http://www.inforadio.de/programm/schema/sendungen/weltsichten/201206/175330.html

rbb - 24.06.12

Chinas gigantisches Wasserumleitungsprojekt

In China ist die Ressource Wasser sehr ungleich verteilt. Der Norden hat zu 
wenig, der Süden oftmals zu viel. Deshalb soll im kommenden Jahr damit begonnen 
werden, Wasser vom 1.500 Kilometer entfernten Jangtse-Fluss in den Norden zu 
leiten. Für das Mammutprojekt werden Kanäle gebaut, Stauseen angelegt und 
Pumpstationen errichtet. Doch das Projekt bleibt umstritten, nicht zuletzt 
wegen der ökologischen und sozialen Folgen. Und ob alles so klappt, wie Peking 
sich das vorstellt, ist ebenfalls ungewiss. Ruth Kirchner berichtet.

Hören [14:46]:
http://www.inforadio.de/programm/schema/sendungen/weltsichten/201206/175330.html
http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2012/05/02/drk_20120502_1807_4217922c.mp3

--------------------------------------------------------------------------

http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/weltzeit/1745439/

Deutschlandradio - 02.05.2012

Wasser für Peking

Die Umleitung des Jangtse

Chinas Norden trocknet aus. Rund um die Megastadt Peking ist der 
Grundwasserspiegel gefährlich gesunken. Als Ausweg hat China mit einem 
gigantischen Wasserumleitungsprojekt begonnen - ein Mammutprojekt mit 
unabsehbaren Folgen

Von Ruth Kirchner

Das Dörfchen Shui Quan Gou nördlich von Peking: Nur 70 Kilometer von der 
22-Millionen-Metropole entfernt geht das Leben deutlich ruhiger zu als in der 
Hauptstadt. Hühner gackern in einem Verschlag, in den Tälern leuchten die 
weißen Blüten der Pfirsichbäume. Der Name des Dorfes mit seinen 200 Einwohnern 
heißt übersetzt Quellwasser-Tal. Doch der Name stammt aus einer vergangenen 
Zeit. Das Quellwasser ist in Shui Quan Gou längst versiegt. Die Brunnen im Dorf 
sind ausgetrocknet. Vor zwei Jahren hörte das Wasser auf zu sprudeln, erzählt 
Bäuerin Hu Shaohua

"Ich glaube, das ist wegen des trockenen Wetters. Als ich klein war, hat es 
viel öfter geregnet und überall in den Bergen gab es Wasser, vor allem 
Quellwasser. Aber heute sind fast alle Quellen ausgetrocknet."

In Frau Hus Bauernhaus läuft eine Fitnesssendung im Fernsehen, während sie das 
Mittagessen vorbereitet: gebratene Bohnen, Tofu und Ku-Mai - Löwenzahn-Salat. 
Das Leben ist härter geworden, seit die Brunnen im Dorf kein Wasser mehr haben. 
Die Dorfbewohner holen jetzt das Wasser aus einem nahegelegenen Bach, der zu 
einem Teich aufgestaut wurde. Von dort schleppen sie die schweren Eimer an 
langen Bambusstangen in ihre Häuser.

"Jetzt im Frühjahr waschen wir unsere Wäsche unten am Fluss und bringen sie zum 
Trocknen hoch ins Dorf. Im Winter mussten wir Löcher ins Eis hacken, um an das 
Wasser im Teich zu gelangen. Wir haben zwar eine Waschmaschine, aber wir können 
sie nicht mehr benutzen. Zum Duschen fahren wir mit dem Bus zum öffentlichen 
Badehaus in den nächsten Ort, nach Yongning oder Changping. In der Regel einmal 
die Woche."

Chinas Norden trocknet aus. So wie in Shui Quan Gou gibt es in vielen Orten 
immer weniger Wasser. Der Grundwasserspiegel rund um Peking ist in den letzten 
Jahrzehnten gefährlich gesunken. Die Bauern müssen immer tiefere Brunnen 
bohren. Im Dorf von Frau Hu wurden die Brunnenbauer nicht mal mehr in 250 Meter 
Tiefe fündig. Auch die Wüste nur wenige hundert Kilometer nördlich von Peking 
breitet sich immer weiter aus. Zum einen lässt der Klimawandel den Norden 
Chinas austrocknen, sagen Experten. Es regnet immer weniger. Zum anderen sei 
das Wasserproblem hausgemacht. Mit immer neuen Haushochsiedlungen, 
Einkaufszentren und Fabrikanlagen graben sich die Menschen das Wasser selbst 
ab, sagt der ehemalige Pekinger Beamte und Wasser-Experte Wang Jian.

