Mit Milosevic keine Zukunft
Von Flottau, Renate

Der serbische Oppositionspolitiker Zoran Djindjic über die Folgen des Kriegs 
und einen demokratischen Wechsel

SPIEGEL: Herr Djindjic, Sie haben in Montenegro Zuflucht gesucht, sind Sie 
Ihres Lebens in Serbien nicht mehr sicher?

Djindjic: Die Angriffe im Fernsehen gegen mich waren eine klare Aufforderung 
zum Lynchmord. Es wäre verrückt, jetzt aus Montenegro nach Serbien 
zurückzukehren. Denn als toter Oppositioneller kann ich nichts für die 
Demokratie erreichen. Es ist kaum noch möglich, in Belgrad rational zu 
denken und die Wahrheit über unsere Lage klar zu erkennen.

SPIEGEL: Wie lange wird der Krieg noch weitergehen?

Djindjic: Ich sehe in Belgrad Signale für ein Einlenken. Eine Fortsetzung 
des Kriegs würde Milosevic keine Vorteile mehr bringen. Die ersten drei 
Wochen stärkten seine Position. Doch jetzt zeigt sich seine 
Fehleinschätzung. Die Nato bleibt hartnäckig, und Rußland denkt nicht daran, 
Jugoslawien wirklich zu unterstützen.

SPIEGEL: Slobodan Milosevic kündigte seine Bereitschaft an, einen Teil der 
im Kosovo stationierten Streitkräfte abzuziehen. Nur ein Bluff?

Djindjic: Bei seinen Kompromissen versucht er stets auch noch zu pokern. Er 
will am Anfang weniger geben als gefordert - und am Ende muß er mehr 
zugestehen, als verlangt wird. Jetzt hofft er, daß alle mit einem Teilabzug 
der Truppen zufrieden sein werden und daß die internationale Gemeinschaft 
ihre Ziele vergißt.

SPIEGEL: Der Westen hat sich bereits einmal geirrt, als er glaubte, 
Milosevic werde schnell einlenken. Würde Milosevic seine Armee auch gegen 
Nato-Bodentruppen kämpfen lassen?

Djindjic: Ich glaube nicht. Denn Bodentruppen würden bedeuten, daß er am 
Ende kapitulieren muß. Milosevic weiß, daß die Nato nicht nachgeben wird.

SPIEGEL: Riskiert er seinen Sturz, wenn er nach den Bombardierungen 
plötzlich internationale Friedenstruppen im Kosovo akzeptiert?

Djindjic: Die Bevölkerung ist gleichermaßen von Europa wie von Milosevic 
enttäuscht. Fast alle wollen jetzt ein Ende des Kriegs um jeden Preis. Er 
könnte getrost den Plan der G-8-Staaten unterschreiben. Jeder wäre dankbar.

SPIEGEL: Hunderttausende Albaner wurden vertrieben, viele werden vermutlich 
nicht mehr in das Kosovo zurückkehren. Hat Belgrad damit sein heimliches 
Kriegsziel erreicht?

Djindjic: Die Frage ist, ob Milosevic dieses Ziel nicht zu teuer erkauft 
hat. Wenn Serbien nach dem Krieg zerstört und isoliert bleibt, ohne 
internationale Hilfe, dann ist dies ein sehr zweifelhafter Sieg. Montenegro 
würde sich in diesem Fall bald von Jugoslawien abtrennen.

SPIEGEL: Das ist eine Drohung von Montenegros Präsident Milo Djukanovic, die 
er stets schnell zurückzieht, wenn Milosevic ihn verwarnt.

Djindjic: Mit Milosevic an der Macht hat Jugoslawien keine Zukunft. Nach ein 
paar Monaten würde die Unzufriedenheit in Montenegro ein solches Ausmaß 
annehmen, daß die Regierung keine andere Lösung hätte, als einen eigenen Weg 
zu gehen.

SPIEGEL: Wer soll Milosevic verdrängen? Er besiegte die Opposition bisher in 
allen wichtigen Wahlen - ungeachtet seiner verhängnisvollen Kriegsmanöver.

Djindjic: Ein Wechsel muß von Kräften innerhalb Jugoslawiens eingeleitet 
werden, aber die internationale Gemeinschaft sollte uns endlich ihre 
Unterstützung zusagen, sobald wir den Kampf gegen das undemokratische Regime 
beginnen. Wenn wir unsere Wähler überzeugen wollen, brauchen wir greifbare 
Argumente: die Aussicht auf ein besseres Leben, die Einbindung Serbiens in 
die europäische Gemeinschaft. Ein Marshallplan zum Wiederaufbau muß auf die 
Einführung der Demokratie, also die Machtübernahme durch die Opposition, 
folgen. Nächstes Jahr finden Wahlen statt, im Herbst beginnt schon die 
Wahlkampfphase.

SPIEGEL: Welchen Status bekäme nach einem Machtwechsel das Kosovo?

Djindjic: Am Anfang eines Friedens wird Kosovo nicht unter serbischer und 
nicht unter albanischer, sondern unter internationaler Verwaltung stehen. 
Doch dies darf nicht zu einem dauerhaften Protektorat werden oder gar in 
Unabhängigkeit münden. Die langfristige politische Lösung ist eine Autonomie 
des Kosovo im Rahmen eines demokratischen Jugoslawiens und Serbiens.

SPIEGEL: Wird aber der Westen bei einem Friedensschluß nicht gezwungen sein, 
Milosevic erneut als Vertragspartner zu akzeptieren?

Djindjic: Vorrangig ist das Ende des Kriegs, wer das Abkommen unterzeichnet, 
zählt nicht so sehr. Aber unmittelbar danach werden wir die Frage nach der 
Verantwortung stellen, bei der Nato wie bei uns. Milosevic hätte versuchen 
müssen, den militärischen Konflikt mit allen Mitteln zu vermeiden. 
INTERVIEW: RENATE FLOTTAU




DER SPIEGEL 20/1999
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