NABU-PRESSEMITTEILUNG | NR 87/20 | 19. OKTOBER 2020

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Bericht zur Lage der Natur in Europa

EU verfehlt eigene Ziele zur Artenvielfalt

Krüger: EU-Abgeordnete und Agrarminister stimmen diese Woche über
Zukunft der Ökosysteme ab

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Berlin/Brüssel: Die Europäische Union hat ihre vor zehn Jahren
gesetzten Ziele zur Wiederherstellung der Biologischen Vielfalt bis 2020
weit verfehlt. Zu diesem Ergebnis kommt der heute veröffentlichte
Bericht zur „Lage der Natur“, in dem die Europäische Umweltagentur alle
sechs Jahre die offiziellen Berichtsdaten der Mitgliedstaaten
zusammenfasst. Aus dem angestrebten Stopp des Artensterbens wurde eine
weitere Verschlechterung von fast einem Drittel der untersuchten Tier-
und Pflanzenarten sowie wichtiger Lebensräume. Auch die Ziele zur
Erholung von zumindest einem Teil der Bestände wurden verfehlt. Die
EU-Umweltagentur legt dar, dass die Landnutzung oft die Erfolge des
Naturschutzes konterkariert. 

 

„Die heute veröffentlichten Daten zeigen klar: Nur Schutzgebiete und
Artenhilfsprogramme werden die Natur nicht retten. Ohne eine Wende in
der Landwirtschaft werden wir es nicht schaffen“, so NABU-Präsident
Jörg-Andreas Krüger. „Die Chance, den Biodiversitätsverlust in der
Agrarlandschaft aufzuhalten, besteht jetzt. Jede und jeder Abgeordnete
des Europäischen Parlaments muss sich diese Woche bei der Abstimmung zur
künftigen EU-Agrarpolitik fragen, ob sie oder er diese Chance
verstreichen lassen will. Wer jetzt nicht für eine ökologische Wende im
Fördersystem stimmt, macht sich mitverantwortlich für die
Naturzerstörung der nächsten Jahre und für die sich fortsetzende
ökonomische Misere der Agrarbetriebe.“

 

In dieser Woche stimmen der Rat der Landwirtschaftsminister der EU und
das Europäische Parlament über die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) bis
2027 ab. Die GAP bestimmt über die Verteilung von Subventionen in Höhe
von fast 60 Milliarden Euro jährlich wesentlich, welche Art der
Landwirtschaft sich für Betriebe wirtschaftlich lohnt.

 

Der EU-Bericht zur Lage der Natur benennt die Intensivlandwirtschaft
klar als Hauptverursacherin des Artensterbens. Die auf
Ertragsmaximierung ausgerichtete Bewirtschaftung, der Mangel an Hecken,
Feldrainen und Brachen, Veränderungen im Wasserhaushalt und der Eintrag
von Pestiziden und Düngung rauben vielen Artengruppen Nahrung und
Lebensraum. 

 

Besonders gefährdet ist laut Bericht das artenreiche Grünland: Düngung,
intensive Beweidung aber auch der Verlust von Wiesen und Weiden werden
hier als Hauptprobleme benannt. In der Folge gehen mit den
Insektenpopulationen auch die Bestäubungsleistungen stark zurück, von
denen große Teile der Landwirtschaft abhängen.


„Die Biodiversitätsziele der EU für 2020 konnten auch deshalb nicht
erreicht werden, weil die GAP-Subventionen weiterhin diejenigen
Landwirtschaftsbetriebe benachteiligen, die Rücksicht auf Natur und
Klima nehmen“, so der NABU-Präsident. „Die Abgeordneten des Europäischen
Parlaments stimmen diese Woche mit der GAP-Reform auch über das Wohl und
Wehe unserer Ökosysteme ab. Sie verantworten, ob wir als Steuerzahler
künftig eine naturverträgliche Landwirtschaft fördern oder weiter ein
sozial, ökonomisch und ökologisch zerstörerisches Rennen um die größten
Produktionsmengen zum niedrigsten Preis.“

 

Der NABU fordert, übereinstimmend mit dem neuen EU-Bericht, einen
zehnprozentigen Anteil von nicht-produktiven Flächen und
Landschaftselementen in der Agrarlandschaft. Ein Kompromisspapier der
konservativen, sozialdemokratischen und liberalen Parteien sieht bisher
vor, genau dies nicht zuzulassen.


„Trotz großer Anstrengungen rinnt uns die Biodiversität in Europa durch
die Finger, und mit ihr die Basis für gesunde, leistungsfähige
Ökosysteme, die uns mit ihren vielfältigen Leistungen auch in Zeiten
des Klimakrise zur Verfügung stehen können“, so Krüger. 

