Mitteilung der Redaktionsgemeinschaft "der lichtblick", Deutschlands 
auflagenstärkster und einzig unzensierter Gefangenenzeitung (immerhin erreichen 
wir über 30.000 LeserInnen).

 

Der Forschungsbricht Nr. 119 des Kriminologischen Forschungsinstituts 
Niedersachen: "Viktimisierungserfahrungen im Justizvollzug" hat in der letzten 
Woche in der bundesdeutschen Presse Widerhall gefunden. Kein Wunder: wenn jeder 
vierte Inhaftierte in deutschen Justizvollzugsanstalten Opfer von Gewalt wird, 
ist dies nicht nur berichtenswert, sondern ein handfester Skandal!

Obschon es unserer Gefangenenzeitung kaum zusteht - und wir dies auch gar nicht 
fachmännisch leisten können - wollen wir an der vorgelegten Studie trotzdem 
Kritik äußern. Dies tun wir vor allen Dingen deshalb, weil nicht nur die 
Knasterfahrungen unserer Redakteure, sondern auch einer Vielzahl unserer 
Mitgefangenen völlig konträr zu den Ergebnissen sind: Dieter Wurm jedenfalls, 
unser Chefredakteur, hat während bald 30-jährigem Knast-Aufenthalt in diversen 
JVAen allenfalls zwei körperliche Auseinandersetzungen gehabt. Und seine 
Mitgefangenen wurden und werden zwar auch mal Opfer von Gewalt oder sind 
gewalttätig - dies geschieht jedoch nicht häufiger, als an anderen Sozialen 
Brennpunkten einer Großstadt! Die Gefahr, Opfer eines körperlichen Übergriffs 
zu werden, ist nachts auf der Reeperbahn größer. 

Dies ist auch kein Wunder: obwohl es im Gefängnis sicher auch unüberwachte 
Ecken gibt, so ist doch an kaum einem anderen Ort unserer Gesellschaft der 
Staat so präsent, wie im Knast: kein Schritt kann alleine gegangenen werden, 
Handlungsräume und -werkzeuge sind eingeschränkt, und die "Polizei" ist 
überall! Auseinandersetzungen werden zudem sofort sanktioniert.

Kurzum: im Gefängnis sind Menschen mit Schwächen und Fehlern, die vielleicht 
auch nicht die besten Chancen im Leben hatten, auf engstem Raum eingepfercht 
und zudem einer Vielzahl von Deprivationen ausgesetzt - dass trotzdem so wenig 
passiert, ist kein Wunder: besonders der Umstand, dass Gewalttaten meist zügig 
bemerkt und ebenso schnell sanktioniert werden, schreckt ab. Des Weiteren 
existiert, trotz aller Heterogenität der Gefangenen, eine "Solidarität", ein 
Gemeinsinn: allen gemein ist, dass sie inhaftiert sind. So sind selbst Kultur- 
und Religionsgrenzen, die Grund für Auseinandersetzungen sein könnten, im 
Gefängnis bei weitem nicht so ausgeprägt, wie außerhalb des Knastes!  

Ganz anders jedoch Jugendstrafanstalten, für die unsere Ausführungen keine 
Geltung haben - tatsächlich ist hier Gewalthandeln alltäglicher.

Grundsätzlich ist festzustellen, dass da mehr passiert, wo wenig Perspektiven 
sind, wo Haftbedingungen repressiv sind - eben da, wo viel eingeschlossen und 
wenig behandelt wird.

