der Freitag

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Alles so schön grün hier

 

Kathrin Hartmann klärt in „Die Grüne Lüge“ über das Greenwashing der Konzerne 
auf

 

Stefan Gleser

 

Die gepflegte Hand, die blasierte Hand, die ganz bewusst das Bio-Produkt aus 
fairem Handel wählt, lässt sich am leichtesten betrügen: „Je gebildeter die 
Zielgruppe, je schädlicher das Produkt ist und je absurder das daran geknüpfte 
Öko-Versprechen, je offensichtlicher also die grüne Lüge ist, desto eher wird 
sie geglaubt“, schreibt Kathrin Hartmann in ihrem neuen Buch.

 

„Wir können eine gerechtere und nachhaltigere Welt für uns alle schaffen“, 
plappert Unilever. „Nachhaltigkeit ist ein Teil unserer Strategie“, plappert 
IKEA. Die Konzerne, die sonst vor lauter Innovation und Kreativität nicht gehen 
können, haben den Wortschatz des erbosten Oberförsters vor dreißig Jahren 
geklaut. Kritischen Geist aufzusaugen und zu zähmen ist eine unbestreitbare 
Fähigkeit des Kapitals. Freilich hat das Bioblabla nur einen milden Bezug zur 
Wirklichkeit.

 

Hartmann untersucht nun, welche katastrophalen Auswirkungen das Greenwashing 
auf Umwelt, Arbeit und Bewusstsein hat.

 

Damit Greeenwashing klappt, muss es mit einem Tropfen Wahrheit gesalbt werden. 
Als Beispiel wählt Hartmann BP. Die Mineralölfirma schminkte sich ein neues 
Image an, das um ein Vielfaches teurer war als die paar Solaranlagen auf 
Tankstellen. Dazu gab es einen neuen Namen: von British Petroleum zu Beyond 
Petroleum - jenseits von Erdöl. BP propagiert eine „Low-Carb-Diät“ - was auch 
immer das bedeuten mag -, verlieh der Windkraft Flügel und steckte die Kraft 
der Sonne in die Zelle. BP stand kurz davor, uns zu ethischen Konsumenten zu 
optimieren. Dann passierte im April 2010 die Sache mit Deepwater Horizon, einer 
Ölplattform im Golf von Mexiko. Elf Arbeiter starben, 780 Millionen Öl flossen 
ins Meer.

 

„Im Golf von Mexiko aber ist alles wieder in bester Ordnung. Das sagen 
jedenfalls BP und Behörden“, schreibt Hartmann resigniert. Nach der Katastrophe 
startete das zweite Umweltdesaster. BP begann damit, den Ölteppich mit Corexit 
zu besprühen. Das Gift ist in Großbritannien verboten und seine Langzeitwirkung 
unbekannt. Corexit soll Öl in winzige Teil auflösen, die dann von Mikroben 
gefressen werden. Es war BP gelungen, die Katastrophe unsichtbar zu machen. 
Keine Helfer in Schutzkleidung, keine Teer verklebten Vögel, keine dreckigen 
Strände. Dagegen eine junge Frau, die auf weißem (alabasterfarben wäre selbst 
für BP übertrieben) Sand ins Meer läuft. Der Konzern kaufte sich 
Top-Platzierungen für bestimmte Schlüsselwörter bei Google, Yahoo und Bing. 
„Wer ‚Oil Spill‘ (Ölbohrung) eingab, wurde auf eine Seite von BP verlinkt.“

 

Umso verheerender wirkte Corexit. Hartmann lässt nun jemanden berichten, der 
gewiss nicht im Verdacht steht, ein „hysterischer Umweltschützer“ zu sein. Es 
ist Dean Blanchard, ein Garnelenhändler, der Trump wählte, weil der etwas von 
„Business“ verstehe, der sich wohl selbst als pragmatischen Konservativen 
definieren würde und gerne in dicken Geländewagen rumbrettert. Der ehemalige 
„Shrimpskönig von Louisiana“ über British Pinocchio wie er BP jetzt nennt:

 

„Wir hätten das Öl rausholen können. Unsere Boote standen bereit. Aber sie 
wollten nicht. Es wäre zu teuer gewesen. Ihnen ist die Umwelt egal. Sie denken 
nur an Geld, Geld, Geld.“ Heute ist Blanchard ruiniert. Die Garnelen atmen das 
Öl am Meeresboden ein. Ihre Kiemen sind schwarz gepunktet.

