Auf seinem "Patentserver" bewirbt das Bundesministerium für Bildung und
Forschung (BMBF) ein neues Argumentationspapier, das für die
Softwarepatentpolitik des Europäischen Patentamtes und das Richtlinienprojekt
der EU-Kommission argumentiert.

  http://www.patente.bmbf.de/de/pdf/StreitgespraechPro-Kontra.pdf

In seiner Einleitung weist Günter Reiner, langjähriger spiritus rector der
"Verwertungsoffensive" (früher "Patentoffensive") des BMBF, auf die überlegene
Expertise seiner Abteilung in Sachen Patente und auf die Naivität der Kritiker
hin:

  Wir wollen heute über Patente sprechen. Nach meiner Erfahrung verhält es
  sich mit Patenten ähnlich wie mit Religion oder mit Politik: Jeder "kann
  mitreden", auch dann, wenn er wenig darüber weiß. - Wir zwei, Frau
  Hildebrandt und ich, machen ein Rollenspiel für Sie. Wir versuchen, die
  Vor-Urteile, die in der Landschaft verbreitet sind, auszusprechen und durch
  Rede und Gegenrede ein wenig abzubauen.

Zunächst wird eine naturrechtliche Theorie des "Geistigen Eigentums" vertreten
und Patente werden (entgegen üblicher Praxis[1]) dieser Kategorie hinzugerechnet:

  Wir dürften uns einig sein, Erfindungen sind besondere Leistungen
  Einzelner. Nun kann man die Leistung Einzelner sicher wegnehmen oder für den
  Staat konfiszieren; aber wäre das gerecht? Wenn ich Ihnen Ihren selbst
  gestrickten Pullover wegnähme, um ihn meiner Tochter zu geben, wäre das
  Diebstahl. Und wenn ich Ihnen Ihr Manuskript wegnehme, um es unter meinem
  Namen zu veröffentlichen, wäre das geistiger Diebstahl. Warum soll das bei
  einer Erfindung anders sein. Erfindungen sind Geistiges Eigentum und nicht
  Allgemeingut. Warum soll ich mein Geistiges Eigentum nicht wie mein
  materielles Eigentum nutzen können, also selbst über seine Verwendung
  befinden?

Nach einer Folge aus kurzen Schüler-Einwänden und langen
Meister-Entgegnungen kommen die Ministerialbeamten auf Software zu sprechen:

  (Contra) Ich will noch einen anderen Aspekt angesprochen wissen, die
  Patentierung von Software. Die Branche ist doch ein Paradebeispiel dafür, wie
  kontraproduktiv Patente sein können. Wir haben im Bereich der Software schon
  einen Monopolisten, gegen den sich die open source Bewegung mehr oder minder
  erfolgreich wehrt. Wenn aber die vielen guten Programmierer, die ihre
  Ergebnisse frei zur Verfügung stellen, jetzt auch noch befürchten müssen, dass
  sie für ihre Aktivitäten patentrechtlich belangt werden, so ist das doch das
  Ende der Entwicklung. Der Urheberschutz hat sich doch bewährt in diesem
  Bereich.

  [BMBF] In der Tat, das ist ein schwieriges Thema, bei dem sich Rechtliches,
  Fundamentalistisches und Zorn auf Microsoft zu einem Knäuel zusammen
  fügen. Zunächst das Rechtliche: Nach dem Patentgesetz ist Software als solche
  nicht patentierbar. (Ebenso gibt es keine Patente auf Entdeckungen, auf
  wissenschaftliche Theorien und mathematische Methoden, auf Pläne und Regeln,
  auf Spiele, auf Programme für Datenverarbeitungsanlagen.) Diese sind zwar
  nicht prinzipiell ungeschützt, aber gibt es andere gewerbliche
  Schutzrechte. Und für Software galt jahrelang das Dogma: Sie unterliegt dem
  Urheberrechtsschutz. ­ Das ist einerseits vorteilhaft, weil man Urheberschutz
  ohne Anmeldung, ohne Gebühren und Kosten erwirbt. Nachteilig daran ist: Es
  wird nur die konkrete Darstellung geschützt, nicht das Konzept, das zu Grunde
  liegt. In Softwarebegriffen: Nur das Wording, der Code als sprachliches
  Ausdrucksmittel ist durch urheberrechtlich geschützt. (Dieselbe Geschichte,
  aber anders formuliert, ist kein Urheberrechtsverstoß ­ ein arg schwacher
  Schutz für Programmierer und für Software!) 

