FYI... Stefanie Rixecker ECOFEM Coordinator ------- Forwarded message follows ------- This is for the German speakers among us. Hansjoerg Kuester: Geschichte des Waldes. Von der Urzeit bis zur Gegenwart, Muenchen: C.H. Beck, 1998, 267 S., 53 Abb., davon 47 farb., ISBN: 3-406-44058-4, Preis: DM 58.-. Stefan von Below / Stefan Breit: Wald - von der Gottesgabe zum Privateigentum. Gerichtliche Konflikte zwischen Landesherren und Untertanen um den Wald in der fruehen Neuzeit, (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte, 43), Stuttgart: Lucius & Lucius 1998, 361 S., ISBN: 3-8282-0079-6, Preis: DM 118.-. Rezensiert fuer H-Soz-u-Kult von: Thomas Zeller <[EMAIL PROTECTED]> Visiting Assistant Professor, University of Pennsylvania, Department of History and Sociology of Science Ueber den deutschen Wald hat der Bielefelder Umwelthistoriker J. Radkau vor einiger Zeit geschrieben, er habe im 18. Jahrhundert "gleichsam die letzten offenen Grenzen dieser Gesellschaft" enthalten [1]. Fuer die Waldgeschichte, oder besser fuer die Umweltgeschichte des Waldes, trifft dies heutzutage nicht mehr zu. Einige Historikerinnen und Historiker haben historiographische Schneisen in das scheinbare Dickicht geschlagen; Waldgeschichte interessiert heute nicht nur angehende Forstwirte, die im Studium aus professioneller Selbstvergewisserung heraus entsprechende Literatur lesen. Geschichtswissenschaftler sehen in den Waeldern einen historischen Schnittpunkt von Mensch und Umwelt, an dem Wirtschaftsweisen, Landschaftsveraenderung und Mythenproduktion zusammenkommen und stossen damit bisweilen auf breiteres Publikumsinteresse. Eine der hier vorzustellenden Neuveroeffentlichungen zur Geschichte des Waldes richtet sich explizit an eine weit verstandende Leserschaft, bei der anderen handelt es sich um eine komparative Spezialstudie. Hansjoerg Kuester, Pflanzenoekologe an der Universitaet Hannover, ist vor einigen Jahren bereits mit einer umfassenden Darstellung zur "Geschichte der Landschaft in Mitteleuropa" (Muenchen 1996) an die breite Oeffentlichkeit getreten. Auch seine "Geschichte des Waldes" ueberspringt Epochen und Eiszeiten mit einer bei Historikern selten anzutreffenden Behendigkeit. Der Untertitel verspricht eine Zeitspanne "von der Urzeit bis zur Gegenwart", und in der Tat beginnt Kuesters Darstellung mit der Entstehung von Landpflanzen vor 400 Millionen Jahren. Im folgenden entfaechert Kuester ein breites Tableau von Pflanzen, Pflanzengemeinschaften und Waeldern. Thema ist, "wie sich der Wald im Lauf der Zeit veraenderte" (7). Das Buch ist reich illustriert und anschaulich, im Stil einer breit interessierenden Vorlesung geschrieben. Fussnoten existieren nicht, dafuer verfuegt jedes Kapitel ueber eine kleine, bisweilen allzu spaerliche Bibliographie. Die Darstellung beschraenkt sich weitgehend auf Mitteleuropa, mit gelegentlichen Vergleichen Deutschlands zu anderen Laendern. Diese Einschraenkung erschliesst sich dem Leser allerdings erst im Lauf der Darstellung. Kapitel 1 bis 12 reichen bis zum Mittelalter, erst mit Kapitel 13 (von 23) beginnt Kuesters Darstellung mittelalterlicher Dorfgruendungen und der damit verbundenen Rodungen. Diese Gewichtung verweist auf eines der grundlegenden Anliegen des Buches: Kuester will verdeutlichen, dass Waelder - wie Natur im allgemeinen - auch ohne die und vor der menschlichen Praegung staendigem Wandel und Dynamik unterlagen. Damit schliesst sich Kuester einem derzeit gaengigen Erklaerungsmuster der Oekologie an: Vorstellungen einer dynamischen, sich staendig veraendernden Natur bestimmen weitgehend das Forschen, waehrend stabile Endzustaende nach zeitlich begrenzter Dynamik noch vor zwei Generationen oft als Leitideen dienten. Fuer den Wald