 

Armut ist die wichtigste Ressource

 

Palmöl ist das billigste Fett. Teuer verkauft wird es in Süßigkeiten, 
Fertiggerichten, Snacks und Autotanks. Hauptlieferant ist Indonesien. Dort 
verwüsteten Waldbrände allein 2015 eine Fläche von der doppelten Größe Kretas. 
Fallen die Bäume, steigen die Aktien. „Das Palmölbusiness bringt Armut nicht 
nur hervor, es lebt von ihr. Armut ist seine wichtigste nachwachsende 
Ressource.“

 

Hartmann war mit den Bürgerrechtlern Feri Irawan und Herwin Nasutio auf Sumatra 
und Borneo unterwegs. Gegen das, was sie da sah und hörte, half kein runder 
Tisch auf Augenhöhe, kein Ökosiegel, keine Imponiervokabeln, kein grüner 
Phrasenrausch der Konzerne: Aschefelder, Slums, wasserraubende Monokulturen, zu 
Bäumchenpflanzern degradierte Bauern, gelbe Gewerkschaften, Schlägertrupps und 
Kinderarbeit.

 

Auf Bali, wo der Putsch im Jahr 1965 hunderttausend Kommunisten oder wen man 
dafür hielt mordete, rauben heute Luxushotels, Golfplätze und Swimmingpools für 
die wenigen das Trinkwasser für die vielen. 

 

Hartmann montiert wie in einem Revolutionsfilm aus den zwanziger Jahren des 
vorigen Jahrhunderts: Oben die metallische Eleganz, die emissionsfreien 
Elektroautos und unten die Knochen des Bergmanns aus dem Kongo. Und die 
Bioshrimps aus zertifizierten Handel ruhen auf Zwangsarbeit und zerstörten 
Reisfeldern. Werner Boote, ein Dokumentarist aus Österreich, drehte parallel 
zum Buch einen gleichnamigen Film. Der Schokoladenriegel im Supermarkt erklärt 
dir, wie Wirtschaft funktioniert.

 

Es geht anders - kühn und langfristig

 

„Yasunisierung“ ist ein schwieriges Wort. Es bedeutet aber einfach, dass nach 
Berechnungen der Internationalen Energieagentur „zwei Drittel der fossilen 
Brennstoffe im Boden bleiben müssten, wenn wir vermeiden wollen, dass die 
Temperatur auf der Erde nicht mehr als zusätzliche zwei Grad steigt“. 
Kichwa-Gemeinden im ecuadorianischen Amazonasbecken konnten verhindern, dass in 
ihren Wäldern Erdöl gefördert wurde. Sie erkämpften sich eine Entschädigung vor 
dem Interamerikanischen Gerichtshof wegen Missachtung ihrer Rechte. 

 

Und jetzt kommt der große Auftritt eines überlegenen Systems: Die Kichwa denken 
bei Zukunft an etwas anderes als an den nächsten Quartalsbonus. Kühn und 
langfristig sind ihre Methoden. „In den sieben Schulen lernen Kinder und 
Jugendliche mehrere Sprachen, besuchen Fotokurse und Computerklassen. Es gibt 
sogar, in Zusammenarbeit mit der ecuadorianischen Universität Cuenca und der 
spanischen Universität Lleida, ein Hochschulprogramm.“ Zudem investierten die 
Kichwa in modernste Kommunikation und in eine Genossenschaftsbank, die sich 
überraschenderweise nicht für systemrelevant erklärt und darum ihren 
Finanzbedarf auch nicht bei der öffentlichen Hand deckt. Der Vorschlag der 
Kichwa, man solle weiter planen als bis zum Börsenschluss, fand Beifall von den 
Lofoten über das Nigerdelta bis nach Lanzarote.

