http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID2759716_NAVSPM1_REF1,00.html
09.12.2003 Interview: Warnung vor digitalem Imperialismus Das US-amerikanische Urheberrecht bedroht die Freiheit im Internet mehr als die Zensur der chinesischen Regierung, sagt Andy Müller-Maguhn vom Chaos Computer Club im Gespräch mit tagesschau.de. Der in den USA ansässigen ICANN - Herrin über Top-Level-Domains - deren Direktoriumsmitglied er ist, bescheinigt er, eindeutig im Interesse der USA zu handeln. Und er spricht klare Worte über die Internet-Überwachung durch die US-Geheimdienste und seine Erwartungen an den UN-Informationsgipfel. tagesschau.de: Was erwarten Sie vom ersten UN-Informationsgipfel? Müller-Maguhn: Alles, was auf dem Gipfel passiert, ist vorher abgestimmt worden, damit ja keiner eine gute Idee äußert und jemand anders sie auch noch unterstützt. Wenn man das Ganze als Forum zum Meinungsaustausch betrachtet, ist es sicherlich gut. Ich habe aber keine Erwartungen, dass etwas beschlossen wird, was die Dinge verbessert. tagesschau.de: Wie weit ist Ihrer Ansicht nach die Meinungsfreiheit im Internet gediehen, zum Beispiel in China? Müller-Maguhn: Die chinesische Regierung versucht, Informationen, die ihr nicht gefallen zu unterdrücken. In den USA geht die Möglichkeit, seine Meinung im Netz zu äußern zwar sehr weit, allerdings ist unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung die Transparenz im Internet dramatisch eingeschränkt worden. Außerdem ist der neue amerikanische Urheberrecht-Schutz alles andere als liberal. Die Verfügbarkeit von Daten wird dadurch eingeschränkt, dass genau geregelt ist, wer auf welche Daten zugreifen kann und wer nicht. Das ist eine viel größere Bedrohung für das Internet als nationalen Empfindlichkeiten politischer Natur, wie zum Beispiel in China. tagesschau.de: Die in den USA ansässige ICANN (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers) entscheidet zum Beispiel darüber, welches Land eine eigene Länder-Domain haben darf und welches nicht. Wird dadurch die Freiheit im Netz nicht noch weiter beschränkt? Müller-Maguhn: ICANN bemüht sich um eine integrative Politik. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich letztlich um eine kalifornische Firma handelt und eben nicht um eine Organisation der Vereinten Nationen. Die Existenz und die Handlungsfreiheit von ICANN ist ganz klar eingegrenzt durch die Empfindlichkeiten der jeweiligen US-Regierung. Man kaschiert die tatsächlichen Machtverhältnisse hinter einer demokratischen Fassade. tagesschau.de: Wenn die US-Politik so großen Einfluss hat, warum hat Tibet noch keine eigene Top-Level-Domain? Müller-Maguhn: Bei Tibet geht es auch um das Verhältnis der USA zu China, und die wirtschaftlichen Interessen der Amerikaner in China sind erheblich. Industriestaaten wollen Absatzmärkte erschließen tagesschau.de: Stichwort: Digital Divide. Die Entwicklungsländer fordern die Einrichtung eines Fonds für Informationstechnologien, in den die Industrieländer einzahlen sollen. Wie beurteilen Sie die Initiative? Müller-Maguhn: Ich finde das begrüßenswert. Auf der anderen Seite muss man sehr vorsichtig sein, weil viele westliche Unternehmen unter dem Vorwand, die digitale Kluft beseitigen zu wollen, de facto Maßnahmen durchführen, die man als digitalen Imperialismus bezeichnen kann. Die Anwendung des amerikanischen Markenrechts oder die Verwaltung der Domains durch ICANN bedeuten, dass westliche, bzw. US-amerikanische Standards durchgesetzt werden. De facto werden die Entwicklungsländer an das von Amerikanern und westlichen Unternehmen dominierte Wirtschaftsgeschehen im Netz angeschlossen. Absatzmärkte erschließen - so kann man das kurz und treffend bezeichnen. tagesschau.de: Wie sehr ist die Überwachung des Internet durch die Geheimdienste seit dem 11. September 2001 gestiegen? Müller-Maguhn: Das Budget der NSA (National Security Agency) ist im Zuge der Terrorismusbekämpfung enorm gewachsen. Man muss sich in Zukunft um den Schutz der Privatsphäre kümmern. Ich denke, daraus wird ein ganzer Wirtschaftszweig entstehen. Man kann heute bereits davon ausgehen, dass bei der Benutzung von öffentlichen Leitungen mindestens zwei Dienste mithören. Das Gespräch führte Sabine Klein, tagesschau.de © 2003 tagesschau.de -- To unsubscribe, e-mail: [EMAIL PROTECTED] For additional commands, e-mail: [EMAIL PROTECTED]