"In den letzten Jahren haben sich sowohl die Stadt Peking wie auch die 
umliegenden Regionen und Provinzen rasend schnell entwickelt. Der Bedarf an 
Wasser ist enorm gestiegen. Viele Städte haben ehrgeizige Entwicklungspläne, 
was das Wirtschaftswachstum angeht. Aber alle haben eines gemeinsam: Sie 
brauchen mehr Wasser als die natürlichen Ressourcen hergeben."

Um dem trockenen Norden zu helfen, hat China mit einem Projekt begonnen, das in 
seiner Gigantonomie seinesgleichen sucht - das größte Wasserumleitungsprojekt 
der Welt. Betonrinnen so breit wie Autobahnen, neue Staumauern, riesige 
Wassertunnel und Pumpstationen. Zwar kommt es immer wieder zu Verzögerungen und 
die Kosten explodieren, trotzdem verteidigt Chefingenieur Shen Fengsheng "sein" 
Projekt, mit dem er fast sein ganzes Arbeitsleben verbracht hat:

"Es ist ein Grundlagenprojekt, das der wirtschaftlichen Entwicklung unseres 
Landes dient, vor allem der ökonomischen Entwicklung des Nordens. Ich bin sehr 
glücklich, dass ich daran mitarbeiten kann."

Peking fordert von den Menschen in der Region große Opfer. Denn das Projekt 
frisst kostbares Acker- und Siedlungsland in der ohnehin dicht besiedelten 
Region. So wird der Wasserpegel des Stausees um 13 Meter steigen und 135.000 
Hektar Land überfluten. Dafür mussten in den letzten zwei Jahren 340.000 
Menschen umgesiedelt werden - die größte Umsiedlungsaktion seit dem Bau des 
umstrittenen Drei-Schluchten-Damms.

Zum Beispiel Zeng Shilan. Die 57-Jährige schneidet Weißkohl in ihrer winzigen 
Küche. Vor 18 Monaten wurde sie von ihrem Heimatdorf im Einzugsbereich des 
Stausees ins 100 Kilometer entfernte Caichenmiao umgesiedelt. Das neue Dorf 
steht etwas verloren in der Landschaft. Aus der Ferne wirken die 160 
Klinkerhäuser mit ihren roten Dächern zwar wie eine schmucke 
Reihenhaussiedlung. Aber von Nahem sind die Probleme überall zu sehen: Im Haus 
von Frau Zeng ziehen sich durch die Wände tiefe Risse, das Dach ist undicht. 
Gegen die feuchte Kälte trägt sie eine geblümte wattierte Jacke. Doch innerlich 
kocht sie vor Zorn.

"Ich bin so wütend, ich könnte heulen. Wir sind umgezogen, wir haben Opfer für 
den Staat gebracht. Da hätten wir doch bessere Häuser verdient. Aber wir haben 
nur dieses bekommen, in einer schlechten Lage. Entschädigung gab es auch nicht; 
nichts. Wir sind alle stinksauer."

Während Frau Zeng erzählt, kommen die Nachbarn dazu, drängeln sich im 
Erdgeschoss, auch vor dem Haus bildet sich eine Menschenmenge. Nach wenigen 
Minuten ist das halbe Dorf versammelt und schimpft auf die Pfuschbauten und die 
örtlichen Parteikader. Doch die lassen sich nicht blicken. Bei Frau Zengs 
Nachbarin sind die Risse im Haus so tief, dass die Familie ausziehen musste. 
Sie fürchtete, das Haus würde einstürzen, erzählt Lan Tianmei.

"Die örtlichen Kader kamen letztes Jahr mal vorbei. Wir waren nicht da, wir 
hatten ja ein anderes Haus in einem anderen Ort gemietet. Dann kamen sie noch 
mal vorbei, haben sich die Risse angeguckt. Sie sagten, sie würden sich beraten 
und uns dann informieren. Doch wir haben nie wieder von ihnen gehört."

