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Der Spiegel - 17.07.2012 Absage ans Geo-Engineering Regierung lehnt Klima-Operationen ab Soll das Klima mit Notoperationen gekühlt werden? Können CO2-Speicher, Schwefelwolken, künstliche Algenblüten die Energiewende begleiten? Nein, meint die Bundesregierung: Sie erteilt dem Geo-Engineering eine erstaunlich deutliche Absage. Die Folgen könnten beträchtlich sein Von Axel Bojanowski HAMBURG - Eigentlich rechneten alle bereits mit den neuen Weltrettungstechnologien - Forscher, Kraftwerksbetreiber, Politiker und Umweltschützer. Sogenanntes Geo-Engineering galt als mögliches Mittel zum Klimaschutz. Die Verklappung des Treibhausgases CO2 im Boden mit der sogenannten CCS-Technologie wurde zunächst gar von Umweltverbänden für die Klimakühlung eingeplant. Auch künstliche Algenblüten zur CO2-Bindung oder Schwefelwolken als Sonnenschirm wurden erkundet. Sobald jedoch tatsächlich Experimente starten sollten wie in Schleswig-Holstein oder Brandenburg mit CCS, wurden die Proteste der Anwohner so laut, dass Politiker die Vorhaben stoppten. Prinzipiell aber liebäugelte die Bundesregierung weiterhin mit Notoperationen am Klima. Nun jedoch distanziert sich die Regierung vom Geo-Engineering - und das überraschend deutlich. "Die Bundesregierung setzt in ihrer nationalen Klimapolitik vollständig auf die Minderung von Treibhausgasemissionen, sowie auf Anpassungsmaßnahmen. Ansätze des Geo-Engineerings verfolgt sie nicht", heißt es in einer Antwort der Regierung auf eine Kleine Anfrage [1] der SPD-Fraktion, die SPIEGEL ONLINE vorliegt. "Möglicher Missbrauch" Das Schreiben, das in den kommenden Tagen veröffentlicht werden soll, bilanziert den Stand der Klimakühlungstechnologien in Deutschland. Die Kenntnisse sind demnach dürftig: Es gebe "erhebliche Forschungsdefizite" und damit ein "Missbrauchspotential", heißt es. Die wissenschaftlichen Kenntnisse reichten nicht aus, um zu einer Bewertung der Risiken zu kommen, resümiert die Regierung. Sie werde sich deshalb dafür einsetzen, dass Maßnahmen des Geo-Engineerings ohne ausreichenden Wissenszuwachs nicht eingesetzt würden. Die Regierung scheint im Dilemma: Ohne eine Forschungsoffensive lässt sich das Risiko der neuen Technologien nicht einschätzen - doch die Erkundung von Geo-Engineering könnte in der Bevölkerung die Befürchtung auslösen, dass es doch irgendwann zur Anwendung kommen könnte; Proteste scheinen programmiert. Deutschland im Abseits? Die Antwort der Bundesregierung zeige, dass zu wenig Forschung in Deutschland zum Thema Geo-Engineering betrieben werde, meint der stellvertretende Sprecher für Forschungspolitik der SPD, René Röspel. "Dünne Antworten mit wenig Substanz" wirft der SPD-Politiker der Bundesregierung vor. "Es ist überraschend und bedauerlich, dass in dem Gebiet so wenig passiert." Während andere Staaten wie die USA oder Norwegen die Forschung von Geo-Engineering mit Hunderten Millionen Dollar unterstützten, drohe Deutschland ins Abseits zu geraten, fürchtet Röspel. "Deutschland darf nicht ahnungslos sein, wenn anderswo neue Technologien eingesetzt werden", sagt der SPD-Experte. Zwar hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Programms "Geotechnologien" seit 2005 in die Erforschung von CCS und ähnlicher Technologien investiert. Und auch bei Experimenten mit künstlicher Algenblüte ist Deutschland bislang Weltspitze. Doch die Forscher bekamen die Vorbehalte der Bevölkerung gegenüber Geo-Engineering vielfach zu