Hallo alle;

Am 10.04.19 um 13:32 schrieb Christian Imhorst:

Denn auf der anderen Seite ist das vorhandene Internet durch Digitale Rechte Minderung, bereits vorhandenen Uploadfiltern, Überwachungskapitalismus etc., kaputt. Da finde ich den Ansatz der FSF richtig, wenn sie sagt, dass ein neues Internet her muss. Eventuell mit P2P oder evtl. auch Zeronet.


Kein Widerspruch. Mir wäre es auch recht und wichtig, ein neues, besseres Internet zu bauen. Technologisch glaube ich, daß wir mit ZeroNet, IPFS und dergleichen ein paar gute Möglichkeiten auf der Hand haben, die auch richtig "gut" werden könnten, würden wir uns darauf fokussieren (was ich insbesondere bei sozialen Netzwerken nicht sehe - dort fließt zurzeit, glaube ich, die Kraft eher in "verteilte Systeme aus kleinen zentralistischen Strukturen" wie Mastodon oder das gesamte Fediverse).

Ansonsten: Wir müssen darauf achten, daß viele der Diskussionen, die wir in der Hand haben, mittlerweile(?) nicht mehr technischer, sondern gesellschaftlicher Natur sind, weil anno 2019 "das Internet" eine sehr viel breitere Nutzerschaft hat, die sehr viel heterogener ist als früher und sehr viel diversere Anforderungen hat. Ja, das Internet ist kaputt, aber nicht erst durch Uploadfilter oder DRM, sondern schon vorher gewesen. Einige willkürliche Beispiele:



- Uploadfilter. Ich finde die Idee extrem problematisch, sehe im Gegenzug aber auch, daß beispielsweise Flickr jetzt genau mit so etwas beginnen, aus einem klaren Problem heraus: Das Verteilen von Bildern, an denen man keine Rechte hat, ist auf der Plattform leider seit Jahren schon ein Problem, und offensichtlich stört sich niemand in der Breite daran. Gleiches gilt für Hatespeech und "fragwürdige" Inhalte: Ich bin mit einem Internet großgeworden, in dem es teilweise noch selbstverständlich war, daß es Newsgroups oder Mailinglisten mit Moderatoren gab, die illegalen, bösartigen oder schlicht per der dortigen Regeln unerwünschten Content geblockt oder Nutzer gesperrt haben. Das ist zurzeit deutlich schwieriger, weil die Nutzermenge sehr viel größer ist, aber es gibt klar Leute, denen diese Gegebenheiten schaden. Ich will keine Uploadfilter, aus verschiedenen Gründen, aber ich sehe, daß sie ins Feld geführt werden als (theoretisch) durchaus valide Lösung für Probleme, die wir bislang nicht besser gelöst haben.

=> Wir brauchen eine Idee, wir wir in einem globalen, sehr großen Netz mit Rechten an "Inhalten" umgehen. Wenn ich GPL-Software oder Bilder unter CC-BY-SA ins Netz werfe, habe ich *natürlich* die Erwartungshaltung, daß sich jene, die damit etwas tun, an diese meine rechtlichen Ideen zulässiger Nutzung halten. Wie kann jemand, der etwa Musik als "all rights reserved" oder auch nur CC-NC-ND auf seiner Website zum Download oder eben auf CD zum Kauf anbietet, sicherstellen, daß diese Rechtsvorgabe respektiert wird? Auch Dreck wie DRM ist an vielen Stellen letztlich nur die Folge des Umstands, daß wir hierfür keine andere/bessere Lösung haben.




- Überwachungskapitalismus: Auch nervig und potentiell extrem gefährlich. Gleichermaßen aber hat sich die überwiegende Mehrheit der Internet-Nutzer offensichtlich still darauf geeinigt, daß digitale Inhalte nichts kosten dürfen (Paywalls sind auch eher böse als akzeptiert) und Werbefinanzierung eigentlich der einzige Weg ist, der derzeit noch bleibt. Im Umkehrschluss werden mit Werbung und Trackern vollgestopfte Pages mit Adblockern genutzt - und es wird sich noch über die "dreisten" Anbieter beklagt, die ihren Content nicht ohne Werbung online, ggfs. gegen Spenden, "verschenken" wollen, sondern die Notwendigkeit haben, davon Journalisten/Autoren, Fotografen, Infrastruktur, Server, Bandbreite, ... planbar zu bezahlen. Dasselbe gilt für Apps in den großen App-Stores: Viele Nutzer schimpfen über Tracking etwa in Android-Apps aus Google Play, lassen aber teilweise unter den Tisch fallen, daß es in einer nicht unbeträchtlichen Zahl der Fälle "kostenlose" Varianten (mit Werbung/Tracking) und bezahlte Varianten (ohne Werbung/Tracking) gibt. Letzteres scheint aber eine Option zu sein, die gar nicht erst nicht in Betracht gezogen wird. Gleichermaßen werden "alternative" App-Stores wie F-Droid in letzter Zeit wieder und wieder durch die Medien gescheucht als Alternativen zu Google und Go., die tracking- und werbefrei und natürlich kostenlos sind.

