http://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/0,1518,797808,00.html

Der Spiegel - 15.11.2011

Große Mengen Cäsium 137 auf Japans Boden

Weite Teile Japans sind nach dem Fukushima-Unglück radioaktiv schwer belastet. 
Nun warnen die Forscher vor landwirtschaftlicher Nutzung und fordern genauere 
Messungen. Selbst in schwach kontaminierten Gebieten entdeckten die 
Wissenschaftler hochradioaktive Stellen

(cib/dpa) Es war einst die grüne und fruchtbare Heimat Tausender Japaner, jetzt 
ist sie zur unbewohnbaren Einöde geworden: Die Region um das havarierte 
Atomkraftwerk Fukushima Daiichi ist radioaktiv kontaminiert - teilweise wird 
sie wohl für immer unbewohnbar bleiben. Riesige Mengen radioaktiver Partikel 
wurden durch die Explosionen in den Reaktoren 1, 2 und 3 in die Luft geblasen 
und auf dem japanischen Erdreich sowie über dem Meer verteilt.

Viele Menschen hoffen dennoch darauf, dass es der japanischen Regierung 
gelingt, Schulen, Bauernhöfe, öffentliche Einrichtungen und die Häuser von den 
strahlenden Partikeln zu befreien. 2012 will man mit einer großangelegten 
Dekontaminationsaktion starten. Schon jetzt ist klar, dass dafür gewaltige 
Bodenmengen entsorgt werden müssen.

Jetzt haben japanische Forscher im Fachmagazin "Proceedings of the National 
Academy of Sciences" erstmals eine Untersuchung veröffentlicht, die den Grad 
der radioaktiven Kontamination beziffert: Die Wissenschaftler um Tetsuzo 
Yasunari von der Nagoya University berechneten, wie viel radioaktives Cäsium 
137 in Folge des Reaktorunglücks in die Umwelt entwichen ist.

Anhand meteorologischer Daten vom 20. März bis 19. April schätzten die Forscher 
jene Cäsium-137-Mengen ab, die in die Atmosphäre und auf den Boden in 
sämtlichen Präfekturen Japans gelangten. Die Tage zuvor werteten sie nicht: Die 
kontaminierten Luftmassen seien größtenteils auf den Pazifischen Ozean geweht 
worden, schreiben die Forscher.

Cäsium 137 zerfällt nur sehr langsam

Der Analyse nach wurden vor allem die Böden in weiten Gebieten im Osten und 
Nordosten des Inselreichs mit Cäsium 137 verseucht. Der Westen des Landes sei 
von den Bergen weitgehend vor stärkerer Kontamination geschützt worden. Das 
radioaktive Element entsteht neben anderen radioaktiven Isotopen als 
Spaltprodukt bei der Kernspaltung von Uran. Im Gegensatz aber etwa zu Jod 131, 
das nach rund acht Tagen zur Hälfte zerfallen ist, hat Cäsium 137 eine 
Halbwertszeit von 30 Jahren und ist damit besonders gefährlich, da es auf 
Jahrzehnte Auswirkungen auf die Landwirtschaft und das Leben der Menschen in 
den betroffenen Gebieten hat.

So findet man 25 Jahre nach der Katastrophe von Tschernobyl heute noch immer 
Cäsium 137 in Pilzen und in Fleisch von Wildschweinen aus Bayern. Werden die 
Grenzwerte überschritten, müssen die Nahrungsmittel entsorgt werden und dürfen 
nicht in den Handel.

In den meisten östlichen Gebieten Japans, so das Fazit der Wissenschaftler, 
seien die Böden mit mehr als 1000 Megabecquerel pro Quadratkilometer 
kontaminiert worden. In den Präfekturen nahe des Kernkraftwerks lägen die Werte 
sogar bei mehr als 10.000 Megabecquerel pro Quadratkilometer. Am höchsten waren 
die Werte in unmittelbarer Umgebung zum AKW mit mehr als 100.000 Megabecquerel.

Aus den Werten errechneten die Wissenschaftler die Daten für die Kontamination 
des Bodens pro Kilogramm. Der Grenzwert der Gesamtbelastung mit Cäsium 134 und 
Cäsium 137 für landwirtschaftlich genutzte Flächen liegt in Japan bei 5000 
Becquerel je Kilogramm Boden. Davon ausgehend, dass die Hälfte der gesamten 
Cäsium-Belastung auf Cäsium 137 entfalle, liege der Wert in der Präfektur 
Fukushima über dem Grenzwert, in Miyagi, Tochigi und Ibaraki zum Teil nur knapp 
darunter. In diesen drei Präfekturen seien unbedingt detaillierte Messungen 
nötig, da die Kontamination lokal stark schwanken könne. In weiten Teilen des 
Landes lägen die Werte bei über 100 Becquerel pro Kilogramm Boden, in den 
westlichen Regionen bei etwa 25 Becquerel pro Kilogramm.

