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taz - 26.04.2012

Umstrittenes Waldgesetz in Brasilien

"Ein Frankenstein-Projekt"

Ein höchst umstrittenes Waldgesetz ist vom brasilianischen Parlament gebilligt 
worden. Es begünstigt die Agrarlobby. Umweltschützer kritisierten die 
Entscheidung

Von Gerhard Dilger

PORTO ALEGRE taz | Noch einmal durften die reaktionärsten Vertreter des 
brasilianischen Agrobusiness jubeln: Mit 274 zu 184 stimmte das 
Abgeordnetenhaus in Brasília am Mittwoch für eine Novelle des Waldgesetzes, die 
noch weit über das hinausgeht, was der Senat im Dezember verabschiedet hatte. 
Das Gesetz läuft auf eine totale Amnestie für Waldzerstörer hinaus.

Allerdings muss es noch von Präsidentin Dilma Rousseff unterzeichnet werden. 
Und es gilt als ausgeschlossen, dass sie den Parlamentsbeschluss hinnimmt - 
bedeutet er doch eine herbe Niederlage für die Staatschefin, die im Juni den 
UN-Umweltgipfel Rio+20 eröffnen wird.

Mit der Novelle würden bislang vorgeschriebene Schutzzonen verkleinert, 
Waldbesitzer von Verpflichtungen zur Wiederaufforstung befreit, wie sie im 
bislang geltenden Waldgesetz von 1965 vorgesehen waren. Nur eine einzige 
Vorschrift konnte die Regierung wegen eines Verfahrensfehlers retten: Nach 
Rodungen müssten Landbesitzer zerstörte Ufer bei bis zu 10 Meter breiten 
Flüssen jeweils 15 Meter wiederaufforsten.

An 20 Punkten wurde der Senatsentwurf verwässert, etwa zugunsten der 
Krabbenzüchter oder von sogenannten Kleinbauern - die Gebiete von bis zu 440 
Hektar ihr Eigen nennen dürfen. Weitere "Flexibilisierungen", etwa bei 
breiteren Flüssen, sollen in die Zuständigkeit der meist konservativ regierten 
Bundesstaaten übertragen werden.

"Geopolitisch verwundbar"

Die Agrarlobby im brasilianischen Parlament ist stark. Aus ihrer Sicht müssen 
die Agrarflächen ausgeweitet werden, um die Lebensmittelsicherheit in Brasilien 
zu gewährleisten. Zudem schaffe das neue Waldgesetz Rechtssicherheit für 
Kleinbauern, die sich bislang durch illegale Rodungen strafbar gemacht hätten.

Über die Details der Änderungen herrschte wegen unklarer Abstimmungsverfahren 
zunächst Verwirrung. "Ein Frankenstein-Projekt", schimpfte der Grüne Sarney 
Filho. Sein Parteikollege Alfredo Sirkis beklagte eine "Offensive von 
Bodenspekulanten und Großgrundbesitzern".

Andere Abgeordnete forderten Rousseff auf Schildern zum vollständigen Veto 
gegen das Gesetz auf, wie es auch die Umweltbewegung seit Monaten tut. Auch 
Rousseffs Arbeiterpartei PT lehnte den jüngsten Entwurf fast geschlossen ab. 
International wächst der Druck ebenfalls. Brasilien erleichtere es 
ausländischen Umweltschützen und Konkurrenten, höhere Zölle für brasilianische 
Agrarimporte zu fordern und werde dadurch "geopolitisch verwundbar", meint 
Virgílio Viana von der Stiftung Nachhaltiger Amazonas.

Rousseffs Taktik sei "durchschaubar", meint der Grüne MdB Thilo Hoppe. Er 
rechnet mit Verzögerungen bis zur endgültigen Version der kritischen Passagen 
und fürchtet: "Ein absehbares Scheinveto der Präsidentin würde ihr nur zu 
leicht erlauben, Brasilien weiterhin als Primus in der Klimadebatte zu 
positionieren, während sie im Hintergrund der Agrarlobby einen Freischein zu 
illegalen Großrodungen bietet."

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Rousseffs Feuerprobe

Wird die dreiste Agroallianz gestoppt?

Kommentar von Gerhard Dilger

Noch ist das letzte Wort im Streit um Brasiliens neues Waldgesetz nicht 
gesprochen. Nach einem jahrelangen Tauziehen und dem vorläufig letzten, 
beschämenden Auftritt der Agroallianz im Abgeordnetenhaus ist nun endlich 
Präsidentin Dilma Rousseff am Zug. Auf das regelrechte "Waldzerstörungsgesetz" 
der Agrarier müsste sie mit einem vollständigen Veto und einem neuen 
Gesetzestext per Dekret reagieren.

Die linke Staatschefin steht bei den WählerInnen im Wort: Nachdem die Ökoikone 
Marina Silva bei der letzten Präsidentschaftswahl auf ein Fünftel der Stimmen 
gekommen war, versprach Rousseff vor der Stichwahl, eine Amnestie für 
Waldzerstörer zu verhindern und die Verpflichtungen Brasiliens zum Klimaschutz 
zu respektieren - zwei Drittel der brasilianischen CO2-Emissionen gehen auf das 
Konto von Brandrodungen.

Angesichts von Rousseffs bisheriger Umweltbilanz ist allerdings Skepsis 
angebracht: Klammheimlich werden Naturschutzgebiete zugunsten von immer 
weiteren Staudämmen in Amazonien umgewidmet, als Kontrollinstanz ist das 
Umweltministerium praktisch abgemeldet die Waldzerstörung nimmt wieder deutlich 
zu. Wachstum durch Monokulturen, Megaprojekte und Rohstoffexport, das scheint 
das Motto der vormaligen Energie- und Bergbauministerin zu sein.

Umweltpolitisches Rollback von gigantischen Ausmaßen

Den Preis bezahlen Kleinbauern, Fischer, Indigene. Es ist ein umweltpolitisches 
Rollback von gigantischen Ausmaßen. Bisher gibt es auch keinerlei Anzeichen, 
dass Brasilien seine Gastgeberrolle beim Umweltgipfel Rio+20 dazu nutzen 
könnte, um sich als grüne Supermacht zu positionieren.

Nun bietet das üble Vorgehen der Agrarlobby Rousseff die Chance, ein eigenes, 
modernes Waldgesetz vorzulegen, das Umweltschutz und rechtsstaatliche Standards 
über das Profitstreben und die Wildwestmethoden des Agrobusiness stellt. Es ist 
die bislang größte Feuerprobe ihrer Amtszeit.

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