Weihnachten 2004 Liebe Freunde! Nur eine knappe Generation vor Jesu Geburt, also zwei Generationen vor Christi Passion und Auferstehung, der eigentlichen Neugeburt des "Weltenkeims" (Marius Victorinus), schrieb Vergil seine zehn Hirtenlieder, darunter vor allem das vierte, die berühmte "vierte Ekloge" über die Geburt eines neuen Aiôn (und zugleich spiegelbildliche Entsprechung der sechsten Ekloge, wo der weise Silen die Weltschöpfung und das "perpetuum carmen" der von da an abrollenden Metamorphosenreihe der Weltereignisse eine halbe Generation vor Ovid "vorweg"-besingt). Ein Aiôn (lateinisch aevum, deutsch meistens mit "Ewigkeit" übersetzt) ist der Kreisschluß der Zeit, die in sich bereits durch eine Jahreszeit-analoge Periodik von vier Weltaltern und auch durch die "Weltmonate" des platonischen "großen Jahres" gegliedert ist. Der Aiôn selbst erscheint in dieser vierten Ekloge imaginativ-prophetisch als messianisches Kind, mit dessen Geburt der ewige Frühling des goldenen Zeitalters in die Zeit einbricht bzw. die Zeit selbst durch den Übergang vom eisernen Ende in einen neuen goldenen Anfang zu einem Ewigkeits-Kreis, d.h. eben zu einem Aion, zusammenschließt; in der Tat bilden das silberne, eherne und eiserne Zeitalter nur eine Art pädagogischer Zwischenphase mit Aufgaben für heranwachsende Helden innerhalb dieses in sich ewigen Frühlings, der sich mit der Tilgung der alten Erbschuld auch gleich wieder einstellt. Der historisch-konkrete Anlaß, der Säugling, zu dessen Geburt Vergil diese Hymne als Gelegenheitslied gesungen haben mag, tritt zurück gegenüber der darin veranschaulichten Geburt des neuen Aiôn, und so bewegt sich der Dichter zwischen der sibyllinischen Apokalyptik ("Cumaei carminis") einerseits und der erschüttert-erschütternden Bewegung des Weltalls selbst ("nutantem mundum") andererseits auf den kosmischen Bahnen der Welt-Zeit und des sterngordneten Raumes. Gerade das Hirten-Kolorit und der weihnachtliche Messianismus der Blumen- und Wiege-Idyllik um den Säugling verkleinert diese kosmischen Bezüge keineswegs, sondern schließt sie (in unserer rückblickenden Perspektive) vielmehr mit anderen, nicht minder berühmten messianischen Prophetien zusammen, besonders den Immanuel-Lieder Jesajas und ihren paradiesischen Parallelen zu Vergils "goldenem Weltalter". Diese kosmologische Seite des Liedes, das Kind als personifizierte Gesamtweltzeit, findet sich noch in der Grundstruktur der trinitarischen "Sohnesgeburt", in der alle Schöpfung enthalten ist und ihren Keimgrund findet; so beispielhaft bei Marius Victorinus:
quod multa vel cuncta sunt hoc unum est quod genuit filius cunctis qui ontos semen est tu vero virtus seminis in quo atque ex quo gignuntur cuncta virtus quae fundit dei rursusque in semen redeunt genita quaeque ex semine operatur Das Viele, das Ganze ist nur dies Eine, hervorgebracht von dem Sohn der allen Wesen der Same des Seins; doch du bist die keimende Kraft in diesem und aus ihm wird alles erzeugt was der göttlichen Keimkraft entströmt und in diesen Samen kehrt alles Gezeugte und aus ihm Erzeugte zurück Die Idee der Weltalter stammt aus Indien und wanderte über Persien nach Westen, wo sie in Hesiods "Werke und Tage" einwurzelt. Die Kreisschlüssigkeit der Zeit, gleichfalls Grundidee im persischen Zarathustrismus wie eben die darauf beruhende Weltalterfolge, ist die allgemeinste Zeitvorstellung in der Antike, vgl. auch die Lehren des Anchises im Unterweltbuch der Aeneis; selbst Augustinus, dem man trotz seiner neuplatonischen Grundlagen (Marius Victorinus ist sein trinitätstheoretischer "Vorläufer") gern eine lineare Zeit-Strecke mit entschiedenem Schöpfungsanfang und entscheidendem Weltgerichts-Ende unterstellt, kann die vielen Bibelstellen nicht "begradigen", die von der Wiederbringung der Geschöpfe sprechen, wo letzten Endes Gott wieder "Alles in Allem" sein soll, oder Psalm 103 (104) wo es heißt: 29. Du birgst dein Antlitz: sie sind verwirrt; du ziehst ihren Odem ein: sie verscheiden und zu ihrem Staub kehren sie zurück; 30. du entsendest deinen Odem: sie sind geschaffen und du erneuerst das Antlitz des Ackers. Den konzentriertesten Beleg für die menschengestaltige Kindlichkeit des Aiôn, gewissermaßen den eigentlichen "Liedkeim" dieser Ekloge, finden wir allerdings unter den Fragmenten Heraklits (DK 22 B 52): AIÔN Der ZEITENKREIS PAIS esti paizôn ein KIND ist er, kindlich spielend, pesseuôn Brettspielsteine setzend; PAIDOS hê basilêiê einem KIND gehört die Königsherrschaft! Nun also Publius Vergilius Maro, die vierte Ekloge aus den Bucolica (den Hirtenliedern) über die Geburt eines neuen Weltjahres: http://12koerbe.de/mosaiken/ekloga4.htm grusz, hansz http://12koerbe.de.ki http://hanumans.de.ki http://henkaipan.de.ki ----------------------------------------------------------------------- To leave the Mantovano mailing list at any time, do NOT hit reply. Instead, send email to [EMAIL PROTECTED] with the message "unsubscribe mantovano" in the body (omitting the quotation marks). You can also unsubscribe at http://virgil.org/mantovano/mantovano.htm#unsub