Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 16.12.2007, Nr. 50 / Seite 29

Um Gottes willen, nein! Monika Miller war früher die Haushälterin von Ernst 
Jünger.
Heute kümmert sie sich um die Jünger-Gedenkstätte. Ein Besuch in Wilflingen Von 
Thomas Hettche

"Hoi, es gibt noch viel kleinere!"

"Und wie entdeckt man die?"

"Da muss man ein sehr gutes Auge haben. Manche sind wirklich nur wie en 
Muckeschiss."

"Ach."

"Es gibt so viele Käfer! So viele andere Tiere gibt's gar nicht, wie es Käfer 
gibt. Ich find' vor allem die Caraben schön, die Laufkäfer. Wenn Sie sich das 
anschauen, das ist doch genial."

"Hm, die sehen aus wie Schaben."

"Noi! Das sind keine Schaben!"

"Nein?"

"Nein! Schaben sind keine Käfer!"

"Nein?"

"Ha, nein."

"Trotzdem schaue ich mir lieber Pferde an."

"Aber Pferde können Sie schlecht einsortieren." Monika Miller lacht und sieht 
von dem Schaukasten hoch, den sie für mich herausgezogen hat.

"Das stimmt natürlich", sage ich und frage: "Wie viel Zeit hat er denn damit 
verbracht?"

"Bestimmt die Hälfte seines Lebens ist Käferarbeit gewesen. Und das ist 
vollkommen brotlos. Also Käferarbeit, da verdient man kein Geld damit."

"Und was macht man da bei der Käferarbeit? Bestellen? Kataloge wälzen? Kaufen, 
einsortieren?"

"Na, die meisten hat er schon selber gesammelt. Man sieht es an den Etiketten. 
Also hier zum Beispiel: ,E. Jünger, 06.05.1976, Korfu'. Also immer Finder, 
Fundort, Name des Käfers, das Datum und ein Buchstabe mit vier Ziffern. Anhand 
dieser Codenummer finde ich die Karteikarte. Also parallel zum Käfer gibt es 
eine Karteikarte, und auf der Karteikarte stehen dann zusätzlich noch die 
näheren Umstände. Wie's Wetter war, wer dabei war, von welcher Blüte gepflückt 
. . ."

Fast fünf Jahrzehnte hat Ernst Jünger die ehemalige Oberförsterei der Schenken 
von Stauffenberg in Wilflingen bewohnt. Als klar war, das Haus würde nach 
seinem Tod eine Gedenkstätte werden, habe Jünger sie gebeten: "Du bleibst doch 
hier." Und so sei sie geblieben. Und auf wie lange? Im Weitergehen zuckt Monika 
Miller, die einmal als Mädchen für alles in den Haushalt der Jüngers gekommen 
war, wortlos mit den Schultern und zeigt mir das Haus. Die Räume mit den 
Sammlungen von Spazierstöcken und Stundengläsern, den Muschelkörben und 
Mikroskopen, den Jünger-Büsten und Büchern. "Das also ist der berühmte 
Stahlhelm mit dem Einschussloch!"

Sie bleibt stehen. "Ja. Sie sehen, dass da das Lederfutter ist, und deswegen 
hat er oben praktisch einen Hohlraum, und deswegen hat das Geschoss nur die 
Schwarte gestreift. Also Zitat Jünger. ,Es hat zum Glück nur die Schwarte 
gestreift.'"

Ich zeige auf einen zweiten Helm, der ebenfalls ein Loch hat: "Das ist ein 
englischer, oder?"

"Das ist ein englischer, ja."

"Und? War Jünger das?"

"Ob er es selber war, das weiß ich nicht. Wahrscheinlich nicht. Aber der Junge 
hat dieses Gefecht nicht überlebt. Und hat genauso patriotisch für sein 
Vaterland gekämpft. Damals hatte man ja noch Achtung vor dem Feind."

