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taz - 21.07.2012

Kein Gesetz schützt den Wald

Gesucht: Ein gesellschaftlich tragfähiger Waldkodex

Wenn in den regenarmen Monaten Juli und August die Farmer in Pará und Mato 
Grosso ihre getrockneten Rodungsflächen abfackeln, ist trotz des Rauchs über 
Amazonien klar zu erkennen, dass der eigentliche Brandherd über 1.000 Kilometer 
weiter südlich, in der Regierungshauptstadt Brasília, liegen muss. Der Código 
florestal, Brasiliens 47 Jahre altes Gesetz zum Waldschutz, bleibt auch nach 
den im April vom Parlament verfassten Beschlüssen und dem daraufhin von 
Staatspräsidentin Dilma Rousseff medienwirksam vor der UN-Umweltkonferenz in 
Rio eingelegten Veto weiterhin das, was er nicht sein sollte: ein durch 
einstweilige Verfügungen durchlöchertes Werk, das keinerlei Rechtssicherheit 
gewährt und an das sich niemand gebunden fühlt.

Dabei hatte der Senat einen durchaus kompromissfähigen Vorschlag erarbeitet. 
Doch um Rousseff eins auszuwischen, verabschiedeten die Parlamentarier eine 
Gesetzesnovelle, die sich liest wie ein Weihnachtswunschzettel der Agrarlobby: 
Verringerung von Uferschutzzonen, Wiederaufforstung mit Nutzpflanzen, 
weitgehende Straffreiheit für Landwirte, die abgeholzt haben. Die schockierende 
Gleichgültigkeit der Politiker lässt sich vielleicht auch damit erklären, dass 
kaum jemand im Lande der Präsidentin ihre Rolle als oberste Umweltschützerin 
abnimmt. Schließlich hat sie als ehemalige Energieministerin und "Mutter des 
Programms für Fortschritt" (PAC) viele umstrittenen Entwicklungsprojekte, so 
auch den Bau des Wasserkraftwerks Belo Monte am Rio Xingu, direkt selbst zu 
verantworten.

Bis 2020 will Brasilien seine CO2-Emissionen drastisch reduzieren und die 
Waldabholzung um 80 Prozent verringern, denn die Waldzerstörung wird für nahezu 
zwei Drittel der klimaschädlichen CO2-Emissionen des Landes verantwortlich 
gemacht.

WERNER RUDHART

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http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=/2012/07/21/a0061

taz - 21.07.2012

AMAZONAS

Frontlinie gegen fortschreitenden Baumraub

Armut, Agrobusiness und Korruption bedrohen die Regenwälder des 
Amazonasbeckens. Der Jurena-Nationalpark soll den Wald schützen, doch die 
rigiden Auflagen machen den dort Wohnenden zu schaffen

WERNER RUDHART

Die Idylle dauert nicht einmal eine halbe Stunde. Beim Ablegen vom Dorf 
durchdringt die Sonne den letzten Frühnebel und zeichnet Wald und Wasser in 
feinsten Farben. Ein Stück weiter flussaufwärts passiert das Boot eine Gruppe 
von Tuiuiú-Störchen auf einer Sandbank. Sie stecken ihre langen schwarzen 
Schnäbel zusammen, als gälte es zu beraten, was mit diesem noch frischen 
amazonischen Morgen anzufangen sei. Die vier Männer in den drei Booten tauchen 
unvermittelt hinter der ersten Flussbiegung auf. Hastig holen sie die 
Angelleinen ein und starten ihre Motoren. Doch Bootsmann Simar Corréia 
manövriert sich geschickt in die Fluchtlinie und dreht bei. "Sie sind hier im 
Nationalparkgebiet", ruft die junge Frau mit dem WWF-Logo auf der Schildmütze, 
"und sollten wissen, dass Fischfang hier verboten ist." Man angle doch nur zum 
Spaß, beteuern die vier, eine glatte Lüge angesichts der großen Kühltruhe samt 
Stromgenerator auf einem der Boote. Als der Ton der Männer in den Tarnklamotten 
schließlich bedrohlich wird, legt Simar sofort ab.

