ZUERST! Deutsches Nachrichtenmagazin • 4/2015


„Kontinentales Bündnis“

 

Der serbisch-amerikanische Geopolitik-Experte Prof. Dr. Srdja Trifković gilt 
als ausgezeichneter Bismarck-Kenner. Im Gespräch mit ZUERST! erklärt er, was 
Otto von Bismarck heute wohl alles anders machen würde

 

Prof. Dr. Srdja Trifković, geboren 1954 in Belgrad, gehört zu den weltweit 
herausragenden Experten der Geopolitik. Er studierte Politikwissenschaften in 
Großbritannien und promovierte an der Universität Southampton. Trifković lebte 
und lehrte später in den USA, wo er bis 2008 Direktor des „Center for 
International Affairs“ am Rockford-Institut war. Heute lehrt Srdja Trifković 
Internationale Beziehungen an der Universität von Banja Luka 
(Bosnien-Herzegowina). Trifković schreibt zudem regelmäßig Artikel in 
geopolitischen Fachmagazinen und ist Autor mehrerer Bücher.


Herr Prof. Trifković, würde Otto von Bismarck heute die europäische Landkarte 
betrachten – wie würde er wohl reagieren?

 

Trifković: Er wäre wohl zunächst schockiert darüber, daß die deutsche Ostgrenze 
heute an Oder und Neiße verläuft. Otto von Bismarck war ja bekanntlich Preuße. 
Seiner Ansicht nach dürften Städte wie Königsberg, Danzig oder Breslau im 
eigentlichen Sinne „deutscher“ gewesen sein als die rheinischen Provinzen. Sein 
erster Eindruck dürfte also sein: Deutschland ist nach Westen „verrutscht“, und 
ein wichtiger soziokultureller Bereich seines Deutschlands ist 
verlorengegangen. Wenn er diesen ersten Schock überwunden hätte, würde er sich 
die europäische Landkarte noch einmal etwas genauer ansehen. Die große Distanz 
zwischen Deutschland und Rußland würde ihn wohl völlig verblüffen. Wir haben 
heute dort, wo zu Bismarcks Zeit die Grenze zwischen dem Deutschen Reich und 
Rußland verlief, eine Art „Groß-Polen“, das damals nicht existierte. Und 
frühere Provinzen des Russischen Reiches wurden plötzlich eigenständige Staaten 
wie die drei Balten-Republiken, Weißrußland und die Ukraine. Bismarck würde 
darin wohl eine Art „Pufferzone“ zwischen Deutschland und Rußland sehen. Vor 
allem er, der immer einen großen Wert auf ein starkes deutsch-russisches 
Bündnis gelegt hatte, würde sich fragen, wie das alles so kommen konnte. Er 
würde mit Sicherheit überlegen, wie man ein solches kontinentales Bündnis heute 
wieder zum Leben erwecken könnte. Das wäre eine typische* diplomatische 
Herausforderung für ihn: Wie schließt man ein solches Bündnis zwischen Berlin 
und Moskau, ohne die dazwischenliegenden kleineren Staaten allzusehr gegen sich 
aufzubringen?

 

Was würde er denn Angela Merkel raten?

 

Trifković: Er würde ihr wohl den Ratschlag geben, daß, wenn sie schon kein 
Bündnis mit Rußland schließen kann, sie sich doch wenigstens um eine bessere 
Balance der Beziehungen zu Washington einerseits und zu Moskau andererseits 
bemühen sollte. Der Realpolitiker Bismarck wäre wohl klug genug zu sehen, daß 
heute eine Wiederaufl age des Dreikaiserbundes von 1881 kaum möglich ist, sich 
dafür aber andere Optionen ergeben.

 

Mit Sicherheit wäre auch der Krieg in der Ukraine ein Thema für Bismarck…

 

Trifković: Deutschland hat sich unter Angela Merkel sehr einseitig im Falle der 
Ukraine positioniert, ein Bismarck hätte das niemals so gemacht. Er war stets 
bemüht, sein Land nach allen Seiten hin abzusichern. In der Ukraine können wir 
ganz klar ein Washingtoner Krisenszenario beobachten, auch einem Bismarck 
bliebe das garantiert nicht verborgen. Typische „Bismarcksche Politik“ im Falle 
der heutigen Ukraine wäre: Berlin tritt als ein verläßlicher und neutraler 
Schiedsrichter europäischer Politik auf – und eben nicht als transatlantischer 
Vorposten.