bedeutet dies, dass an einem bestimmten Standort mehrere verschiedene Waelder zu verschiedenen Zeiten existiert haben koennen, ohne dass dieser Wandel menschlich verursacht war. So kann Kuester anhand von Pollenanalysen nachweisen, dass auf dem Gebiet des heutigen Deutschland waehrend der Warmzeiten zwischen den Eiszeiten zunaechst Kiefern und Birkenwaelder entstanden, bis die Fichte nachwanderte. Zwischen dem neunten und siebten Jahrtausend vor unserer Zeit bildeten sich dann verschiedene Waldtypen heraus. Die Frage, welchen Flaechenanteil jeweils Wald und offenes Gelaende einnahmen, weist Kuester als unbeantwortbar zurueck. Die Vorstellung einer "Grenze" des Waldes ist fuer ihn ein rein menschliches Konstrukt der fruehen Neuzeit. Allmaehliche Uebergaenge zwischen Waldgebieten und offeneren Landschaften waren vorherrschend, nicht scharfe Trennlinien, wie sie die verschiedenen Farben oder Schraffuren auf heutigen Landkarten aufweisen. Breiten Raum nimmt die neolithische Revolution, also die Verbreitung von Ackerbau und Viehzucht in Verbindung mit einem sesshaften Lebensstil ein. Hier referiert Kuester aus der Umweltgeschichte Bekanntes, trifft dann aber folgende wichtige Feststellung: Die Rotbuche, die in der aelteren naturhistorischen Literatur (und bei vielen Naturschuetzern noch heute) als besonders "natuerlich" und standorttypisch fuer deutsche Waldlandschaften gilt, ist keineswegs ohne menschliche Mithilfe einer der ehemals dominanten Baeume geworden. Vielmehr beguenstigen von Menschen verlassene Lichtungen ihre Ausbreitung. Aehnlich revisionistisch behandelt der Autor Eichen-Hainbuchen-Waelder, die nicht Ziel, sondern Produkt mittelalterlicher Siedlungen waren. Keineswegs wurden im Mittelalter unkultivierte Urwaelder kolonisiert, sondern bereits menschlich ueberformte Waldungen. Kuester wiederholt sein berechtigtes Anliegen, das Historiker wohl als soziale Konstruktion von Natur bezeichnen wurden, immer wieder anhand neuer Beispiele. Bezeichnenderweise enden Kapitel 9 und 10 mit denselben Worten: Natur aus zweiter Hand. Kuester verficht keinen philosophischen oder methodologischen Sozialkonstruktivismus, sondern einen empirischen. Ohne das Wesen des Waldes ergruenden zu wollen, praesentiert er in den letzten Jahrzehnten gewonnene Erkenntnisse, um den steten Wandel der Waldlandschaften zu beleuchten. Insofern ist diese Darstellung fuer jeden, der am Verhaeltnis des Menschen zu seiner Umwelt interessiert ist, aufschlussreich. Umso bedauerlicher ist es, dass Kuester die Ergebnisse der von Historikern betriebenen Umweltgeschichte nur vereinzelt in seine Ueberblicksdarstellung einfliessen laesst. So wird die im 18. Jahrhundert vielerorts beklagte Holznot als Tatsache dargestellt. Dabei haben Radkau und andere in den 1980er Jahren heftigst diskutiert, ob die zeitgenoessischen Klagen nicht vielmehr in hoechstem Masse interessegeleitet gewesen seien und von einem Zusammenbruch der Holzwirtschaft keine Rede sein koenne. Doch diese Debatte wird schlicht uebergangen. Ebenso stellt Kuester den Aufstieg der Forstwissenschaft und ihre zunehmende Kontrolle ueber die Waelder als weitgehend unproblematischen und notwendigen Vorgang dar. Dabei gingen bei der zunehmenden akademischen Dominanz ueber den Forst neue Formen sozialer Herrschaft und Verwissenschaftlichung Hand in Hand. [2] Diese Einwaende sollen aber das Verdienst von Kuesters anschaulicher Studie nicht schmaelern, die konzise zeigt, wie scheinbar aussermenschliche Bereiche wie der Wald anthropogen gepraegt sind. Das Anliegen von Belows und Breits Studie ist da bescheidener. Sie untersuchen zwei Rechtsstreitigkeiten, um wandelnde Vorstellungen vom Eigentumsbegriff am Wald zu verorten. Nach einer systematischen Diskussion