Mehr zu diesen Argumenten findet sich unter

     http://swpat.ffii.org/analyse/kopie/

Das BMBF argumentiert weiterhin naturrechtlich.  Utilistaristische
Interessenabwägung ist den Patentexperten des BMBF fremd.  Sie produzieren
ihre eigen Denkweise auf einen Fantasiegegner (keineswegs den Gegner im
fingierten "Streitgespräch), der sodann als "Fundamentalist" entlarvt wird.

  (Contra) An dieser Gesetzeslage hat sich doch nichts geändert! 

  [BMBF] Das stimmt. Und dennoch: Seit etwa 10 Jahren hat sich in der Praxis
  der Patentämter ein Wandel vollzogen: Nach jetziger Interpretation ist
  Software zusammen mit der technischen Ausprägung in einem Rechner sehr wohl
  patentrechtlich schützbar. Ein Beispiel: Das Antiblockiersystem war vor 15
  Jahren nicht patentrechtlich schützbar. Inzwischen sagt man, nach heutiger
  Interpretation ist das Prinzip nicht schützbar, wohl aber dessen technische
  Realisierung in einer Kombination aus Mikroprozessor und Mechanik zur
  Auslösung der MiniBremsvorgänge. (Technizität der Erfindung ist der
  Terminus. Wir sollten uns hier nicht über die Interpretationskunst der
  Juristen und der Patentämter auslassen, die bei unverändertem Gesetzestext
  zu konträren Ergebnisse kommen.)

Der BMBF-Patentexperte übersieht, dass die ABS-Entscheidung vor 25 Jahren
fiel, und zwar zugunsten des Patentanmelders, s.

     http://swpat.ffii.org/papiere/bgh-abs80/

Es ging hier nämlich laut BGH um eine neue Lehre über
Wirkungszusammenhänge von Naturkräften.  Solche Patente sind in der
derzeitigen Richtliniendiskussion nicht umstritten. 

Der BMBF-Patentexperte schreibt ferner:

  (Contra) Aber es gibt doch jetzt Bestrebungen, Software generell schützen zu
  lassen?!

  [BMBF] In den USA gibt es in der Tat eine sehr weiten Begriff dessen, was
  patentierbar ist; das geht bis zu Geschäftsmodellen. In Europa will diese
  Ausdehnung niemand. Und sie steht auch nicht in den Entwürfen, die z.B. im
  Europ. Parlament verhandelt worden sind.

In Europa ist diese Ausdehnung bereits (gesetzeswidrige) Wirklichkeit, und sie
wird mit den Entwürfen der Kommission verbindlich gemacht, s.

     http://swpat.ffii.org/eubsa-swpat0202/tech/

   (Contra) Bei der jetzigen Rechtslage ist die Situation doch
  unberechenbar. In einem nationalen Patentamt bekomme womöglich diese
  Kombination Software mit Technizität durch, im anderen nicht. Das ist doch
  nicht seriös. 

  [BMBF] Gerade dieses Problems in Europa versucht die EU zu
  harmonisieren. Die Praxis bei den verschiedenen Patentämtern ist trotz der
  Vereinheitlichung der Patentgesetze nicht einheitlich. Deshalb hat es die
  EU-Kommission übernommen, mit einer EU-Richtlinie für Einheitlichkeit
  wenigstens innerhalb der EU zu sorgen. Diese Richtlinie über die
  Patentierbarkeit computer-implementierter Erfindungen ist nun Gegenstand
  heftigster Attacken.

Das Europäische Parlament hat einen Weg zur Vereinheitlichung gewiesen.

Hiergegen sperrt sich die Bundesregierung.  Im Rat geht sie auf 
Konfliktkurs gegen das EU-Parlament und legt es darauf an, das
Mitentscheidungsverfahren der EU lahmzulegen.

Nach der Doktrin des Europäischen Parlaments wäre ein Antiblockiersystem
patentierbar und einiges, was der BMBF-Patentexperte und seine Freunde
keinesfalls patentierbar machen will, wäre nicht patentierbar.

