Liebe Jünger-Freunde,
zwar nicht direkt zu EJ, aber immerhin zu CS.
Schöne Grüße,
Tobias Wimbauer
www.waldgaenger.de

Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.11.2004, Nr. 275 / Seite N3

Schutz für Gehorsam
Carl Schmitt und Thomas Hobbes - gegeneinander gelesen

Der Staat ist nichts Besonderes, meint man heute: Er ist keine abgehobene, über 
der Gesellschaft schwebende Persönlichkeit, sondern lediglich eins ihrer vielen 
Systeme - und keineswegs das wichtigste. Diese Auffassung heißt Pluralismus, 
wird jetzt aber unter verschiedenen Namen vorgetragen und bildet den 
gegenwärtigen Mainstream. Die Komplexität der Verhältnisse sei so groß, sagt 
man, daß keine Zentrale sie mehr regieren könne. Nirgends entscheide eine 
letzte Instanz; statt dessen muddeln sich die Dinge irgendwie von selbst 
zurecht.

Der Staat ist nichts Besonderes, meint Luhmann beispielsweise: Er ist nur ein 
System unter vielen - ein solches, das auf die Herstellung verbindlicher 
Entscheidungen spezialisiert ist. Mehr nicht. Das läßt sich so achselzuckend 
sagen, wenn man die Tragweite der vorgestellten Entscheidungen gering ansetzt. 
Das läßt sich so klein halten, wenn man sich nicht klarmacht, worauf 
Verbindlichkeit gegründet ist: auf die Verfügung über das Gewaltmonopol.

Der exponierteste Gegner des Pluralismus war Carl Schmitt. Der Pluralismus habe 
zwar insoweit Berechtigung, als er sich gegen die früheren Übersteigerungen des 
Staates richte. Er lasse aber unklar, was die politische Einheit überhaupt noch 
ausmache. Er lasse offen, aus welchem Grund die Menschen neben den religiösen, 
kulturellen, ökonomischen und anderen Assoziationen auch noch eine politische 
Assoziation bilden.

Krieg oder Frieden

Die Frage, was der "Begriff des Politischen" sei, war das Thema seines 1932 
erschienenen Buches. Schmitt fand die Antwort: Das spezifisch Politische ist 
die Entscheidung über Krieg und Frieden. Diejenige Einheit, die diese 
Entscheidung treffen kann, ist per definitionem der Staat. Die politische 
Einheit ist "die maßgebende Einheit, gleichgültig, aus welchen Kräften sie ihre 
letzten psychischen Motive zieht. Sie existiert, oder sie existiert nicht. Wenn 
sie existiert, ist sie die höchste, d. h. im entscheidenden Fall bestimmende 
Einheit." Der entscheidende Fall aber, der "Ernstfall", der "Ausnahmefall", ist 
der Krieg.

Carl Schmitt wandte sich gegen den Pluralismus, wie ihn Harold Laski 
vorgetragen hatte. Dessen Hauptbeispiel für staatliche Ohnmacht war Bismarcks 
erfolgloses Vorgehen gegen die katholische Kirche und die Sozialisten. "Im 
Kulturkampf gegen die römische Kirche zeigte sich, daß selbst ein Staat von der 
ungebrochenen Kraft des Bismarckschen Reiches nicht absolut souverän und 
allmächtig war; ebensowenig hat dieser Staat in seinem Kampf gegen die 
sozialistische Arbeiterschaft gesiegt oder wäre er auf wirtschaftlichem Gebiet 
imstande gewesen, den Gewerkschaften die im ,Streikrecht' liegende Macht aus 
der Hand zu nehmen", konzedierte Schmitt, fügte aber hinzu: "Damit ist die 
Frage noch nicht beantwortet, welche soziale Einheit den Konfliktfall 
entscheidet und die maßgebende Gruppierung nach Freund und Feind bestimmt. 
Weder eine Kirche noch eine Gewerkschaft, noch ein Bündnis von beiden hätte 
einen Krieg, den das Deutsche Reich unter Bismarck führen wollte, verboten oder 
verhindert." Das genüge, um einen vernünftigen Begriff von Souveränität und 
Einheit zu begründen.

Die vielen, heute als "Komplexität" verstandenen Kräfte, die den Staat 
beeinflussen, wenn er sich für Krieg oder Frieden entscheidet, werden in diesem 
Konzept nicht etwa ignoriert. Das können Waffen- oder Olproduzenten, Kirchen 
oder Parteien sein - wer auch immer. Die zentrale Einheit, in der diese Kräfte 
zusammenfließen, ist maßgebend, "gleichgültig, aus welchen Kräften sie ihre 
letzten psychischen Motive zieht".

