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Süddeutsche Zeitung - 01.08.2012

Konvertierter Klimaskeptiker 

Wandlung eines Zweiflers

Hartnäckig beharrt eine Gruppe von Wissenschaftlern darauf, dass der 
Klimawandel - wenn es ihn überhaupt gibt - nicht vom Menschen verursacht wird. 
Aber wer die globale Erwärmung und ihre Gründe skeptisch sieht, sollte die 
harten Daten prüfen. Das Ergebnis ist eindeutig

Ein Gastbeitrag von Richard Muller

Nennen Sie mich einen konvertierten Skeptiker. Vor drei Jahren hatte ich Mängel 
in früheren Studien zum Klimawandel entdeckt, die in mir Zweifel weckten, ob es 
die globale Erwärmung überhaupt gibt. Im vergangenen Jahr, nach intensiver 
Forschungsarbeit mit einem Dutzend Wissenschaftlern, bin ich zum Schluss 
gekommen, dass die globale Erwärmung Realität ist und bisherige Schätzungen 
über das Ausmaß korrekt sind. Jetzt gehe ich noch einen Schritt weiter: Die 
Menschheit ist nahezu die alleinige Ursache für den Anstieg.

Meine Kehrtwendung in so kurzer Zeit ist das Ergebnis der sorgfältigen und 
objektiven Analyse im "Berkeley Earth Surface Temperature Project", das ich mit 
meiner Tochter Elizabeth begonnen habe. Unsere Resultate zeigen, dass die 
durchschnittliche Temperatur der Kontinente der Erde in den vergangenen 250 
Jahren um 1,4 Grad Celsius gestiegen ist. Darin enthalten ist eine Zunahme um 
0,8 Grad in den vergangenen 50 Jahren. Außerdem ist es wahrscheinlich, dass 
praktisch der gesamte Anstieg auf die Freisetzung menschengemachter 
Treibhausgase zurückzuführen ist.

Diese Ergebnisse übertreffen die Feststellungen des Weltklimarats IPCC, jenes 
Gremiums der Vereinten Nationen, das den wissenschaftlichen und diplomatischen 
Konsens zum Thema Klimawandel definiert. In seinem Bericht von 2007 erklärte 
der IPCC lediglich, der überwiegende Teil der Erwärmung der vergangenen 50 
Jahre gehe auf die Menschheit zurück. Es sei möglich, so der Konsens des 
Gremiums, dass die Temperatursteigerung vor 1956 auf Veränderungen der 
Sonneneinstrahlung beruhe, und dass auch ein beträchtlicher Teil Erwärmung in 
jüngerer Zeit natürliche Ursachen hat.

Unser Ansatz im Berkeley-Earth-Projekt nutzt anspruchsvolle statistische 
Methoden, die vor allem von unserem leitenden Wissenschaftler Robert Rohde 
entwickelt worden sind. Diese erlauben es, die Oberflächentemperatur der 
Landmassen viel weiter in die Vergangenheit hinein zu bestimmen als zuvor.

Wir haben die Einwände der Skeptiker sorgfältig analysiert: Sie beklagten 
Verzerrungen wegen der überproportionalen Erwärmung der Städte, wo viele 
meteorologische Stationen liegen (wir haben unsere Ergebnisse allein mit 
ländlichen Stationen reproduziert); durch die Auswahl der analysierten Daten 
(andere Gruppen haben weniger als 20 Prozent der verfügbaren Messstationen 
verwendet, wir haben buchstäblich 100 Prozent genutzt); wegen schlechter 
Qualität mancher Messstationen (wir haben gute und schlechte Stationen 
unabhängig voneinander analysiert); und durch menschliche Eingriffe und 
Datenanpassungen (unsere Arbeit ist vollständig automatisiert, niemand legt 
Hand an). In unseren Publikationen zeigen wir, dass keiner dieser 
möglicherweise irreführenden Effekte unsere Schlussfolgerung verzerrt.

Was hat die Erwärmung ausgelöst?

Der historische Verlauf der Temperaturen, den wir rekonstruiert haben, zeigt 
abrupte Abfälle, die zu bekannten Vulkanausbrüchen passen. Die während solcher 
Eruptionen ausgeworfenen Partikel reflektieren das Sonnenlicht, erzeugen 
wunderschöne Sonnenuntergänge und kühlen die Erde einige Jahre lang ab. Es gibt 
kleine, schnelle Veränderungen, die sich auf El-Niño-Ereignisse und andere 
Meeresströmungen wie den Golfstrom zurückführen lassen. Wegen dieser 
natürlichen Schwankungen ist das "Abflachen" der Temperaturkurve in jüngerer 
Zeit, das manche Kritiker anführen, in unseren Augen nicht statistisch 
aussagekräftig.

Was hat die allmähliche, aber systematische Erwärmung um 1,4 Grad Celsius 
ausgelöst? Wir haben versucht, die gemessene Temperaturentwicklung durch 
einfache mathematische Funktionen (Exponentialkurven und Polynome) 
auszudrücken, um die Daten mit der Sonnenaktivität oder der 
Bevölkerungsentwicklung zu erklären. Die beste Übereinstimmung zeigten jedoch 
Aufzeichnungen von atmosphärischem Kohlendioxid, gemessen in aktuellen 
Luftproben und älterer Luft, die als Bläschen in polarem Eis eingeschlossen ist.