Warum unterstützt der BMBF-Patentexperte dann den Anstatz der Kommission und
nicht den des Parlamentes?

  (Contra) Zu recht. Die Lage wird vollends unübersichtlich, wenn jeder
  Programmieralgorithmus jetzt patentiert wird. Algorithmen werden auch künftig
  nicht patentiert werden! Wie sollen kleine Unternehmen der Softwareentwicklung
  denn da den Überblick haben. Sie laufen doch Gefahr, unwissentlich Patente zu
  verletzen und mit Prozessen überzogen zu werden. Und ein anderer Aspekt: Wenn
  es mir um die Interessen der Gesellschaft als Ganzes geht und den freien Fluss
  von Informationen, dann sind Patente und damit Eigentum an Teilen dieser
  notwendigen Instrumente komplett kontraproduktiv, weil der Zugang zu
  Informationen durch die eingeschränkte Nutzung notwendiger Instrumente
  erschwert wird (z.B. Internetexplorer). 

  [BMBF] Der berühmte freie Fluss von Informationen darf doch nicht bedeuten,
  dass jedermanns persönliche Angelegenheiten, oder das, was eine Firma macht,
  auf dem Marktplatz beredet werden und damit für jedermann erkennbar
  ist. 

Wer will denn die Offenlegung von Betriebsgeheimnissen forcieren?

Vielleicht der BMBF-Patentexperte, der etwas weiter unten die
Offenbarungsfunktion des Patentwesens preist?

  Es gibt unter Informatikern verbreitet die Einstellung, dass man
  wissenschaftliche Ergebnisse austauscht und die Community über Fortschritte
  informiert. Dagegen ist nichts einzuwenden. Diese (gute) Praxis wird nun
  ergänzt durch ein fundamentalistisches Argument: Die vielen kleinen
  Softwarefirmen seien schutzbedürftig, sie dürfen nicht mit dem Problem
  möglicher Patentverletzung konfrontiert werden. Und das wird getoppt durch
  die Open Source Bewegung und das freie Betriebssystem LINUX. Aus dieser
  Gemengelage heraus wird nun argumentiert: Wegen Patentierung sei die
  Freiheit der Wissenschaft in Gefahr; die eine Welt der Informatiker ist
  gefährdet, wenn Software patentierbar sein soll. Ich will die Probleme nicht
  wegwischen, sondern einige Gedanken dagegen stellen: Warum soll Software
  anders behandelt werden als Mechanik oder anderes Physisches? Was Ingenieure
  können, sollte Informatikern nicht prinzipiell unzugänglich sein.

Erneut naturrechtliche Argumentation bei gleichzeitiger Projektion der selben
Denkweise auf die Gegner, die dadurch zu "Fundamentalisten" werden. 

  (Contra) Weil es hier um den freien Zugang zu Informationen geht, was ein
  Grundpfeiler unserer Demokratie ist. Das kann ich doch nicht mit Patenten
  auf Waschmaschinen vergleichen. 

  [BMBF] Vorsicht: Information und Informatik sind verschiedene Dinge. Freiheit der
  Information hat weder etwas mit Patentschutz zu tun noch mit Informatik.

Warum gibt es "freie Software" aber nicht "freie Waschmaschinen" ?

Weiß das BMBF nicht, dass Wissenschaft und Software in ähnlicher Weise von der
Freiheit des Veröffentlichens und vom gemeinsamenn Arbeiten an öffentlichen
Texten leben?  Dass dies ein wesentlicher Grund für die Existenz eines
öffentlich geförderten Hochschulwesens ist?  ebenso wie für den Erfolg der
Freien Software?

Oder beruht die von Günter Reiners geleiteten "Verwertungsoffensive" des BMBF
auf der Ausblendung solcher Erkenntnis?