 


Hintergrund

Auf der globalen Biodiversitätskonferenz von Nagoya 2010 hatten sich
die EU-Staaten verpflichtet, den Schwund von Tieren, Pflanzen und ihren
Lebensräumen in Europa bis zum Ende des Jahrzehnts aufzuhalten. In einer
eigenen Biodiversitätsstrategie setzte sich die EU ein Jahr später
konkrete Etappenziele zur Wiederherstellung der Artenvielfalt. So sollte
sich der Anteil der als gut oder sich verbessernd bewerteten Lebensräume
verdoppeln, bei den Arten war eine Steigerung um immerhin 50 Prozent
vorgesehen. Trotz vieler erfolgreicher Naturschutzprojekte fehlten bis
zum Ende des Jahrzehnts noch bis zu einem Fünftel der angestrebten
Verbesserungen.

 

Die EU-Biodiversitätsziele für 2020 sahen im Einzelnen vor, dass… 


für ein Drittel aller EU-Lebensraumtypen ein günstiger oder zumindest
sich verbessernder Zustand erreicht würde, realisiert wurde das nur für
22 Prozent. Gleichzeitig haben sich 32 Prozent in den letzten sechs
Jahren weiter verschlechtert und nur 15 Prozent aller Lebensraumtypen
befinden sich in dem gemäß FFH-Richtlinie anzustrebenden „günstigen
Erhaltungszustand“. Grünlandhabitate weisen besonders schlechte
Bewertungen auf, die Hälfte von ihnen sind in einem schlechten
Erhaltungszustand. Insbesondere die für Bestäuber wichtigen
Grünlandtypen sind in einem besonders schlechten Zustand.


für 80 Prozent aller wildlebenden Vogelarten zumindest ein (vom
Aussterben) sicherer Zustand, oder zumindest eine deutliche Verbesserung
erreicht wird. Realisiert wurde das nur für 60 Prozent der Arten.
Insgesamt nehmen aber weiterhin mehr Vogelarten ab als zu. Der Anteil
der Arten in einem sicheren Zustand sank in den letzen sechs Jahren von
52 Prozent auf 47 Prozent.
Dramatisch ist die Situation für die Vogelarten der Agrarlandschaft:
Ihr 25-Jahrestrend (Agrarvogelindex) zeigt einen Rückgang von 32
Prozent, ohne jedes Anzeichen von Erholung.


für 35 Prozent aller anderen von der EU geschützten Tier- und
Pflanzenarten ein günstiger oder sich verbessernder Zustand erreicht
wird. Dieses Ziel ist nur um zwei Prozent verfehlt worden, was aber
nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass sich gleichzeitig bei 31 Prozent
aller untersuchten Arten der Zustand verschlechterte. Nur ein gutes
Viertel (27 Prozent) aller Arten befindet sich im angestrebten
„günstigen Erhaltungszustand“, dagegen 21 Prozent in einem
schlechten und 42 Prozent in einem unzureichenden Erhaltungszustand.

 


Situation in Deutschland 
(vgl. auch Analyse des deutschen Berichts zur Lage der Natur von 2019:
https://www.nabu.de/natur-und
landschaft/naturschutz/deutschland/28153.html
(
https://www.nabu.de/natur-und%20landschaft/naturschutz/deutschland/28153.html)
)

 

Besonders schlecht sieht es für die Lebensräume aus, insbesondere
Grünlandhabitate, die für bestäubende Insekten wichtig sind. In
Deutschland sind fast 70 Prozent der von der EU geschützten
Lebensraumtypen in einem ungünstigen Zustand (37 Prozent schlecht, 32
Prozent unzureichend).


Deutschland befindet sich unter den Schlusslichtern in der EU, was den
Zustand von geschützten Arten unter der FFH-Richtlinie (Pflanzen und
Tiere außer Vögel) angeht: Nur sieben EU-Staaten haben mehr als 30
Prozent von ihnen in einem schlechten Erhaltungszustand. Der Wert ist in
Deutschland verglichen mit dem letzten Bericht von 29 Prozent auf 33
Prozent sogar gestiegen. Hinzu kommen weitere 30 Prozent in einem
unzureichenden Erhaltungszustand, nur 25 Prozent weisen den EU-rechtlich
vorgesehenen günstigen Zustand auf.


Insgesamt 25 von 37 Säugetierarten, die laut FFH-Richtlinie besonders
schützenswert sind, befinden sich in einem schlechten oder
unzureichenden Erhaltungszustand. Nur acht Arten können derzeit ihren
günstigen Zustand halten, dazu gehören unter anderem der Baummarder,
die Wasserfledermaus und der Biber (nur in der kontinentalen Region).

Bei den Vogelarten haben sich die Bestandsrückgänge in Deutschland in
den letzten zwölf Jahren erheblich beschleunigt. In Deutschland nimmt
rund ein Drittel aller Vogelarten ab, ein Drittel nimmt zu und ein
Drittel bleibt etwa stabil. Zu den Verlierern gehören vor allem die
Vögel der Agrarlandschaft, wie Rebhuhn und Kiebitz, die seit 1980
rund 90 Prozent ihrer Bestände eingebüßt haben.


Für Rückfragen:
Konstantin Kreiser, Leiter EU-Naturschutzpolitik, Tel. +49 (0)172. 41
79 730, E-Mail: konstantin.krei...@nabu.de
 
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