http://www.dradio.de/dlf/sendungen/umwelt/1834932/

Deutschlandfunk - 09.08.2012

Pflanzenschutzmittel gefährden EU-Gewässer

Studie: EU-Zulassung für Pflanzenschutzmittel ist unzureichend

Von Ludger Fittkau

Mit dem "EU-Zulassungsverfahren für Spritzmittel in der Landwirtschaft" sollen 
vor allem Gewässer geschützt werden. Werden sie aber nicht - sagen jetzt 
Forscher aus Koblenz. Das EU-Verfahren sei schlicht wirkungslos, weil es auf 
falschen Berechnungen beruhe.

Es gibt mehr Insektizide in europäischen Gewässern, als die EU wahrhaben will, 
die für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln zuständig ist. Das ist der 
brisante Kern der Studie [1], die jetzt Umweltwissenschaftler der Universität 
Koblenz-Landau vorgelegt haben. Professor Ralf Schulz, Leiter der 
Forschergruppe, fordert die EU deshalb auf, ihr Grenzwert-Berechungsmodell bei 
der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln schnellstens zu überprüfen und ab 
sofort zur Sicherheit den Grenzwert für Gewässerbelastungen vorsichtshalber um 
ein Zehnfaches zu erhöhen:

  "Wenn man jetzt dieses Modell auf den Prüfstand stellt oder eben die 
Konzentration mit dem Sicherheitsfaktor von Zehn versieht, kann das einige der 
Insektizidwirkstoffe, die derzeit zugelassen sind, nicht mehr zulassungsfähig 
wären."

Das ist bedrohlich für die Hersteller von Insektiziden und die haben deshalb 
sofort auf die Landauer Studie reagiert: Die im Industrieverband Agrar (IVA) 
zusammengeschlossenen Unternehmen der deutschen Pflanzenschutz-Industrie haben 
umgehend angekündigt, die Landauer Studie "zügig analysieren" zu wollen. Schon 
in der Vergangenheit habe die Industrie regelmäßig Fortbildungsveranstaltungen 
für Landwirte angeboten, um einen Gewässer schonenden Einsatz von Spritzmitteln 
zu erreichen, heißt es in einer Stellungnahme. Im Übrigen stammten viele Daten 
der Landauer Studie nicht aus Europa und es sei fraglich, ob die Ergebnisse der 
deutschen Forschergruppe wirklich auf die hiesigen Bedingungen anwendbar seien.

Der Umweltwissenschaftler Ralf Schulz zur Methode, mit der die Landauer Gruppe 
ihre neuen, besorgniserregenden Erkenntnisse gewonnen hat:

  "Zunächst mal hatten wir aus mehreren anderen Untersuchungen den Eindruck, 
dass es ab und in Gewässern höhere Insektizid-Konzentrationen gibt, als dort 
eigentlich sein dürften. Und dann haben wir uns dieser Sache systematisch 
angenommen und haben versucht, die Literatur zusammenzutragen, die dazu etwas 
sagt und die solche Konzentrationen untersucht hat und die dann zu vergleichen 
mit den Werten, die die EU für die gleiche Situation herausfinden würde. Und 
haben dann durch den Vergleich festgestellt, dass die tatsächlichen 
Konzentrationen manchmal höher sind, als die vorhergesagten."

Ralf Schulz und sein Team führen das ein auf möglicherweise mangelhaftes 
Berechnungsmodell der EU zurück. Diese sogenannte "FOCUS"-Methode, die seit 
einigen Jahrzehnten von den europäischen Behörden bei der Insektizid-Zulassung 
eingesetzt werde, gehöre nun auf den Prüfstand, fordert der Landauer 
Umweltwissenschaftler. Doch das alleine reicht nicht, um die Gewässer besser 
vor den Pestiziden aus der Landwirtschaft zu schützen, sagt er:

  "Zum anderen muss man darüber nachdenken, ob die Landwirtschaft sich immer an 
die Vorgaben hält, die bei der Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln gefordert 
sind und ob dort die Abstandsvorgaben immer eingehalten werden. Wenn man das 
Ganze optimieren möchte, könnte man auch sagen, man sollte verbindliche 
Abstandstreifen im Sinne von Äckern oder Grasstreifen zu Gewässern anlegen, 
dann können die Landwirte dort nicht mehr anwenden, sie hätten dann weniger 
Fläche zur Verfügung, aber es wäre effektiv."

Professor Ralf Schulz glaubt, dass die EU und die Hersteller von 
Pflanzenschutzmitteln die Ergebnisse der Landauer Studie seriös prüfen werden, 
wie sie es jetzt angekündigt haben:

  "Genau, ich denke, dass es insgesamt auch bei der Industrie so sein wird, 
dass sie ein großes Interesse daran hat, dass wir nicht tagtäglich mit 
Meldungen konfrontiert werden, dass die Gewässer mehr belastet sind, als es 
eigentlich notwenig ist. Und sie als Zulassungsinhaber, die Industrie, hat 
sicherlich ein großes Interesse daran, deswegen da mitzuarbeiten mit den 
Behörden, die Situation sich noch einmal genau anzuschauen und an den Stellen, 
an denen es notwendig ist, nachzubessern und dementsprechend im Sinne eines 
fürsorgenden oder vorausschauenden Umweltschutzes dafür zu sorgen, dass solche 
Situationen künftig weniger oder gar nicht mehr auftreten."