 

Sie sagten vorhin, Deutschland sei seit Bismarcks Zeiten nach Westen 
„verrutscht“. Sie meinen das aber nicht nur geographisch?

 

Trifković: Sehen Sie: Bereits als der junge Otto von Bismarck preußischer 
Gesandter beim Bundestag in Frankfurt war, waren zwei Dinge klar: Er war kein 
Freund der vor allem aus Westdeutschland stammenden Liberalen. Er mochte sie 
nicht. Gleichzeitig arbeitete er stets auch daran, daß das katholische 
Österreich später kein Teil des Deutschen Reiches wurde. Bereits damals zeigte 
sich, wie nach Bismarcks Vorstellung Deutschland aussehen sollte: eine 
kontinentaleuropäische, zentrale Macht ohne zu starke katholische Elemente und 
zu liberale Ideen. Gleichzeitig wußte er auch, daß eine solche 
zentraleuropäische Macht sich stets vor der Einkreisung hüten muß. Oder in 
anderen Worten: Bismarck wußte immer, daß er verhindern mußte, daß Frankreich 
und Rußland zu Partnern wurden. Nur so konnte er Deutschland als unabhängige 
mitteleuropäische Macht nach allen Seiten hin absichern.

 

Vor allem das Verhältnis zu Rußland scheint ihm stets wichtiger gewesen zu sein 
als das zu Frankreich…

 

Trifković: Und genau hier gibt es eine gewisse Merkwürdigkeit in Bismarcks 
Politik, die ich bis heute nicht ganz verstehe. Nach dem Krieg gegen Frankreich 
1870/71 annektierte das frisch geschaffene Deutsche Reich Elsaß-Lothringen und 
sorgte somit für künftige Spannungen mit dem Kriegsverlierer Frankreich. 
Realpolitisch ge sehen kann man sagen: Die Vorteile der Annexion des Elsasses 
und Lothringens wogen die Nachteile in keiner Weise auf. Plötzlich gab es auf 
deutschem Boden einen französischen Irredentismus, der einen politischen 
Ausgleich in Richtung Paris geradezu unmöglich machte. Die gesamte Politik der 
sogenannten Dritten Französischen Republik (1870–1940) war daher von einem 
anti-deutschen Ressentiment geprägt.

 

Herr Prof. Trifkovic, Sie sind US-Amerikaner mit serbischen Wurzeln – Sie 
kennen Osten und Westen gleichermaßen. Gibt es hier Unterschiede in der 
Betrachtungsweise Otto von Bismarcks?

 

Trifković: Sieht man von wissenschaftlichen Kreisen einmal ab, muß ich leider 
sagen, daß man weder im Westen noch im Osten Otto von Bismarck angemessen 
würdigt. Beide begehen oftmals den Fehler, Bismarck als eine Art blutrünstigen 
und nationalistischen Kriegstreiber zu zeichnen, der rücksichtslos für die 
Einigung des Deutschen Reiches über Leichen ging. Doch nichts ist weiter von 
der Realität entfernt als ein solches Zerrbild. Die drei Kriege, die bis zur 
Reichseinigung geführt wurden, waren begrenzte bewaffnete Konflikte mit klaren 
Kriegszielen. Und Bismarck beendete diese Kriege ohne unnötige Demütigungen der 
Kriegsgegner – außer bei Frankreich. Vor allem beim Krieg gegen Österreich 1866 
zeigte sich, daß es Bismarck nur darum ging, Preußens Vormachtstellung 
endgültig abzusichern. Wenig später schloß er bereits wieder Bündnisse mit 
Österreich-Ungarn. Lassen Sie es mich so formulieren: Bismarck war kein 
brutaler Kriegstreiber, er war ein genialer Realpolitiker, der seinen Vorteil 
blitzschnell erkannte und auch rücksichtslos für sich nutzen konnte. Und genau 
darin liegt eine gewisse Ironie, die heutigen Moralaposteln nur schwer zu 
vermitteln ist: Bismarck war ein kalter Berechner, der seine Entscheidungen nur 
selten moralischen oder ethischen Kriterien unterworfen hat – aber das Resultat 
seiner Realpolitik war ein moralisch stabiles Reich, welches seine nationalen 
Interessen unter Bismarcks Kanzlerschaft ohne kriegerische Konfl ikte 
verfolgte. Zwischen 1871 und 1890 war das Deutsche Reich in Europa ein verläß 
licher, stabilisierender Faktor. Während des Berliner Kongresses zur Beendigung 
der Balkankrise präsentierte sich Bismarck 1878 zudem noch als „ehrlicher 
Makler“, respektiert von ganz Europa. Doch mit Bismarcks Abgang 1890 endete 
diese für ganz Europa erholsame und stabilisierende Phase.