Die Konzentration auf die Gewalt hat man Carl Schmitt übelgenommen. Man meinte 
ja in den letzten Jahrzehnten, daß die Welt von Konsens und Diskurs 
zusammengehalten werde. Aber jetzt, in einer Zeit, in der wieder über Krieg 
oder Frieden entschieden werden muß, zeigt sich, daß Schmitt den Staat in 
seinem Kern richtig erkannt hat. In den Vereinigten Staaten wurde gerade im 
Wahlkampf darum gerungen, ob die politische Führung den Krieg oder den Frieden 
anstreben sollte. Alle anderen Fragen standen demgegenüber im Hintergrund. Auch 
in Deutschland ging es bei der Wahl vor zwei Jahren um "die Verfügung über den 
Ausnahmefall". Die Mehrheit der Deutschen wählte einen Kanzler, der den 
Irak-Krieg nicht mitmachen wollte.

Konnte man bisher vielleicht vergessen, daß man in einem Staat lebt - jetzt 
wurde es wieder bewußt. Es gibt eine gesellschaftliche Einheit, die keineswegs 
gleichberechtigt inmitten der anderen gesellschaftlichen Assoziationen 
herumschwimmt. Sie ist Supra potestas. "Der Staat als die maßgebende politische 
Einheit hat eine ungeheure Befugnis bei sich konzentriert: die Möglichkeit, 
Krieg zu führen und damit offen über das Leben von Menschen zu verfügen. Denn 
das Jus belli enthält eine solche Verfügung; es bedeutet die doppelte 
Möglichkeit: von Angehörigen des eigenen Volkes Todesbereitschaft und 
Tötungsbereitschaft zu verlangen und auf der Feindesseite stehende Menschen zu 
töten."

Der Sache nach hatte Carl Schmitt mit dieser Feststellung recht. Schon die 
Sprache zeigt aber, daß sie nicht ohne Lust getroffen wurde. Schmitt hat sich 
dadurch ins Unrecht gesetzt, daß er nur scheinbar die Feststellung traf, daß 
die politische Spitze da ist, wo über den Ernstfall entschieden wird. In 
Wirklichkeit stellte er eine Forderung auf: Wir brauchen den Ernstfall, damit 
wir wieder eine politische Spitze bekommen. Was in einer Zeit, in der eine 
berechtigte Sehnsucht nach Ordnung bestand, vielleicht begreiflich war. Aber 
hinter dieser Forderung verbarg sich wiederum der Satz: Wir brauchen eine 
politische Spitze, damit wir wieder den Ernstfall bekommen.

Schmitt holte den Kriegsgeist aus der Flasche. Er ließ es nicht dabei bewenden, 
die politische Spitze durch ihre Entscheidungsgewalt über Freund und Feind zu 
definieren; er beschrieb das Freund-Feind-Verhältnis so, als gebe es allein dem 
gesellschaftlichen Leben einen Sinn. Er beschwor die Erotik des "wirklichen 
Kampfes". Als Carl Schmitt nach dem Krieg wegen seiner Unterstützung des 
Nationalsozialismus Schwierigkeiten bekam, mußte er seine Fixierung auf die 
Gewalt rechtfertigen. Er tat das durch den Rekurs auf Thomas Hobbes in der 
Interpretation, die Ferdinand Tönnies vorgenommen hatte. Das mußte ihm nützlich 
erscheinen, weil Tönnies ein mutiger Hitler-Gegner gewesen war.

Tönnies hat in seinem Buch "Thomas Hobbes. Leben und Lehre" versucht, Hobbes 
von dem Ruch zu befreien, der Teufelsanbeter der Macht zu sein. Er hat ihn als 
den maßgeblichen Theoretiker des modernen Staates dargestellt - so, wie sich 
dieser Staat tatsächlich herausgebildet hat und zur allgemeinen Zufriedenheit 
bis heute besteht: als Schutzmacht, in der die Gewalt monopolisiert ist. 
Tönnies sah die Größe des Hobbesschen Staates darin, daß er den Individuen 
erlaubt, sich aus ihren gemeinschaftlichen Bezügen herauszulösen und 
unbewaffnet in der Gesellschaft zu bewegen. Unter seiner Agide können sie es 
wagen, sich zueinander auf den Fuß der Freiheit und Gleichheit zu stellen.