Nicht nur die Pfuschbauten bringen die Umsiedler auf die Palme. Die Bauern 
klagen auch, dass man ihnen ihre Lebensgrundlage genommen habe. Ihre Schweine 
und Hühner konnten sie in die neue Siedlung nicht mitbringen. Dafür reicht der 
Platz nicht. Insgesamt fällt den Bauern die Umstellung auf die neue 
Wohnsituation schwer. Sie halten auch in ihrer Reihenhaussiedlung an ihren 
alten Gewohnheiten fest, stapeln Reisig und Feuerholz vor den Häusern, kochen - 
um Geld zu sparen - auf den alten holzbefeuerten Öfen statt mit den neuen 
Gaskochern. Auch mit dem Ackerland gibt es Probleme. Der Staat hat ihnen zwar 
Felder zugewiesen, aber sie sind klein und trocken. Reis, wie in ihrem alten 
Dorf, können sie dort nicht anbauen. Und ihr Gemüse können sie nirgendwo 
verkaufen. Zum Markt in der nächsten Stadt ist es zu weit, schimpft Bauer Lan 
Tianling

"Unsere Kinder finden hier kein Auskommen. Es reicht nicht einmal für uns 
selbst zum Leben. Unsere Kinder müssen als Wanderarbeiter in die Städte gehen. 
Mein Sohn und meine Schwiegertochter können nicht hier bei uns bleiben."

Klagen wie in Caichenmiao hört man überall in den neuen Umsiedlerdörfern. Doch 
auch ökologisch ist das Wasserumleitungsprojekt umstritten. Am Unterlauf des 
Han-Flusses etwa fürchten die Menschen, dass das ferne Peking ihnen Wasser 
wegnimmt. Nur laut zu sagen, traut sich das fast niemand.

Professor Zhang hat das Umleitungsprojekt wie kaum ein anderer erforscht. Der 
Han-Fluss werde künftig weniger Wasser führen, fürchtet er, mit gravierenden 
Folgen für die Region.

"In der Landwirtschaft wird es im Sommer schwieriger mit der Bewässerung. Für 
die Industrie, die Stadt wird es weniger Wasser geben. Die Schifffahrt wird 
leiden, ebenso die Fischerei. Und die Selbstreinigungskraft des Wassers geht 
zurück - das macht die Wasserverschmutzung noch schlimmer."

Konfrontiert mit solchen Argumenten, schüttelt Chefingenieur Shen Fengsheng den 
Kopf. Man habe an alles gedacht, sagt er. So sollen die ökologischen Folgen am 
Unterlauf des Han mit einem aufwendigen Zusatzprojekt abgemildert werden. Um 
den Wasserstand des Han-Flusses unterhalb des Danjiankou-Staudammes zu halten, 
baue man einen Extra-Kanal vom Jangtse zum Han-Fluss, sagt Shen. Der Jangtse 
könne die zusätzliche Wasserentnahme problemlos verkraften.

"Durchschnittlich fließen 960 Milliarden Kubikmeter Wasser vom Jangtse ins 
Meer. In der ersten Phase werden wir für die Ostroute des Projekts 8,8 
Milliarden Kubikmeter umleiten, für die Mittelroute 9,5 Milliarden. Das ist 
doch nur ein kleiner Teil der Gesamtmenge."

Doch die Berechenbarkeit der Natur hat Grenzen. So gibt es wachsende Zweifel, 
ob der Süden tatsächlich genügend Wasser hat, um dem Norden davon abzugeben. 
Der Grund ist unter anderem der Klimawandel und sich verändernde 
Wetterphänomene. Einige von Chinas südlichen Provinzen - Yunnan, Guizhou und 
Guangxi - haben seit einigen Jahren mit extremer Trockenheit zu kämpfen. Die 
hat es zwar auch in der Vergangenheit schon gegeben, aber die Dürreperioden im 
Süden könnten jetzt nach Meinung von Experten häufiger auftreten - und damit 
die Grundannahme des Umleitungsprojekts in Frage stellen. Grundsätzlich sei die 
Umgestaltung der Natur durch Mammutprojekte wie die Süd-Nord-Wasserumleitung 
problematisch, sagt der Pekinger Wasserexperte Wang Jian.

Doch Wang weiß auch: Stoppen kann man das Milliarden-Projekt nicht mehr. Auch 
wenn heute niemand mehr glaubt, dass das Wasser aus dem Süden langfristig den 
Norden vor dem Austrocknen bewahren kann. Großprojekte suggerierten Lösungen, 
schafften aber nur neue Probleme, sagt Wang Jian.

"Die Umleitung des Wassers wird vermutlich noch mehr Nachfrage schaffen. Wenn 
es eine scheinbar einfache Lösung für eine Krise gibt, werden die Menschen 
weiterhin den Wert von Wasser nicht erkennen. Außerdem hat Peking 
Modellcharakter für andere Regionen. Sie werden dann ähnliche Lösungen 
propagieren. Dabei sind Umleitungsprojekte nicht die beste Lösung."

