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* 12.05.2012

Streit unter Nachbarn

Alibiwildnis im Wald?

Im Nordschwarzwald ist ein Nationalpark geplant. Was nach Natur- und
Umweltschutz klingt, entzweit die Bewohner in der touristischen Region um
Baiersbronn

von Katalina Präkelt

Hans Lutz ist sich sicher: „In einem toten Wald würde ich nicht gerne
wandern gehen.“ Wer wie er nach Baiersbronn, ins Tourismus-Eldorado des
Nordschwarzwalds reist, will essen, wandern, „die Seele baumeln lassen“. Und
nicht zuletzt den Wald besuchen. Gepflegt ist er: hohe, schlanke Fichten
erstrecken sich in ordentlichen, fast akkuraten Baumreihen. Der Wald ist das
Aushängeschild der Region, ihr touristisches Kapital. Nun ist er Dreh- und
Angelpunkt eines handfesten Streits in der Bevölkerung geworden. Denn er
soll zum Nationalpark werden – die Pläne der Landesregierung spalten die
Bevölkerung.

Auf dem Weg nach Baiersbronn stehen immer wieder stilisierte grüne
Ortsschilder, auf denen das Wort „Nationalpark“ mit einem roten Balken
durchgestrichen ist. Es sind weniger geworden in der letzten Zeit, doch die
Haltung vieler Baiersbronner machen sie deutlich.

Letztes Jahr beschloss die Stuttgarter Landesregierung, die seit 1999
bestehenden Pläne für einen Nationalpark wieder aufleben zu lassen. Knapp
10.000 Hektar staatlicher Wald sollen unter den strengen Naturschutz
gestellt werden, die Gemeinde Baiersbronn würde die größte Fläche des Parks
stellen. 10 mal 10 Kilometer Bäume, knapp 0,8 Prozent der gesamten
Waldfläche des Schwarzwalds – für Außenstehende vielleicht nur ein kleines
Stück Wald, für die Bewohner der Region Anlass für erbitterten Widerstand.

„Der Park bringt der Region keinen einzigen Vorteil“, poltert Andreas
Fischer aus Hundsbach, der eigentlich eine Kommunikationsagentur in
Baden-Baden betreibt, nun aber viel Zeit damit verbringt, den Widerstand
gegen den Nationalpark zu organisieren. Der Nordschwarzwald dürfe nicht als
„Alibi-Wildnis“ zweckentfremdet werden, der „radikale Naturschutz“ sei nicht
gut für den Wald. Betretungs- und Nutzungsverbote würde der Park mit sich
bringen, das sei „nicht gut für unsere Region“. Fischer wird laut, wenn er
über das Projekt redet, schlägt mit der Faust auf den Tisch und beschreibt
es als „Pflicht“, sich zu engagieren: „Wir wollen schließlich unsere Heimat
erhalten.“

Ist der nicht gut für die Natur?

Die Heimat erhalten – ein Argument, das häufig angeführt wird. Der Wald ist
wichtig für den Tourismus, daher entzweit er besonders die Tourismusbranche.
„Ich bin gegen den Nationalpark“, verkündet die Wirtin eines Cafés mitten im
Zentrum der beschaulichen Kleinstadt. „Wir haben doch schon genug Touristen
hier.“ Auch den grünen Aufkleber habe sie auf ihrem Auto kleben. Was genau
der Nationalpark für die Region bedeutet, weiß sie nicht. Auch die
Cafébesucher haben von dem Park gehört. „Ist der nicht gut für die Natur?“,
wirft eine Touristin aus der Eifel ein.

