taz
https://taz.de/Biologin-ueber-Amazonasbraende/!5619405/
* 31. 8. 2019
Biologin über Amazonasbrände
„Unser Verbrauch ist zu hoch“
Den eigenen Lebensstil im Auge behalten: Warum Europas Ratschläge für den
Schutz des Amazonasregenwaldes unglaubwürdig sind, erklärt die Biologin Jutta
Kill
INTERVIEW: HEIKE HOLDINGHAUSEN
taz: Frau Kill, der Amazonaswald brennt, die Öffentlichkeit ist empört darüber
[1], dass Brasiliens Präsident keine Hilfe annehmen wollte. Gibt es eine
gemeinsame, globale Verantwortung für Urwälder?
Jutta Kill: Das hängt davon ab, was „gemeinsame Verantwortung“ bedeutet. Im
Sinne der G7 heißt es, Geld für Löschflugzeuge nach Brasilien zu schicken oder
den Brasilianern gut gemeinte Ratschläge zu erteilen.
Wäre es vorstellbar, Umweltthemen wie Waldbrände im Sicherheitsrat zu
diskutieren? UN-Truppen löschen gegen den Willen Brasiliens die Brände am
Amazonas?
Das ist doch albern. Die Zerstörung des Waldes findet nicht derzeit statt. Vor
vier, fünf Monaten sind die Traktoren, mit Ketten bespannt, durch den Regenwald
gefahren und haben Bäume umgerissen. Monatelang lagen die Stämme abgeholzt zum
Trocknen auf den zerstörten Flächen, jetzt werden sie abgebrannt. Während der
Wald wirklich vernichtet wurde, haben die EU-Staaten ein Mercosur-Abkommen
ausgehandelt und unterzeichnet, das nur pro forma Nachhaltigkeit fordert. Erst
seit die Medienöffentlichkeit auf Qualmwolken blickt, ist sie empört. Bei der
„Verantwortung der Welt“ für Wälder, sei es am Amazonas oder in Sibirien, ging
es bisher nie um unsere eigene Verantwortung.
Die Europäer sollen erst mal vor ihrer eigenen Haustür kehren?
Man kann nicht einerseits Waldschutz fordern und andererseits einen Lebensstil
pflegen, der nur mit Waldvernichtung zu bezahlen ist. Massentierhaltung und
Fleischkonsum bei uns werden möglich durch Soja- und Rindfleischimporte, die
Regenwald am Amazonas zerstören. Die Urwälder des Nordens fallen unserem Hunger
nach Papier und Verpackungsmaterial zum Opfer, und Fertigessen gibt es nur mit
Palmöl - was Kahlschlag in den Wäldern Indonesiens und Malaysias bedeutet. Von
„globaler Verantwortung“ zu sprechen ist genauso bequem, wie Russland,
Indonesien und Brasilien Vorschriften zu machen. Unser Konsumverhalten zu
ändern ist deutlich unbequemer. Dass wir da nicht drangehen, macht gute
Ratschläge aus Europa unglaubwürdig.
Andererseits wollen schon 10-Jährige heute kein Nutella mehr essen, weil Palmöl
darin ist. Ist da nicht etwas in Bewegung?
Das stimmt, Sojaschrot und Palmöl haben Imageprobleme. Aber schon bei Laptops
fragt kein Mensch mehr, ob die Metalle dafür vielleicht aus dem Bergbau in der
Konfliktregion im Kongobecken kommen. Dabei zerstört auch er in großem Maßstab
Regenwald, und auch dort brennt es regelmäßig. Die Brände sieht man nur nicht,
weil sie im Wald glimmen und keine großen Rauchwolken verursachen wie in
Brasilien. Doch sie töten Bäume und zerstören wertvollen Wald. Übrigens
verbrennen auch wir unseren Wald, als Pellets im Ofen.
Holz ist ein nachhaltiger Energieträger und ein ökologischer, nachwachsender
Rohstoff.
Wir haben hier einen ganz klaren Zielkonflikt. Wenn ich mir anschaue, was Land
und Wald künftig leisten sollen, dann ist jede Fläche doppelt und dreifach
verplant. Wald soll Habitat sein für Biodiversität, Kohlenstoffspeicher gegen
den Klimawandel, angeblich nachhaltiger Rohstoff für Energiegewinnung, Bauen,
Möbel, Verpackungen und so weiter. Das geht nicht.
Lässt sich dieser Konflikt lösen?
Nur indem wir weniger verbrauchen. Unser Materialdurchsatz ist viel, viel zu
hoch. Bis jetzt entziehen wir uns diesem Zielkonflikt in der öffentlichen
Debatte. Außerdem müssen wir die internationalen Instrumente zum Waldschutz
überdenken. Das Programm REDD zum Beispiel versagt völlig.
REDD steht für Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation.
Das Programm soll Aufforstung und Waldschutz finanzieren.
Ja, aber das gelingt nicht. Zurzeit bekommen Landbesitzer aus dem Programm 5
Dollar pro Tonne angeblich eingespartem CO2. Wenn die großen Landbesitzer
weiterhin den Wald roden und Soja anbauen oder Rinder grasen lassen, verdienen
sie viel mehr. REDD hat einzig die kleinbäuerliche Landwirtschaft in den
Regenwaldregionen eingeschränkt. Sie arbeiten dort traditionell mit
Brandrodung. Aber das sind kleine Flächen, die nach einiger Zeit wieder
zuwachsen. Sie zerstören den Wald nicht. Dramatisch ist, dass REDD
internationale Waldschutzprogramme der Entwicklungszusammenarbeit ersetzt hat,
die wirkungsvoll waren, etwa weil sie die Landrechte indigener Völker gestärkt
haben. Die jetzige Krise gilt es zu nutzen, um die bestehenden Instrumente der
Entwicklungszusammenarbeit rigoros auf den Prüfstand zu stellen.
Welche funktionieren Ihrer Meinung nach?
Legen Sie in Amazonien mal eine Karte von den Waldbränden über eine Karte mit
den rechtlich gesicherten Territorien der indigenen Bevölkerung. Siehe da: Dort
brennt es deutlich weniger,