Stattdessen müssten Städte wie Peking endlich Ernst machen mit dem Wasser 
sparen und die dramatische Expansion der 22-Millionen-Metropole besser 
kontrollieren. Doch ein Umdenken braucht Zeit. In Peking tut man weiterhin so, 
als wäre die Ressource Wasser unbegrenzt. Zwar werden einige Parks mittlerweile 
mit wiederaufbereitetem Wasser gesprengt, es gibt mehr Kläranlagen, die Ma Jun 
als "positives Erbe" der Olympischen Spiele von 2008 bezeichnet. Doch im Alltag 
ist nicht zu spüren, dass die Stadt beim Wasserverbrauch weit über ihre 
Verhältnisse lebt und mittlerweile selbst fossiles Grundwasser abpumpt. Wenn 
das erst einmal verbraucht ist, wird es tausende von Jahren dauern, die 
Karstschichten wieder aufzufüllen, warnt Ma Jun.

"In ganz Nordchina hat das übermäßige Abpumpen von Grundwasser - insgesamt 100 
Milliarden Kubikmeter - schon zu sichtbaren ökologischen Schäden geführt. Warum 
hält der Norden an diesem verschwenderischen Ressourcen-Verbrauch fest? Das hat 
auch mit dem Süd-Nord-Projekt zu tun. Man weiß, wenn die Ressourcen verbraucht 
sind, dann wird schon Nachschub aus dem Süden kommen, vom Jangtse oder von 
anderswo. Doch wenn wir unser Verhalten jetzt nicht ändern, dann trocknen 
einige nördliche Regionen völlig aus. Das Umleitungsprojekt kann daher nur zur 
Notversorgung und als Zwischenlösung dienen."

Schon jetzt sucht Peking nach zusätzlichen Wasserquellen. Aus der 
Nachbarprovinz Hebei wird Wasser abgepumpt, obwohl auch dort alles andere als 
Überfluss herrscht. Auch im Dörfchen Shui Quan Gou nördlich von Peking haben 
die Menschen schon daran gedacht, ihre Häuser wegen des Wassermangels 
aufzugeben. Aber Bäuerin Hu Shaohua hält nicht viel von der Idee.

"Ich will hier nicht weg. Ich habe mein ganzes Leben in den Bergen verbracht 
und fühle mich dem Land verbunden. Natürlich ist es anstrengend, das Wasser ins 
Dorf zu tragen. Aber das Leben hier hat auch Vorteile. Die Luft ist gut. In der 
Stadt ist so viel Lärm, die Leute reden ständig, die Autos - ich könnte nachts 
nicht schlafen."

Von den Opfern, die die Umsiedler im fernen Hubei bereits gebracht haben, um 
dem trockenen Norden zu helfen, davon weiß Frau Hu nichts. Wie überhaupt die 
Süd-Nord-Wasserumleitung für sie ein abstraktes Projekt ist, das mit ihrem 
Leben nichts zu tun hat. Denn wenn die Umleitungskanäle eines Tages fertig 
sind, wenn der Danjiankou-Stausee in Hubei auf seine neue Höhe geflutet und das 
erste Wasser Richtung Norden fließt, wird Frau Hu weiterhin ihre schweren 
Wassereimer ins Dorf schleppen. Die Brunnen in Shui Quan Gou bleiben auch dann 
trocken. Das Dorf liegt viel zu abgelegen, um von dem Großprojekt zwischen dem 
Jangtse und Peking jemals profitieren zu können.

_______________________________________________________________________

++ Weitergeleitet durch DNR Redaktionsbüro Fachverteiler für Mitgliedsverbände 
++ Veröffentlichungsrechte bei den AutorInnen ++ Bitte insbesondere nicht auf 
Webseiten stellen ++ Bitte nur in eigener Organisation weiterleiten ++ 
Fachverteiler abbestellen: mailto:info-ber...@dnr.de?subject=keine-mails ++ 
Weitere Umwelt-Infodienste: www.dnr.de/umweltinfo ++ Umweltpolitische 
Monatszeitschrift: www.dnr.de/umwelt-aktuell ++ Bitte prüfen Sie, ob diese 
E-Mail wirklich ausgedruckt werden muss. Danke! ++





_______________________________________________
Pressemeldungen mailing list
Pressemeldungen@lists.wikimedia.org
https://lists.wikimedia.org/mailman/listinfo/pressemeldungen

Antwort per Email an