäre es billiger, wenn wir unsere 
Normen ändern und jetzt vernünftig und ethisch handeln würden."

Für Philosoph Konrad Ott wirft Geoengineering auch die Frage nach der 
Legitimierung auf. Weil es sich um eine globale Angelegenheit handele, müssten 
entsprechende Maßnahmen über ein Gremium der Vereinten Nationen abgestimmt 
werden, argumentierte er: "Alle betroffenen Personen müssen das Recht haben, Ja 
oder Nein zu sagen." Für PIK-Chef Schellnhuber ist die Vorstellung, dass Länder 
in einem solchen Gremium über bestimmte Temperatur- und Wetterwünsche 
diskutieren, absurd: "Da überschreiten wir eine rote Linie. Wir müssten uns 
entscheiden, Gott zu spielen. Das will ich nicht." 

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