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Donnerstag, 15. November 2012

Décroissance zwischen Widerstand und Mainstream 

Von Ernst Schmitter 

Dieser Text [*] umfasst vier Teile: Erstens einen Orientierungsversuch im 
Begriffsdschungel der Wachstumskritik; zweitens eine Schilderung einiger 
historischer Wurzeln der Décroissance-Bewegung; drittens einen Blick auf die 
praktische Arbeit der Décroissance-Bewegung; viertens einige Betrachtungen zur 
Frage, ob Décroissance kapitalismusverträglich ist.

1. Begriffsklärung

Eine Begriffsklärung ist nötig, weil heute im Bereich der Wachstumskritik eine 
Vielzahl von Begriffen verwendet wird, die teilweise mit Décroissance wenig 
oder gar nichts zu tun haben. Entsprechend schwammig sind häufig die 
Diskussionen über das Thema. 

In Bezug auf Wirtschaftswachstum ist zum Beispiel häufig von einem 
Wachstumsglauben die Rede. Und Décroissance wäre dann die aufklärerische 
Bewegung, die diesen Glauben als Irrglauben entlarvt und bekämpft. Das ist ein 
Missverständnis. Die so genannte freie Marktwirtschaft steht nicht vor allem 
unter dem Einfluss eines Wachstumsglaubens, einer Wachstumsreligion, eines 
Wachstumsdogmas oder eines Wachstumswahns. Die so genannte freie 
Marktwirtschaft steht unter Wachstumszwang. Ich komme in einem späteren Teil 
meines Vortrags auf das Warum dieses Zwangs zurück. Vorläufig stelle ich bloß 
fest: Die Wirtschaft, so wie sie heute strukturiert und organisiert ist, ist 
insofern völlig unfrei, als sie wachsen muss. Sie hat nicht die Freiheit, nicht 
wachsen zu wollen. 

Dieser Wachstumszwang hat etwas zur Folge, was man häufig als Landnahme 
bezeichnet. Eine Wirtschaft, die wachsen muss, muss expandieren, sich ausdehnen 
können. Das geschieht immer wieder durch effektive Landnahmen im geografischen 
Sinn, zum Beispiel vom 17. bis zum 19. Jahrhundert in Nordamerika. Die 
Expansion war damals Richtung Westen möglich, bis man am Pazifik angelangt war. 
Die Ureinwohner des Kontinents wurden der Expansion geopfert. Und dieser 
Genozid wurde erst zum Thema, als es, wie bei den meisten Genoziden, schon zu 
spät war. Inzwischen gibt es kaum irgendwo auf der Welt noch so etwas wie einen 
Wilden Westen, den man einfach besetzen könnte. Die Wirtschaft unter 
Wachstumszwang muss also neue, nicht geografisch definierte Wirkungsfelder 
suchen und besetzen. 

Ich zähle hier ein paar dieser Felder auf, ohne Anspruch auf Vollständigkeit: 

* Das Gesundheitswesen; Gesundheit und Krankheit sind heute nicht mehr nur 
Tätigkeitsfelder der Medizin, der Pflege oder der Hygiene; sie sind zu einem 
Bereich geworden, in dem sich viel Geld verdienen lässt. 

* Unsere Altersvorsorge ist nicht nur eine soziale Einrichtung; sie ist ein 
Wirtschaftszweig. 

* Kriege werden heute zum Teil von Privatarmeen geführt, sind also zum Geschäft 
geworden. Da sie sehr oft auch im Interesse des Business geführt werden, ist 
ihre Ächtung noch schwieriger geworden als vor einigen Jahrzehnten. 

* Sicherheit, Bevölkerungsschutz, Personenschutz, Überwachung kann man heute 
bei Privatunternehmen kaufen, wenn man die Mittel dazu hat. 

* Literatur, Kunst, Musik werden von Agenturen und Verlagen bewirtschaftet. 

* Sport ist ein Milliardengeschäft. 

* Unterricht und Forschung werden weitgehend nach wirtschaftlichen Kriterien 
organisiert und praktiziert. 

* Die Freizeit wird zunehmend ökonomisiert. 

* Die Nacht war noch in meiner Jugend der Teil der vierundzwanzig Stunden eines 
Tages, wo man schlief. Restaurants und Cafés schlossen um halb zwölf. Der 
letzte Radiosender schloss sein Programm um Mitternacht ab. Dann war es still 
und dunkel. Heute ist die Nacht zu einem heiß umkämpften Geschäft geworden. 

* Der Sonntag ist im Begriff, den Umsatzzahlen vieler Geschäfte einen 
kurzfristigen Zuwachs von einem Sechstel zu ermöglichen. 

* Der öffentliche Raum war bis vor kurzer Zeit wirklich öffentlich. Immer mehr 
dient er jetzt großen Firmen zu Werbezwecken. 

* Umwelt ist glücklicherweise zunehmend reparaturbedürftig, also wirtschaftlich 
interessant. Das beschädigte Klima macht Handel und Spekulation mit 
CO2-Emissionsrechten möglich. 

Und so weiter. Dies alles sind Bereiche, die sich die Wirtschaft unter 
Expansionszwang schon einverleibt hat oder die sie sich gegenwärtig 
einverleibt. Das sind die Landnahmen unserer Zeit. Aus ihnen ergibt sich ein 
immer stärkerer Führungsanspruch der Wirtschaft für sämtliche Bereiche unserer 
Gesellschaft. Was nicht wirtschaftlich relevant ist, gilt mehr und mehr als 
bedeutungslos. 

