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Archipel, Ausgabe 227 (06/2014) EISZEIT «Stopp dem Biomassaker» Von Nicholas Bell, EBF, Frankreich, 17.06.2014 Seit einiger Zeit informieren wir Sie regelmässig über den Kampf gegen das aberwitzige Projekt des deutschen Unternehmens E.On. Der Energiekonzern möchte sein Kohlekraftwerk in Gardanne bei Marseille auf den Rohstoff Biomasse umrüsten (1). Je mehr wir unsere Kenntnisse über dieses absurde Projekt vertiefen, desto klarer wird uns, dass es nur die Spitze des Eisberges ist und die Bedrohung unserer Wälder weit grössere Ausmasse hat, als wir bisher annahmen. Zur Vergegenwärtigung: Das E.On-Kraftwerk wird jährlich ca. 900.000 Tonnen Holz benötigen; unzählige Bäume werden ausschliesslich für die Stromgewinnung gefällt werden - und dies mit einer Energieausbeutung von knapp 30 Prozent. Die anderen 70 Prozent werden dazu dienen, den Himmel zu heizen und die Umgebung zu verschmutzen. Die globale Dimension dieser Problematik war schon ersichtlich, als klar wurde, dass während der ersten zehn Betriebsjahre die Hälfte des Holzes importiert werden soll, wahrscheinlich aus Kanada. Doch erst dank der detaillierten Berichte von britischen, amerikanischen und kanadischen Organisationen beginnen wir die Grösse der Katastrophe zu erfassen (2). Das E.On-Projekt in Gardanne ist nur eines von einer ganzen Reihe an Kohlekraftwerken in Europa, die für Biomasse umgebaut werden sollen. Nehmen wir zum Beispiel Grossbritannien, wo die Kohlekraftwerke zu den schmutzigsten in Europa zählen. Dort überschreiten laut einem Bericht der Global Forest Coalition (3) mehrere Kohlekraftwerke die Grenzwerte der «Europäischen Richtlinie für die Schadstoffemissionen von Grossfeuerungsanlagen» (4) wegen ihres hohen Ausstosses an Schwefeldioxid. Sie werden oder sind bereits umgebaut für die Verbrennung von Biomasse. Die Umnutzungen, die Grossbritannien bereits genehmigt hat, werden jährlich über 50 Millionen Tonnen Holz benötigen. Das ist fünfmal mehr, als die Wälder des Landes jährlich produzieren (5). Die Umorientierung von Kohle zu Biomasse steht im Zentrum der britischen Politik zu den erneuerbaren Energien. Der Staat und die Industrie zählen dabei eindeutig auf den massiven Holzimport, im Allgemeinen in Form von Pellets. Das Resultat ist ein regelrechter Ansturm auf das grüne Gold. Nicolas Mainville, Direktor von Greenpeace Quebec, hat in seinem Blog geschrieben: «Ich war letzte Woche in Europa, unter anderem um Repräsentanten und Abgeordnete des Europaparlaments zu treffen mit dem Ziel, die europäische Energiepolitik zu verändern. Sie fördert mit Subventionen die Verbrennung von Holz, um die Kohle in den grossen thermischen Kraftwerken zu ersetzen. Doch die europäischen Wälder können der steigenden Nachfrage nicht nachkommen und so greifen die grossen Stromproduzenten wie GDF-Suez, RWE, DRAX, Vattenfall, E.On etc. immer mehr auf die kanadischen und US-amerikanischen Wälder zu. Ursprünglich verarbeiteten die kanadischen Pellethersteller Sägespäne und Industrieabfallprodukte, mittlerweile wenden sie sich aber den kanadischen Wäldern zu, um die Nachfrage zu befriedigen. (...) Illustrierend für diese Industrie, die sich unbemerkt und ohne wirkliche politische Debatte entwickelt, ist das Beispiel der Hafenbetreiber von Quebec. Sie haben ihre Zustimmung gegeben für den Bau eines neuen Terminals durch die «Arrimage Québec» und den anschliessenden Export von 75.000 Tonnen Pellets pro Jahr, die an ein riesiges thermisches Kraftwerk (4000 MW) von DRAX in England geliefert werden. Die Opposition der lokalen Bevölkerung ist greifbar und die soziale Zumutbarkeit des Projekts weit davon entfernt, gesichert zu sein. Im Licht der Tatsache, dass DRAX ab 2015 jährlich mehr als 7 Millionen Tonnen Holz verbrennen wird. Die Pellets, die den Quebecer Hafen passieren, kommen von Bäumen aus dem Wäldern Ontarios, geschlagen und zerschnetzelt von der in Bioenergie expandierenden Firma Rentech. 