--

LINKS [Red.] 

[1] 
http://www.uni-koblenz-landau.de/aktuell/archiv-2012/pm-eu-zulassung-pflanzenschutzmittel/view
 


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http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/landwirtschaft-gewaesser-an-aeckern-massiv-mit-insektiziden-belastet-a-848725.html
 

Der Spiegel - 07.08.2012

Landwirtschaft

Gewässer an Äckern massiv mit Insektiziden belastet

Forscher haben Gewässer an deutschen Äckern auf Insektizide geprüft - und 
melden erschreckende Befunde. Die Giftbelastung liegt teilweise um ein 
Vielfaches über den vorausberechneten Werten. Dabei wurde das 
Zulassungsverfahren erst vor drei Jahren eingeführt

Von Christian Gruber

Insektenvernichtungsmittel sind in der Landwirtschaft weit verbreitet - und 
äußerst toxisch. Gelangen größere Mengen zum Beispiel durch Regen in Flüsse und 
Seen, können sie Tiere absterben lassen und auch für Menschen zur Gefahr 
werden. Erst 2009 haben die EU und Deutschland eine neue Vorschrift erlassen, 
wie und in welcher Dosierung neue Insektizide aufgebracht werden müssen. Vor 
der Markteinführung werden Laborergebnisse und Freilanderhebungen mit Hilfe 
eines mathematischen Modells verrechnet; am Ende steht eine Prognose über die 
erwartete Insektizidbelastung.

Doch jetzt stellt sich heraus, dass das Verfahren möglicherweise nichts taugt. 
Das zumindest legt eine aktuelle Studie der Universität Koblenz-Landau nahe, 
die demnächst in der Fachzeitschrift "Environmental Science & Technology" 
erscheint.

Das Forscherteam um den Umweltwissenschaftler Ralf Schulz verglich in 122 
Fällen die Insektizidmenge, die in Gewässern um die Äcker herum tatsächlich 
gemessen wurde, mit den Werten, die im Zulassungsverfahren vorhergesagt worden 
waren. "Das Ergebnis ist besorgniserregend", sagt Schulz zu SPIEGEL ONLINE. "In 
bis zu vier von zehn Fällen ist die tatsächliche Belastung der Gewässer höher 
als vorausberechnet. Bei neuen Insektiziden liegt diese Quote sogar darüber."

Die Messwerte hätten in manchen Fällen die prognostizierten Mengen um das Zehn- 
bis Tausendfache überschritten. "Das Modell hat nichts mit der Realität zu 
tun", sagt Schulz. "Die bisherigen Validierungen sind nicht imstande, das Ganze 
richtig zu bewerten." Wie groß die Gesundheitsgefahr genau ist, lasse sich 
allerdings nur schwer sagen. Denn anders als für Trinkwasser gibt es für 
Oberflächengewässer laut Schulz keine Insektizid-Grenzwerte.

Keine ausreichenden Kontrollen

Die überhöhten Konzentrationen, die jetzt in der Umwelt gemessen wurden, 
könnten neben fehlerhaften Berechnungen noch andere Gründe haben, vermuten die 
Landauer Umweltwissenschaftler: Landwirte halten möglicherweise die 
Vorschriften beim Ausbringen nicht ein, oder die Gebrauchsanweisungen der 
Hersteller sind zu ungenau. Würden die Bauern etwa durch Hecken gezwungen, 
breite Randstreifen um die Felder herum vom Anbau und damit auch von 
Spritzmitteln freizuhalten, könnte das die giftigen Substanzen von den 
Gewässern fernhalten. "Derzeit kann aber so gut wie nicht kontrolliert werden, 
ob der Landwirt die Gewässerschutzvorgaben tatsächlich einhält", meint Schulz.

Höhere Konzentrationen als vorhergesagt haben die Landauer Forscher etwa bei 
den Insektiziden Chlorpyrifos, Cypermethrin und Fenvalerate gefunden. "Die 
Industrie muss ihrer Verantwortung für einen vorsorgenden Umweltschutz gerecht 
werden", fordert Schulz. "In jedem Fall brauchen wir auch in Deutschland mehr 
unabhängig gewonnene Daten zur Belastung von Gewässern mit 
Pflanzenschutzmitteln."

Bis die Ursachen eindeutig geklärt sind, sollten beim Zulassungsverfahren die 
derzeit gültigen Werte für die vorhergesagten Insektizid-Konzentrationen 
vorsichtshalber um das Zehnfache erhöht werden, um bei den Prognosen einen 
Sicherheitspuffer nach oben zu haben und um damit die Gewässer zu schützen, 
schlagen Schulz und seine Kollegen vor. Außerdem könne man einen nicht 
landwirtschaftlich genutzten Randstreifen von fünf bis zehn Metern Breite 
zwischen Ackerfläche und Gewässer vorschreiben.

Damit machen sich die Wissenschaftler genau für das stark, worauf man in 
Deutschland bei der Überarbeitung des Pflanzenschutzgesetzes im Jahr 2011 
verzichtet hatte.

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