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Golem.de IT-News - 27.04.2012

Handy-Rohstoffe

Für ein paar Krümel Gold

Fair-Trade-Produkte sind in Deutschland enorm gefragt - aber nicht im 
IT-Bereich. Woher die Rohstoffe in ihren Handys oder Computern kommen, ist für 
Kunden nicht nachvollziehbar. Drei Dokumentarfilme wollen das ändern

Von Christian Schmidt-David

"Wollt ihr, dass ich sterbe?" Vielleicht hat auch Ihr Computer damit zu tun, 
dass ein illegaler Goldschürfer in Ghana seine Existenz bedroht sieht. Der 
Dokumentarfilm Behind the Screen, aus dem diese Frage stammt und der am 27. 
April in Potsdam Festivalpremiere in Deutschland feiert, zeigt, woher das Gold 
für unsere Handys, Smartphones und Computer kommt. Wie andere Rohstoffe legt es 
einen langen Weg zurück, bis es in den Kommunikationsgeräten für die nördliche 
Hemisphäre landet - einen Weg, von dem die Kunden bislang nur wenig Notiz 
nehmen.

Metalle, Gold, Lithium und Seltene Erden, Erze wie Coltan oder Mineralien wie 
Kassiterit - alle diese Rohstoffe werden von der Computerindustrie benötigt und 
irgendwo auf dem Weltmarkt eingekauft. Kein Unternehmen legt bisher die 
Handelsketten bis hin zu den Rohstoffen offen, wie unter anderem die NGO PC 
Global bemängelt. Auch eine Zertifizierung von Fair Trade gibt es im IT-Bereich 
bisher kaum - obwohl der Absatz von fair gehandelten Produkten in Deutschland 
boomt und 2011 um 18 Prozent gewachsen ist. Projekte wie das Projekt zur 
Herstellung fairer Elektronik PHeFE, die eine fair produzierte Computermaus ins 
Leben rufen wollen, sind Randerscheinungen.

Neben Behind the Screen spüren zwei weitere Dokumentarfilme den Ressourcen 
nach: Blood In The Mobile und Die Lithium-Revolution. Zusammen mit seinem Team 
(Sandra Heberling, Produktion, und Simon Fraissler, Kamera/Schnitt) hat sich 
Regisseur Stefan Baumgartner auf die Suche nach der Herkunft des Rohstoffs Gold 
begeben. Damit wolle er "Transparenz schaffen", sagt Stefan Baumgartner im 
Interview.

Die Goldgrube in Ghana

Behind the Screen beginnt seine Suche in Tarkwa in Ghana, bei einem Bauern. Er 
schaufelt in zyanitverseuchtem Boden nach ein paar Goldkrümeln und filtert sie 
mühsam über einen feinmaschigen Stoff aus.

Gold braucht die IT-Branche wegen seiner Korrosionsbeständigkeit und der guten 
leitenden Eigenschaften. Der kostbare Rohstoff hat in Ghana Goldproduzenten auf 
den Plan gerufen, die die Bauern der Region abfinden wollen. Anglo Gold 
Asahanti und Goldfields heißen die großen Abbaufirmen. Anglo Gold Ashanti, der 
weltweit drittgrößte Goldproduzent, rühmt sich mit einem Profit von 3,1 
Milliarden US-Dollar und einer verdoppelten Dividende. Goldfields verpflichtet 
sich in einem 14-seitigen Code of Ethics genannten Papier, nach der Devise 
"gesetzestreu, verantwortungsvoll und fair" zu handeln.

Davon bekommen die illegalen Goldschürfer in Behind the Screen rein gar nichts 
zu spüren. Ihr Land, das sie als Bauern bestellten und das zwischen den 
Gebieten der beiden Goldproduzenten liegt, wurde ihnen weggenommen. Seit elf 
Jahren warten sie auf eine Entschädigung, sagt Regisseur Stefan Baumgartner. 
Die Landwirtschaft ist unmöglich geworden, da der Boden durch das Zyanit, das 
beim Goldabbau verwendet wird, vergiftet ist. Das illegale Goldschürfen steht 
zwar unter Strafe, aber dem Goldschürfer, genannt Galamsey, bleibt nichts 
anderes als weiter zu graben, um etwas für seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

Obwohl der wertvolle Rohstoff in Ghana liegt, hat der Galamsey fast nichts 
davon. Auch im Ursprungsland Ghana bleibt nur ein kleiner Teil des Gewinns.

Apple, Dell, Sony und HP haben die größten Gewinnmargen. Danach kommen die 
Festplattenhersteller, die Auftragsfertiger und am Ende der Kette steht der 
Arbeiter, sagt Christian Zeller, Professor für Wirtschaftsgeografie im Film.