 

Die Brände in den Textilfabriken machen weiter, die Waldrodungen machen weiter, 
die Armut macht weiter, das Plastik macht weiter, der Hunger macht weiter, die 
Erderwärmung macht weiter. Das klappt, weil die Werbeclips mit den Stars 
weitermachen, die Plüschpandas weitermachen, die Recycling-Start-ups 
weitermachen, die Elektroautos weitermachen, die Ozean-Jeans weitermachen und 
die authentische Moral im Supermarktregal weitermacht. Hartmann traf nun Leute, 
die schon längst nicht mehr mitmachen. Der US-amerikanische Linguist Noam 
Chomsky redet über das Kleine und das ganz Große: Den Vorschlag der Industrie, 
Stoffbeutel statt Plastiktüten zu verwenden, solle man annehmen, aber 
gleichzeitig die damit verbundene Propaganda ablehnen. 

 

Dann zum Hauptübel. Chomsky über Eigentumsverhältnisse: „Die reichsten acht 
Menschen besitzen so viel wie die halbe restliche Menschheit. Die Macht über 
alle wichtigen Entscheidungen liegt bei denen, die das Kapital kontrollieren.“

 

Weiter südlich wehrt sich der der peruanische Bauer Saul Luciano Lliuya gegen 
die RWE. Ihm ist es gelungen, den Energieriesen vor einem deutschen Gericht zu 
verklagen. „Denn RWE ist der größte CO₂-Emittent Europas.“ Luciano spürt die 
Folgen des Klimawandels. Die Gletscher schmelzen in den Anden und der Damm, der 
seinen Ort schützt, wird durch die ständig größer werdenden Seen brüchiger. Das 
Oberlandesgericht Hamm hat Lucianos Klage angenommen.

 

Unangebrachte Schmusekurse

 

Ein Siegel brauchen Produkte, die sich beweisen müssen. Der Apfel vom Hofladen 
des Bauern benötigt keines. Hartmann kritisiert den „Schmusekurs“ mancher 
Umweltschutzorganisation gegenüber den Konzernen.

 

Greenwashing produziert im Norden weit mehr Unfug als die Waldorfschulklientel, 
die Biocapuccino ordert. Es befördert die „Selbstveredelung“ und „Distinktion“ 
- also genau jene Dinge, die das Milieu für seinen Seelenhaushalt braucht, wenn 
es wirtschaftlich so unbesorgt nicht ist - und beschleunigt die Atomisierung 
der Gesellschaft. „Denn erstens wird aus einzelnen Einkaufsentscheidungen 
zwischen verschiedenen vermeintlich grünen Massenprodukten kein kollektives 
Ganzes, sondern höchstens ein privates gutes Gewissen. Zweitens tötet es jede 
Solidarität, wenn der Einzelne in einen moralischen Wettbewerb gegen den 
Nächsten geschickt wird, in dem der ‚gute‘ auf den ‚bösen‘ Verbraucher zur 
eigenen moralischen Erhebung mit dem Finger zeigt.“ Deshalb stützen Sätze wie 
„Jeder kann etwas tun“ oder „Man muss bei sich selbst anfangen“ Greenwashing.

 

Irgendwo habe ich gelesen: Wer die Macht hat, kann alles nach Belieben 
definieren. Das ist Hartmanns große These, die sie mit vielen verständlichen 
Beispielen belegt.

 

Greenwashings Endzweck: Wehe der Minute, in der der Mensch weder Produzent noch 
Konsument ist.

 

Kathrin Hartmann:

Die grüne Lüge

Weltrettung als profitables Geschäftsmodell

Blessing, München 2019

15,00 Euro, 240 Seiten

ISBN: 978-3-89667-609-2

 

 

 

 

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