Ihre Stimme hat diesen regionalen, tief im Rachen sitzenden Klang, der die 
Vokale dunkel färbt, manche Endungen verschleift sie dialektal. Eine resolute, 
gepflegte Frau mit langen blonden Haaren.

"Manchmal vielleicht", sage ich.

"Nicht nur manchmal!", entgegnet sie, fordernd jetzt, und setzt wie 
auftrumpfend hinzu: "Damals durfte man noch patriotisch sein."

"Eine Metzelei", murmele ich, entschiedener jetzt und sehe mich weiter um.

"Am Ende natürlich schon, aber die haben sich in den Feuerpausen getroffen. Sie 
müssen das mal lesen in den ,Stahlgewittern'. Oder lesen Sie ,Sturm', diese 
Erzählung von Ernst Jünger. Das waren Buben! Der Ernst Jünger hat in seinem 
Manuskript auch geschrieben: ,Wann hat dieser Scheißkrieg endlich ein Ende?' 
Aber so etwas werden Sie dann in der Reinfassung nicht finden. Glauben Sie, der 
hätt' das Wort ,Scheiße' benutzt?"

Ist das sein Schlafzimmer? Ein Raum mit einem schmalen Bett, ein eintüriger 
Schrank und eine Kommode. "Ist das sein Schlafzimmer?"

"Das Schlafzimmer, ja." Sofort ist ihre Stimme wieder ruhig. "Hier seine erste 
Frau Gretha, und hier die beide' Söhne Ernstel und Alexander. Sie ist 1960 
gestorben, mit 54. Aber das Bild ist entstanden, als sie geheiratet hat, 1925, 
da war das Mädchen gerade 19 Jahre alt."

"Und er?"

"Er war ja schon 30. War schon der Pour-le-Méritter, der Autor der 
,Stahlgewitter'."

Bitte, wie? Ach so, ja! Der letzte je verliehene Orden "Pour le Mérite" kurz 
vor dem Waffenstillstand vom 11. November 1918. Aus ihrem Mund klingt es wie 
,arme Ritter' und reimt sich auf Stahlgewitter. "Und woher kannten sich die 
beiden?"

"Die sind sich begegnet auf dem Waterloo-Platz in Hannover, als er sich der 
Kaserne näherte mit diesem wehenden Militärmantel und dem blitzenden ,Pour le 
Mérite' und mit diesen blitzenden blauen Augen, die Gretha war gerade 16 Jahre 
damals, und dann: Coup de Foudre!"

Sie klatscht in die Hände und lacht. Auch ihre Augen blitzen jetzt. ,Liebe auf 
den ersten Blick' klingt entschieden weniger obszön. Ansonsten jedoch ist das 
ein beinahe wörtliches Zitat aus Grethas Erinnerungen. Wie weich ihre Stimme 
mit einem Mal ist. Ein Frisiertisch mit Kleinigkeiten. Ein Taschenmesserchen, 
Manschettenknöpfe.

"Und das ist so liegengeblieben, wie es war?"

"Natürlich."

Ich öffne den schmalen Kleiderschrank.

"Das sind die Ehrendoktorroben."

"Ach. Und von welchen Universitäten?"

"Spanien. Bilbao und Madrid. Und das andere ist ein Ehrenhäuptlingsgewand. Das 
ganze Ausland weiß, dass wir hier den deutschen Jahrhundertphilosophen hatten - 
nach Goethe."

Ein Leben, gefangen in einem anderen wie ein Steinchen, das in einem Kästchen 
klappert, wenn man es schüttelt? Grinsen muss ich aber doch.

"Ja!" Trumpft sie auf, als sie sieht, wie mein Gesicht sich verzieht.

"Schon gut. Ich glaub' Ihnen ja, dass Sie das glauben."

"Nein, ich muss das nicht. Mir hat niemand einen Text vorgegeben. Ich hab' das 
hier erlebt. Ich weiß das."

Nach jedem der kurzen Sätze eine Pause. Als sollte man einhaken. Als ließe sich 
die Stille des Hauses darin vernehmen. "Was meinen Sie mit ,erlebt'?"