  Wer verhindern will, dass Ergebnisse von anderen patentrechtlich geschützt
  und dann von den Großen die kommerziellen Früchte geerntet werden, der hat
  zwei Möglichkeiten: Entweder melden diese Personen ihre Ergebnisse selbst
  zum Patent an (und haben fortan sowohl den Schutz als auch die Möglichkeit,
  von anderen Benutzungslizenzen zu verlangen) oder sie machen ihre Ergebnisse
  anderen zugänglich. Dann ist die Neuheit nicht mehr gegeben und die
  Patentierbarkeit für jeden ausgeschlossen. Nicht verschweigen will ich aber
  eine Schwierigkeit: Zum Patentsystem gehört die Offenbarung der
  Erfindung. Die Offenbarung kann in Textform und in Zeichnungen erfolgen. In
  beiden Ausdrucksformen kann man gut suchen. ­ wie man aber in Software
  suchen kann, um geschützte fremde Lösungen finden und dann umgehen zu
  können, das übersehe ich noch nicht ganz. ­ Konsequenz könnte also sein:
  Wenn man nicht suchen kann, gibt es auch keine Patente. Das würde die
  allermeisten Probleme aufheben und zu einer weiteren Verbreitung von
  Softwarewissen führen.

Letzteres ist schwer verständlich und spekulativ.  Die Erfahrung lehrt, dass
Patentschriften im Bereich der Software einerseits kaum gelesen werden, und
dass andererseits Akteure unter Zugzwang gesetzt werden, ihre Software
proprietär zu machen und damit den funktionierenden Mechanismen der
Verbreitung von Softwarewissen zu entziehen.

Mit dem obigen Papier nimmt mit Günter Reiner erstmals ein Vertreter des BMBF
zur Frage der Softwarepatente Stellung.

Bislang kam auf dem BMBF-Patentserver diesbezüglich nur die Patentabteilung
der Firma Siemens zu Wort:

    http://www.patente.bmbf.de/de/pdf/software.pdf

Einen wissenschaftlichen Dialog zu diesem Thema hat das BMBF bislang nicht
gepflegt.

Das neue Papier ändert hieran nichts.  Es deutet allerdings darauf hin, dass
aus der "Verwertungsoffensive" allmählich eine "Verwertungsdefensive" werden
könnte.

Das Papier zeigt deutlicher als erwartet, wie am BMBF über Patente gedacht
wird: doktrinär-verwertungsbesessen, ohne Verständnis für die Ökonomie der
Erzeugung informationeller Güter.

Solange der Bundestag sich nicht des Themas ernsthaft annimmt,
bestimmen Ministerialbeamte wie Günter Reiner die Position der
Bundesregierung im EU-Rat.  Reiners Chefin Edelgard Bulmahn hat sich
jahrelang immer wieder als eine besonders enthusiastische Anhängerin
des von Reiner und seinem Stab propagierten Verwertungsglaubens
gezeigt.  Bulmahn sitzt ebenso wie ihre BMJ-Kollegin Brigitte Zypries
im Wettbewerbsrat, der Formation des EU-Rates, die im Mai über die von
der Arbeitsebene (d.h. ministeriellen Patentexperten wie Reiner)
erarbeiteten Papiere zu befinden hat.  Die "Lissabonner Ziele", denen
der Wettbewerbsrat verschrieben ist, lassen sich leicht als im Sinne
einer maximalen Verwertung und Privatisierung von Wissen verstehen,
wie es etwa der

     "Brief der 5 Konzernchefs"
     http://swpat.ffii.org/news/03/telcos1107/

suggeriert.

Mehr zu BMBF und Hochschulpatentbewegung findet sich unter

     http://swpat.ffii.org/akteure/bmbf/

sowie im zugehörigen Wiki-Addendum und in den Entwürfen zu unseren
Konferenzthemen

        http://plone.ffii.org/events/2004/test/
        http://plone.ffii.org/study/lisbon/

für November dieses Jahres.

[1] "Geistiges Eigentum" umfasst Urheberrecht und ähnlich Rechte mit engem
    Schutzumfang, die auf "individuelle Schöpfungen" gerichtet sind.  Dem
    gegenüber steht der "gewerbliche Rechtschutz" (industrial property),
    dessen z.T. breite Monopolrechte normalerweise wirtschafts- oder
    wettbewerbspolitisch und nicht naturrechtlich begründet werden.

-- 
Hartmut Pilch, FFII e.V. und Eurolinux-Allianz            +49-89-18979927
300.000 Stimmen 2000 Firmen gegen Logikpatente      http://noepatents.org/
Innovation statt Patentinflation                    http://swpat.ffii.org/
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