Solche Landnahmen gehen grundsätzlich fast immer auf jemandes Kosten. Sie 
fordern Opfer. Am häufigsten werden ihnen Freiheit, Lebensqualität, Gesundheit, 
manchmal auch Menschenleben geopfert. Sie werden aber in der Öffentlichkeit 
fast immer mit der Behauptung gerechtfertigt, sie erfolgten im Interesse der 
Freiheit und der Lebensqualität. Ich komme zum Ausgangspunkt zurück. 
Décroissance kritisiert nicht einen Wachstumsglauben oder einen Wachstumswahn, 
sondern den gesellschaftlichen Führungsanspruch der Wirtschaft unter 
Wachstumszwang.

Nun können wir eine umfassendere Begriffsklärung wagen. Man kann nämlich sagen, 
dass Décroissance immer Wachstumskritik ist, dass aber Wachstumskritik nicht 
immer Décroissance ist. Aber damit ist noch nicht viel geklärt oder erklärt. 
Man kann es genauer sagen. Es gibt drei Unterscheidungsmerkmale, drei 
Kriterien, die erfüllt sein müssen, damit man von Décroissance sprechen kann. 

Erstens: Décroissance ist eine radikale Absage an den Führungsanspruch der 
Wirtschaft unter Wachstumszwang. Es gibt im heutigen System keine Wirtschaft 
ohne Wachstumszwang. Anders gesagt: Wirtschaft unter Wachstumszwang und 
Wirtschaft schlechthin sind dasselbe. Deshalb fassen einige 
Décroissance-Autoren das erste Kriterium schärfer und sagen: Décroissance 
arbeitet an der Befreiung der Gesellschaft von der Wirtschaft; Punkt. 

Zweitens: Wenn man die Wirtschaft unter Wachstumszwang ablehnt, kann das zur 
Folge haben, dass man die Gefahr eines Rückfalls in vormoderne, feudale 
gesellschaftliche Zustände unterschätzt. Décroissance unterscheidet sich 
deshalb bewusst von allen Tendenzen, die einen solchen Rückfall in Kauf nehmen 
oder ihn sogar anstreben. Décroissance bekennt sich vorbehaltlos zur 
Vorbereitung einer Gesellschaft, deren ethischer Grundwert die Gerechtigkeit 
ist. Dies gilt für den lokalen, den regionalen und den globalen Massstab.

Drittens: Décroissance strebt nicht eine so genannte stationäre Wirtschaft an. 
Eine Steady-State- oder stationäre Wirtschaft mit langfristigem Nullwachstum 
ist unvereinbar mit dem Ziel einer gerechten Gesellschaft. In einer stationären 
Wirtschaft bleiben die reichen Länder reich und die armen arm. Deshalb fordert 
Décroissance eine gesteuerte Wirtschaftsschrumpfung für die entwickelten Länder 
des Nordens, zum Teil auch für die Schwellenländer, deren Anteil am zu 
verteilenden Kuchen schon zu groß geworden ist. 

Ich fasse zusammen: Décroissance will die Befreiung der Gesellschaft vom Diktat 
der Wirtschaft unter Wachstumszwang; Décroissance fordert eine starke 
Verrringerung der Unterschiede zwischen Arm und Reich, lokal, regional und 
global; Décroissance fordert eine gesteuerte Wirtschaftsschrumpfung für die 
reichen Länder des Nordens.

Wachstumskritik und Décroissance sind, wie gesagt, nicht das Gleiche. Wir 
stellen in der Décroissance-Bewegung fest, dass sehr viele Leute das nicht 
wissen. Das führt zu zahllosen Missverständnissen. Wir müssen uns immer wieder 
mit Anfragen, Anregungen, Aufforderungen und Kritik von Leuten 
auseinandersetzen, die Décroissance ausschließlich mit Wachstumskritik 
gleichsetzen. Das hört sich dann jeweils etwa so an: "Ihr seid doch gegen 
Wachstum. Also solltet ihr mit uns zusammenarbeiten. Wir sind ja auch gegen 
Wachstum." "Ja, klar", antworten wir dann jeweils, "ihr seid gegen Wachstum. 
Aber Décroissance ist eben mehr als Wachstumskritik. Und die anderen Kriterien 
teilt ihr nicht mit uns." 


Mein Vortrag heute Abend steht unter dem Titel "Décroissance zwischen 
Widerstand und Mainstream". Besser würde man nach dem bisher Gesagten 
vielleicht formulieren: "Wachstumskritik ist Mainstream. Décroissance ist 
Widerstand." 

Ich führe das ein wenig aus. Es gibt zum Beispiel wachstumskritisch denkende 
Leute, denen das Kriterium der Gerechtigkeit nicht wichtig oder sogar egal ist. 
Sie kritisieren Wachstum und fordern dann, dass wir alle, Reich und Arm, uns an 
den Gedanken gewöhnen, dass alle den Gürtel enger schnallen müssen. 
Décroissance ist aufgrund des Kriteriums der Gerechtigkeit der Ansicht, dass 
zuerst diejenigen den Gürtel enger schnallen müssen, die ohnehin zu viel haben. 

Ein zweites Beispiel: Es gibt heute kaum ein Medium, eine Zeitung, eine Radio- 
oder Fernsehstation, die es sich noch leisten kann, nichts über Wachstumskritik 
zu bringen. Politik und Medien wirken heute unter dem Eindruck der Krise in 
mancherlei Hinsicht ratlos und hilflos. Das Wachstum, das alle predigten, 
stellt sich nicht mehr ein. Da liegt es nahe, dass man das Wachstumsdenken 
selbst infrage stellt, dass man sich wenigstens vorübergehend auf die Seite der 
Wachstumskritiker schlägt, und sei es auch bloß zum Schein. In einer Atmosphäre 
der krisenbedingten Ratlosigkeit haben die Mainstream-Medien innerhalb von etwa 
drei Jahren bezüglich Wachstumskritik von Ablehnung oder Gleichgültigkeit auf 
großes Interesse umgestellt. Das bedeutet aber zumeist nicht, dass in den 
Medien so etwas wie Widerstand gegen die Wachstumswirtschaft zu spüren wäre. 
Die in den Medien wahrnehmbare Wachstumskritik hat also wenig mit Décroissance 
zu tun. Sie ist einfach Trend geworden, während Décroissance nach wie vor alles 
andere als Trend ist. 