 

Was änderte sich nach 1890 für Europa?

 

Trifković: Nachdem Bismarck nicht mehr Reichskanzler war, verlor die deutsche 
Politik ihre Verläßlichkeit. Plötzlich herrschte unter dem jungen Kaiser 
Wilhelm II. eine etwas fi ebrige „Wir-müssen-irgend-etwas-tun“-Stimmung. Das 
Flottenbauprogramm wurde angeschoben, der Rückversicherungsvertrag mit Rußland 
wurde nicht mehr erneuert. Er war als Teil des Systems der Aushilfen in 
Bismarcks Versuch, einen Krieg in Europa zu verhindern, eingebunden. Und dabei 
lag es nicht einmal an Rußland – gerade das Zarenreich drängte auf die 
Erneuerung des bilateralen Abkommens mit Berlin. Doch vertrat der Kaiser die 
Auffassung, das Reich solle sich stärker durch eigene militärische Aufrüstung 
als durch Bündnisse schützen. Und plötzlich wurde Bismarcks Albtraum wahr: Da 
Rußland nun plötzlich ohne internationalen Verbündeten war und sich das 
deutsch-russische Verhältnis immer mehr abkühlte, näherte es sich Frankreich an 
und verabredete mit ihm 1892 eine Militärkonvention und 1894 schließlich mit 
dem „Zweiverband“ ein festes Bündnis. Sie müssen dieses französisch-russische 
Bündnis auch einmal dort unterideologischen Gesichtspunkten betrachten: Hier 
das liberale, freimaurerisch beeinfl ußte und laizistischrepublikanische 
Frankreich – und dort das christlich-orthodoxe, tief-konservative und 
monarchistische Russische Reich. Und Deutschland genau dazwischen. Damit trat 
die von Bismarck stets gefürchtete Zweifrontenlage für das Deutsche Reich ein, 
und die Grundlagen der mächtepolitischen Blöcke im Ersten Weltkrieg waren 
gelegt. Übrigens kann man in diesem Politikwechsel von 1890 durchaus auch 
aktuelle Parallelen sehen.

 

Inwiefern?

 

Trifković: Die oftmals etwas neurotische Politik Berlins nach der Entlassung 
Bismarcks erinnert doch schon ein wenig an Victoria Nuland und John McCain. 
Betrachtet man Deutschland zwischen 1890 und 1914, sieht man auch schon einige 
Parallelen zu US-amerikanischen Neocons. Übrigens auch die Besessenheit vom 
Feindbild Rußland ist so eine Parallele zwischen damals und heute. Nach 
Bismarcks Entlassung wurde Rußland im Deutschen Reich von Politik und Medien 
mit den fi nstersten Farben beschrieben. Das Feindbild Rußland wurde in 
Deutschland plötzlich gepfl egt. Das Zarenreich wurde als rückständig, 
aggressiv und gefährlich bezeichnet. Wenn wir die westlichen Mainstream-Medien 
– auch die deutschen! – heute einmal querlesen, hat sich genau dieses 
Rußland-Bild wieder durchgesetzt: das gefährliche, rückständige und aggressive 
Putin-Reich.

 

Bismarck war also kein deutscher Neocon?