2011 sprach Ontario der Firma mehr als 1,1 Millionen Kubikmeter Holz von öffentlichem Grund zu.» (6) Nach einem Bericht von Greenpeace Kanada «zerstören die immer noch hauptsächlich angewendeten Kahlschläge mehr als 145.000 Hektar borealen Nadelwaldes pro gruppiertem Holzschlag, was mehr als 150.000 Fussballfeldern entspricht.» (7) Diese Plünderung der Ressource Holz hat 61 US-amerikanische Wissenschaftler dazu bewogen, der Europäischen Kommission zu schreiben (8) und ihre Besorgnis über diese Situation auszudrücken. Sie schätzen, dass aus den Südstaaten der USA nächstes Jahr an die 6 Millionen Tonnen Holz exportiert werden und bitten die EU, «ihre Politik zu überdenken, welche die Nachfrage an Holzpellets als Quelle von Brennmaterial für die Stromproduktion in Europa fördert.» Jean-François Davaut schreibt in seiner Übersicht über die Energiequelle Biomasse: «Die Gesellschaften (E.On, DRAX, RWE etc.) siedeln sich in den Waldgebieten auf der ganzen Welt an und stellen Anlagen für die Fabrikation von Pellets auf, welche die europäischen Kraftwerke versorgen sollen. Eine weitere Konsequenz dieser unabdingbaren Ressource ist das Aufkommen von Holzkulturen. Die Idee ist, Wälder mit schnell wachsenden Baumarten anzupflanzen. Die kurze Rotationszeit erlaubt alle 10 bis 15 Jahre einen Kahlschlag und eine neue Bepflanzung. Dazu müssen allerdings Düngemittel eingesetzt werden und zum Anwachsen braucht es grosse Mengen Wasser. So hat etwa E.On in Afrika 8000 Hektar Land gekauft, bereit dafür lokale Kleinbauern zu enteignen und ihnen den Zugang zu Wasser zu verwehren. Australien hingegen favorisiert die Verwendung von Holzabfällen und hat sogar die Nutzung von Bauholz als Brennholz verboten. Um dies wettzumachen, überlegen sich einige Stromgesellschaften, grosse Eukalyptuswälder anzupflanzen, um Brennmaterial für ihren eigenen Verbrauch, aber auch für den Export zu produzieren.» In diesen Baumpflanzungen werden sicherlich auch gentechnisch veränderte Baumarten zu finden sein. Seit mehreren Jahren werden Versuche gemacht mit verschiedenen Arten von Eukalyptus und Pappeln. So hat das französische Institut National de Recherche Agronomique un-längst ein Projekt durchgeführt mit dem Titel «Niederwald mit sehr kurzer Rotationszeit aus für die Holzeigenschaften gentechnisch veränderten Pappeln - Agronomische Auswertung und Umweltauswirkungen - Auswertung des Holzes für die Produktion von Bio-Energie.» (9) Hingegen wird laut anderen Quellen empfohlen, in den auf Biomasse umgebauten Kohlekraftwerken nur Pellets aus langsam wachsenden Laubbäumen mit einem geringen Anteil an Baumrinde zu verbrennen. Tatsächlich haben andere Baumtypen ein zu hohes Niveau an alkalischen Salzen und führen zur Korrosion der Heizkessel (10). Somit ist es kein Zufall, dass die erfolgreichsten Pelletproduzenten die Laubwälder im Süden der USA anvisieren. Wenn es stimmt, dass Unternehmen wie DRAX von langsam wachsenden Laubwäldern abhängig sind, dann bedeutet dies ein unmittelbares Desaster für diese Wälder. Im Süden der USA gibt es nur noch wenige ursprüngliche Wälder, die den Kahlschlägen und den Nadelbaum-Monokulturen widerstanden haben. Sie befinden sich in abgelegenen oder feuchten Gebieten. Die Biodiversität wäre dort in kurzer Zeit zerstört und die Industrie wäre auf die Vernichtung anderer langsam wachsender Laubwälder etwa in Kanada, Russland oder Osteuropa angewiesen. Man kann meinen, dass damit