Verlegene Stille macht sich breit. Wofür der Nationalpark genau steht,
welche Veränderungen er mit sich bringt, wissen beide nicht. „Ich bin da
auch keine Expertin“, entschuldigt sich die Wirtin und entschwindet. Dass
sie keine Experten sind, beteuern die meisten Baiersbronner, wenn sie auf
den Nationalpark angesprochen werden. Dagegen seien sie, weil sie den Nutzen
eines Nationalparks nicht sehen würden. Baiersbronn ist die größte
Ferienregion Baden-Württembergs. Die Hoteliers setzen auf
Sterne-Restaurants, Saunalandschaften und Schwarzwaldtradition, um Touristen
in die Region zu locken – und auf ihren Wald. Touren unter dem Baiersbronner
„Wanderhimmel“, „Heimatwanderungen“ und „kulinarische Wanderungen“ sollen
für das duchorganisierte Naturerlebnis im aufgeräumten Wald sorgen. Doch der
umsatzstärkste Wirtschaftszweig schwächelt: In den letzten 20 Jahren ist die
Zahl der Übernachtungen zurückgegangen, von 1,2 Millionen auf 800.000.

Weil er gut für den Tourismus ist!

Hotelier Jorg Möhrle hofft, diesem Trend mit dem Nationalpark entgegenwirken
zu können. Er befürwortet den Nationalpark, „weil er gut für den Tourismus
ist, gut für die Region und gut für uns Menschen ist“. Verbunden mit einem
Informationszentrum und der richtigen Infrastruktur, könne der Nationalpark
einen ökologischen, nachhaltigen Tourismus schaffen, Baiersbronn ein
umweltbewusstes Profil geben – und Touristen locken, von denen nicht nur die
Hotels profitierten, sondern auch der Kleinhandel und die Gastronomie.

Dass der Nationalpark die rückläufigen Touristenzahlen stoppen könnte,
glaubt der Hotelier Martin Zepf nicht. „In Deutschland reist niemand nur
wegen eines Nationalparks irgendwohin.“ Die Region müsse überzeugen, „durch
gute Gastronomie, ein intaktes Umfeld, eine schöne Natur“.

Wer sein Hotel besucht, der fährt direkt an der Grenze des Waldgebiets
entlang, das zum Nationalpark erklärt werden könnte. Zwischen den dicht
gewachsenen hohen Fichten sind immer wieder lichte Stellen zu sehen – der
Orkan „Lothar“ fegte vor 12 Jahren über den Nordschwarzwald hinweg und
hinterließ eine Schneise der Verwüstung. „So könnte es auch aussehen, wenn
sich der Borkenkäfer ausbreitet“, fürchtet Zepf.

Würde der Wald sich selbst überlassen, könnte sich der Borkenkäfer im
Nationalpark und den umliegenden Nutzwäldern ungebremst ausbreiten und
Schäden wie im Bayerischen Wald anrichten, wo in den 1990er Jahren große
Teile des Waldes starben. Der Käfer ist das Totschlagargument der
Parkgegner. „Die Touristen möchten einfach nicht in einem toten Wald
spazieren gehen, das ist Fakt,“ sagt Zepf.

Wie Natur aussehen kann, wenn sie sich selbst überlassen wird, sieht man am
Naturpark Wilder See bei Ruhestein. Der See ist von Bannwald umgeben, seit
1911 wird die Natur dort sich selbst überlassen, kein Baum wird mehr
gefällt. Urwaldartige Zustände, umgestürzte Bäume, wuchernde Farne und Moose
– ganz anders als die ordentlich aneinandergereihten Fichten, die sonst das
Gesicht des Schwarzwalds prägen. Anders als Martin Zepf glaubt Jochen
Rothfuß vom Freundeskreis pro Nationalpark nicht, dass die unberührte Natur
die Touristen abschreckt. Im Gegenteil.

Die Baumleichen stehen für neues Leben

Wenn er vom Bannwald Wilder See erzählt, klingt er ganz begeistert. Der
Bannwald vermittle einen Eindruck von der Wildnis, die herrschte, bevor der
Mensch den Schwarzwald in Reih und Glied brachte. Vor allem ist er alles
andere als tot: „Die sogenannten Baumleichen, die man so gerne als tot
bezeichnet, stehen für neues Leben.“ Pilzadern, Moose und Flechten breiten
sich auf „toten“ Baumstümpfen aus, Spechte siedeln sich in den abgestorbenen
Bäumen an – die Natur erobert den Wald zurück.

