t-shirtz.org "03.06.1967"
29.07. - 29.09.2012 Bildungszentrum Mosbach, Am Wasserturm 1-3, 74821 Mosbach Die Legende könnte lauten: Acht Tage vor meiner Geburt wurde Benno Ohnesorg erschossen ... und ist das nicht bereits in Popsongs verarbeitet worden? Die weniger heroische Version wäre: Es handelt sich um den Versuch einer Rekonstruktion signifikatorischer Körperpolitik. Und in der Tat (die hier bedeutet, etwas anzuziehen) ist es so, dass ein T-Shirt zu tragen auch heißt, zwischen der Unmöglichkeit des Nicht- Nichtkommunizieren-Könnens und dem Materialischen zu stehen, zu gehen, zu sitzen usw. In einer Direktheit, die immer noch etwas obszön wirkt, so direkt auf der Grenze des Ich. Das Hemd mit halbem Ärmel in der Form eines oberleibigen, torsohaften T ist textil und darunter ist meistens nichts mehr als eben der Oberkörper. Das schnelle billige, oder "billige" aber teuer gekaufte, gefundene, bedruckte, bemalte, bezeichnete Hemd kann Schmuck und Zeichen sein, diesen Körper verdecken oder das Display für ihn oder etwas anderes sein. Dieses Andere wäre zum Beispiel möglich als Aktion auf einer Einkaufstrasse, an einem etwas zu kühlen Samstag im Juni, einen Tag nach dem Tod eines Studenten, der auf einer Demonstration gegen die Zurschaustellung der unterdrückenden Macht erschossen wurde. Studierende hatten damals privilegiert Hirn und Zeit, oder gelten heute als Ausgebildete mit erzwungener arbeitsloser Freizeit. Während also wirkliche Revolutionen und Proteste Heimatarmeen, die Soziologie und die Studies beschäftigten, liegt in der zivilgesellschaftlichen Historie des Landes, aus dem die Nazis stammen, eine bekannte Geschichte, auf die sich die so genannten 68er vielleicht gerne berufen, weil sie deren Mythos verstärkt und ihn historisch mitbegründet, spielerisch, einfallsreich, kreativ, effektiv, bewusst, antiautoritär zu sein oder gewesen zu sein. Mit Bezug zum Zeitgenössischen würde die Erzählung so gehen: So wie das Öffentliche sich angeblich wie Wasser seinen Weg sucht, so hätte die "Facebookrevolution", den Verboten und dem Gewaltmonopol zum Trotz, das technisch ausgefeilteste Medium gewählt und das Soziale sei darum prima facie <anscheindend> medial determiniert. Oder entscheidet sich alles doch immer noch auf der Strasse, weil dort der Realraum wütet und Online doch nur Überbau bleibt? Unser Medium darf jedes T-Shirt sein An jenem Sommertag erging ein Demonstrationsverbot in Berlin und alle Banner waren illegal. Und wie der Stereotyp will, war es ein Kunststudent (Peter Homan), der vorschlug, wie man das Verbot der Zeichen umgehen könne. Indem man einen Slogan aufsplittet und auf Individuen ohne Zusammenrottung verteilt, die dann, als 'vernetzte' und wie ein Halbsatz funktionierend, das ganze Wort bilden. Zwei Wörter mit je acht Buchstaben bzw. Zeichen wurden auf acht weiße T-Shirts in großen schwarzen, handgemalten Lettern gegeben. Auf die Vorderseite der Name des Regierenden, auf die Rückseite die Forderung. Richtig choreografiert wird dann im Umdrehen aus einem L ein B usw. und so aus dem einen ein weiteres Wort. Die Syntax wurde also von vielen geleistet und das T-Shirt zum unerreichten Nachrichtenträgermedium-Bypass. Die Grundform von "TÖTET DEN KÖNIG!" oder genauer "WIR WOLLEN EINEN NEUEN KÖNIG!" hieß damals: A L B E R T Z ! A B T R E T E N Das kam in die Zeitungen und ins Fernsehen. "Echtzeit-Anwendungen" wie twitter lassen sich auch als neue mediale Phänomene immer noch an solchen Medialisierungen halbtoter Medien messen. Denn die 'echte' Zeit der Bewegungen im Politischen kann nurmehr mit omnipräsenten Schreibflächen wie eine zerlesene und jeweils angewendete erscheinen und erreicht die Vielen, nämlich "die" in diversen disparaten sozialen Gefügen. In der Interdependenz und relativen Selbstverstärkung kommunikativer Massierung per aktuellestem Telegrammstil und aktueller Telegrammtechnik. Dieses aber FÜR die Aktion auf Terrain, für zu kalkulierende Anwesende. Meldeten sich nicht kürzlich bereits Tausende online zu weiteren Protesten in Moskau an, auch weil sie Bilder vorangegangener Demonstrationen gesehen hatten, die von einer selbstgebauten Mini-Drohne aufgenommen wurden? Messagehemden und identifikatorische Hemden sind dennoch beliebteste. Verteiler des Koran trugen in Deutschland T-Shirts mit der Aufschrift "LIES! Im Namen Deines Herren", Verteiler des Grundgesetztes der BRD trugen zunächst nur ihre Staatsgläubigkeit, aber ukrainische Femen die Worte "FUCK EURO 2012" Schwarz auf Haut. Text und Corpus in Kopplung, aber in Kopplung und nicht im Selben. Displayartige T-Shirts für die Ausweitung der Person zu halten, als zweite aber beschriebene Haut, würde die Formgestalt zum Ego machen. Reenacment TSHIRTZ! ? Die Sprache der Gewalt, die den sprachlich versierten Hemdenträgerinnen vor über 40 Jahren entgegenschlug, konnte vielleicht genauso Mindsets programmieren, wie die Behauptung, Boulevardblätter könnten lediglich vorhandene Stimmungen "in der Bevölkerung" verstärken, sie aber nicht erzeugen. Damals wurde genau diese These der einfachen Amplifikation des bereits Integrierten attackiert. Wenn "Polizei" auf der Jacke steht, wird die Lesart weitverbreitet untertänigst sein. Auch Camp kann da nichts ausrichten. Die Aufschrift "Polizei" auf grünem Grund war vor ein paar Jahren die kleine Rebellion, aber zugleich die Aneignung des Hoheitsrechts und damit dessen Bestätigung. Eine Überkreuzfigur der Symbol-Verwendung. Jedenfalls erkannten Wortführer der Herrschenden sowie Habermas auf terroristischen Voluntarismus der sozialistischen Bewegung oder sogar linken Faschismus. Schon zehn Jahre später waren viele Anhänger dieses Terrorismus wohl eher am arbeitsteiligen Modell "sie Lehrerin mit Gehalt, er freier Künstler" oder umgekehrt interessiert. Die damalige Aufstellung mit den über die reguläre Oberbekleidung gezogenen weißen T-Shirts eigens wiederaufzuführen, ist aber nicht nötig. Denn vielerorts wird offenbar immer mal wieder darauf zurückgegriffen, wie kürzlich auf der Aktionswoche gegen Rüstung in Kassel. Dort stand, ebenfalls sich eher verkleidend als tragend, auf sechs weißen T-Shirts "KE IN E PA NZ ER". Die Adressaten oder die Adressierung, so ließe sich folgern, macht auch hier den Eindruck einer naiv-lettristischen Action Directe. Ja, jeder, der ein politisches T-Shirt trägt, ist potentieller Bombenleger. Ein Danach oder darüber-Hinaus könnte ja auch heißen: "BE WA FF NET EU CH". Aber Rede, täglich getragen, zerfällt oder hat gar keine Halbwertszeit. Auch weil sie oft dem Träger (dem Verkleideten) zugeordnet wird, also mit diesem verwechselt wird. Man müsste demnach fragen, ob das Motiv, die Aufschrift, die Spur auf dem Hemd, Ausdruck des Tragenden ist, oder die Person, von Fall zu Fall, lediglich das Medium fürs Medium darstellt. Oder aber ob gesagt wird "Das ziehe ich mir nicht an". Vor ein paar Tagen stieg ein junger Mann aus dem Kleinwagen seines Vaters, er trug ein olivfarbenes T-Shirt mit der Aufschrift "burnout" in Orange. Darüber zog er sogleich ein blaues Kapuzenschirt mit der Aufschrift "ENJOY" in hellem Gelb, Rot, Blau ... Matze Schmidt t-shirtz zeigt T-Shirts, Recherchen und Skizzen aus den letzten 3 Jahren. Dazu Entwürfe von Audio-CDs des Bandprojekts 38317. glitchè legt ausgewählte Tracks auf und zerrrscratcht. Alles in einer Person. (c) 2012 n0name
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