Exkurs: Zur vielzitierten "Subkultur" erlauben wir uns, einige Anmerkungen: 
Gerne wird von Justizbehörden fast schon reißerisch von einer Subkultur 
berichtet, die dem Organisationsziel entgegengesetzt ist und einer 
resozialisierenden Behandlung diametral entgegensteht und -wirkt. Es scheint 
verführerisch zu sein, an einer Subkultur und Prisonisierung festzuhalten, die 
die Insassen kriminalisiert. So trifft man in der Behandlungsforschung nicht 
selten auf nothing-works-Gedanken, die der Subkultur und Prisonisierung die 
Schuld an nicht gelingender Resozialisierung geben, der Behandlung 
entgegenstehen und -arbeiten und hohe Rückfallquoten produzieren. Dabei werden 
das Da- und So-sein dieser Phänomene häufig mit einem Achselzucken - so sei es 
halt - von im Gefängnis Tätigen an- und hingenommen. Verkannt wird dabei, dass 
die Lebenswelt Gefängnis durch den Vollzug ausgestaltet wird - so wie Menschen 
ihre Situation prägen, so sehr gilt auch, dass Situationen ihre Menschen 
prägen. Das Überleben in der totalen Einrichtung befördert sekundäre 
Anpassungs- und Abwehrmechanismen zur Bewältigung der Haftdeprivationen. Keine 
Justizbehörde braucht sich zu wundern, dass die ihnen zur Besserung 
anvertrauten Gefangenen versuchen, mit der Inhaftierung, dieser besonderen und 
vom normalen abweichenden Lebenssituation, klar zu kommen. Hieraus ergeben sich 
mitunter in Anstalten, die mehr verwahren, als behandeln, Lebenswelten, die die 
der Zielerreichung "Resozialisierung" eben so gar nicht dienlich sind! Von 
einer kriminellen Subkultur zu sprechen (mit anomischen Wertekanons, 
delinquenten Verhaltenskodizes und Insassentypologien), ist jedoch gänzlich 
verfehlt, entbehrt übrigens auch wissenschaftlichen Grundlagen und dient 
allenfalls Justizbehörden als Rechtfertigungsgrund!

 

Die Ergebnisse der Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts beruhen 
unseres Erachtens auch  darauf, Gefangene in der Mehrzahl Techniken anwenden, 
um die Realität zu leugnen - und dazu gehört häufig auch das "Knacki-Lamento" 
und Larmoyanz. Mit anderen Worten: Befragen Personen außerhalb des Vollzuges 
Gefangene, wie es ihnen geht, wird "selbstverständlich" viel gejammert und 
geklagt. Die Opferrolle steht Gefangenen besser, als die Täterrolle.

Indirekte Viktimisierungserfahrungen jedenfalls sind der Lebenswelt geschuldet: 
würden Sie, werte/r LeserIn, Tag und Nacht mit ihren Arbeitskollegen auf 
engstem Raum zusammenhocken, wären Gerüchte, Mobbing und ähnliches die Regel - 
anschaulich alltagswissenschaftlich sei auf Big Brother oder ähnliche Formate 
verwiesen.

Unsere Zeitung jedenfalls begrüßt Forschungen zum Strafvollzug ganz deutlich; 
jedoch wäre es im Sinne von Zielorientiertheit - den Vollzug "besser" zu machen 
(humaner, sozialstaatlicher und erfolgreicher) - angezeigt, sich nicht nur mit 
Zahlen zu beschäftigen, sondern mit den Menschen hinter Zahl ... wir plädieren 
dafür: nur kümmern hilft - der Entzug der Freiheit in Kustodialorganisationen 
allein vermag es nicht, Menschen mit Fehlern und Schwächen zu bessern.

 

Der Knast jedenfalls ist kein netter Ort - er ist unserer jahrzehntelangen 
Erfahrungen nach aber auch kein Ort, an dem Vergewaltigungen und Schläge zum 
Alltag gehören, eher das Gegenteil ist der Fall.

 

Die Redaktionsgemeinschaft "der lichtblick"

Gefangenenzeitung
der lichtblick
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"der lichtblick" gewährt Blicke über hohe Mauern und durch verriegelte Türen. 
Er versteht sich als Sprachrohr der Gefangenen: Er macht auf Missstände 
aufmerksam und kämpft für einen humanen, sozialstaatlichen und wissensbasierten 
Strafvollzug. Oft nimmt er eine vermittelnde Position zwischen dem 
Resozialisierungsanspruch der Gefangenen und dem Schutzbedürfnis der 
Bevölkerung ein; dass das Eine das Andere befördert und verstärkt, kann gar 
nicht oft und deutlich genug betont werden. Neben kriminal- und 
strafvollzugspolitischem Engagement initiiert "der lichtblick" "Berührungen" 
zwischen drinnen und draußen und fungiert als Kontaktstelle. Nicht zuletzt ist 
"der lichtblick" die Lieblingszeitung vieler Insassen - und wird auch von 
Justiz, Politik und Wissenschaft gelesen.

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