Der Nationalpark stünde für Naturerlebnis und Wildniserfahrung, Rangertouren
und Abenteuertourismus. Wilder Westen im Ländle? Wohl kaum. Aber, so
Rothfuß, viele Touristen würden die Wildniserfahrung suchen. Außerdem würde
der Park Geld in die Region fließen lassen, „aus Europa, Berlin,
Baden-Württemberg“. Der von der Regierung geplante Park ließe außerdem Zeit
für die Umgestaltung des Waldes: Ein Mischwald aus Buchen und Tannen solle
in den nächsten dreißig Jahren angelegt werden. In einem solchen Wald könnte
der Borkenkäfer, der die Fichte bevorzugt, kaum Zerstörung anrichten. Dass
der geplante Zeitraum reicht, um einen Wald wachsen zu lassen, ist
allerdings unwahrscheinlich. Dreißig Jahre sind für einen Baum nicht viel
Zeit.

Der Touristikverband Baiersbronn wirbt mit dem Motto: „Mehr Schwarzwald
gibt’s nirgends“. Über zwei Drittel der Region sind bewaldet. Es ist der
ordentliche Wald, den viele der Baiersbronner behalten wollen. Seit
Jahrhunderten wird er kultiviert. Er gilt als „Krisenwährung“, als Heimat.
Die Stuttgarter Pläne sehen die Gegner des Nationalparks als Affront.

Eines ist klar: Wenn die Stuttgarter Regierung den Park will, kann in
Baiersbronn niemand etwas dagegen tun. Ein Gutachten hat Alexander Bonde,
der baden-württembergische Minister für Ländlichen Raum und
Verbraucherschutz, den Baiersbronnern versprochen. Es basiert auf Fragen und
Anregungen der Kritiker und entscheidet, ob der Nationalpark entstehen soll.
Anfang 2013 soll es fertig sein. Bis dahin bleibt er aufgeräumt, der Wald.

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Keine Naturgettos, bitte!

Neue Nationalparks sind grüne Symbolpolitik. Sie sollen Rettung verheißen,
sind mitunter aber kontraproduktiv. Viel wichtiger wäre Natur- und
Landschaftsschutz in der Fläche

Ein Plädoyer von Georg Etscheit

Deutschland im Jahre 2040. Die Energiewende ist geschafft, früher als
geplant. Doch der Umstieg auf vermeintlich „grüne“ Energieträger hat seinen
Preis: Deutschlands einst wegen ihrer Schönheit und Vielfalt gerühmte
Kultur- und Naturlandschaften sind nicht mehr wiederzuerkennen.

In den Mittelgebirgen drehen sich tausende Windräder, in den Ebenen dehnen
sich riesige Raps- und Maiswüsten für Biogas und Biokraftstoffe und
großflächige Solarparks. Die Wälder werden intensiver denn je als Quelle für
Biomasse genutzt. Nur in den wenigen Nationalparks und Naturschutzgebieten
hat sich ein Stück Restnatur erhalten. Dort stauen sich jedes Wochenende die
Autos der Erholungssuchenden.

Von „Inseln der Schönheit in einem Meer von Hässlichkeit“ sprach der
bayerische Generalkonservator Egon Johannes Greipl. Er meinte damit die
prächtig herausgeputzten Weltkulturerbestätten, in denen sich Horden von
Touristen vorbeischieben, während in der Fläche der Denkmalschutz längst
kapituliert hat.

Doch Greipls Verdikt könnte man genauso gut auf die Naturgettos münzen,
allen voran die Nationalparks. Dort versucht man, auf kleinen und kleinsten
Flächen eine längst verlorene „Wildnis“ zu reanimieren. Rund um diese Inseln
entwickeln sich die Landschaften im Zeichen von Konsumschlamassel und
Mobilitätswahn und, nicht zuletzt, durch den „Siegeszug der Erneuerbaren“,
mehr und mehr zu einem semiindustrialisierten Einheitsbrei. Orte der Ruhe
haben bereits heute Seltenheitswert.