Nun müssten regional weitere, direkte Messungen folgen, da die Werte lokal viel 
variabler seien, als mit dem meteorologisch basierten Modell berechnet werden 
könne. Selbst in schwach radioaktiv belasteten Regionen hätten die Forscher 
mitunter hochradioaktive Hotspots entdeckt. Die erstellten Karten könnten aber 
ein erstes Hilfsmittel für Maßnahmen zur Dekontamination und für die Planung 
weiterer Analysen sein. Die Beseitigung Cäsium-137-verseuchter Böden sei eine 
"dringende Aufgabe", so die Forscher. Wo ein Abtragen des Bodens nicht möglich 
sei, müsse die Nutzung der Flächen eingeschränkt werden.

Verstrahlte Rinder zu Forschungszwecken

In einer weiteren Studie analysierten Wissenschaftler um Takeyasu Yamagata von 
der Nihon University in Tokio die Verbreitung mehrerer radioaktiver Elemente in 
japanischen Gebieten. Die Forscher kommen ebenfalls zu dem Schluss, dass sich 
die Werte lokal erheblich unterscheiden können - abhängig von geologischen 
Gegebenheiten wie Hügelketten oder regional begrenzten Luftströmen.

Doch nicht nur die Atmosphäre und der Boden wurden durch das atomare Unglück 
radioaktiv kontaminiert. Auch Rinder und anderes Nutzvieh in der Sperrzone um 
das havarierte Kernkraftwerk sind schwer radioaktiv belastet worden. Einen Teil 
der Tiere ließen die Behörden bereits töten. Am Dienstag erklärte der 
Landwirtschaftsminister Michihiko Kano, dass Japan radioaktiv belastete Rinder 
nun auch zu Forschungszwecken nutzen wolle.

Einzelheiten nannte er jedoch nicht. Japanischen Medienberichten zufolge wird 
eine Gruppe von Veterinären und anderen Forschern schon in Kürze in der Stadt 
Minamisoma damit beginnen, Rinder auf ihre Strahlenwerte hin zu untersuchen. 
Die Stadt liegt innerhalb der Sperrzone, die der Staat im April in einem Radius 
von 20 Kilometern um das Atomkraftwerk Fukushima Daiichi eingerichtet hatte. 
Viele der etwa 3500 Rinder auf Bauernhöfen sind nach Evakuierung des Gebietes 
verwildert.

Forscher der Kitasato University sowie Mitglieder des nationalen 
Veterinärverbandes wollen nun mit Unterstützung des Landwirtschaftsministeriums 
Bauernhöfe regelmäßig aufsuchen, die zur Kooperation bereit sind, wie die 
Nachrichtenagentur Kyodo berichtete. Die Forscher erhoffen sich Aufschlüsse 
über die Folgen von radioaktiven Substanzen im Inneren des Körpers - auch beim 
Menschen. Die Untersuchungen sollen den Forschern zufolge auch helfen, 
Maßnahmen zu entwickeln, wie Tiere in Zukunft gegen Strahlen geschützt werden 
können.

Der Staat hatte eigentlich im Mai verfügt, aufgegebene Rinder, Schweine und 
Hühner in der Sperrzone töten zu lassen. Bisher sind laut Medienberichten rund 
300 Rinder notgeschlachtet worden. Seit dem Sommer sind jedoch einige der 
ausgesetzten Rinder wieder eingefangen worden, da ihre Züchter sie lieber zu 
Forschungen benutzen wollen, als sie sterben zu lassen.


Mehr im Internet

Cäsium-137-Kontamination in Japan: Fachartikel von Yasunari et al.
http://www.pnas.org/content/early/2011/11/11/1112058108

Verteilung radioaktiver Isotope in Japan: Fachartikel von Kinoshita et al.
http://www.pnas.org/content/early/2011/11/09/1111724108


Mehr auf SPIEGEL ONLINE:

Erste Besichtigungstour: Im Schutzanzug zu Fukushimas Reaktor-Ruinen 
(12.11.2011)
http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,797406,00.html

Fukushima: Japan will 2012 mit Entseuchung starten (11.11.2011)
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,797180,00.html

Neue Studie: Fukushima-Strahlung ist viel höher als behauptet (28.10.2011)
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,794517,00.html

IAEA-Zwischenbericht: Atomenergiebehörde fordert effizientere Entseuchung 
(14.10.2011)
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,791909,00.html

Fukushima: Japan startet Massen-Krebstest für Kinder (09.10.2011)
http://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/0,1518,790769,00.html

Atomkatastrophe Fukushima: Japan muss gewaltige Bodenmengen entsorgen 
(28.09.2011)
http://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/0,1518,788831,00.html

Fukushima: Gebiet um AKW bleibt unbewohnbar (22.08.2011)
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,781550,00.html

Fukushima: Das Dorf der Strahlenarbeiter (12.09.2011)
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,785975,00.html

Atomkatastrophe Fukushima: Herrn Tadas Kampf mit der strahlenden Erde 
(17.08.2011)
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,779433,00.html

Atomkatastrophe Fukushima: Japan verschwieg Risiken der radioaktiven Wolke 
(09.08.2011)
http://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/0,1518,779126,00.html

Themenseite Fukushima: Das Atom-Wrack
http://www.spiegel.de/thema/fukushima/

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