Sie sieht mich sehr ernst an. "Ich bin erst mal ins kalte Wasser gefallen, als 
er nicht mehr da war. Erst dachte ich, das kann nicht sein, die spielen dir 
irgendwas vor. Das ist nicht die Welt, das ist nicht die Wirklichkeit. Aber es 
war hier so."

Sie springt durch die Zeiten. Wer spielt? Die, die ihr den Tod Jüngers 
berichteten? Oder doch Jünger selbst und seine Frau, als sie ins Haus kam. 
Alles ist Gegenwart. "Als Sie hierherkamen, meinen Sie?"

"Als ich anfing, ja."

"Der Umgang mit Jünger war angenehm?"

"Ja, das ist ganz anders, als man das landläufig gewohnt ist."

"Was meinen Sie damit?"

"Das haben Sie wahrscheinlich noch nie gesehen, wie liebevoll zwei alte 
Menschen miteinander umgehen können."

Schade, denke ich, dass sie nicht von sich spricht. "Bei dem schmalen Bett ist 
man versucht, das Gegenteil zu vermuten."

"Das hat damit gar nichts zu tun."

"Wo schlief denn seine Frau?" Nach dem Tod Grethas hatte Ernst Jünger 1962 ein 
zweites Mal geheiratet, die Germanistin Liselotte Lohrer.

"Oben, unter dem Dach."

"Unterm Dach?"

"Ja, Liselotte hatte immer oben unterm Dach ihr Schlafzimmer. Bei Goethe war es 
auch so, und bei Schiller war es so. In gutbürgerlichen Kreisen hatten die 
Frauen ihren Extrabereich. Auch Schlafzimmer, Wohnzimmer. Die Liselotte hat 
auch erst mal gar nichts verändern dürfen bei Gretha. Also Grethas Schlafzimmer 
ja sowieso nicht. Und deswegen hatte sie oben ihr Schlafzimmer."

"Und Sie meinen, das sagt nichts aus über die Ehe?"

"Überhaupt gar nichts."

"Aber Sie haben nicht hier gewohnt? Im Haus, meine ich?"

"Ich?"

"Ja. Sie kamen morgens?"

"Ich kam morgens. Ich war damals in der Nachbargemeinde. Jetzt muss ich 
allerdings jeden Tag vierzig Kilometer fahren."

"Sie sind umgezogen?"

"Ich habe jetzt nach Biberach geheiratet, und deswegen fahre ich jeden Tag her."

Das müsste sie jetzt aber nicht erzählen. Tut es aber, leise und mit einem 
schwer zu deutenden Ton. Ich rate: "Zweite Ehe?"

"Zweite Ehe."

"Wegen Ernst Jünger?"

Sie lacht.

"Nein, nicht wegen Ernst Jünger", sagt sie schnell. Überlegt dann einen Moment, 
der mir verschwenderisch lang vorkommt, und setzt zögerlich hinzu: "Vielleicht 
aber schon. Ich bin hier in eine ganz andere Welt eingetaucht. Das hat meinen 
Horizont natürlich unglaublich erweitert. Und wenn man dann das nicht hat, dann 
wird man unglücklich, wenn man daheim das nicht hat, wovon man eigentlich als 
Mädchen schon geträumt hat. Ich dachte nie, dass ich noch mal heirate. Das 
dachte ich ja nie. Aber wenn man dann tatsächlich dem Mann begegnet, der 
genauso ein unheilbarer Romantiker ist wie man selbst, gibt's plötzlich kein 
Zurück."

Wieder geht es durch die Zeiten, die nur ein Satz-Scharnier verbindet, das den 
Traum des Mädchens nach beiden Seiten wirft. "Und was war es, was Sie hier 
gefunden haben?"

"Das ist diese menschliche Größe, die ich hier erlebt habe."

"Und was heißt das?"

