Nordwest Zeitung
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OLDENBURG, 3. Juli 2012

Wissenschaft

Unternehmen verzichten auf Wachstum

Oldenburger Professor Paech sieht Zeit reif für Wandel – Reparieren statt
produzieren / Der Experte arbeitet an einer „Postwachstumsökonomie“. Erste
Firmen haben Erfolg mit dem Konzept

von Miriam Bunjes

Oldenburg - Reinhard Mammerle stellt Schuhe her, die erst nach vielen Jahren
kaputt gehen. Beim Kauf wird allen „Waldviertler“-Kunden geraten, die Schuhe
bloß nicht wegzuwerfen, sondern in die Reparatur zu geben, entweder beim
Hersteller oder beim Vertragspartner. Denn die österreichischen
„Waldviertler“ wollen nicht so viele Schuhe wie möglich verkaufen.

„Unser Umsatz muss nicht wachsen, das ist nicht Unternehmensziel“, sagt
Mitarbeiter Mammerle. „Es sollen keine Rohstoffe für neue Schuhe vergeudet
werden, wenn die alten wiederhergestellt werden können.“

Die Einstellung entspricht dem Zeitgeist. Soziologen sehen Konsumenten, die
einen gesunden und Ressourcen schonenden Lebensstil pflegen, im Trend.
Unternehmen aber, die nicht wachsen wollen, sind noch Exoten.

„Die Zeit ist reif für einen Wandel“, sagt der Oldenburger Professor Niko
Paech, einer der ersten deutschen Ökonomen, die an einer
Postwachstumsökonomie arbeiten – einer Wirtschaft, in der Wachsen keine
Rolle mehr spielt. „Die Ressourcen der Erde schrumpfen, wir sehen erste
Wirtschaftskrisen, Arbeitnehmer leiden zunehmend, weil sie per Smartphone
rund um die Uhr am Wachstum arbeiten.“ Es müsse bald ohne unablässiges
Wachstum gehen.

Wie das für Unternehmer funktionieren kann, zeigt Susanne Henkel. Die
Geschäftsführerin der Richard Henkel GmbH im schwäbischen Forchtenberg ist
erleichtert, dass ihr Umsatz 2012 klein bleibt. „Er war im Jahr davor viel
zu hoch“, erklärt sie. „Wir haben immer neue Kunden bekommen.“ Henkel will
aber nicht mehr, Stabilität reicht ihr: Sie hat 50 Mitarbeiter, „genau wie
mein Opa das schon hatte“. Sie will nicht mehr produzieren, sondern
„wertiger werden“ [1].

Kerngeschäft sind Stahlrohrmöbel, Liegen für Gärten und Schwimmbäder. „Die
Stahlteile an den Möbeln sind quasi unzerstörbar“, sagt Henkel. Nur der
Stoff verschleißt irgendwann. Dann repariert Henkel die Stühle. „Warum
sollten wir den Leuten neue Stühle andrehen? Stahlproduktion verbraucht
Rohstoffe und Energie, die wollen wir sparen“, sagt sie.

Normal ist das nicht, das merkt sie an ihren Kunden. „Die fragen ganz
schüchtern nach Ersatzteilen – und staunen, dass wir nur fragen: welche
Farbe denn?“, sagt die 59-Jährige. Ihre Produktion wächst so nicht, der
Umsatz bleibt stabil. „Dafür machen wir uns umweltfreundlicher“, sagt Henkel
– etwa durch einen Lagerraum, der statt Klimaanlage auf die Bauweise eines
Termitenhügels setzt und so die Nachtkühle nutzt.

Reparieren statt produzieren ist auch für die Postwachstumsökonomie von
Paech zentral. „Einige Industrien verschwinden so, es werden aber kleine
Reparaturbetriebe aus dem Boden sprießen“, sagt er. Dass es ohne Wachstum
weniger Arbeitsplätze gibt, sieht er nicht als Problem. „Durch den
demografischen Wandel gibt es eh bald weniger Arbeiter, und es tut der
Gesellschaft gut, wenn alle nur 20 Stunden arbeiten.“ In der freien Zeit
könnten Menschen mehr Austausch organisieren: Autos und Rasenmäher teilen,
Gemüse anbauen, Dinge selber reparieren. „Das spart Ressourcen und macht
glücklich.“

Verändern müsse sich auch der Umgang mit Geld: „Wenn Betriebe den
Angestellten gehören, handeln sie verantwortlicher“, sagt Paech. Kredite
könne man bei nachhaltigen Banken nehmen, die in reale Projekte investieren.
„Die ersten zarten Pflänzchen des Wandels kann man schon sehen“, sagt Paech.

Die Waldviertler aus Österreich sind gewachsen, obwohl sie es gar nicht
wollten. „Die Nachfrage ist rasant gestiegen“, sagt Mammerle. Die
Schuhmacher haben deshalb ihre Werkstatt vergrößert, Vertriebsstrukturen
auch in Deutschland aufgebaut. „Wenn mehr Firmen wie wir arbeiten, werden
wir nicht mehr wachsen“, sagt Mammerle. „Und das ist gut so.“

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[1] http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/a-832260.html




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