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Deutschlandfunk - 09.08.2012 Pflanzenschutzmittel gefährden EU-Gewässer Studie: EU-Zulassung für Pflanzenschutzmittel ist unzureichend Von Ludger Fittkau Mit dem "EU-Zulassungsverfahren für Spritzmittel in der Landwirtschaft" sollen vor allem Gewässer geschützt werden. Werden sie aber nicht - sagen jetzt Forscher aus Koblenz. Das EU-Verfahren sei schlicht wirkungslos, weil es auf falschen Berechnungen beruhe. Es gibt mehr Insektizide in europäischen Gewässern, als die EU wahrhaben will, die für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln zuständig ist. Das ist der brisante Kern der Studie [1], die jetzt Umweltwissenschaftler der Universität Koblenz-Landau vorgelegt haben. Professor Ralf Schulz, Leiter der Forschergruppe, fordert die EU deshalb auf, ihr Grenzwert-Berechungsmodell bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln schnellstens zu überprüfen und ab sofort zur Sicherheit den Grenzwert für Gewässerbelastungen vorsichtshalber um ein Zehnfaches zu erhöhen: "Wenn man jetzt dieses Modell auf den Prüfstand stellt oder eben die Konzentration mit dem Sicherheitsfaktor von Zehn versieht, kann das einige der Insektizidwirkstoffe, die derzeit zugelassen sind, nicht mehr zulassungsfähig wären." Das ist bedrohlich für die Hersteller von Insektiziden und die haben deshalb sofort auf die Landauer Studie reagiert: Die im Industrieverband Agrar (IVA) zusammengeschlossenen Unternehmen der deutschen Pflanzenschutz-Industrie haben umgehend angekündigt, die Landauer Studie "zügig analysieren" zu wollen. Schon in der Vergangenheit habe die Industrie regelmäßig Fortbildungsveranstaltungen für Landwirte angeboten, um einen Gewässer schonenden Einsatz von Spritzmitteln zu erreichen, heißt es in einer Stellungnahme. Im Übrigen stammten viele Daten der Landauer Studie nicht aus Europa und es sei fraglich, ob die Ergebnisse der deutschen Forschergruppe wirklich auf die hiesigen Bedingungen anwendbar seien. Der Umweltwissenschaftler Ralf Schulz zur Methode, mit der die Landauer Gruppe ihre neuen, besorgniserregenden Erkenntnisse gewonnen hat: "Zunächst mal hatten wir aus mehreren anderen Untersuchungen den Eindruck, dass es ab und in Gewässern höhere Insektizid-Konzentrationen gibt, als dort eigentlich sein dürften. Und dann haben wir uns dieser Sache systematisch angenommen und haben versucht, die Literatur zusammenzutragen, die dazu etwas sagt und die solche Konzentrationen untersucht hat und die dann zu vergleichen mit den Werten, die die EU für die gleiche Situation herausfinden würde. Und haben dann durch den Vergleich festgestellt, dass die tatsächlichen Konzentrationen manchmal höher sind, als die vorhergesagten." Ralf Schulz und sein Team führen das ein auf möglicherweise mangelhaftes Berechnungsmodell der EU zurück. Diese sogenannte "FOCUS"-Methode, die seit einigen Jahrzehnten von den europäischen Behörden bei der Insektizid-Zulassung eingesetzt werde, gehöre nun auf den Prüfstand, fordert der Landauer Umweltwissenschaftler. Doch das alleine reicht nicht, um die Gewässer besser vor den Pestiziden aus der Landwirtschaft zu schützen, sagt er: "Zum anderen muss man darüber nachdenken, ob die Landwirtschaft sich immer an die Vorgaben hält, die bei der Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln gefordert sind und ob dort die Abstandsvorgaben immer eingehalten werden. Wenn man das Ganze optimieren möchte, könnte man auch sagen, man sollte verbindliche Abstandstreifen im Sinne von Äckern oder Grasstreifen zu Gewässern anlegen, dann können die Landwirte dort nicht mehr anwenden, sie hätten dann weniger Fläche zur Verfügung, aber es wäre effektiv." Professor Ralf Schulz glaubt, dass die EU und die Hersteller von Pflanzenschutzmitteln die Ergebnisse der Landauer Studie seriös prüfen werden, wie sie es jetzt angekündigt haben: "Genau, ich denke, dass es insgesamt auch bei der Industrie so sein wird, dass sie ein großes Interesse daran hat, dass wir nicht tagtäglich mit Meldungen konfrontiert werden, dass die Gewässer mehr belastet sind, als es eigentlich notwenig ist. Und sie als Zulassungsinhaber, die Industrie, hat sicherlich ein großes Interesse daran, deswegen da mitzuarbeiten mit den Behörden, die Situation sich noch einmal genau anzuschauen und an den Stellen, an denen es notwendig ist, nachzubessern und dementsprechend im Sinne eines fürsorgenden oder vorausschauenden Umweltschutzes dafür zu sorgen, dass solche Situationen künftig weniger oder gar nicht mehr auftreten." -- LINKS [Red.] [1] http://www.uni-koblenz-landau.de/aktuell/archiv-2012/pm-eu-zulassung-pflanzenschutzmittel/view ----------------------------------------------------------------------- http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/landwirtschaft-gewaesser-an-aeckern-massiv-mit-insektiziden-belastet-a-848725.html Der Spiegel - 07.08.2012 Landwirtschaft Gewässer an Äckern massiv mit Insektiziden belastet Forscher haben Gewässer an deutschen Äckern auf Insektizide geprüft - und melden erschreckende Befunde. Die Giftbelastung liegt teilweise um ein Vielfaches über den vorausberechneten Werten. Dabei wurde das Zulassungsverfahren erst vor drei Jahren eingeführt Von Christian Gruber Insektenvernichtungsmittel sind in der Landwirtschaft weit verbreitet - und äußerst toxisch. Gelangen größere Mengen zum Beispiel durch Regen in Flüsse und Seen, können sie Tiere absterben lassen und auch für Menschen zur Gefahr werden. Erst 2009 haben die EU und Deutschland eine neue Vorschrift erlassen, wie und in welcher Dosierung neue Insektizide aufgebracht werden müssen. Vor der Markteinführung werden Laborergebnisse und Freilanderhebungen mit Hilfe eines mathematischen Modells verrechnet; am Ende steht eine Prognose über die erwartete Insektizidbelastung. Doch jetzt stellt sich heraus, dass das Verfahren möglicherweise nichts taugt. Das zumindest legt eine aktuelle Studie der Universität Koblenz-Landau nahe, die demnächst in der Fachzeitschrift "Environmental Science & Technology" erscheint. Das Forscherteam um den Umweltwissenschaftler Ralf Schulz verglich in 122 Fällen die Insektizidmenge, die in Gewässern um die Äcker herum tatsächlich gemessen wurde, mit den Werten, die im Zulassungsverfahren vorhergesagt worden waren. "Das Ergebnis ist besorgniserregend", sagt Schulz zu SPIEGEL ONLINE. "In bis zu vier von zehn Fällen ist die tatsächliche Belastung der Gewässer höher als vorausberechnet. Bei neuen Insektiziden liegt diese Quote sogar darüber." Die Messwerte hätten in manchen Fällen die prognostizierten Mengen um das Zehn- bis Tausendfache überschritten. "Das Modell hat nichts mit der Realität zu tun", sagt Schulz. "Die bisherigen Validierungen sind nicht imstande, das Ganze richtig zu bewerten." Wie groß die Gesundheitsgefahr genau ist, lasse sich allerdings nur schwer sagen. Denn anders als für Trinkwasser gibt es für Oberflächengewässer laut Schulz keine Insektizid-Grenzwerte. Keine ausreichenden Kontrollen Die überhöhten Konzentrationen, die jetzt in der Umwelt gemessen wurden, könnten neben fehlerhaften Berechnungen noch andere Gründe haben, vermuten die Landauer Umweltwissenschaftler: Landwirte halten möglicherweise die Vorschriften beim Ausbringen nicht ein, oder die Gebrauchsanweisungen der Hersteller sind zu ungenau. Würden die Bauern etwa durch Hecken gezwungen, breite Randstreifen um die Felder herum vom Anbau und damit auch von Spritzmitteln freizuhalten, könnte das die giftigen Substanzen von den Gewässern fernhalten. "Derzeit kann aber so gut wie nicht kontrolliert werden, ob der Landwirt die Gewässerschutzvorgaben tatsächlich einhält", meint Schulz. Höhere Konzentrationen als vorhergesagt haben die Landauer Forscher etwa bei den Insektiziden Chlorpyrifos, Cypermethrin und Fenvalerate gefunden. "Die Industrie muss ihrer Verantwortung für einen vorsorgenden Umweltschutz gerecht werden", fordert Schulz. "In jedem Fall brauchen wir auch in Deutschland mehr unabhängig gewonnene Daten zur Belastung von Gewässern mit Pflanzenschutzmitteln." Bis die Ursachen eindeutig geklärt sind, sollten beim Zulassungsverfahren die derzeit gültigen Werte für die vorhergesagten Insektizid-Konzentrationen vorsichtshalber um das Zehnfache erhöht werden, um bei den Prognosen einen Sicherheitspuffer nach oben zu haben und um damit die Gewässer zu schützen, schlagen Schulz und seine Kollegen vor. Außerdem könne man einen nicht landwirtschaftlich genutzten Randstreifen von fünf bis zehn Metern Breite zwischen Ackerfläche und Gewässer vorschreiben. Damit machen sich die Wissenschaftler genau für das stark, worauf man in Deutschland bei der Überarbeitung des Pflanzenschutzgesetzes im Jahr 2011 verzichtet hatte. _______________________________________________________________________ ++ Weitergeleitet durch DNR Redaktionsbüro Fachverteiler für Mitgliedsverbände ++ Veröffentlichungsrechte bei den AutorInnen ++ Bitte insbesondere nicht auf Webseiten stellen ++ Bitte nur in eigener Organisation weiterleiten ++ Fachverteiler abbestellen: mailto:info-ber...@dnr.de?subject=keine-mails ++ Weitere Umwelt-Infodienste: www.dnr.de/umweltinfo ++ Umweltpolitische Monatszeitschrift: www.dnr.de/umwelt-aktuell ++ Bitte prüfen Sie, ob diese E-Mail wirklich ausgedruckt werden muss. Danke! ++ _______________________________________________ Pressemeldungen mailing list Pressemeldungen@lists.wikimedia.org https://lists.wikimedia.org/mailman/listinfo/pressemeldungen