Sie seufzt. "Ach, wie soll ich das beschreiben? Das muss ich mir echt 
überlegen, wie ich das ausdrücken soll. Also: Ernst Jünger hat eine sehr gute 
Menschenkenntnis gehabt. Für ihn hat es zum Beispiel keine Rolle gespielt . . . 
also, es war eher lästig, wenn der Bundeskanzler sich angemeldet hat. Gut, man 
nimmt's hin und freut sich schon über diese Ehre, die einem da zuteil wird. 
Aber im Grunde genommen war man dann immer froh, wenn es wieder vorbei war."

"Und was hatte das mit Ihnen zu tun?"

"Mit mir?"

"Ja. Was meinen Sie mit Menschenkenntnis?"

"Schauen Sie, er hat mich angeschaut und er hat so was noch gehabt, wie . . . 
Herzensbildung. Es hat für ihn keine Rolle gespielt, ob einer Professor ist 
oder ein Mordsgehalt hat, gar keine Rolle. Herzensbildung! Der schaut einen an 
und durchschaut einen. Das war viel mehr, von Anfang an schon viel mehr als ein 
normales Arbeitsverhältnis. Das war einfach . . . ja, vielleicht war ich wie so 
eine Art Tochterersatz, ich weiß es nicht. Es war einfach eine schöne Zeit. Und 
diese Zeit . . ."

"Gar nicht verliebt?"

"Nein. Nein, um Gottes willen!"

"Na ja, ich meine . . ."

"Nein, nein."

Ich nicke und wende mich zu einem großen Glasschrank um, der voller Nippes 
steht, Geschenke aus Jahrzehnten. Ein langer Moment der Stille. "Ich muss mich 
ein bisschen beeilen", sagt sie irgendwann leise.

"Oh, Verzeihung." Schnell drehe ich mich wieder nach ihr um.

"Ich muss um halb zwölf in Langenenslingen auf der Post sein, weil, das ist bei 
uns so bescheuert."

"Kann ich denn den Garten noch sehen?"

"Ja, natürlich. Die Treppe runter, ums Haus, dann sind Sie im Garten. Und Sie 
müssen sich auf alle Fälle in unser Besucherbuch eintragen."

Wir gehen hinab ins Erdgeschoss. Auf einer Kommode in der Diele liegt, neben 
einigen Büchern Jüngers und Bildbänden über den Dichter, das Gästebuch. Einen 
Augenblick noch, denke ich. "Miller ist aber kein hiesiger Name."

"Doch, Miller ist hiesig. Aber eigentlich heiße ich jetzt Monika 
Miller-Bindestrich-Vollmer."

"Also eigentlich Vollmer?"

"Nein, geborene Gulde. Aus Dürrenwaldstetten gebürtig. Dann habe ich zum ersten 
Mal geheiratet, dann hieß ich Miller. Nie hätte ich gedacht, dass ich diesen 
Namen noch mal verändere. Ich hab' schon gedacht, dass ich mal gehe, aber 
wieder heiraten und noch einmal . . ."

Der Satz bricht ab. Jemand verlässt seine Familie, weil er etwas erlebt hat, 
von dem kein Weg zurückführt in das alte Leben. Jemand trägt die Konsequenz aus 
einer Erfahrung, die offenbar den ganzen Menschen meinte. Während sie 
nachdenkt, betrachte ich ihr Gesicht, das ich nicht zu beschreiben vermöchte. 
"Und dann kam mein zweiter Mann", fährt sie fort, "und der hätte natürlich gern 
gehabt, dass ich seinen Namen annehme, aber auf Miller konnte ich nicht mehr 
verzichten, weil ich so . . . Monika Miller im Jünger-Haus, das ist ein 
Begriff."

"Soll ich hier reinschreiben?"

"Wenn Sie möchten, ja. Heute ist der 24."

Ich weiß.

Thomas Hettche, 43, ist Schriftsteller und lebt in Berlin. Zuletzt erschien 
"Fahrtenbuch", eine Sammlung mit Essays aus den Jahren 1993 bis 2007, bei 
Kiepenheuer & Witsch.


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