Als zuständige Frau für die "Feldkommunikation" des WWF hat Denise Cunha keine 
offizielle Befugnis hier am "Zipfel von Apiacás". Auf der Landzunge im 
Dreiländereck der brasilianischen Bundesstaaten Mato Grosso, Pará und Amazonas, 
wo der Rio Juruena und der Teles Pires sich vereinigen zum Rio Tapajós, einem 
der wichtigsten Nebenflüsse des Amazonas, gibt es nichts, das auf die Existenz 
eines Nationalparks hinweisen würde.

Der Vorfall an der Mündung des Juruena ist nur ein unbedeutendes Scharmützel 
auf einem Nebenschauplatz der großen Schlacht, die zurzeit ein Breitengrad 
weiter südlich geschlagen wird. Seit der Juruena-Nationalpark im Juni 2006 von 
der Regierung ausgewiesen wurde, ist er mit seinen über 1,9 Millionen Hektar 
Fläche einer der strategisch wichtigsten Teile im Schutzgebietmosaik des 
Arpa-Programmes (Amazon Region Protected Areas): ein Megakorridor aus 
Nationalpark, Indianerterritorien und Naturreservaten, der den von Süden 
heranrückenden "Bogen der Entwaldung" aufhalten soll. Über 1.000 Kilometer lang 
ist die Frontlinie, an der Armut, Agrobusiness und Korruption auf dem Vormarsch 
gegen die Regenwälder des Amazonasbeckens sind.

Wo vom Wald nur noch eine Ahnung bleibt

Wem die militärischen Ausdrücke übertrieben erscheinen, der wird auf der 200 
Kilometer langen Fahrt von Alta Floresta nach dem Städtchen Apiacás im Norden 
von Mato Grosso eines Besseren belehrt. Zu beiden Seiten der holprigen 
Staubstraße ist vom Urwald meist nicht mehr als eine grüne Ahnung hinter 
endlosen Viehweiden geblieben. Neben den verkohlten Resten umherliegender 
Baumstämme leuchten im Gras die weißen Buckel der Zebus. Wo einmal Bäche 
liefen, halten sich an sumpfigen Gräben noch Widerstandsnester von 
zerfledderten Buritipalmen. Allein den Paranussbäumen hat man hier und da Gnade 
gewährt.

"Tonnenweise wurde das Gold hier rausgeholt", erinnert sich Luiz Crestani, 
zwischen 50 und 100 Kilo täglich allein in der Mine, für die er damals 
gearbeitet hat. Fast 70.000 Menschen trieben sich vor 25 Jahren hier herum, als 
Mato Grossos nördlichste Gemeinde inmitten eines Goldrauschs entstand. Heute 
zählt die Stadt noch nüchterne 6.300 Seelen.

Am späten Nachmittag besprenkeln Tanklaster die unbefestigten Straßen mit 
Wasser, dann versinkt Apiacás in Staub und Nacht. Während Luiz erzählt, rollt 
sein Taxi durch das ausgestorbene Zentrum. In der Rua das Velhas, da, wo die 
Goldsucher ihren schnellen Reichtum noch schneller wieder loswurden, ist gerade 
mal einer der Animierschuppen geöffnet. "Honig, süßer Honig" verheißt aus dem 
Off ein Hit der Band Calypso. An diesem Abend ein offensichtlich leeres 
Versprechen.

Das klassische Drehbuch der Plünderung

Von Anfang an hat Apiacás versucht, seine Geschichte gemäß dem für die wilde 
Plünderung Amazoniens schon klassischen Drehbuch zu gestalten. Nach dem Gold 
waren zunächst die Edelhölzer dran. Anschließend begannen die Viehzüchter dem 
restlichen Wald zu zeigen, was eine Harke ist.

Dann kam plötzlich der Nationalpark. Von einem Tag auf den anderen war die 
Gemeinde fast die Hälfte ihres riesigen Territoriums los, und am nächsten Tag 
machte eine Operation von Polizei und Umweltbehörden praktisch alle 25 
Sägewerke dicht.