Wenn man Trends kennen will, konsultiert man am besten die Trendforscher. Ich 
komme damit zu einem dritten Beispiel. Der Trendforscher David Bosshart vom 
Gottlieb-Duttweiler-Institut hat noch vor einigen Jahren hemmungslosen Konsum 
und aggressives Wachstumsdenken vertreten. Das war sein Job, weil hemmungsloser 
Konsum und Wachstumsdenken damals noch Trend waren. Vor einem Jahr ist sein 
neues Buch erschienen, "The Age of Less". Der Trendforscher Bosshart macht 
jetzt Wachstumskritik, weil Wachstumskritik der neue Trend ist. Er tut damit 
weiterhin seinen Job. Interessanter als der Titel des Buchs ist in unserem 
Zusammenhang der Untertitel: "Die neue Wohlstandsformel der westlichen Welt". 
Das Buch ist meilenweit von Décroissance entfernt. Die Wörter "gerecht" und 
"Gerechtigkeit" habe ich darin nicht gefunden. Die gewaltigen Unterschiede 
zwischen Arm und Reich kommen kaum vor. Die ausbeuterische Beziehung zwischen 
Nord und Süd kommt gar nicht vor. Beunruhigung oder Besorgnis angesichts der 
weltweiten ökologischen und sozialen Entwicklung ist für den Autor auch kein 
Thema. Bosshart plädiert für nachhaltiges Wirtschaften, wie wenn der Begriff 
der Nachhaltigkeit noch irgend eine Bedeutung haben könnte, nachdem er von 
Wirtschaftsvertretern jahrelang missbraucht worden ist; er plädiert für ein 
bisschen Bescheidenheit, ein bisschen Solidarität, ein bisschen Vernetzung, ein 
bisschen Entschleunigung. Er erklärt uns, warum es "cool" sein kann, wenn wir 
unseren Zweitwagen abschaffen müssen. Er erklärt uns, warum wir anstelle eines 
Laptops auf Reisen besser nur ein iPad mitnehmen. Und wie lautet die Erklärung? 
Die Trendforscher des Gottlieb-Duttweiler-Instituts in Rüschlikon haben 
herausgefunden, dass es nicht so weitergehen kann wie bisher! Neununddreißig 
Jahre nach dem Bericht "Die Grenzen des Wachstums"!



2. Die historischen Wurzeln der Décroissance-Bewegung

Ich komme zum zweiten Teil und möchte jetzt von den historischen Wurzeln der 
Décroissance-Bewegung sprechen. Das Bild, das ich bis jetzt von Décroissance 
gezeichnet habe, könnte den Eindruck entstehen lassen, es handle sich um eine 
homogene Bewegung mit so etwas wie einer Unité de doctrine. Das ist aber nur 
bedingt der Fall. Schon die historischen Wurzeln der Bewegung sind sehr 
verschiedenartig. Unter den zahlreichen Ursprüngen wähle ich drei aus und 
stelle sie Ihnen ein wenig vor: einen physikalischen, einen 
entwicklungspolitischen, einen zivilisationskritischen.

Nicholas Georgescu-Roegen (1906 bis 1994) gilt als Urvater der 
Décroissance-Bewegung. Er hat der Bewegung eine physikalische Grundlage 
gegeben. Er ist in Rumänien aufgewachsen, war Mathematiker und Ökonom und 
wanderte nach der Machtergreifung durch die Kommunisten in die USA aus. Er 
wurde in Amerika bald zu einem geschätzten, später berühmten Ökonomieprofessor. 
Noch später wurde er innerhalb der amerikanischen Wirtschaftswissenschaft zu 
einem Dissidenten, ja zu einem schwarzen Schaf. Worin besteht sein Beitrag zu 
den Grundlagen der Décroissance-Bewegung? Er hat einen Grundbegriff der 
Thermodynamik in die Wirtschaftswissenschaft eingeführt, den Begriff der 
Entropie. Da gibt es für alle Beteiligten, Anhänger ebenso wie Gegner von 
Georgescu-Roegen, ein Problem. Die Sätze der Thermodynamik sind nur scheinbar 
leicht zu verstehen. Und außerdem sind die Schriften von Georgescu-Roegen 
ohnehin eine undankbare Lektüre; es sind fachbezogene Texte eines seriösen 
Wissenschaftlers, der sich nicht um allgemeine Verständlichkeit bemühte. Das 
hat der Verbreitung seiner Erkenntnisse sehr geschadet. Er wird häufig ganz 
einfach nicht verstanden. Weil ich selbst nicht Physiker bin, möchte ich Sie 
jetzt einladen, sich mit mir auf ein sehr bescheidenes Niveau herunterzulassen. 
Wenn Sie mehr von der Sache verstehen als ich, können sie mich später in der 
Frage- und Diskussionsrunde korrigieren.

Der erste Hauptsatz der Thermodynamik besagt, dass in geschlossenen 
physikalischen Systemen keine Energie verloren geht. Das ist eine gute 
Nachricht für die Wirtschaft! Man verliert nichts. Der zweite Hauptsatz der 
Thermodynamik besagt aber, dass in geschlossenen Systemen die Entropie immer 
zunimmt. Wie definiert man Entropie? Wenn wir nur schon auf Wikipedia eine 
Definition von Entropie suchen, wird es kompliziert. Und noch komplizierter 
wird die Situation, weil Entropie in den Siebzigerjahren ein Modebegriff war, 
den man auf alle möglichen Wissensgebiete anwendete. Wer in den Siebzigerjahren 
seine Wohnung aufräumen musste, konnte sagen: "Die Entropie ist bei mir zu 
Hause gestiegen. Ich muss Negentropie schaffen." Das war modebedingter 
Schwachsinn. 

