Hallo Erik,
> Weshalb ich behaupte, dass wir auf eine Art noch schlimmer dran sind,
> als die Leibeigenen ("serfs") früher.
Als jemand mit Studium der Geschichte möchte ich dem widersprechen. Die
Aussage ignoriert den ganzen Horror, der mit "serfdom" verbunden war.
Auch wenn ich den Begriff also nicht mag, weil Feudalismus eben doch
historisch etwas anderes ist - die Problemanalyse ist richtig. Ich
könnte Deinen Ausführungen noch etliche Auswüchse hinzufügen, die die
katastrophalen Folgen dieses Technokapitalismus belegen.
Allerdings fürchte ich, dass das jetzt für diese Liste doch off topic
ist. Mal nen allgemeinpolitischer Link ist gut, aber wir sollten uns
darüber nicht in die Haare kriegen.
Schön wäre es aber, wenn Varoufakis nicht nur reden würde, sondern auch
praktisch was täte - zB mal darauf achten, den Technokapitalismus nicht
noch mithilfe seiner Partei zu füttern -
https://webbkoll.dataskydd.net/de/results?url=http%3A%2F%2Fdiem25.org,
gruselig (hab mich schonmal beschwert, erfolglos).
Viele Grüße
Ilu
Am 11.10.23 um 15:49 schrieb Erik Grun:
Hallo, Bernhard,
hallo, Liste,
Am 10.10.23 um 09:13 schrieb Bernhard E. Reiter:
Am Sonntag 08 Oktober 2023 22:07:56 schrieb Erik Grun:
ich habe neulich diesen sehr interessanten Vortrag von Prof. Yanis
Varoufakis über "Technofeudalism and Cloud Capital" geguckt.
[…]
Gefunden habe ich ein Interview im Guardian, für den Varoufakis auch
gelegentlich schreibt:
du meinst diesen Guardian hier, bei dem die Geheimdienste nachhaltig
dafür gesorgt haben, dass da nie wieder irgendwas zu staatskritisches
rauskommen wird?[0]
https://www.theguardian.com/world/2023/sep/24/yanis-varoufakis-technofeudalism-capitalism-ukraine-interview
@carolecadwalla
Sun 24 Sep 2023 10.00 BST
Ok, ich habe mir das "Interview" durchgelesen, bei dem in erster Linie
_über_ Varoufakis' Leben geschrieben wird. Das mag für manche auch
interessant sein, aber was hat es mit seinem neuen Buch zu tun?
Zumal auch da, wenn die Autorin dann doch mal alibi-mäßig auf das Thema
zurückkommt, sie offenbar lieber einen "Venture-Kapitalisten" und zwei
zum System gehörende Wirtschaftsprofessoren zitiert.
Das ist so, als ich würde ich ein Buch über die Gräueltaten von Thatcher
schreiben und du würdest dann die Meinung von Leuten wie Hayek oder
Milton Friedman einholen. U.a. die beiden haben die modernen
ideologischen (also "theoretischen") Grundlagen gelegt für
Steuersenkungen, Sozialabbau und Privatisierungen. Und die sollten dann
fundierte und ernsthafte Kritik an der Politik der "Eisernen Lady" üben,
die sie ja erst mit ermöglicht haben?
Andersherum sollen die Profs. aus dem Artikel dann fundierte Kritik am
Kapitalismus üben können?
Zwei Teile sind auffällig:
a) Die Ideen sind nicht komplett neu und der Begriff nicht so passend:
Das die Idee nicht "komplett neu"[1] ist, hat auch niemand behauptet,
auch nicht Varoufakis (V.) selbst. Feudalismus gab es schön deutlich
länger. Der wurde dann vom Kapitalismus (Kap.) abgelöst.
Auch die Technologien, die es Amazon und Co. ermöglichten in den letzten
Jahren zu dem zu werden, was sie jetzt sind, gibt es nicht erst seit
gestern. Das, was neu ist, ist die Kombination aus beidem. Technologien,
die es dem Kapitalismus ermöglichen zu etwas noch viel finsterem zu
mutieren.
Da empfehle ich dann wieder das Video, da kann man nämlich V. erstmal im
O-Ton hören, bevor man sich von anderen sagen lässt, was man über ihn zu
denken hat. ;-)
Shoshana Zuboff tells me that she “explicitly rejects labels like
technofeudalism because technology is not the independent variable nor
are we
feudal serfs”. But she also says that the argument has some
similarities to
one of hr latest papers: “In big tech we face a totalising power that
in key
respects disqualifies itself from being understood as capitalism, but
rather
as a wholly new form of governance by the few over the many.”