spüren; manch geplante Projekte wurden nach Protesten auf Eis gelegt. Wissenschaftler fürchten nun, dass Experten und erarbeitetes Wissen ins Ausland abwandern. "Andere Länder werden es versuchen" Röspel fordert mehr Forschungsprojekte, um das Risiko der einzelnen Methoden einschätzen zu können. "Auch wenn Geo-Engineering hierzulande keine Option ist - andere Länder werden es versuchen", meint der SPD-Politiker. Um eine politische Position Deutschlands zu erhalten, seien fundierte Bewertungen der einzelnen Technologien wichtig. Dafür sei es aber noch zu früh, räumt die Regierung ein: Man habe "noch keine Rolle für Geo-Engineering im Hinblick auf die Begrenzung der globalen Erwärmung definiert", heißt es in ihrem Schreiben. Die Folgen großtechnischer Eingriffe in die Umwelt ließen sich noch nicht ermessen. Eine "solide Wissensbasis" sei notwendig. Gleichwohl scheint es keine verstärkten Anstrengungen zu geben, den Kenntnisstand nachhaltig zu bessern. Zwar schreibt die Regierung, sie halte "grundsätzlich weitere Forschung und auch Forschungsförderung zum Geo-Engineering für notwendig". Doch größere Vorhaben gibt es dem Schreiben zufolge kaum. Was passiert an den Unis? Weder würde im Rahmen der Projektförderung Geo-Engineering unterstützt, noch habe man systematische Kenntnisse über Projekte an deutschen Universitäten, schreibt die Regierung. Auch eine Kooperation mit anderen Staaten sei nicht geplant. Und im neuen EU-Forschungsprogramm "Horizon 2020" tauchten die Begriffe "Geo-Engineering" und "Climate Engineering" ebenfalls nicht auf. Erkundungen, die über Grundlagenforschung hinausgehen würden, erteilt die Regierung eine prinzipielle Absage: Großräumige Erprobungen von Geo-Engineering-Verfahren seien voreilig. Kleine Anlagen hingegen wie jene im brandenburgischen Ketzin, wo geringe Mengen CO2 im Boden experimentell verklappt werden, fallen unter Grundlagenforschung - sie werden geduldet. Doch die kleine Testanlage von Ketzing soll offenbar ein Sonderfall bleiben. Die Regierung will in Sachen Klimaschutz nun weiter auf die Reduzierung des CO2-Ausstoßes setzen - obwohl alle Versuche der Weltgemeinschaft zur CO2-Beschränkung bislang gescheitert sind. Neue Ideen zur Klimarettung aber, so scheint es nun, werden es weiterhin schwer haben, zumindest in Deutschland. 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Doch erste Experimente zur Umsetzung gibt es bereits - auch von Potsdamer Forschern. So sollen riesige Sonnensegel in der Erdumlaufbahn den Planeten vor der Sonnenstrahlung schützen. Oder es soll Schwefeldioxid in die Stratosphäre gebracht werden, wo es Sonnenlicht reflektieren soll. Oder es sollen die Ozeane großflächig mit Eisensulfat gedüngt werden, um Algen zum Blühen zu bringen, die dann klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) im Meer binden sollen. Auch die umstrittene CCS-Technologie (Carbon Capture and Storage), bei der Kohlendioxid im Erdboden verpresst werden soll, gehört zu den Methoden des sogenannten Geoengineerings. Unter diesem Schlagwort diskutieren die Experten derzeit tiefgreifende Eingriffe in das System Erde, um negative Folgen des Klimawandels abzumildern. Doch während Geoengineering den einen als Notlösung zur Verhinderung einer Klimakatastrophe nur billig ist, ist es für andere eine unverantwortliche und teure Spinnerei, im schlimmsten Fall sogar Nährboden für neue internationale Konflikte. Wie kontrovers das Thema ist, wurde jetzt auf einer Diskussion mit Hans Joachim