Aber zurück zum zweiten Hauptsatz der Thermodynamik. Auf unser bescheidenes 
Niveau übersetzt, heißt der Satz: Energieumwandlungsprozesse, zum Beispiel in 
Dampfmaschinen oder Verbrennungsmotoren, haben zur Folge, dass die Energie uns 
in immer weniger nützlicher Form zur Verfügung steht, also zum Beispiel in Form 
von Wärme in der Atmosphäre oder im Ozean statt in Form einer Tonne Kohle oder 
Erdöl. Und diese Wärme lässt sich nicht einsammeln und ohne Verlust in 
nützlichere Energieformen umwandeln. 

Das ist eine schlechte Nachricht für die Wirtschaft. Sie bedeutet nämlich 
großmaßstäblich, dass unser Wirtschaften sich in einer immer schlechteren 
Ressourcenlage abspielt. Wir können bezüglich Energie nicht zweimal 
nacheinander unter den gleich guten Voraussetzungen wirtschaften. 
Georgescu-Roegen hat das Gesetz der zunehmenden Entropie auch auf die Rohstoffe 
angewandt.

Wenn wir Auto fahren, werden die Autoreifen abgenutzt. Der Reifengummi wird in 
Form ganz feiner Partikel in der Natur verteilt und steht uns nie mehr als 
Rohstoff zur Verfügung. Aller Cradle-to-cradle-Propaganda zum Trotz muss man 
feststellen, dass Materie wie Energie sich nie ohne Verlust in nutzbarer Form 
zurückgewinnen lässt. Auch im Bereich der Rohstoffe gilt also, dass wir unter 
immer schlechteren Voraussetzungen arbeiten. Dies alles heißt zum Beispiel, 
dass Schwellenländer, selbst wenn sie sich nicht um den Klimaschutz kümmern, 
nicht den gleichen Weg gehen können wie seinerzeit Nordamerika und Europa. Die 
Ressourcenlage ist mittlerweile eine völlig andere und verschlechtert sich 
zusehends. 

Georgescu-Roegen hat aus dieser fundamentalen Erkenntnis Konsequenzen gezogen, 
die ihn zum wichtigsten Vorläufer der Décroissance-Bewegung machen. Er hat 
verstanden, dass eine Steady-State-Ökonomie unter diesen Voraussetzungen eine 
Illusion ist und dass der einzige gangbare Weg eine bewusst durchgeführte 
Wirtschaftsschrumpfung ist. Ich zitiere einen Satz von ihm: "Das einzige 
Mittel, die zukünftigen Generationen zumindest vor dem maßlosen 
Ressourcenverbrauch in der gegenwärtigen Überflussgesellschaft zu schützen, 
liegt darin, dass wir uns selbst umerziehen, um ein wenig Mitgefühl zu 
empfinden gegenüber den Menschen der Zukunft, so wie wir am Wohlergehen unserer 
gegenwärtigen Nachbarn Anteil nehmen."

Das Interessante bei Georgescu-Roegen ist erstens sein Beitrag zum Gedankengut 
der Décroissance und zweitens der Verlauf seiner Karriere. Seine 
Beliebtheitskurve bei den neoklassischen Ökonomen begann bei "beliebt und 
geachtet", steigerte sich zu "berühmt mit Kultstatus", sank dann ab zu 
"unorthodox" und endete bei "totgeschwiegen". Begonnen hat sein Abstieg 1960, 
als er die Wirtschaftswissenschaftler mit der Behauptung schockierte, 
Landwirtschaft lasse sich nicht mit herkömmlichen ökonomischen Kategorien 
behandeln, sie sei etwas grundsätzlich anderes als die übrige Wirtschaft. Er 
war ein Star der Wirtschaftswissenschaft und versuchte, seinen Kollegen zu 
erklären, dass die Wirtschaftswissenschaft etwas Fundamentales vergisst: die 
Entropie. Das wollte in seiner Zunft niemand hören. 

Und selbst engagierte Umweltschützer konnten die Tragweite seiner Erkenntnis 
nicht sehen. Georgescu-Roegen war isoliert zwischen Ökonomen, die ihn nicht 
verstanden, und Ökologen, die ihn auch nicht verstanden. Zum Beispiel 
propagierte ein prominenter Schüler von Georgescu-Roegen, Herman Daly, der 
später bei der Weltbank arbeitete, stationäre Wirtschaft und eben nicht 
Wirtschaftsschrumpfung. Daly wollte nicht sehen, dass Steady-State-Economy 
erstens langfristig nicht möglich ist und zweitens die Unterschiede zwischen 
Arm und Reich nicht antastet. 

Georgescu-Roegen plädierte für Décroissance, weil er weniger anpasserisch war 
als Daly. Er hat schon vor dem Bericht "Die Grenzen des Wachstums" die 
Begrenztheit der Erde erkannt. Damit war er seiner Zeit voraus. Er hat die USA 
übrigens mehrmals vor einer Gefahr gewarnt: "Entweder wählt ihr Décroissance 
oder ihr werdet für das Erdöl Kriege führen müssen." Heute wissen wir, welchen 
Weg die USA gewählt haben. Georgescu-Roegen ist 1994 in fast vollständiger 
Vergessenheit gestorben. Seine sterblichen Überreste sind in Rumänien beerdigt 
worden. Er wollte nach seinen Erfahrungen mit Amerika nicht dort beerdigt 
werden.