"Surreale Szenen"

Stefan Baumgartner wählt für seinen Film eine distanzierte Perspektive, die vor 
allem den Betroffenen vor Ort zu Wort kommen lässt. "Natürlich waren viele 
surreale Szenen dabei, die man sich so nicht wirklich ausmalt", sagt 
Baumgartner. Er habe beispielsweise in der Nähe einer Lagune auf einem Boden 
gedreht, der aus verschiedenen Schichten von Müll bestand, auf dem Kleinkinder 
krabbelten. Während sich Baumgartner als Filmemacher zurücknimmt und auf einen 
Sprecher oder persönlichen Kommentar verzichtet, ist genau das Gegenteil der 
Ansatz von Frank Piasecki Poulsen.

Blood in the Mobile

In dem Film Blood in the Mobile von Piasecki Poulsen, der am 10. April 2012 auf 
Arte ausgestrahlt wurde, wird der Zusammenhang zwischen Ressourcenankauf und 
Kriegstreiberei im Kongo untersucht. Dabei stellt sich der Filmemacher selbst 
vor die Kamera und führt persönlich durch den Film. Er hat sich für seinen 
Dokumentarfilm, der auf Deutsch den Titel Blutige Handys trägt, in Lebensgefahr 
gebracht, indem er das sogar von der UN gemiedene Walikale-Gebiet aufsuchte, um 
in den Coltan-Minen unter Tage zu drehen.

Lost im Kongo

Im Ministerium für Bergbau der Demokratischen Republik Kongo spricht Poulsen in 
Kinshasa mit dem hochrangigen Beamten Kampe Kampe über die Gewinnung von Coltan 
und Kassiterit und muss feststellen, dass dieser neben seiner Tätigkeit als 
Regierungsbeamter noch eine Firma betreibt, die ausländischen Firmen 
Bergbaulizenzen beschafft. Als Regierungsbeamter genehmigt er diese beantragten 
Lizenzen auch selbst.

Diese Win-Win-Situation ist für ihn kein Interessenkonflikt, schließlich sei er 
kein Politiker, der Gesetze macht, er habe es nicht zu entscheiden. "Ich bin 
Wissenschaftler, Geschäftsmann, nicht Politiker."

Die alles beherrschende Frage ist: Wer kontrolliert den Abbau von Coltan und 
Kassiterit im Ostkongo und was passiert mit dem Geld, das die Verkäufer 
erwirtschaften?

Zufällig gerät Poulsen bei einem abendlichen Frustbesäufnis an einen der 
Menschen, die die Lizenz zum Betreiben der Mine haben. Er reist ins 
Walikale-Gebiet im Nord-Kivu und untersucht selbst die Arbeitsbedingungen unter 
Tage. Es ist heiß, stickig, eng und es geht bis zu hundert Meter tief hinunter 
in die Erde in unbefestigte Stollen, die jeden Moment zusammenbrechen können. 
Obwohl es Minderjährigen verboten ist, in der Mine zu arbeiten, trifft das 
Filmteam auf 13-Jährige und sogar Zehnjährige, die 72 Stunden am Stück unter 
Tage sind.

Gelddruckmaschine für bewaffnete Einheiten

4 Euro bekommen die Träger für 50 Kilo der Mineralien, die auf dem Weltmarkt 
930 Euro wert sind. Coltan wird später in Tantalum umgewandelt, welches in 
Mobilfunkgeräten und anderen elektronischen Produkten zum Einsatz kommt. Die 
Minenarbeiter selbst bekommen nur Cent-Beträge. Sie können die Minen, von denen 
es im Ostkongo Hunderte gibt, kaum verlassen, da sie in eine Abhängigkeit zu 
den Kontrolleuren der Mine geraten, die für alles eine Steuer erheben.

Um in das Minengebiet zu kommen, wird Wegzoll an eine der bewaffneten Einheiten 
fällig, wer hinaus will, muss einen Teil des Coltans abgeben. Für die 
jeweiligen Kontrolleure ist die Kontrolle der Minen eine Gelddruckmaschine, 
jedenfalls so lange, bis sie von einer anderen bewaffneten Einheit verdrängt 
werden.

'Schluss mit der Ausbeutung!'

Mit der jahrhundertelangen Ausbeutung seiner Rohstoffe will ein anderer 
potenzieller Lieferant eines für IT-Geräte bedeutenden Rohstoffes Schluss 
machen: Bolivien. Das Land wolle nicht mehr "Rohstofflieferant für ein paar 
Pesos" sein, sagt der ehemalige Minister Luis Alberto Echazu in dem 
Dokumentarfilm Die Lithium-Revolution. Bolivien besitzt mindestens ein Drittel 
des weltweiten Lithium-Vorkommens, das für die begehrten Lithium-Ionen-Akkus 
gebraucht wird.