des Eigentumbegriffs wird knapp die vorhandene Literatur zur Waldnutzung referiert. Die erste Fallstudie, von Stefan Breit untersucht, widmet sich einem seltenen Fall: Um ihre Nutzungsrechte an einem Waldbereich feststellen zu lassen, strengten 1607 zwoelf oberbayerische Gemeinden eine Klage gegen den Landesherrn, Herzog Maximilian I., vor dem Reichskammergericht in Speyer an. Streitpunkt war ein oestlich von Muenchen gelegenes Waldstueck namens "Gemain", das die Anwohner fuer Schweinemast und Holzproduktion nutzten. Der Jesuitenorden im nahegelegenen Ebersberg erhob darauf ebenfalls Nutzungsansprueche. Es war hoechst selten, dass der Herzog selbst zum Hauptbeklagten in einem solchen Verfahren wurde. Der Prozessverlauf ist aeusserst spannend. Breits ausgiebig aus den Quellen schoepfende Darstellung orientiert sich vor allem an den verschiedenen Eigentumsbegriffen und Herrschaftsanspruechen. Die Untersuchung des dreissigjaehrigen, letztlich erfolglosen Kampfes der Schweinehirten und Landwirte gegen den Herzog vertieft zum einen die Debatten von Fruehneuzeithistorikern um Verrechtlichungs- und Disziplinierungsprozesse. Gleichzeitig traten in den Visitationen, Verhoeren und Gerichtsverhandlungen divergierende handlungsleitende Vorstellungen vom Wald zutage. Die oertlichen Landwirte zitierten die unbegrenzte Regenerationsfaehigkeit des Waldes, wenn sie gegen die neuen Regulierungen argumentierten. Baeuerliche Nutzung war dem Wald also in ihren Augen durchaus angemessen, waehrend die Jesuiten sich ueber den schlechten Zustand des Waldes beklagten und Forstordnungen als Ordnungs- und Heilungsmittel vorschlugen. Auch auf der Ebene der mythischen Qualitaeten des Waldes und der Schenkungslegenden konterten die Bauern geschickt die Argumente der Jesuiten. Breits Analyse endet mit dem Befund, dass die Kluft zwischen organischem Naturverstaendnis der Bauern und dem Ordnungsfetischismus von Jesuiten und Herzog zu gross gewesen sei, so dass der Konflikt nicht zu entschaerfen war. Belows Untersuchung konzentriert sich auf einen Konflikt zwischen dem Amt Bueren und der Stadt Bern im 18. Jahrhundert. Die Buerener draengten darauf, ihre jahrhundertelange Nutzung in ein zeitgemaesses Eigentumsrecht umzumuenzen, waherend der Berner Rat auf seinen Eingriffsmoeglichkeiten beharrte. Eindringlich zeigt Below die Verschiebungen des Eigentumsbegriffs, innerhalb derer Wald von einem polyfunktionalen Bedarfstraeger zum privaten Kapital der Buergemeinde wurde. Diese beiden Einzelstudien werden am Ende miteinander verglichen, wenn auch weitaus zu knapp. Besonders ueber die verschiedenen Vorstellungen vom Wald haetten sich wohl groessere komparative Erkenntnisgewinne erzielen lassen. Auch vermisst man Karten und weitere optische Orientierungshilfen. Trotzdem stellt das Buch von Below/Breit eine wichtige Ergaenzung sowohl zur Literatur ueber den wandelbaren Eigentumsbegriff als auch zur Geschichte des Waldes dar. Solche Mikrostudien sind enorm nuetzlich, um in Zukunft besser fundierte, allgemeinere Aussagen ueber Waldnutzung und die Konstruktion von Wald als sozialem und kulturellem Streitobjekt treffen zu koennen. Anmerkungen: [1] Joachim Radkau: Holzverknappung und Krisenbewusstsein im 18. Jahrhundert, in: Geschichte und Gesellschaft 9 (1983), 513-543, 523. [2] Henry E. Lowood: "The Calculating Forester: Quantification, Cameral Science, and the Emergence of Scientific Forestry Management in Germany", in: Tore Fraengsmyr/J.L. Heilbron/Robin E. Rider (Hg.), The Quantifying Spirit in the 18th Century, Berkeley 1990, S. 315-342. ----------------------------------------------- Copyright (c) 2000 by H-SOZ-U-KULT (H-NET), all rights reserved. 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