Ein zweiter Ursprung der Décroissance-Bewegung liegt im Schaffen des 
französischen Ökonomen Serge Latouche, geboren 1940. Latouche war Professor in 
Paris. Sein Spezialgebiet ist die Entwicklungspolitik. Ich versuche einen ganz 
kurzen Einstieg in sein Denken, indem ich einem Vortrag folge, den er 2010 in 
Genf gehalten hat. Er beginnt mit einem Zitat von Henry Kissinger. Es war 
Kissingers Antwort auf die Frage, was Globalisierung eigentlich bedeute. 
Kissingers Antwort, nachzulesen im Text seiner Rede vom 12. Oktober 1999 in 
Dublin: "Was man Globalisierung nennt, ist eigentlich ein anderer Name für die 
dominierende Rolle der Vereinigten Staaten." 

Dann fährt Latouche fort und ruft in Erinnerung, dass die dominierende Rolle 
der Vereinigten Staaten vor der Globalisierung schon einen anderen Namen hatte: 
Präsident Harry Truman hat diesen Namen am 20. Januar 1949 in seiner 
Antrittsrede zum Beginn seiner zweiten Amtszeit lanciert. Der Name ist 
"Entwicklung". Die Hegemoniepolitik der USA wurde ab 1949 Entwicklung genannt 
und später Globalisierung. Truman ignorierte die geschichtliche und kulturelle 
Vielfalt der Völker der Erde. Für ihn gab es nur entwickelte Länder und 
unterentwickelte. Die Rolle der entwickelten Länder war es, die 
unterentwickelten so schnell und so effizient wie möglich zu entwickeln. 
Entwicklung und Wirtschaftswachstum sind in diesem Zusammenhang übrigens 
praktisch gleichbedeutend. Der Weg war also für die Länder, die man später die 
Dritte Welt nannte, vorgezeichnet: Entwicklung dank Wirtschaftswachstum. 

Warum es überhaupt notwendig scheinen konnte, dass eine vergleichsweise kleine 
Anzahl von Ländern eine große Zahl anderer Länder entwickelte, das war eine 
Frage, die sich damals weder Präsident Truman noch sonst wer stellte. Dabei 
wäre die Antwort nicht schwer zu finden gewesen. Die unterentwickelten Länder 
waren im Prinzip die ehemaligen Kolonien, deren Geschichte durch die 
Kolonisierung einen Bruch erlitten hatte und denen man jetzt aus ihrem Elend 
durch Entwicklung heraushelfen musste. 

Latouche zeigt uns also den historischen Hintergrund der Globalisierung. 
Globalisierung ist die Fortsetzung der Entwicklung mit anderen Mitteln. Und 
Entwicklung war ihrerseits die Fortsetzung des Kolonialismus mit anderen 
Mitteln. Das Ganze war vom Anfang der Kolonisierung bis heute eine 
Verwestlichung der gesamten Welt. Hier müsste ich eine große Klammer öffnen: 
Der Begriff der Entwicklung ist in der europäisch-amerikanischen 
Geistesgeschichte verankert. Es ist ein westlicher Begriff, verbunden mit einer 
westlichen Heilserwartung. Der Genfer Décroissance-Autor Gilbert Rist hat über 
den westlichen Glauben an die Entwicklung ein Buch geschrieben (Le 
développement - Histoire d'une croyance occidentale).

Hier muss ich die Klammer schon wieder schließen. Präsident Truman waren diese 
Überlegungen noch nicht bekannt. Ihm ging es bei seinem Entwicklungsprogramm 
konkret um zwei Ziele: Erstens um das, was ich vorhin Landnahme nannte, also 
eine Besetzung der noch wenig entwickelten Länder durch amerikanische und 
später auch europäische Unternehmen. In diesem Rahmen wurde später die so 
genannte grüne Revolution durchgeführt. Das war eine gezielte Umstrukturierung 
und Zerstörung der autarken Subsistenzlandwirtschaften in den noch wenig 
entwickelten Ländern im Interesse des Agrobusiness. Diese grüne Revolution 
hatte im Gesamtzusammenhang des Kalten Krieges noch eine ganz andere Funktion: 
Sie sollte die rote Revolution verhindern. Dies war Trumans zweites Ziel.

Weiter im Gedankengang von Serge Latouche: Entwicklung und Wirtschaftswachstum 
- zwei Wörter für die gleiche Sache - waren und sind untrennbar mit Krieg 
verbunden: Krieg gegen die Natur. Dieser Krieg war schon angelegt in der 
naturfeindlichen Philosophie von Descartes und Francis Bacon. Krieg gegen die 
Erde: Die Methoden und Instrumente der Kriegführung sind teilweise die gleichen 
wie die Methoden und Instrumente der industriellen Landwirtschaft. Krieg gegen 
das Leben, was sich gegenwärtig im massenhaften Artensterben zeigt. Unsere Zeit 
ist in der Erdgeschichte die Zeit des sechsten Artensterbens. Das fünfte war 
das Verschwinden der Dinosaurier. Gegenwärtig verschwinden zwischen fünfzig und 
zweihundert biologische Arten pro Tag. Krieg gegen die Kulturen, nicht Kampf 
der Kulturen, sondern Krieg gegen die Kulturen. Die kulturelle Vielfalt der 
Welt wird durch eine globale Einheitszivilisation zerstört. Krieg gegen die 
Menschheit: Einer immer größeren Anzahl von Menschen wird die Möglichkeit zum 
Überleben aus eigener Kraft geraubt. Eine immer größere Anzahl von Menschen 
erlebt sich als total überflüssig. 

