Hallo, Leute!

Hier etwas, was ich schon länger loswerden wollte, aus aktuellem Anlass und
wegen des regnerischen Sonntags aber nun endlich schreibe:

Nach einiger Beobachtung sehe ich jetzt in einigen Aspekten dessen, was und
wie inzwischen von engagierten Mappern erfasst, OpenStreetMap in einer
gewissen Krise - wobei ich unter Krise, gemäß dem Ursprung dieses Wortes,
eine sich verschärfende problematische Situation verstehe, die zu einer
Entscheidung drängt:

Da gibt es einerseits - auch in Deutschland - noch viele Gebiete, in denen
höchstens die Überlandstraßen erfasst, innerörtliche Straßen aber kaum zu
finden sind [1]. Andererseits ist an bestimmten anderen Stellen, vor allem
in Städten, schon so viel gemappt, dass Mapper sich schon daran gemacht
haben, dort jedes einzelne Haus, jede Kneipen und jeden Recycling-Container
zu erfassen [2] ... oder jedes Gehege im Zoo [3], jeden Fußweg auf einem
Friedhof [4] oder jedes Becken einer Kläranlage [5]. Es ist auch nichts
dagegen zu sagen, wenn Mapper sich auf diese Weise (oder auch z.B. durch
das Erfassen von Hausnummern) um größere Detailtreue in ihrer Umgebung
bemühen, falls es ihnen nicht möglich oder zu aufwändig ist, sich in noch
wesentlich weniger erfassten Gegenden zu betätigen.

Problematisch wird das Ganze, wenn die Abstraktionsebene des Projektes
verlassen wird. Das geschieht z.B., wenn einige bereits damit beginnen,
einzelne Spuren einer mehrspurigen Straße getrennt zu erfassen (obwohl
diese Teil einer Fahrbahn sind und man real zwischen den Spuren durchaus
wechseln kann). Ein Beispiel, auf das ich heute gestoßen bin, ist die A 559
bei Köln [6]. Das Ergebnis des Renderns ist durchaus unbefriedigend, und
man kann das hier auch nicht dem Renderer zuschreiben.

Bei OpenStreetMap gibt es, wie man aus der Entstehung und auch aus der noch
(!) überwiegenden Praxis erschließen kann, folgende Abstraktion: Jeder Weg
(ob Straße, Rad-, Fußweg etc.) wird in der Datenbank grundsätzlich als
Polygonzug [7] erfasst, unabhängig von der physikalischen Breite des Weges
oder der Anzahl seiner Fahrspuren, also nicht als Fläche. Das ist auch eine
gute Wahl, wenn man sie von der Nutzung der Daten her betrachtet: Es geht
bei den Wegen um die Verbindung zwischen Orten.

Für das Visualisieren (Rendern) ist z.B. das (bei unseren Datenquellen zudem
immer recht ungenaue) Mappen einzelner Spuren eher kontraproduktiv, wie das
obige Beispiel [6] zeigt - die zusätzlichen geokodierten Nodes haben eine
Pseudogenauigkeit, deren wahre Ungenauigkeit visuell nun deutlich
hervortritt. Und selbst wenn der Renderer nun noch die Information bekäme,
dass es sich um eine gemeinsame Fahrbahn (und Brücke) handelt und der
Wechsel zwischen den Spuren erlaubt ist, dann ist gegenüber einem einfachen
Polygonzug (way), der mittels zusätzliche Tags mit der Information über die
Zahl der Spuren versehen ist, keinerlei Informationsgewinn zu verzeichnen;
es ist nur die Sache für die Renderer und die Routingsoftware erschwert.

Nun mag mancher erwidern: Wir mappen doch nicht für die Renderer und Router.
Da ist etwas Wahres dran; es wird aber zu oft als Totschlagargument
gebraucht. Es trifft vor allem zu, wenn jemand versucht, Bugs oder auch
Unzulänglichkeiten der Renderer beim Mappen auszugleichen - da ist es
besser, "richtig" zu mappen und die Darstellung dann der jeweiligen
Software zu überlassen. "Richtig mappen" heißt aber nicht, jeden Bordstein
und jede Linie zwischen zwei Fahrspuren derselben Fahrbahn in ihrer Lage zu
erfassen, sondern den Zweck von OpenStreetMap zu beachten. Der liegt nun
mal in einer Karte, zu deren Abstraktionsgrad nun einmal gehört, einen Weg
(Straße) als Verbindung (Polygonzug) zu erfassen und diese Information (wo
ist A und B und wie komme ich von A nach B) möglichst gut darzustellen (sei
es als Karte oder per Routingsoftware oder wie auch immer). Und wenn z.B.
die Breite oder Zahl der Spuren (einschließlich ihrer Abbiegemöglichkeiten)
einer Straße in diesem Rahmen eine sinnvolle Information sind, dann sollte
man sie als Eigenschaften (Tags) der entsprechenden Straße zuschreiben. Das
ist dann der richtige Abstraktionsgrad - im Gegensatz zur Pseudogenauigkeit
von in die Gegend gesetzten Nodes mehrerer Spuren.

Um schließlich noch ein Beispiel zu ergänzen: Für kontraproduktiv halte ich
es auch, wenn jeder zu einer Straße parallele Radweg als eigener Polygonzug
(Way) gemappt wird und man dann eventuell jeden abgesenkten Bordstein, über
den man vom Radweg auf die Fahrbahn wechseln könnte, erfassen will. Da
sollte man sich immer fragen, wer denn diese Information nutzen kann: Kein
Radfahrer wird doch je auf einer Karte nachschauen, wann denn ein solcher
Bordstein kommt. Und für die Routenplaner genügt es, wenn an den Kreuzungen
erfasst ist, wie man in welche Richtung weiterfahren kann. Überhaupt genügt
es (und mehr wäre eine Überforderung!), wenn eine Karte oder eine
Navigationssoftware mir einen recht guten Weg (im Sinn der Folge von
Straßen, die ich fahren oder begehen muss) angibt - wo ich als Radfahrer
dann genau fahre (auf einem nicht vorgeschriebenen Radweg oder auf der
Fahrbahn bzw. als Fußgänger auf der linken oder der rechten Straßenseite),
das entscheide ich auch in Zukunft immer noch besser vor Ort.

Die Frage, wer denn die Information nutzen kann und wird, hängt übrigens eng
mit der zusammen, wer sie später pflegen wird. Daten, die niemandem helfen,
werden auch kaum von jemandem gepflegt; sie können, wenn sie einmal
überholt sind, nur noch verwirren. Bei manchen Ideen, was man alles wie
mappen könnte, sollte etwas mehr Realismus über eine nachhaltige Erfassung
und Pflege der Daten einkehren.

So, das war's fürs Erste :-)

Gruß,
Hatto


[1] Beispiel: http://www.openstreetmap.org/?lat=50.3247&lon=6.8348&zoom=13
[2] Beispiel: http://www.openstreetmap.org/?lat=50.1495&lon=8.68262&zoom=17
[3] Beispiel: http://www.openstreetmap.org/?lat=50.96131&lon=6.97687&zoom=17
[4] Beispiel: http://www.openstreetmap.org/?lat=50.13756&lon=8.68999&zoom=1
[5] Beispiel: http://www.openstreetmap.org/?lat=50.99105&lon=6.97966&zoom=16
[6] http://www.openstreetmap.org/?lat=50.91985&lon=7.02348&zoom=17
[7] http://de.wikipedia.org/wiki/Polygonzug


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