die Aussichten schwarz genug sind, doch es gibt noch andere Bedrohungen, die über den Wäldern unserer Welt schweben. In einem Interview mit Radio Zinzine (11) hat Sylvain Angerand, Amis de la Terre, vor der neuen Generation der Agrotreibstoffe gewarnt, die vor allem auf die Bäume abziele. Ein in der Zeitschrift Enerzine veröffentlichter Artikel (12) bestätigt seine Befürchtung. Demnach hat Finnland 2012 seine Absicht mitgeteilt, den Bau einer Produktionsanlage für Pyrolyseöl (13) in dem Blockheizkraftwerk von Joensuu finanziell zu unterstützen. Joaquín Almunia, Mitglied der Europäischen Kommission und für das Ressort Wettbewerb zuständig, hat grünes Licht für den Bau der Anlage gegeben. Für ihn «stellt Pyrolyseöl eine exzellente Alternative zum Schweröl dar. Mit minimalen Anpassungen kann es in den existierenden Schweröl-Heizanlagen verwendet werden, was einen grossen Anreiz für die Wärmeproduzenten ist, um sich sauberem Brennstoffen zuzuwenden.» Der Artikel präzisiert, dass die Produktion auf einem Prozess namens Blitz-Pyrolyse basiere, durch den Biomasse in «Bioöl» umgewandelt werde. In seiner Übersicht erläutert Jean-François Davaut noch zwei verkannte Aspekte dieser Begeisterung für die industrielle Biomasse: den Mythos der CO2-Neutralität und die Tatsache, dass die Biomasse genauso umweltschädigend ist wie die Kohle: «Die Zerstörung der Wälder und die Verbrennung der herausgeholten Biomasse sind eine Angelegenheit von wenigen Stunden. Die Regenerierung der Biomasse, die benötigt wird, um das ausgestossene Kohlendioxid einzufangen, dauert jedoch mehrere Jahrzehnte. Daher gibt es zwangsläufig einen CO2-Spitzenwert, der mehrere Jahrzehnte anhalten wird. Hinzu kommt, dass die Verbrennung von Biomasse 51 Prozent mehr CO2 freisetzt als die gleiche Menge Kohle, was eine Kohlenstoff-Schuld schafft. Es wurde berechnet, dass es etwa 40 Jahre Nachwachsen von neuer Biomasse braucht, um diese Schuld auszugleichen und 100 Jahre, um den gesamten entstandenen Kohlendioxidausstoss zu neutralisieren. Gerühmt von quasi allen politischen und ökologischen Institutionen, scheint es doch, dass sich immer mehr kritische Stimmen erheben gegen die verkürzte Darstellung der Biomasse, welche den angestrebten Zielen zuwiderlaufe. Wissenschaftliche Berichte von unabhängigen Organisationen oder Wissenschaftskollektiven beweisen, dass die Biomasse-Kraftwerke mit hoher Kapazität gegen die angestrebten Ziele verfehlen, nämlich geringere ökologische Auswirkungen. Biomasse zu verbrennen ist im Allgemeinen verschmutzender als Kohle zu verbrennen, ausser die Schwefeloxide betreffend. Die Zahlen von aktiven Kraftwerken zeigen, dass die Biomasse bei der Verbrennung 98 Prozent der Stickstoffe ausstösst, die das Äquivalent an Steinkohle erzeugt, hingegen 51 Prozent mehr Kohlendioxid und ein vergleichbarer Gesamtwert an Partikeln, nur dass die Biomasse mehr Feinpartikel erzeugt. Die Dioxinwerte liegen um siebenmal höher als bei der Kohleverbrennung - Dioxine zählen zu den giftigsten chemischen Verbindungen. Um das Bild zu vervollständigen, muss notiert werden, dass die Energieausnutzung von Biomasse halb so gross ist wie die von Kohle. Es braucht also 2 Tonnen Biomasse für das energetische Äquivalent einer Tonne Kohle. Dies stellt die öffentliche Politik infrage, die das Aufkommen der erneuerbaren Energien fördert, oder eher bestimmte Kategorien unter ihnen. Einer dieser Berichte hat den Obersten Gerichtshof der USA dazu gebracht, Gesetze aufzuheben, die Subventionen und Steuererleichterungen für die Stromproduktion aus der Biomasse Holz einführen sollten. Immer mehr Projekte werden angezweifelt, und das auch von staatlichen Stellen, welche die politischen