 

Trifković: (lacht) Auf gar keinen Fall. Er war das glatte Gegenteil! Er war 
kein Phantast, kein Ideologe, keiner, der in die Welt hinausziehen wollte, um 
andere – wenn nötig mit Waffengewalt – zu beglücken. Bismarck war immer ein 
bodenständiger, preußischer Landbesitzer. Während Großbritannien als Seemacht 
überall Handelsstützpunkte und neue Kolonien für sich erschloß und britische 
Truppenverbände irgendwo in Indien marschierten, war Bismarcks Deutschland als 
eine klassische Landund Kontinentalmacht angelegt. Ich würde sogar vermuten, 
daß Bismarck selbst eine Abneigung gegen das Meer hatte – ich kann es natürlich 
nicht beweisen! Nur sehr widerwillig ließ er sich in den 1880er Jahren vom 
Erwerb der ersten Schutzgebiete für das Deutsche Reich überzeugen. Und dazu war 
das ganze Kolonialprogramm noch wirtschaftlich völlig fragwürdig. Denn seien 
wir doch einmal ehrlich: Das, was Deutschland da in den 1880er Jahren und 
später alles so einsammelte, das waren die Reste, die die anderen großen 
Kolonialmächte – vor allem Großbritannien – noch übriggelassen hatten. Das 
wußte auch Bismarck. Und er sah, daß alle wichtigen Meerengen und strategischen 
Punkte wie beispielsweise das Kap der Guten Hoffnung unter britischer Kontrolle 
waren. Doch ging es vor allem in Deutschland bei der Kolonialfrage stets auch 
um „Prestige“ und „Geltung“. Und genau darum ging es dem Realpolitiker Bismarck 
ja nicht.

 

Bismarck hatte auch eine besondere Beziehung zum Balkan, könnte man heute 
ironisch bemerken. 1876 sagte er in einer Rede, daß das Deutsche Reich auf dem 
Balkan kein eigenes Interesse verfolgte, „welches auch nur die gesunden Knochen 
eines einzigen pommerschen Musketiers wert wäre“. Doch diese Sichtweise scheint 
sich geändert zu haben: Heute sind deutsche Soldaten im Kosovo, die 
Bundesrepublik Deutschland war das erste Land, das die Unabhängigkeit 
Sloweniens und Kroatiens von Jugoslawien 1991 anerkannt hat…

 

Trifković: Otto von Bismarck wollte stets verhindern, das Schicksal 
Deutschlands zu sehr an Österreich-Ungarn anzubinden. Die Entscheidung, sich 
aus den Konflikten im Balkan völlig herauszuhalten, war richtig. Nach Bismarcks 
Entlassung nahm nicht nur die Propaganda gegen Rußland, sondern auch die gegen 
die Serben in Deutschland zu – was man natürlich wiederum in Wien sehr gerne 
sah. Es gibt übrigens noch ein anderes Zitat Bismarcks, das sich als geradezu 
prophetisch erwiesen hat: „Europa ist heute ein Pulverfaß, und seine Regenten 
agieren wie Männer, die in einer Munitionsfabrik rauchen. Ein einziger Funke 
kann eine Explosion auslösen, die uns alle verschlingt. Ich weiß nicht, wann es 
zur Explosion kommt, aber ich kann sagen, wo. Irgend etwas Verrücktes auf dem 
Balkan wird der Beginn der Katastrophe sein.“ Es gibt übrigens auch in bezug 
auf Serbien Parallelen zur heutigen politischen Lage in Europa: In Serbien kam 
es im Jahre 1903 zu einem dynastischen Wechsel. Zuvor hatte Österreich-Ungarn 
mehr oder weniger die Kontrolle über das kleine Nachbarland. Doch mit dem 
Wechsel zum Haus Karadjordjević in Belgrad folgte auch ein Politikwechsel 
Serbiens – man orientierte sich nun am großen slawischen Bruder, an Rußland. 
Das wollte man in Wien wiederum verhindern und Serbien mit wirtschaftlichen 
Mitteln in ökonomischen und politischen Fragen unter Druck setzen. Doch aus 
diesem sogenannten „Zollkrieg“ ging das kleine Serbien am Ende sogar gestärkt 
hervor. Wir erkennen die Parallelen zu Rußland heute. Man kann den Wiener 
Zollkrieg gegen Belgrad mit den Sanktionen gegen Rußland vergleichen, das 
Resultat wird übrigens ähnlich sein. Sanktionen zwingen ein Land immer, seine 
Wirtschaft zu diversifi zieren und damit unangreifbarer zu machen. In Serbien 
hat das vor mehr als hundert Jahren funktioniert, in Rußland arbeitet man heute 
daran. Als Österreich-Ungarn dann 1908 Bosnien-Herzegowina annektierte, kam es 
zu einer ernsten Krise – und nur Deutschlands Parteiergreifen für Wien beendete 
die „Bosnische Annexionskrise“. Und schon war Deutschland mittendrin im 
Balkankonfl ikt. Übrigens: Nach Ausbruch des Weltkrieges schafften es die 
Truppen Wiens nicht, das kleine Serbien zu besiegen. Sie brauchten Waffenhilfe 
aus Deutschland. Der Preuße August von Mackensen besiegte schließlich Serbien 
und erwies sich dabei noch als ritterlicher Gegner: „In den Serben habe ich die 
tapfersten Soldaten des Balkans kennengelernt“, notierte er in sein Tagebuch. 
Später ließ Mackensen aus Respekt für die gefallenen Serben ein Denkmal in 
Belgrad errichten mit der Inschrift: „Hier ruhen serbische Helden.“