Zusammengefasst: Entwicklung, Wirtschaftswachstum, Globalisierung haben Serge 
Latouche zufolge zu einem globalen Fiasko geführt. Es bleibt uns die 
Möglichkeit, dass wir versuchen, die Entwicklung und das Wirtschaftswachstum zu 
überleben. Wie stellt Latouche sich das vor? Ein Stichwort genügt: Es geht um 
Décroissance im schon definierten Sinn. Ohne Décroissance ist dieses Überleben 
nicht denkbar.


Es gibt drittens eine zivilisationskritische Wurzel von Décroissance. Sie liegt 
bei Ivan Illich. 1926 geboren, zum katholischen Theologen ausgebildet, hat er 
als Fünfundzwanzigjähriger in den Slums von New York, später in Mexiko 
gearbeitet. Er geriet mit der Kirche in Streit und gab seinen Beruf als 
Geistlicher auf. Seine Beobachtungen in Nord- und Südamerika haben ihn zu einem 
scharfen Kritiker der westlichen Zivilisation werden lassen. Er hat in der 
Praxis beobachtet, wie so genannte Entwicklungshilfe funktioniert. Ich zitiere 
zwei Sätze von ihm: "Die Wahrnehmung echter Bedürfnisse verhärtet sich zur 
Nachfrage nach Erzeugnissen der Massenproduktion. Ich meine die Übersetzung von 
Durst in ein Verlangen nach Coca-Cola." Ein zentraler Begriff bei Illich ist 
der Begriff des Werkzeugs.

Ein Werkzeug in einem sehr allgemeinen Sinn ist eine menschliche Einrichtung 
zur Erreichung eines bestimmten Ziels. Illich stellt fest, dass ein Werkzeug 
uns abhängig machen kann. Wenn wir im Gebrauch des Werkzeugs eine bestimmte 
Schwelle überschreiten, wird es kontraproduktiv. Autos, die eigentlich dazu 
gemacht sind, dass man schneller vorwärts kommt, können in großer Zahl einen 
Stau verursachen. Die hochtechnisierte Medizin kann uns gleichzeitig pflegen 
und krank machen. Ein intensiver Schulbetrieb führt zum Verschwinden der 
Lernmotivation, also im Extremfall zur Verdummung. Die Häufung von 
Kommunikationsmitteln kann dazu führen, dass die Menschen sich gegenseitig 
immer weniger wirklich wahrnehmen. 

Illich stellte diesem entfremdenden Werkzeuggebrauch den Begriff der 
Konvivialität gegenüber. Deshalb ist er für die Décroissance-Bewegung wichtig. 
Konvivialität heißt bei Illich der lebensgerechte Einsatz des technischen 
Fortschritts. Er berührt damit ein zentrales Thema, mit dem sich die 
Décroissance-Bewegung immer wieder auseinandersetzen muss, nämlich die Frage, 
wie sie zum technischen Fortschritt steht. In folgendem Zitat bringt Illich die 
Sache auf den Punkt: "Nicht Werkzeuge, die ihnen die Arbeit abnehmen, brauchen 
die Menschen, sondern neue Werkzeuge, mit denen sie arbeiten können. Nicht 
weitere gut programmierte Energiesklaven brauchen sie, sondern eine 
Technologie, die ihnen dabei hilft, das Beste zu machen aus der Kraft und 
Phantasie, die jeder besitzt." Mit seiner Forderung nach Konvivialität spricht 
Illich ein Bedürfnis vieler Décroissance-Leute an, die im praktischen Tun, im 
persönlichen Einsatz den Sinn ihres Décroissance-Engagements sehen. Illich ist 
2002 gestorben.


Ich bin damit fast am Ende meines zweiten Teils und muss nur noch einige Worte 
sagen zur Rolle des Berichts "Die Grenzen des Wachstums". Im Gegensatz zu den 
drei erwähnten und einigen anderen Autoren spielt dieser Bericht für 
Décroissance keine zentrale Rolle. Er zeigt anhand von Szenarien, was zu 
erwarten ist, wenn gewisse Voraussetzungen gegeben sind, zum Beispiel großes, 
mittleres oder kleines Bevölkerungswachstum. Er funktioniert also nach dem 
"Wenn-dann-Schema". Wenn wir 75 Prozent rezyklieren, dann ... Wenn wir die Welt 
so weiter entwickeln wie bisher, dann ... Und so weiter.

Der Bericht hat einer breiten Öffentlichkeit die Augen geöffnet für die 
Begrenztheit der Erde. Insofern liefert er der Décroissance-Bewegung manche 
Argumentationshilfe. Aber er propagiert das Ziel einer Steady-State-Wirtschaft, 
nicht Décroissance. Und er bleibt sehr unverbindlich in Bezug auf mögliche 
praktische Maßnahmen. Eine seiner Kernbotschaften heißt: Wir müssen wissen, was 
wir wollen. Daraus ergibt sich die Wahl der richtigen Maßnahmen. Die 
Décroissance-Bewegung weiß bereits, was sie will.



3. Ein Blick auf die praktische Arbeit der Décroissance-Bewegung

Ich komme jetzt zum dritten Teil, also zur praktischen Arbeit der 
Décroissance-Bewegung. Manche von Ihnen, die entweder zur Décroissance-Bewegung 
gehören oder sich ihr nahe fühlen, werden in den Gedanken der drei Autoren 
Georgescu-Roegen, Latouche und Illich teilweise ihre eigene Motivation 
wiedererkannt haben. In der Tat sind nicht nur die Wurzeln der 
Décroissance-Bewegung sehr unterschiedlich, sondern auch ihre Motivationen. 