Schellnhuber, dem Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), deutlich: Schellnhuber debattierte im Rahmen der Summer School zur globalen Nachhaltigkeit, die das PIK gemeinsam mit dem Potsdamer Nachhaltigkeitsinstitut IASS (Institute for Advanced Sustainability Studies) und dem US-amerikanischen Santa Fe Institute organisiert hat, mit Atmosphärenwissenschaftler Ken Caldeira von der Stanford University, IASS-Direktor Mark Lawrence und dem Philosophen Konrad Ott. Sowohl Schellnhuber als auch Lawrence zeigten sich dabei äußerst skeptisch gegenüber solchen Technologien: Es sei zwar denkbar, dass der Menschheit in 200 Jahren kein anderer Ausweg mehr bleibe, als die Klimawandel-Folgen mit drastischen Maßnahmen einzudämmen - momentan müsse aber die Verhinderung des Klimawandels erstes Ziel sein, betonte Schellnhuber: "Eins nach dem anderen!" Auch wenn er nicht mehr auf internationale Klimakonferenzen und kluge Regierungsentscheidungen hoffe, gebe es Anlass zu Optimismus. Den bezieht Schellnhuber aus einem beginnenden Umdenken in der Zivilgesellschaft und in der Wirtschaft, wo es immer häufiger kleinere und klimabewusste Unternehmen gebe. Der PIK-Chef hofft auf einen Systemwechsel: "Wenn das neue System erst einmal 15 oder 20 Prozent des Marktes ausmacht, wird es irgendwann gewinnen - und wir sind derzeit ziemlich nahe dran." IASS-Wissenschaftler Mark Lawrence warnte vor unvorhersehbaren Folgen von Geoengineering-Technologien: "Wir könnten am Ende sehr viel mehr Schaden als Nutzen verursachen." So sei etwa völlig unklar, wie sich die Technologien auf größere Regionen auswirken. Denkbar sei auch, dass es zu neuen internationalen Konflikten und sogar Kriegen kommt - etwa, wenn ein Land Sonnensegel installiert und damit auch das Klima in einem anderen Land beeinflusst. Das Risiko ungewollter Nebeneffekte bei Geoengineering sei groß, räumte auch der Atmosphärenforscher Ken Caldeira, Verfechter der Schwefelwolken-Idee, ein. Im Zweifelsfall könne es sich aber um die einzige Möglichkeit zur Abwendung einer Katastrophe handeln: "Aber natürlich wäre es billiger, wenn wir unsere Normen ändern und jetzt vernünftig und ethisch handeln würden." Für Philosoph Konrad Ott wirft Geoengineering auch die Frage nach der Legitimierung auf. Weil es sich um eine globale Angelegenheit handele, müssten entsprechende Maßnahmen über ein Gremium der Vereinten Nationen abgestimmt werden, argumentierte er: "Alle betroffenen Personen müssen das Recht haben, Ja oder Nein zu sagen." Für PIK-Chef Schellnhuber ist die Vorstellung, dass Länder in einem solchen Gremium über bestimmte Temperatur- und Wetterwünsche diskutieren, absurd: "Da überschreiten wir eine rote Linie. Wir müssten uns entscheiden, Gott zu spielen. Das will ich nicht." _______________________________________________________________________ ++ Weitergeleitet durch DNR Redaktionsbüro Fachverteiler für Mitgliedsverbände ++ Veröffentlichungsrechte bei den AutorInnen ++ Bitte insbesondere nicht auf Webseiten stellen ++ Bitte nur in eigener Organisation weiterleiten ++ Fachverteiler abbestellen: mailto:info-ber...@dnr.de?subject=keine-mails ++ Weitere Umwelt-Infodienste: www.dnr.de/umweltinfo ++ Umweltpolitische Monatszeitschrift: www.dnr.de/umwelt-aktuell ++ Bitte prüfen Sie, ob diese E-Mail wirklich ausgedruckt werden muss. Danke! ++ _______________________________________________ Pressemeldungen mailing list Pressemeldungen@lists.wikimedia.org https://lists.wikimedia.org/mailman/listinfo/pressemeldungen