Sehr wichtig ist auch, dass unsere Analyse weit in die Vergangenheit reicht. 
Wir konnten daher nach den Fingerabdrücken solarer Variabilität suchen. Ein 
solcher Fingerabdruck fehlt. Der IPCC hatte noch die Möglichkeit beschrieben, 
dass Veränderungen des eingestrahlten Lichts die kleine Eiszeit beendet haben 
könnten - eine kühle Phase vom 14. Jahrhundert bis ungefähr 1850. Unsere Daten 
sprechen aber sehr dafür, dass die Erwärmung der vergangenen 250 Jahre nicht 
durch Veränderungen auf der Sonne ausgelöst wurde. Diese Schlussfolgerung ist 
im Nachhinein betrachtet nicht allzu überraschend: Wir haben aus 
Satellitenmessungen gelernt, dass die solare Aktivität die Helligkeit der Sonne 
kaum verändert.

Wie sicher ist also die Aussage, wonach die Menschheit für die Erwärmung 
verantwortlich sei? Die Kohlendioxid-Kurve passt besser zur gemessenen 
Erwärmung als jede andere, die wir ausprobiert haben. Ihre Größenordnung steht 
im Einklang mit dem errechneten Treibhauseffekt - also der zusätzlichen 
Erwärmung durch Wärmestrahlung, die der Atmosphäre nicht entkommen kann. Diese 
Tatsachen beweisen keine Kausalität, und sie sollten Skepsis nicht beenden, 
aber sie heben die Hürde an: Um ernsthaft geprüft zu werden, muss eine 
alternative Erklärung mindestens so gut zu den Daten passen, wie es bei 
Kohlendioxid der Fall ist.

Wenn wir noch Methan, ein weiteres Treibhausgas, zu unserer Analyse 
hinzunehmen, ändert sich das Ergebnis nicht. Außerdem beruht unsere Auswertung 
nicht auf den komplexen globalen Klimamodellen, also den gewaltigen 
Computerprogrammen, die für ihre verborgenen Annahmen und anpassungsfähigen 
Parameter berüchtigt sind. Unsere Aussage stützt sich nur auf die enge 
Übereinstimmung der beobachteten Temperaturzunahme mit dem bekannten Anstieg 
von Treibhausgasen.

Skeptisch gegenüber alarmistischen Behauptungen

Es ist die Pflicht jedes Wissenschaftlers, skeptisch zu sein. Ich finde immer 
noch viele, wenn nicht die meisten der Effekte, die dem Klimawandel zugerechnet 
werden, spekulativ, übertrieben oder einfach falsch. Ich habe einige der 
alarmistischsten Behauptungen analysiert, und meine Skepsis ihnen gegenüber hat 
sich nicht geändert.

Für den Hurrikan Katrina, der 2005 New Orleans zerstörte, kann die globale 
Erwärmung nicht verantwortlich gemacht werden. Die Zahl der Hurrikane, die die 
USA treffen, hat ab- und nicht zugenommen; das Gleiche gilt für Tornados. Die 
Eisbären sterben nicht wegen des zurückgehenden Eises, und die Gletscher im 
Himalaya werden nicht bis 2035 schmelzen. Es ist außerdem möglich, dass es 
heute nicht wärmer ist als vor tausend Jahren, während der Mittelalterlichen 
Warmzeit, einer Phase erhöhter Temperaturen, die aus historischen 
Aufzeichnungen und Baumringen bekannt ist. Die jüngste Hitzeperiode in den USA 
wird durch Abkühlung in anderen Teilen der Erde mehr als ausgeglichen - ihre 
Verbindungen zur globalen Erwärmung ist also schwächer als heikel.

Die sorgfältige Auswertung durch unser Team füllt fünf wissenschaftliche 
Aufsätze, die online unter berkeleyearth.org zu finden sind. Diese Seite zeigt 
auch eine Grafik der Temperaturen von 1753 bis heute mit den eindeutigen 
Fingerabdrücken von Vulkanen und Kohlendioxid, aber ohne eine Komponente, die 
zur Sonnenaktivität passt. Vier unserer Studien sind von der wissenschaftlichen 
Gemeinde eingehend geprüft worden, und die neueste mit der Analyse der 
menschlichen Komponente steht zusammen mit Daten und benutzten 
Computerprogrammen zum Download bereit. Solche Offenheit ist das Herz der 
wissenschaftlichen Methode; wenn Sie unsere Schlussfolgerungen nicht plausibel 
finden, melden Sie uns jegliche Fehler in den Daten oder ihrer Auswertung.

Was passiert in der Zukunft? Solange die Emissionen von Kohlendioxid wachsen, 
dürften auch die Temperaturen steigen. Ich erwarte eine gleichmäßige Erwärmung 
um ungefähr 0,8 Grad Celsius in den kommenden 50 Jahren über den Kontinenten; 
die Zahl ist niedriger, wenn die Ozeane eingeschlossen werden. Aber falls China 
seinen rapiden Aufschwung fortsetzt und seinen Kohleverbrauch nicht drosselt, 
dann könnte diese Erwärmung auch in weniger als 20 Jahren stattfinden.

Ich hoffe, dass die Berkeley-Earth-Analyse dazu beiträgt, die wissenschaftliche 
Debatte über die globale Erwärmung und die menschliche Verantwortung 
beizulegen. Danach kommt der schwierige Teil: sich über das politische und 
diplomatische Spektrum hinweg zu einigen, was getan werden kann und sollte.


Richard Muller ist Physik-Professor an der University of California in Berkeley 
und ehemaliger Fellow der MacArthur-Stiftung. Das "Berkeley Earth Surface 
Temperature Project" geht auf seine Initiaive zurück. Sein jüngstes Buch heißt: 
"Energy for Future Presidents: The Science Behind the Headlines". 

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