In der Berner Gruppe [1] haben wir zum Beispiel Mitarbeitende, die ihre 
Motivation vor allem aus mathematisch-physikalischen oder ökonomischen 
Überlegungen schöpfen. Andere pflegen vor allem intensiv einen konvivialen 
Lebensstil. Wieder andere sind vor allem politisch motiviert. Die Liste der 
Möglichkeiten ist nicht vollständig. Décroissance kann eben sehr viele 
praktische Konsequenzen haben. Viele in der Bewegung Aktive genießen es, sich 
nicht auf ein ideologisches Programm verpflichten zu müssen, sondern genau den 
Beitrag leisten zu dürfen, der ihrem Temperament entspricht. 

Dennoch gibt es etwas, was sie alle verbindet. Es ist die Gewissheit, dass 
Décroissance nur dann Wirkung haben kann, wenn sie auf drei Ebenen aktiv ist, 
auf der individuellen, der kollektiven und der politischen Ebene. 

* Auf der individuellen Ebene geht es um die persönliche Lebensgestaltung, um 
ein bescheiden, aber zufrieden geführtes Leben mit möglichst kleinem 
ökologischem Fußabdruck. 

* Auf der kollektiven Ebene geht es um die Unterstützung, die man sich 
gegenseitig in der Verwirklichung von Décroissance-Zielen geben kann. Es ist 
die Ebene der gelebten Solidarität, der Lebens- und Wohngemeinschaften, der 
Tauschkreise, der Vertragslandwirtschaft, der lokalen Alternativwährungen und 
so weiter. 

* Auf der politischen Ebene geht es um ein beharrliches öffentliches Wirken im 
Sinne der Décroissance. Es geht um Aufklärung, um ein geduldiges, unablässiges, 
respektloses Hinterfragen und Kritisieren der Hintergründe, auf denen sich 
unser gesellschaftliches und politisches Leben abspielt. Es geht darum, den 
Zwangscharakter des Wirtschaftswachstums aufzuzeigen. 

Alle aktiven Décroissance-Vertreterinnen und -Vertreter haben ihre persönlichen 
Vorlieben und engagieren sich irgendwo im Gesamten dieser drei Ebenen. Und alle 
wissen, dass nur ein Zusammenwirken der drei Ebenen ein gutes Ergebnis erwarten 
lässt.

An dieser Stelle muss ich erwähnen, dass Décroissance in vielen Ländern und 
unter verschiedenen Namen gelebt wird, nicht nur unter dem Namen Décroissance. 
Ich denke vor allem an die englische Transition-Town-Bewegung und an die 
deutsche Postwachstumsökonomie. Ich denke aber auch an die wachstumskritischen 
Leute bei Attac. Und ich denke an die wachsende Zahl von Personen, die 
Décroissance-Gedankengut in ihre Gruppen, Bewegungen und Parteien hinein 
tragen, ohne selbst der Décroissance-Bewegung anzugehören. 

Sie alle haben die gleichen Beweggründe für ihr Handeln. Sie alle halten sich 
meines Wissens an die drei anfangs genannten Kriterien. Sie arbeiten alle auf 
den genannten drei Ebenen. Und ein Leitbegriff ist ihnen allen gemeinsam, 
selbst wenn er nicht immer ausdrücklich genannt wird. Es ist der Begriff der 
Suffizienz, nicht zu verwechseln mit Effizienz. Suffizienz kann man ungefähr 
übersetzen mit "Genügsamkeit". Wenn wir uns die Frage stellen, wie viel für uns 
genug ist, sind wir auf dem Weg zu suffizientem Handeln. Suffizienz ist auch 
wieder auf allen drei Ebenen möglich, der individuellen, der kollektiven und 
der politischen.



4. Ist Décroissance kapitalismusverträglich?

Ich habe fast am Anfang meines Vortrags gesagt, ich werde später auf das Warum 
des Wachstumszwangs zu sprechen kommen, unter dem die so genannte freie 
Marktwirtschaft steht. Das möchte ich jetzt versuchen. Ich komme damit zu 
meinem vierten Teil, das heißt zur Frage, ob Décroissance 
kapitalismusverträglich ist. Erwarten Sie von mir keine politische oder 
ökonomische Theorie. Ich verstehe von Ökonomie und Politik nicht mehr als die 
meisten von Ihnen. Ich muss mich also auf meine eigenen Überlegungen verlassen. 

Ich stelle mir vor, jemand hat Geld und will es in ein Wirtschaftsunternehmen 
investieren. Das kann er nur tun, wenn er annehmen darf, dass er mehr Geld 
zurückbekommt, als er hineinsteckt. Woher der Mehrwert schließlich stammt, den 
er später als Investor von seiner Investition zurück erwarten kann, diese Frage 
muss ihn nicht kümmern. Aber wenn er keinen Gewinn erwartet, dann tut er es nur 
darum nicht, weil er sich das leisten kann. Dann ist aber seine Investition 
eigentlich gar keine Investition, sondern vielleicht eine Spende oder ein 
zinsloses Darlehen. Dann ist er aber auch kein Investor, kein Unternehmer, 
sondern ein Mäzen oder ein Gönner. Wenn er wirtschaften will, muss er Wachstum 
wollen. Wenn er sich diesem Zwang zu entziehen versucht, wird er durch die 
Konkurrenz eliminiert.

Wachstum ist also nur der gebräuchliche Name für das, was man in der so 
genannten freien Marktwirtschaft zwangsweise tun muss, wenn man überleben will, 
nämlich einen Profit erwirtschaften. Und der Profit wird im Rahmen der 
Überlebensstrategie im Konkurrenzkampf zumindest teilweise wieder so 
eingesetzt, dass neue Profite möglich werden. Und so weiter. Man nennt das 
Kapitalakkumulation. Das Wesen der so genannten freien Marktwirtschaft oder 
eben des Kapitalismus liegt in der Kapitalakkumulation. Diese 
Akkumulationslogik oder Wachstumslogik kann im Kapitalismus nicht durchbrochen 
werden. Wer ihr nicht gehorcht, verschwindet vom Markt.