Entscheidungsträger aufklären sollen.» (14) Man kann also nur laut rufen: «Stopp dem Biomassaker!», was keinesfalls die kleinen Biomasse-Heizsysteme in Frage stellt, die an die lokalen Ressourcen angepasst sind. Nicholas Bell, EBF, Frankreich -- 1. Siehe Artikel in Archipel Nr. 220, November 2013 und Artikel in Archipel Nr. 223, Februar 2014. http://www.forumcivique.org/de/artikel/frankreich-eon-wahnsinn http://tinyurl.com/kk47kr2 2. Jean-François Davaut vom Verein Adret-Morvan hat eine nützliche Synthese geschrieben, basierend auf den Berichten von Biofuelwatch, le Manomet center, Partnerchip for Policy Integrity, Energy Justice, Nobiomass (Australien): Biomasse-énergie - Réalité de la situation. Die Synthese auf Französisch ist erhältlich unter: http://sosforetdusud.wordpress.com/2014/05/29/biomasse-energie 3. Why was the worlds biggest biomass power station closed down - and what does this mean for forests?, veröffentlicht am 25. September 2013 auf dem Blog von Global Forest Coalition. http://peopleforestsrights.wordpress.com/2013/09/25/why-was-the-worlds-bigge 4. Richtlinie 2001/80/EC http://tinyurl.com/mxdzk9x 5. Dieser Zahl muss die Nachfrage hinzugefügt werden, die mehrere Dutzend neue Kraftwerke hervorbringen werden, die von Anfang an für Biomasse konzipiert wurden. Das ergäbe laut verschiedener Schätzungen die Gesamtzahl von neunmal mehr als der jährlichen Produktion. 6. Bruler nos fôrets en Europe pour remplacer le charbon : Québec se lance dans lexportation, Blog von Nicholas Mainville, 19. November 2013. http://tinyurl.com/l8vohhs 7. Alérte boréal, veröffentlicht im Dezember 2012 durch Greenpeace Canada. http://tinyurl.com/kp745nu 8. Brief vom 30. August 2013 an Günther Oettinger, EU-Kommissar für Energie. http://tinyurl.com/pp48x4g 9. presse.inra.fr, Pressemitteilung vom 30. Mai 2013, Schlagwort «Peuplier». http://tinyurl.com/mqqljam 10. Auszug aus dem Artikel der Global Forest Coalition. (Fussnote 3). Diese technischen Informationen stammen von DRAX. Sie gelten nur für Kohlekraftwerke, die für Biomasse umgebaut wurden, aber nicht für die neukonzipierten Biomasse-Kraftwerke. http://peopleforestsrights.wordpress.com/2013/09/25/why-was-the-worlds-bigge 11. Hören Sie die Sendung auf radiozinzine.org, Suchwort «Angerand» http://www.zinzine.domainepublic.net/index.php?theurl=emmission2.php&id=2279 12. Lhuile de pyrolyse constitue une excellente alternative au fuel lourde, 11. April 2014, Enerzine.com http://tinyurl.com/lrsftwq 13. Die Pyrolyse ist eine thermo-chemische Spaltung organischer Verbindungen unter hohen Temperaturen. Sie spaltet die Biomasse in feste, flüssige und gasförmige Komponenten auf. Dies geschieht ausschliesslich unter der Einwirkung von Wärme und ohne zusätzlich zugeführten Sauerstoff. http://de.wikipedia.org/wiki/Pyrolyse 14. So hat etwa das Vermount Public Service Board das Zertifikat für das Kraftwerk von North Springfield zurückgewiesen. ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° Ende der weitergeleiteten Nachricht ° Alle Rechte bei den Autor*innen Unverlangte und doppelte Zusendungen bitten wir zu entschuldigen Abbestellen: mailto:greenho...@jpberlin.de?subject=unsubscribe ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° Greenhouse Infopool Berlin http://twitter.com/greenhouse_info Facebook (Beta), RSS-Feed, Mailingliste: http://www.facebook.com/mika.latuschek http://tinyurl.com/greenhouse-feed https://listen.jpberlin.de/mailman/listinfo/greenhouse-info ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° Warum schreibst du nicht da, wo es gelesen wird? Wikipedia braucht mehr alternatives, ökologisches, emanzipatorisches Wissen! 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