=> Wir brauchen eine Finanzierungsidee für Dienste, Inhalte, ... im digitalen Zeitalter, in der es auch für Zeitungen, Verlage, Autoren, Musiker, ... Möglichkeiten gibt, irgendwie von ihrer Arbeit leben zu können. Momentan dürfen wir sicher sein, viele von denen als "Gegner" zu haben, weil wir für sie funktionierende Strukturen - an vielen Stellen leider *durchaus* zugunsten einer vorrangig auf "kostenlos" ausgelegten Herangehensweise - zerschlagen und keine Alternativen offerieren. Das ist weder fair noch nachhaltig und wird am Ende, wie wir sehen, zu Konsequenzen führen, die schlecht sind (Vertreter genau dieser Lobbies, die grenzwertige Gesetze forcieren; focus.de oder andere Clickbait-News-Sites, die nur darauf aus sind, mit faktisch *nicht* recherchierten oder redaktionell bearbeiteten +++NEWS-TICKER+++s Geld über Anzeigen zu verdienen; ...). Ein fairerer / sinnvollerer Adblocker im Browser würde nicht auf Seiten die Werbung unterdrücken, sondern über die *gesamte* Page ein schwarzes Overlay legen mit Text der Art "diese Site ist tracking-/werbefinanziert, Du möchtest lieber Inhalte konsumieren, die nachhaltiger und fairer entstanden sind". ;)



- Software: Ich habe im Firmenumfeld mit Google Apps for Enterprises zu tun. Mag ich nicht, aus verschiedenen Gründen, aber ich muß neidlos zugestehen, daß Verfügbarkeit, Integration der einzelnen Komponenten, Nutzbarkeit auch für *völlig* unversierte Endnutzer, ... durch andere Anbieter und Lösungen unerreicht ist. Konkret der Wechsel bei Kontakten und Kalendern von eigener ownCloud dorthin war interessant: Plötzlich ist die Notwendigkeit von Support für Endnutzern in diesen Bereichen intern faktisch weggefallen. Es gibt keine Probleme mehr - augenscheinlich funktioniert die Lösung einfach noch, und das Schlimmste, weswegen man 'mal gefragt wird, ist, warum der eine Besprechungsraum im Google Calendar noch nicht zu sehen ist. Früher(TM) war das anders: Mit ownCloud und Thunderbird als Desktop-Client gab es *beständig* mit Kalendern und Adressen und Synchronisierung dieses Krams irgendwelchen Ärger, und bei Nutzern, die parallel dazu noch mit mehreren Geräten (Laptop, Smartphone) unterwegs waren, ging das faktisch nie. NextCloud (wie ich privat lerne) ist um einiges besser, aber immer noch Meilen hinter Google. Das ist Mist. Ich weiß, warum das so ist, deswegen bin ich bereit, dort (mindestens privat) Kompromisse zu machen. Aber ich verstehe jeden, der nicht imstande oder willens ist, sich diesen Aufwand auf den Schirm zu holen für eine Lösung, bei der er sich Freiheit der Software und Autonomie der Daten erkauft mit einer in Größenordnungen schlechteren bzw. teils überhaupt nicht mehr gegebenen Nutzbarkeit.

=> Wir brauchen Modelle für "professional grade" SoftwareLibre. Ich *möchte* einen Dienst wie Google Apps for Enterprises selbst hosten können. Ich erwarte nicht mal, daß ich den geschenkt bekomme, sondern wäre durchaus bereit, dafür auch Geld zu bezahlen. Momentan gibt es das aber in sehr wenigen Fällen; in der Mehrzahl der FLOSS-Projekte erlebe ich dann Diskussionen in der Art: "Das ist Software, die von Freiwilligen in ihrer Freizeit gebaut wird und die Du kostenlos nutzen darfst, also sei dankbar und hab keine Ansprüche". Das ist in vielen Fällen nicht die Herangehensweise, die man will oder braucht.


Nur meine €0,02 dazu...
Viele Grüße,
Kristian
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