In Salzseen liegt der Stoff auf über 3.600 Metern zum Beispiel im Salare de 
Uyuni. Lithium gibt es nicht im Reinzustand, sondern nur in Verbindung mit 
anderen Mineralien. Noch ernten die Indianer hier nur einfaches Salz mit 
Schaufel und Schubkarre. Das ungelöste Lithium wird hier noch nicht wie in den 
Nachbarländern Chile und Argentinien industriell abgebaut.

"Die Firmen haben lange gebraucht, das zu begreifen, sie dachten, es wäre die 
Position eines einzelnen Ministers, aber es ist die Haltung der gesamten 
Regierung und des Präsidenten Morales", erklärt Echazu. Das Land habe ein 
eigenes Projekt mit staatlicher Unterstützung zur Lithium-Gewinnung beschlossen 
- auch wenn es damit das internationale Rennen um die Lithiumherstellung 
vielleicht nicht gewinnen werde. "Schluss damit, dass im Land nur ein kleiner 
Teil des großen Reichtums bleibt, ohne dass sich die Wissenschaft und die 
Technik weiterentwickeln!"

Code im Gestein

Können Hersteller von Kommunikationsgeräten überhaupt nachverfolgen, wo und 
unter welchen Umständen die Rohstoffe für ihre Produkte gewonnen werden?

Das sei unmöglich, sagt ein Sprecher von Nokia Poulsen in Blood in the Mobile. 
"Es gibt keine Kennzeichnung." In Hannover in der Bundesanstalt für 
Geowissenschaften und Rohstoffe ist es aber sehr wohl möglich, eine Probe 
zuzuordnen. Jedes Körnchen kann auf seinen geologischen Fingerabdruck hin 
untersucht werden, da das bestimmte Alter des Minerals genauen Aufschluss über 
seinen Ursprungsort gibt.

Von dieser Lösung des geologischen Fingerabdrucks hält die NGO Global Witness 
allerdings nichts, da die Ergebnisse zu lange auf sich warten lassen. Die 
Organisation, die versucht, den Zusammenhang zwischen Bodenschätzen und 
bewaffneten Konflikten aufzudecken, schlägt eine einfache Lösung vor: Die 
Elektronikindustrie soll ihre Zuliefererkette veröffentlichen.

USA zwingen Hersteller zu Transparenz

Mehr Transparenz bedeutet für die Industrie aber, Vertrauliches preiszugeben, 
was den Wettbewerb gefährdet. Die USA setzen daher nicht auf Freiwilligkeit, 
sondern auf Gesetze: Im August 2010 wurde vom US-Kongress ein Gesetz 
verabschiedet, welches die Elektronikindustrie verpflichtet, die Quellen der 
Mineralien von in den USA verkauften Produkten anzugeben. Das ist ein Anfang, 
aber wird es die Produzenten daran hindern, weiter sogenannte 
Konfliktmineralien zu verwenden?

"Gesellschaften entwickeln sich nur langsam", sagt der Direktor der Abteilung 
soziale Verantwortung von Nokia in Blood in the Mobile. Die drei 
Dokumentarfilme versuchen, beim Kunden ein Bewusstsein für die Problematik zu 
schaffen. Er wünsche sich, dass es "zu einer Selbstreflexion kommt, dass das 
eigene Konsumverhalten hinterfragt wird und bei dem ein oder anderen eine 
politische Partizipation stattfindet", sagt Regisseur Baumgartner. Denn 
eigentlich wäre es doch ganz einfach, wie Regisseur Poulsen bei der Verleihung 
des Cinema-For-Peace-Preises in Berlin sagte: "Wenn wir nur einen fairen Preis 
für die Rohstoffe der Dritten Welt bezahlen würden, dann hätten diese keine 
Probleme mehr."


Behind the Screen von Stefan Baumgartner läuft am Freitag, dem 27. April um 18 
Uhr im Thalia 2, Potsdam.
http://www.behindthescreen.at/

Blood in the Mobile von Frank Piasecki Poulsen, Deutschland 2010, wurde 
erstmals bei Arte am 11. April 2012 ausgestrahlt, zuvor lief der Film schon 
unter dem Titel Blutige Handys im WDR in einer 52-minütigen Version.
http://videos.arte.tv/de/videos/blood_in_the_mobile-6577890.html

Die Lithium-Revolution von Andreas Pichler, Deutschland 2012, lief am Dienstag, 
dem 10. April 2012 auf Arte.  (csd)
http://videos.arte.tv/de/videos/die_lithium_revolution-6579908.html


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