"Die Menschen hier fühlen sich verraten", nimmt Pfarrer Nelson Raimann seine 
Gemeinde in Schutz. "Sie dachten, dass sie den Fortschritt bringen, und haben 
nicht gemerkt, wie sehr die Welt sich inzwischen verändert hat."

Von der Flussmitte aus betrachtet zieht der Wald vorbei wie eine endlose 
Fototapete: links ist Mato Grosso, rechts Amazonas. Eine fast lächerliche 
Feststellung, wenn man bedenkt, dass es bis zur nächsten Stadt im Süden, 
Apiacás, 150 Kilometer undurchdringlicher Urwald sind und bis zur nächsten 
Straße im Norden, der Transamazônica, zwei Tagesreisen auf dem Wasser. Zugleich 
aber ist es eine der ganz wenigen Gewissheiten, die es hier gibt.

Der erste Versuch einer wissenschaftlichen Annäherung an das Juruenagebiet nahm 
1829 ein tragisches Ende. Auf seiner acht Jahre dauernden Forschungsreise von 
Rio de Janeiro zum Amazonas raubten unmenschliche Strapazen und Fieber dem 
deutsch-russischen Arzt und Naturforscher Georg Heinrich Freiherr von 
Langsdorff inmitten der Stromschnellen des Rio Juruena für immer das Gedächtnis 
und den Verstand. Von den 39 Teilnehmern an dem Abenteuer überlebte nur ein 
Dutzend.

Im Jahr 2008 wagte eine vom WWF mitorganisierte Expedition die ersten Schritte 
in die bis dahin praktisch unbekannt gebliebene Welt des Juruena-Nationalparks. 
Der Ornithologe des Teams zählte dabei über 400 Vogelarten. Im Fluss begegneten 
die Wissenschaftler rosaroten Amazonasdelfinen und im Geäst bei Vollmond einer 
Gruppe von Nachtaffen. Was die Fauna der Region anbelangt, gelang der 
Expedition noch der Beweis einer weiteren, nicht unbedeutenden Tatsache: So wie 
die ganze Amazonasregion, so ist auch der Juruena-Park nur scheinbar ein 
menschenleerer grüner Fleck auf der Landkarte.

"Wie soll ich hier leben, wenn ich nicht fischen und keine Pflanzung anlegen 
darf?"

Abrupt bricht die grüne Wand auf und gibt den Blick frei auf ein Lehmhaus im 
Schatten mächtiger Babaçupalmen. Im kühlen Halbdunkel der Hütte leuchtet blank 
gescheuertes Küchengeschirr aus Aluminium wie ein Silberschatz. Severino 
Coelho, klein, aber trotz seiner 67 Jahre erstaunlich kräftig, hat an einem 
klobigen Holztisch Platz genommen. Sichtlich verlegen reibt er mit schwieligen 
Händen den Schnurrbart und macht dann seinem Ärger Luft: "Wie soll ich hier 
leben, wenn ich nicht fischen und keine Pflanzung anlegen darf und kein Holz 
schlagen soll, wenn ich welches brauche?" Severino ist hier am Rio Juruena 
geboren. Ein waschechter Caboclo mit indianischer Mutter, der Vater ein 
Kautschukzapfer aus dem Nordosten. "Eines ist sicher", beharrt er mit 
Nachdruck, "mit leeren Händen gehe ich hier nicht weg, falls sie uns 
vertreiben."

Auf seinem Weg von den Ausläufern der Hochebenen des Mato Grosso hinunter zum 
Amazonasbecken bahnt sich der Rio Juruena seinen Weg über mehr als 20 
Stromschnellen und Wasserfällen. Dabei formt er eine Flusslandschaft, die zu 
den schönsten Naturszenarien Amazoniens zählt.

Über den spektakulären Salto Augusto donnert der Fluss in zwei großen Fällen 
auf einer Breite von 250 Metern bis zu 15 Meter in die Tiefe. Eine Besonderheit 
ist das klare, in der Sonne smaragdgrün schimmernde Wasser des Juruena. 
Zusammen mit den Sandstränden, die bei Niedrigwasser die Ufer säumen, ruft es 
karibische Assoziationen hervor. Die auf Felsgestein zu weißen Kristallen 
erstarrten Algen dagegen erwecken im ersten Licht des Tages den Eindruck, als 
wäre in der Nacht ein Schneesturm über den Wald gefegt.