Aha, damit beschreibt sie doch ziemlich oberflächlich das, was auch bei
V. eben über den eigentlichen Kap., wie er noch bis vor kurzem zu finden
war, hinausgeht. Die Herrschaft der Wenigen über die Vielen – das ist
der Feudalistische Teil.
Im "klassischen" Kap. – und so habe ich das auch einigermaßen in meinem
Wirtschaftsstudium gelernt – produzieren die Arbeiter die Waren, die ihr
Kapitalist – heute würde man "Arbeitgeber"[2] sagen – dann verkauft.
Im Feudalismus war es so, dass die Untertanen – z.B. Bauern – ihr Feld
bestellt haben und dann ihren Zehnt an die Aristokratie, die Fürsten
abgeben mussten. Die Fürsten selber haben natürlich nicht gearbeitet.
Heute gibt es Unternehmen wie Amazon und Alibaba. Die produzieren auch
nichts mehr. Stattdessen, muss man als Kapitalist, der noch wirklich
etwas produzieren lässt, will man auf Amazon sein Angebot reinstellen –
sogar 40% seiner Einnahmen an Amazon abdrücken!
Und das soll kein Feudalismus sein?
Denn was für die zentralen "sozialen" Medien gilt, gilt auch immer mehr
für Amazon. Wer dort nicht stattfindet, findet gar nicht statt.
Also, muss man seinen Zehnt an Bezos und Co. abdrücken.
Und natürlich spielt Technik dabei eine wesentliche Rolle in der
Unterdrückung und Manipulation. Ich meine, damals auf der einen Seite
der Volksempfänger, auf der anderen kommerzielles Fernsehen. Heutzutage
die Smartphones und das Internet Das ist doch wahrlich nichts Neues…
Weshalb ich behaupte, dass wir auf eine Art noch schlimmer dran sind,
als die Leibeigenen ("serfs") früher. Denn wo die Bauern noch wussten,
dass sie sich zusammentun müssen, um zu revoltieren, sitzen "wir" alle
da und denken, das Heute wären ideale Verhältnisse.
Das ist doch nur möglich, weil den Menschen über Jahrzehnte eingeredet
wurde, "es gibt keine Alternative" ("There is no alternative").
Aber wo früher die Leute den Fernseher noch abschalten oder einfach mal
eine andere Zeitung kaufen konnten, ist das halt heute nicht mehr
möglich. Wir sind doch so sehr in unserer schönen, neuen Medienblasen
verhaftet und werden auf der anderen Seite so zugeschmissen mit
Informationen, die uns immer wieder einreden: "Es gibt keine Alternative."
"Und bloß nicht mit dem ungeimpften Nachbarn reden, mit dem man sich
sonst Jahrelang verstanden hat, der kann ja nur ein Nazi sein."
"Und daran, dass der 90-jährige Ukrainer, der vor dem Kanadischen
Parlament stehende Ovationen bekommen hat, weil er 'tapfer' im zweiten
Weltkrieg gegen die Sowjetrussen kämpfte, daran kann auch nichts falsch
gewesen sein."
Aber Hauptsache man kann "einfacher denn je" bei Doctolib seine
Arzttermine buchen und bei Doc Morris alles online bestellen. Kostet
auch nichts. Nur die Freiheit.
When I message Mariana Mazzucato, another charismatic and influential
economist, but one who, unlike Varoufakis, has been embraced by
governments
and financial institutions, her response suggests that some of
Varoufakis’s
ideas are not that new. She herself published on an adjacent
concept, “algorithmic rents” (the idea that tech companies capture
attentions
and resell it rather than creating long-term value) in 2018.
"charismatic and influential". Das muss dieser neutrale Journalismus
sein, von dem sie uns der Schule noch erzählt haben. ;-)
Aber auch hier, V. selber ist ein großer Freund von John K. Galbraith,
der schon 1967 ein erstes Werk darüber geschrieben hat, wie wir uns vom
"traditionellen" Kapitalismus entfernen.
Auch Herbert Marcuse hat zur gleichen schon davon geredet, dass Technik
_nicht neutral_ ist, sondern _immer_ in einem gesellschaftlichen Kontext
gemacht wird. Und im Kapitalismus und jetzt im Techno-Feudalismus ist
die halt dazu da, die Gewinne zu mehren und die Herrschaft über uns
auszubauen.
b) Varoufakis scheint umbedingt populistisch aufallen zu wollen:
[..] conversation, which includes half an hour on Russia and Ukraine
during
which I politely disagree with everything he says. His views on the
conflict
are practically indistinguishable from Nigel Farage’s, rehearsing the
same
far right-meets-far left “horseshoe” rhetoric about doing a deal with
Putin,
and Crimea not really being Ukraine.