Neue Nationalparks sollen Rettung verheißen. Vor allem dort, wo die Grünen
mit am Regierungsruder stehen, werden neue Schutzgebiete konzipiert, oft
gegen den erbitterten Widerstand der ortsansässigen Bevölkerung. In
Baden-Württemberg hat man den Nordschwarzwald ausgeguckt, in Rheinland-Pfalz
den Soonwald; in Bayern fordern Naturschützer seit Jahren einen
Buchenwald-Nationalpark im Steigerwald und einen zweiten Alpen-Nationalpark
im Ammergebirge. Nationalparks sollen als Touristenmagneten dienen und neues
Geld und Aufschwung in entlegene Regionen bringen. Paradoxer Umweltschutz.

Die Forderung nach neuen Nationalparks ist oft nicht viel mehr als grüne
Symbolpolitik. Ob Minireservate wie der hessische Kellerwald, der
thüringische Hainich oder der Jasmund auf der Insel Rügen in Sachen
Naturschutz wirklich etwas bringen, ist durchaus umstritten. Manchmal mag
der Effekt sogar kontraproduktiv sein, wenn ehemals stille Landschaften im
Zeichen der Nationalparkidee touristisch aufgerüstet werden.

Antibeispiel Yosemite-Nationalpark

Wohin das führen kann, zeigt sich nirgendwo deutlicher als im berühmten
Yosemite-Nationalpark in den USA, dem Mutterland der Nationalparkbewegung.
Dort wälzen sich lange Autoschlangen durch das pittoreske Haupttal. Einst
wilde Tiere sind nur noch Fotomotive. Ihr natürliches Fluchtverhalten haben
sie längst eingebüßt, was man bezeichnenderweise den „Nationalparkeffekt“
nennt.

Besser als weitere von Gaffern überschwemmte Naturgettos, die möbliert sind
mit Nationalparkzentren, Infotafeln, Ruhebänken und einem Wegenetz zur
„Besucherlenkung“, wäre es, den Natur- und Landschaftsschutz in der Fläche
voranzubringen. Vor allem die Naturparks haben sich als großflächige,
niedrigschwellige Schutzgebiete bewährt.

Sie werden von den Politikern allerdings finanziell stiefmütterlich
behandelt. Oder man schafft sie de facto gleich ganz ab, wie es der frühere
hessische Ministerpräsident Roland Koch getan hat. Zwei Jahre nach Gründung
des Kellerwald-Nationalparks hob die hessische Landesregierung kurzerhand
die großflächigen Landschaftsschutzgebiete in den Naturparks auf, die
vielfältig strukturierte Landschaftsräume wie Odenwald oder Vogelsberg
bislang vor totaler Zersiedelung und Ãœberbauung bewahrt hatten. Die
Schutzgebiete sind jetzt nur noch leere Hüllen.

Öffnung für Windkraftwerke

Auch Umweltschützern und Grünen scheint nicht viel an den traditionsreichen
Naturparks zu liegen. In Bayern hat sich der einflussreiche Bund Naturschutz
dafür ausgesprochen, die Naturparks, wenn auch nur unter bestimmten
Voraussetzungen, für Windkraftwerke zu öffnen.

Muss sich die Umweltbewegung wirklich an neuen, in der Bevölkerung kaum
durchsetzbaren Nationalparks abkämpfen und wertvolle Kräfte vergeuden?
Besser wäre es, noch viel stärker als bisher auf eine Ökologisierung der
Land- und Forstwirtschaft zu drängen. Der Gesang einer Feldlerche im
Frühling sollte nicht nur denen vergönnt sein, die ins Auto steigen und sich
durch ausufernde Speckgürtel und Energielandschaften und unter Ausstoß
beträchtlicher Mengen an klimaschädlichem CO2 zur nächsten Schönheitsinsel
durchkämpfen.




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