 

Wenn heute in Deutschland an Bismarck erinnert wird, dann geht es vor allem 
auch immer wieder um das Verhältnis zu Rußland…

 

Trifković: Zu Recht!

 

Läßt sich das deutsch-russische Verhältnis folgendermaßen umschreiben: Wenn wir 
Deutschen mit den Russen gut auskommen, ist es ein Segen für Europa, wenn wir 
uns bekriegen, liegt der ganze Kontinent in Schutt und Asche?

 

Trifković: Wir können jedenfalls sagen: Die einzigen, die geradezu panische 
Angst vor einer deutsch-russischen Verständigung haben, sind stets die 
transatlantischen Seemächte. Im 19. Jahrhundert waren das die Briten, heute 
seiner Insellage dieses Gebiet nicht beherrschen könne, mit dem Emporkommen 
einer aufstrebenden Macht auf dem Kontinent rechnen müsse – dabei könnte es 
sich um ein deutsch-russisches Bündnis handeln. Betrachtet man das britische 
Kolonialreich und die zugehörigen Seestützpunkte, fällt einem auf, wie das 
eurasische Herzland quasi „umzingelt“ wird. Mackinder formulierte den Merksatz: 
„Wer über Osteuropa herrscht, beherrscht das Herzland. Wer über das Herzland 
herrscht, beherrscht die Weltinsel. Wer über die Weltinsel herrscht, beherrscht 
die Welt.“ Der US-amerikanische Geostratege Nicholas J. Spykman entwickelte 
Mackinders Theorie weiter. Nach Spykman ist das „Rimland“ – das ist das Land, 
das das Herzland umgibt – das wichtigste zu kontrollierende Landgebiet. Spykman 
gilt als Vordenker der US-amerikanischen Containment-Politik der Nachkriegszeit.

 

Bei Spykman ging es doch vor allem gegen den Kommunismus und gegen die 
Sowjetunion, nicht so sehr gegen Deutschland…

 

Trifković: Eben nicht! Es ging ihm um die Kontrolle des „Herzlandes“ – völlig 
unabhängig von irgendwelchen ideologischen Gesichtspunkten. Spykman sagte noch 
im Frühjahr 1943, daß eine Sowjetunion von der Nordsee bis zum Pazifik aus 
US-amerikanischer Perspektive nicht minder unerfreulich sei als ein Deutschland 
vom Atlantik bis zum Ural. Eine kontinentale Macht im eurasischen Raum galt es 
stets zu verhindern oder wenigstens einzudämmen – das ist genau die Kontinuität 
der transatlantischen Seemächte bis heute.

 

Herr Prof. Trifkovic, die USA und die EU überziehen Rußland mit Sanktionen, 
Deutschland ist mittendrin. Was würde ein deutscher Kanzler wie Bismarck heute 
tun?

 

Trifković: Mit Sicherheit würde er sofort die Sanktionen gegen Rußland beenden, 
weil er genau weiß, daß auch Deutschland darunter leidet. Und er würde den 
US-amerikanischen Einfl uß auf die deutsche Politik erheblich re duzieren. Aber 
wissen Sie, Europa braucht nicht unbedingt einen neuen Bismarck. Schauen wir 
uns doch noch nur mal die europäischen Politiker von vor etwa 50 Jahren an. 
Leute wie Charles de Gaulle oder sogar Konrad Adenauer hatten mehr Charakter 
und Format als die heutigen EU-Politiker. Ich denke, das würde Europa in seiner 
gegenwärtigen Situation bereits sehr helfen.

 

Herr Prof. Trifković, vielen Dank für das Gespräch. 

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