Ich weiß nicht, was dieser schlechte Versuch eines Ad-Hominems in dem
Artikel soll. Aber das ist klar, wenn einem inhaltlich nichts mehr
einfällt, wird man halt beleidigend. Dann wirft man jemanden wie
Varoufakis – der wahrscheinlich mehr als andere ein wirklicher Europäer
ist und sogar eine pan-europäische, progressive Bewegung gegründet hat –
halt in einen Topf mit Nigel Farage…
Aber mal eine grundsätzliche Frage: Wenn der Falsche das richtige sagt,
ist das dann trotzdem falsch? Angenommen die AfD würde sich jetzt für
Klimaschutz einsetzen…? Angenommen Farage hätte recht, dass man auch mit
einem Putin reden muss, denn es geht bei den Krieg um Menschenleben.
Das hat aber auch alles nichts mehr mit dem Thema "Technofeudalismus" zu
tun.
Aber vielleicht doch. Denn unsere Feudalherren freut es natürlich
außerordentlich, wenn wir uns lieber untereinander darüber streiten, ob
die Krim jetzt zu Russland gehört oder nicht, statt auf die vielen
hunderttausenden von Menschen zu schauen, deren Leben in diesem Krieg
zerstört wurden. Vor allem sollten wir auch keinesfalls auf die
Profiteure des Kriegs – die NATO und die Rüstungsunternehmen und deren
Milliardengewinne schauen.
Danke also für die Anregung, das war eine gute Gelegenheit mal
Feudalismus
auf Wikipedia anzulesen. :)
Wenn ich weiterlesen wollte, dann vermutlich eher Frau Mazzucato oder
Frau
Zuboff, die erscheinen mir interessanter.
Ja, schon klar, wenn man Kapitalismus gut findet, liest lieber man
solche Autoren.
Vielleicht noch eine Bemerkung zum Schluss. Ich habe auch so mein
Problem mit dem Begriff "Technofeudalismus" und damit, dass der Kap.
ganz vorüber sein soll.
1) V. hat schon 2021 in Vorträgen vom "Technofeudalismus" gesprochen –
"in lack of a better term", wie er selber sagte. Zwei Jahre später finde
ich seine Argumentation für den Begriff ganz schlüssig.
2) Ich meine, es gibt natürlich immer eine Menge (Groß-)Kapitalisten,
die die Arbeitskraft ihrer Angestellten ausbeuten (müssen). Aber Fakt
ist nun mal auch, dass die Milliarden Gewinne, die von den Bezos,
Zuckerbergs und Co. eingefahren werden zum Großteil als totes Kapital[3]
daliegt.
Selbst Unternehmer wie Henry Ford mussten noch 70% ihrer Einnahmen
wieder in die Produktion, die Gehälter etc. investieren.
Aber Unternehmen Facebook, etc. beschäftigen ja kaum noch Leute und die,
die einen Großteil des Werts dieser Unternehmen erwirtschaften – nämlich
deren Nutzer – bekommen sowieso nichts dafür.
Deswegen liegen diese Gewinne als totes Kapital da rum und können auch
volkswirtschaftlich nicht investiert werden.
Insofern kann die aktuelle Entwicklung eigentlich niemand wollen.
Viele Grüße
Erik (egnun)
Koordinator FSFE Berlin
[0]
https://www.declassifieduk.org/how-the-uk-security-services-neutralised-the-countrys-leading-liberal-newspaper/
[1] Kann es etwas "komplett neues" überhaupt (noch) geben? Ist das
E-Auto etwas "komplett neues"? Weil Autos auf vier Rädern hatten wir
auch vorher schon. Ist das Auto überhaupt etwas "komplett neues", denn
davor gab es Pferdekutschen.
[2] Wobei ich den Begriff eher ablehne. Denn Arbeit habe ich genug. Die
brauch mir niemand zu "geben". Wenn dann _gebe ich_ dem Unternehmer
meine "Arbeitskraft". Und dieser _nimmt_ meine Arbeitskraft.
[3] Kapital definiert als "Wert, der sich selbst verwertet, also Gewinn
abwirft."
> ps.: Hinweis: Gibt es Deinen öffentlichen OpenPGP Schlüssel auch
aktualisiert?
> Der, den ich vom neuen Keyserver-Netzwerk erhalten habe, ist im Mai
verfallen.
Ich hänge meinen Key immer meinen E-Mails an.
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