Wenn man diese Überlegungen weiterführt, muss man sagen, dass linke politische 
Kräfte, die es ernst meinen mit ihrem Vorhaben, den Kapitalismus zu überwinden, 
zum Beispiel die Sozialdemokratische Partei der Schweiz, Wachstumskritik zu 
einem Teil ihrer Politik machen müssten. Das wäre konsequent. Linke 
Gruppierungen sind eigentlich nur dann echt linke Gruppierungen, wenn sie sich 
vom Wachstumsdenken verabschieden und Décroissance-Politik machen. Das ist 
keine fundamentalistische These. Das ist linke Politik, die sich ernst nimmt, 
folgerichtig zu Ende gedacht. Nur ist das in der politischen Realität sehr 
unbeliebt und entsprechend selten der Fall. 

Der ganze Ostblock-Sozialismus bis 1989/91 war zum Beispiel aufgrund dieses 
Kriteriums gerade keine linke Bewegung. Der real existierende Sozialismus auf 
der anderen Seite des Eisernen Vorhangs hat sich der Logik der 
Kapitalakkumulation und des Profits nie entzogen. Er hat sich dieser Logik 
unterworfen. Sein Ziel war es eben gerade, den Kapitalismus zu besiegen durch 
mehr Wachstum, höhere Produktivität, mehr Profit, der allerdings schließlich 
allen zugute kommen sollte. Der real existierende Sozialismus wollte nie etwas 
anderes sein als ein erfolgreicherer, besserer Kapitalismus, ein 
Staatskapitalismus mit Rekordwachstumsraten. Und an diesem Anspruch ist er 
gescheitert.

Es wäre also ein großes Missverständnis, die Décroissance-Bewegung als eine 
Bewegung von Ostblock-Nostalgikern zu sehen. Décroissance ist vielmehr eine 
Einladung, vor allem an die Linke, sich der Wachstumslogik zu entziehen. Wenn 
die Linke es schaffen würde, sich rechtzeitig vom Wachstumsdenken zu 
verabschieden, könnte sie im Übergang zu einer humaneren Gesellschaft eine 
entscheidende Rolle übernehmen.


Ich komme abschließend zurück auf meine These, Wachstumskritik sei Mainstream 
und Décroissance sei Widerstand. Darin liegt für uns Décroissance-Leute eine 
große Schwierigkeit. Die Versuchung ist nämlich groß, dem zeitweise 
eindrücklichen Interesse der Medien dadurch zu begegnen, dass wir versuchen, 
als Bewegung unsererseits so schnell wie möglich Mainstream zu werden. 
Schließlich haben wir ja gesellschaftliche und politische Ziele und möchten das 
Erreichen dieser Ziele nicht auf unbestimmte Zeit verschieben. In dieser 
Situation wünsche ich der Bewegung, dass sie politische Macht nicht mit 
geistigem Einfluss verwechselt. Politische Parteien können Mehrheiten 
anstreben, indem sie Allianzen eingehen und Kompromisse schließen. Sie stehen 
dabei in der Gefahr, dem politischen Erfolg einen Teil ihrer Überzeugung zu 
opfern. 

Der viel zu wenig bekannte österreichische Autor Daniel Hausknost hat über 
diese Problematik ein Buch geschrieben. Es geht um die Geschichte der grünen 
Bewegungen und Parteien. Die Ökologiebewegung des 20. Jahrhunderts hatte, wie 
später die Décroissance-Bewegung, mehrere sehr unterschiedliche Wurzeln. Sie 
war, wie später die Décroissance-Bewegung, in einer marginalen 
Minderheitenposition. Sie war sich, wie unsere Bewegung, der Dringlichkeit 
ihrer Anliegen wohl bewusst. Deshalb wollte sie möglichst rasch zu einer ernst 
zu nehmenden politischen Kraft werden. Das ist ihr erstaunlich gut gelungen. 
Aber Daniel Hausknost zeigt, dass dies nur möglich war, weil sie sich 
schließlich sehr rasch der Logik des globalisierten Markts unterworfen und 
einen Teil ihrer Grundsätze aus den Augen verloren hat, zum Beispiel die 
Wachstumskritik. Sie war anfangs entschieden wachstumskritisch und ist 
mittlerweile europaweit zu einem Öko-Servicebetrieb im Dienst des globalen 
Markts geworden. Hausknosts Buchtitel spielt auf einen Satz an, mit dem sich 
viele marginale Gruppen Mut machen: Der Weg ist das Ziel. Sein Buch heißt: "Weg 
ist das Ziel". 

Einer Graswurzelbewegung wie Décroissance darf das nicht passieren. Wir können 
den bestehenden politischen Parteien Ideen liefern. Wir können versuchen, ihnen 
Mut zur Wirtschaftsschrumpfung zu machen. Wir können sie kritisieren und 
anspornen, ohne selbst in der institutionalisierten Politik aktiv zu werden. 
Wir können also in Zusammenarbeit mit vielen anderen Bewegungen das anstreben, 
was in einem anderen Buchtitel schlagkräftig formuliert ist. Ich meine ein Buch 
des Politikwissenschaftlers John Holloway. Sein Buch heißt: "Die Welt 
verändern, ohne die Macht zu übernehmen". Das wäre das Ziel, das ich persönlich 
der Décroissance-Bewegung wünsche.

Ich danke Ihnen fürs Zuhören und freue mich auf Ihre Fragen und Ihre 
Entgegnungen.

[*] Bei diesem Text handelt es sich um einen Vortrag, gehalten am 13. November 
2012 im Café Décroissance im Polit-Forum Käfigturm, Bern

[1] www.decroissance-bern.ch




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