Nationalismus in Serbien Gefährlicher Traum vom großen Reich

15.08.2010, 13:52 2010-08-15 13:52:47 

Ein Gastbeitrag von  <mailto:politik-onl...@sueddeutsche.de> Christian 
Schwarz-Schilling 

Verschwörungstheorien, Träume von "Großserbien" und kein Wort vom Völkermord: 
Serbiens Nationalismus verhindert die Entwicklung auf dem Balkan. Aber auch 
Deutschland und die EU müssen ihre Hausaufgaben machen. 

Christian Schwarz-Schilling, 79, trat 1992 aus Protest gegen die 
Bosnien-Politik der Regierung <http://www.sueddeutsche.de/thema/Regierung>  
Kohl als Postminister zurück. 2006/07 war er Hoher Repräsentant für Bosnien und 
Herzegowina.

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<http://polpix.sueddeutsche.com:80/polopoly_fs/1.988188.1281729542%21/image/image.jpg_gen/derivatives/860x860/image.jpg>
 

Auch Serbiens Sportstars lassen sich zu Propagierung der Großmachtträume des 
Landes verleiten: "Kosovo gehört zu Serbien" steht auf dem T-Shirt von Milorad 
Cavic. Er trug es, während er seinen Sieg über 50-Meter-Schmetterling bei der 
Schwimm-WM 2008 feierte. (© dpa) 

Seit Jahren reden europäische Spitzenpolitiker von der Dauerkrise im Kosovo und 
in Bosnien-Herzegowina. Die Wahrheit sieht allerdings anders aus: Nicht 
fehlender guter Wille oder Dummheit bei den Politikern dieser beiden Länder ist 
der Grund für den fehlenden Fortschritt. Das größte Problem ist immer noch die 
ideologische Verkrampfung Serbiens. <http://www.sueddeutsche.de/thema/Serbien> 

Belgrad hat sich immer noch nicht von jener nationalistischen großserbischen 
Ideologie gelöst, die in den 1990er Jahren zu dem schlimmsten Völkermord in 
Europa seit dem 2. Weltkrieg und zum anschließenden Auseinanderfallen des 
früheren Jugoslawiens <http://www.sueddeutsche.de/thema/Jugoslawien>  geführt 
hat. Noch heute verhindert diese Ideologie jeden Fortschritt in den beiden 
Nachbarländern. Mit einem politischen Trotz sondergleichen achtet die serbische 
Regierung darauf, dass die historisch überholte Idee des "Greater Serbia" nicht 
in Frage gestellt wird. Wer es dennoch tut, steht in Serbien unter enormem 
politischem Druck, der bis zum Mord führen kann, wie bei dem mutigen früheren 
Ministerpräsidenten, Zoran Djindjic, geschehen, der regelrecht exekutiert wurde.

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Es gibt aber noch einen weiteren Faktor, der eine Entwicklung zum Besseren in 
der gesamten Region verhindert: Es ist die unkonzentrierte, inkonsistente und 
kurzatmige Politik Europas. Europa will bis heute nicht wahrhaben, wie sehr es 
mit seiner ständigen Nachgiebigkeit gegenüber der Politik Serbiens die heutige 
desaströse Lage im Kosovo, in Bosnien-Herzegowina 
<http://www.sueddeutsche.de/thema/Bosnien-Herzegowina>  und auch in Serbien mit 
herbeigeführt hat.

Zwei Gerichtsentscheidungen aus Europa sollten nun den Europäern die Augen 
öffnen. Zunächst hat der Internationale Gerichtshof in Den Haag (IGH) ein 
klares und eindeutiges Urteil über die Selbstständigkeit des Kosovos 
<http://www.sueddeutsche.de/thema/Kosovo>  abgegeben. Die 
Unabhängigkeitserklärung des Kosovos war kein Verstoß gegen das Völkerrecht! 
Das kam in Belgrad wie ein Donnerschlag an.

Auch das zweite Gerichtsurteil, von einem Londoner Gericht nach sorgfältiger 
Recherche gefällt, hat es in sich: Es hat Ejup Ganic freigelassen, der auf 
Ersuchen Serbiens in London am 1. März festgenommen wurde und als möglicher 
Kriegsverbrecher <http://www.sueddeutsche.de/thema/Krieg>  nach Belgrad 
ausgeliefert werden sollte. Das Gericht hat festgestellt, dass es keinerlei 
Anhaltspunkte gibt, dass Ganic die ihm zur Last gelegten Kriegsverbrechen im 
Mai 1992 wirklich begangen hat. Die Richter befanden, nicht juristische 
Tatbestände, sondern politische Motive hätten die serbische Staatsanwaltschaft 
bei den falschen Anschuldigungen geleitet; dies sei ein Missbrauch des 
britischen Rechtsstaates.

Lesen Sie weiter, wie serbische Politiker Verschwörungstheorien befeuern.


Geringschätzung für Rechtsstaatsdenken


Die Urteilsbegründung des Londoner <http://www.sueddeutsche.de/thema/London>  
Richters Timothy Workman zeigte zudem, dass die serbische Seite hinter dem 
Rücken des Gerichts einen politischen Deal mit London und Sarajevo versucht 
hat: Belgrad würde das Auslieferungsersuchen zurückziehen, wenn Ejup Ganic in 
Sarajevo vor Gericht gestellt würde und die bosnische Regierung die 
unzureichende Erklärung des serbischen Parlaments zum Massaker in Srebrenica 
guthieße, in dem das Wort "Völkermord" vermieden wird. Dieser Versuch zeigt, 
wie gering die serbische Regierung das Rechtsstaatsdenken in London schätzt; 
das Gericht lehnte ein solches Ansinnen selbstverständlich ab.