Simar Corréia zieht das Boot in weiten Schleifen den Fluss hinunter, denn er 
kennt alle Stromschnellen und Untiefen. Er weiß, wie man zu im Dschungel 
versteckten Höhlen findet oder wo an den mit Orchideen überwucherten 
Sandsteintürmen neben dem Salto São Simão Felszeichnungen zu finden sind. Seit 
der Nationalpark ausgewiesen wurde, ist der bedächtige Mann mit den 
indianischen Gesichtszügen immer häufiger mit Besuchern durch seine Heimat 
unterwegs. Naturschützer hauptsächlich, Forscher und Journalisten. Doch Simar 
hofft, dass er mit seinem Boot bald mehr und mehr Touristen transportieren 
wird. "Der Park darf uns nicht nur einschränken, er sollte uns auch etwas 
bringen", brüllt er in den Lärm des Außenbordmotors.

Wer nie zu viel nimmt, der hat ewig

"Fazenda Colares" steht auf der schiefen Tafel über dem Ufer, genau an der 
Stelle, wo Pedro Colares vor 51 Jahren mit seiner fünfköpfigen Familie an Land 
ging. Heute leuchtet der Rio Tapajós bereits im satten Licht der Abendsonne, 
als der kleine alte Mann mit lässigen Bewegungen sein Kanu auf den Sand zieht. 
Um ihn herum spielt eine ausgelassene Kinderschar am Wasser. Wie viele Enkel 
und Urenkel genau er hat, kann Senhor Pedro nicht mit Bestimmtheit sagen. Acht 
Söhne und fünf Töchter zählt er auf, alle leben sie hier mit ihren Familien, 
zusammen um die 130 Leute.

Nachdem zwei große Pfauenbarsche in die Küche gewandert sind, hat er Zeit zu 
erzählen. Von der Arbeit auf den "Kautschukpfaden" im nächtlichen Dschungel und 
vom Transport der geräucherten Latexballen den Tapajós hinunter und weiter auf 
dem Amazonas nach Belém do Pará, 30 Jahre lang, bis es sich nicht mehr lohnte. 
Wie sie dann anfingen, das wertvolle Öl der Copaíbabäume zu zapfen und 
Paranüsse zu sammeln, und wie einer seiner Söhne dabei in einem Rinnsal auf 
Gold stieß.

Das waren schwierige Zeiten, scharenweise drangen Goldsucher in das Land der 
Colares ein. Anstatt auf Konfrontation hat Pedro auf Zeit gesetzt. Und als die 
Goldmenge geringer wurde, sind die Invasoren auch wieder abgezogen. "Jetzt 
betreiben wir die wohl einzige Familiengoldgrube am Amazonas", sagt der rüstige 
Patriarch mit einem verschmitzten Lächeln: "Wer nie zu viel nimmt, der hat 
ewig, das gilt hier im Dschungel für alles."

Inzwischen hat irgendwo ein Dieselmotor zu rattern begonnen, Glühbirnen 
flackern auf, und der Duft der gebratenen Fische zieht durch das Stammhaus der 
Sippe. Um ein Fernsehgerät versammeln sich Frauen und Kinder zur abendlichen 
Telenovela. Durch das Fernsehen erfuhr Seu Pedro auch von der Ausweisung des 
Nationalparks, und seit er weiß, dass die 40 Quadratkilometer seiner Fazenda 
nicht dazugehören, hat er seinen Frieden damit gemacht: "Bisher haben wir 
allein darum gekämpft, dass hier alles so bleibt, wie es ist, jetzt werden wir 
einen Verbündeten haben."

Nach dem Essen, als Motor und Bildschirm schlagartig verstummen, ist nur das 
Murmeln des Tapajós zu hören. "Wir Menschen sind hier nicht einfach zu Gast", 
sagt der 80-jährige Caboclo. "Wir sind ein lebendiger Teil des Waldes."

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