Schmitt hat Hobbes richtig aufgegriffen, wenn er die Verknüpfung dieses 
Schutzes mit dem Gehorsam, den die Bürger im Austausch dafür zu leisten haben, 
betonte. Die Gehorsamspflicht bezieht sich in erster Linie auf das Verbot 
privater Gewaltanwendung. "Das protego ergo obligo ist das cogito ergo sum des 
Staates, und eine Staatslehre, die sich dieses Satzes nicht systematisch bewußt 
wird, bleibt ein unzulängliches Fragment." In diesem Gedanken liegen eine 
wichtige Korrektur des Pluralismus, der den Staat in seiner Besonderheit nicht 
ins Auge fassen kann, weil er blind ist gegenüber der Frage der Gewalt. Sein 
ausgeprägtes Gespür für Gewalt hat Schmitt auf die richtige Fährte gewiesen: 
Die Besonderheit und Einmaligkeit des Staates liegt in seinem Gewaltmonopol.

Frontal gegen Hobbes ebenso wie gegen Tönnies hat sich Schmitt aber gestellt, 
wenn er dem Staat erlaubte, auch innenpolitisch Freund-Feind-Grenzen zu ziehen. 
Er hat aber damit das freiheitliche Moment, das Tönnies bei Hobbes entdeckt 
hat, verkannt: Die Individuen, die der Staat entmachtet hat, stehen vor ihm als 
einzelne und Gleiche. Er verhält sich gegenüber ihrer Zugehörigkeit zu 
irgendwelchen Kollektiven indifferent. Der moderne Hobbessche Staat kennt nur 
atomisierte Individuen - wenn diese Tautologie um der Klarheit willen erlaubt 
ist - und diskriminiert nicht. Er kennt keine religiösen, sozialen, rassischen 
Unterschiede.

Verhütung des Bürgerkriegs

Schmitt hingegen feierte die "innerstaatliche Feinderklärung" - die der 
nationalsozialistische Staat mit seiner Hilfe denn ja auch vorgenommen hat. Er 
nannte den Vorgang "Hors-la-loi-Setzung" - eine vornehme Bezeichnung für die 
Judenverfolgung, die Schmitt kurze Zeit später durch die Formulierung des 
Gesetzes über das Berufsbeamtentum selbst betrieben hat. Er sah den Vorgang 
ganz sportlich: "Das ist, je nach dem Verhalten des zum Staatsfeind Erklärten, 
das Zeichen des Bürgerkrieges . . . Durch den Bürgerkrieg wird dann das weitere 
Schicksal dieser Einheit entschieden." Dieses Konzept ist denkbar 
unhobbesianisch. Hobbes' Aufruf zur Monopolisierung der Gewalt, zum Austausch 
von Schutz und Gehorsam diente ja nur dem einen Zweck: der Verhütung von 
Bürgerkrieg. Um ihn zu verhindern, rief Hobbes den Adel auf, sich der stärksten 
Macht zu unterwerfen und ihr die Waffen zu übergeben.

In Hobbes' Konzept ist kein Platz für einen Gegensatz, auf Grund dessen "von 
Menschen das Opfer ihres Lebens verlangt werden könnte". Sein Konzept ist ganz 
unheldisch und im Zweifelsfall auf Kapitulation gerichtet. Er legitimierte die 
Furcht vor dem gewaltsamen Tod als maßgebende Triebfeder. Sie motivierte ja die 
Menschen, in das Verhältnis von Schutz und Gehorsam - den Staat - einzutreten. 
Deshalb darf er von seinen Bürgern nicht das Opfer ihres Lebens verlangen und 
sie nicht gegen ihren Willen zum Kriegsdienst einziehen. Hobbes sprach dem 
Staat ein altes Recht ab: das Aufgebot, den Heerbann.

Der von Schmitt beschimpfte "pazifizierte Erdball" hingegen, auf dem es kein 
staatlich verordnetes Blutvergießen mehr gebe und die Freund-Feind-Verhältnisse 
entropisch in sich zusammenfielen, war ganz in Hobbes' Sinne. Tönnies meinte, 
"die Vereinheitlichung des souveränen Willens und der souveränen Macht" - der 
Weltfriede -, sei "die Vollendung des großen Entwurfes, den vor fast 300 Jahren 
Thomas Hobbes verfaßt hat, ohne an einen Weltstaat oder auch nur an ein 
Paneuropa zu denken, wie heute daran gedacht wird". Carl Schmitt ist immer 
wieder lesenswert. Zuverlässigere Aussagen über den modernen Staat aber erhält 
man bei seinem Gewährsmann: Thomas Hobbes.

SIBYLLE TÖNNIES



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