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<http://polpix.sueddeutsche.com:80/polopoly_fs/1.988183.1281729130%21/image/image.jpg_gen/derivatives/860x860/image.jpg>
 

** ARCHIV ** Christian Schwarz-Schilling am 7. Juli 2005 in Berlin waehred 
eines Gedenkens an die Opfer von Srebrenica. Schwarz-Schilling soll neuer Hoher 
Repraesentant der UN-Verwaltung fuer Bosnien werden. Aussenminister 
Frank-Walter Steinmeier (SPD) aeusserte sich am Dienstag, 13. Dezember 2005, in 
Bruessel erfreut ueber die Unterstuetzung der Kandidatur des Unionspolitikers 
durch die EU-Aussenminister. Schwarz-Schilling war vom 4. Oktober 1982 bis 17. 
Dezember 1992 Bundesminister fuer Post und Telekommunikation. (AP Photo/Jockel 
Finck) (© AP) 

Als die Freilassung Ganics - nach fünf Monaten in London - in Serbien 
<http://www.sueddeutsche.de/thema/Serbien>  bekannt wurde, war die Wut der 
serbischen Medien, der radikalen Parteiführer, aber auch in der Regierung groß; 
dies zeigt einmal mehr, wie aufgeheizt die Stimmung im Land ist. Präsident 
Boris Tadic, Außenminister Vuk Jeremic sowie der Premierminister der Republika 
Srpska, Milorad Dodik, überbieten sich seitdem in ihren Bemühungen, die beiden 
Gerichtsurteile als Teile eines großen anti-serbischen Komplotts darzustellen 
und zu versichern, dass sie nie und nimmer die Selbstständigkeit des Kosovos 
akzeptieren werden. Hektisch werden nun 55 Sonderbotschafter in alle Welt 
geschickt, damit möglichst wenige UN-Mitgliedsstaaten den Kosovo anerkennen.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass diesem Aktionismus sogar kleinere Erfolge 
beschieden sind. Es gibt ja sogar noch fünf EU-Mitgliedsstaaten, die, aus Angst 
vor der eigenen innenpolitischen Lage, dem Staat Kosovo 
<http://www.sueddeutsche.de/thema/Kosovo>  die Anerkennung versagen. Doch auf 
Dauer wird es immer klarer, dass die Zeit vorbei ist, in der Serbien darauf 
bestehen konnte, als "Großserbien" auch im Kosovo oder in Bosnien das Sagen zu 
haben. Die Geschichte ist einfach weitergegangen.

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Umso mehr muss nun Europa seine eigenen Schularbeiten machen. Dazu gehört, jene 
Kräfte auf dem Balkan <http://www.sueddeutsche.de/thema/Balkan>  zu 
unterstützen, die für langfristig sinnvolle Lösungen einstehen und konstruktive 
Beiträge für die Stabilisierung der Region zu liefern bereit sind. Es war zum 
Beispiel ein fundamentaler Fehler, dass Ende vorigen Jahres die internationalen 
Richter auf Druck der Republika Srpska aus den normalen Gerichten von 
Bosnien-Herzegowina abgezogen wurden.


Dringend nötig: Gespräche mit Russland und China


Dies hat den Aufbau einer funktionierenden Gewaltenteilung in 
Bosnien-Herzegowina <http://www.sueddeutsche.de/thema/Bosnien-Herzegowina>  
sehr erschwert; solche Fehler dürfen sich nicht wiederholen. Europa muss 
denjenigen helfen, die auf dem Balkan den notwendigen Reformprozess 
voranbringen wollen. Sie sind auf diese internationale und professionelle 
Unterstützung angewiesen.

Eine wichtige Aufgabe der EU wäre es, Gespräche mit Russland und auch China auf 
höchster Ebene zu führen, um die Blockaden im Sicherheitsrat Schritt für 
Schritt abzubauen. Ziel sollte ein gegenseitiges Übereinkommen über die Zukunft 
der Region sein. Die Europäer müssen auch bereit sein, die Attitüde des 
Besserwissers abzulegen und so das Vertrauen der Regierungen 
<http://www.sueddeutsche.de/thema/Regierung>  und der Bevölkerung im Kosovo, in 
Bosnien-Herzegowina, auch in Serbien, zurückzugewinnen.

Leider gehören auch die Deutschen in diesem Prozess zu den Passiven, manchmal 
gar zu den Bremsern. In Berlin warten die Verantwortlichen offensichtlich auf 
einen europäischen Sonderzug, wo die Plätze für Deutschland zur Mitarbeit am 
Balkan reserviert sind. Das wird sich als Fehlkalkulation erweisen. Inzwischen 
haben längst andere Mächte, insbesondere die Türkei, diese Plätze besetzt. Sie 
bemühen sich vorbildlich, die verfahrene Lage im Sinne Europas 
<http://www.sueddeutsche.de/thema/Europa>  und in

Abstimmung mit Russland <http://www.sueddeutsche.de/thema/Russland>  zu 
entkrampfen. Noch würde der Wiedereinstieg Deutschlands als konstruktiver 
Mitspieler begrüßt werden. Die beiden Gerichtsurteile könnten eine gute 
Gelegenheit dazu sein.

 

http://www.sueddeutsche.de/politik/nationalismus-in-serbien-gefaehrlicher-traum-vom-grossen-reich-1.988182



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