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Exemplarische Fernsehzuschauer
Die Ausstellung “Tele-Gen” im Kunstmuseum Bonn handelt vom Verhältnis der Kunst zum Fernsehen
Von Tilman Baumgärtel

Ganz nebenbei ist „Tele-Gen“ auch ein veritables Museum der Geschichte des Fernsehmonitors. Gegenstand der Ausstellung im Kunstmuseum Bonn ist eigentlich das Verhältnis von Kunst und Fernsehen seit den 60er Jahren. Und Teil dieser Geschichte ist eben auch die gestalterische Entwicklung des Empfangsapparats. Erst wohnzimmerbeherrschender Klotz in den 50er und 60er Jahren, wie das vollgenagelte Exemplar vom Günther Uecker. Dann slickes Designobjekt in den 70er Jahren – wie das elegant geschwungenen Gerät in einer Retro-Rauminstallation von Tobias Rehberger. Klobige Möchtegern-Kinoleinwand der 90er Jahre in einer Arbeit von Simon Denny. Und schließlich der fast immaterielle Flachbildmonitor der Gegenwart, auf welchem Robert Sakrowskis Video-Kompilation „CuratingYouTube“ zu sehen ist.

An den verschiedenen Formen, den der Fernsehapparat im Laufe der TV-Geschichte angenommen hat, kann man wiederum die gesellschaftliche Bedeutung und die Nutzungsweise des Fernsehens ablesen: vom Lagerfeuer-artigen Versammlungsort der ganzen Familie zum Nebenbei-Medium und digitalen Stream unserer Tage. Die Reflexion dieser Entwicklung in der Kunst will die Ausstellung „Tele-Gen“ im Bonner Kunstmuseum darstellen, was ihr allerdings nur teilweise gelingt.

Den selbstgesetzten Anspruch, auch die „Auflösungserscheinungen des ehemals so monolithischen Mediums Fernsehen im Zeitalter der Digitalisierung, Hybridisierung und Medienkonvergenz“ darzustellen, erfüllt „Tele-Gen“ nicht – lediglich die YouTube-Collage von Robert Sakrowski stellt eine Verbindung zum Online-Video der Gegenwart her. Ansonsten leben auch neuere Arbeiten wie Christian Jankowskis „Discourse News“ (2012), Stefan Hurtigs „Challenge“ (2014) oder Caroline Hakes Fotos von leeren Fernsehstudios (1998 - 2002) von genau der ikonischen Breitenwirkung, die die Glotze nach Darstellung der Kuratoren Dieter Daniels und Stefan Berg im Zeitalter des „Neo-Fernsehens“ (Umberto Eco) angeblich verloren hat.

Doch bevor die Ausstellung sich der Gegenwart widmet, kehrt sie im ersten Saal erst mal zu der Urszenen der Medienkunstgeschichte zurück: Nam Jun Paiks „Exposition of Music. Electronic Television“, bei der 1963 in der Wuppertaler Galerie Parnass präparierte Fernsehgeräte zu sehen waren. Die Ausstellung wird oft als Beginn der Videokunst dargestellt. Aber tatsächlich ging es Paik, Wolf Vostell und anderen Künstlern, die Mitte der 60er Jahre vergleichbare Arbeiten schufen, von Anfang an um das Fernsehen, dessen soziopolitische Bedeutung zu dieser Zeit allmählich klar wurde. Tatsächlich haben Paik und andere Künstler beträchtliche Energie darauf verwendet, wirklich ins Fernsehen zu kommen, was ihnen freilich nur selten gelang.

Die Geschichte des Fernsehens, das von Künstlern wie Paik, Andy Warhol oder Douglas Davis gemacht wurde, erzählt die Bonner Ausstellung nicht. Zu sehen sind nur wenige Beispiele dafür, wie Künstler das Fernsehen für ihre Kunst genutzt haben, etwa eine Aufführung von „Water Music“ durch John Cage in einer amerikanischen Rate-Show. Das Documenta-Projekt Van Gogh TV – wohl der extensivste Versuch eines genuinen Kunstfernsehens – ist in ein Hinterzimmer relegiert worden. Lediglich Christoph Schlingensiefs Krawallshow „Talk 2000“ nimmt breiten Raum ein, und erinnert daran, wie der Filmemacher und Aktionskünstler Opfer genau der Mechanismen wurde, die er eigentlich persiflieren wollte.

Auch im Katalog werden die Versuche von Künstlern, tatsächlich Fernsehen zu machen, mit verdächtiger Eile abgetan als durch Youtube und Web 2.0 obsolet geworden. Das befremdet ebenso wie die Behauptung von Ko-Kurator Dieter Daniels in seinem Ausstellungsessay, dass Fernseh-Interventionen, wie die von Künstlern wie Peter Weibel, Valie Export, Chris Burden oder Jan Dibbets (der Aufnahmen eines brennenden Kaminfeuern unkommentiert auf WDR 3 zeigen ließ) aus den 70er und 80er Jahren, im heutigen Fernsehprogramm niemandem mehr auffallen würden.

Nachdem man Künstler als Gestalter von Fernsehinhalten in die Mottenkiste der Mediengeschichte verabschiedet hat, bleibt der “Künstler als exemplarischer Zuschauer” (Daniels). Vor den Bildschirm verbannt, besteht seine Auseinandersetzung mit dem Fernsehen aus der Arbeit mit TV-Inhalten. Und hier bietet die Ausstellung wenig bekannte und selten gezeigte Arbeiten auf, die „Tele-Gen“ dann doch sehenswert und anregend machen.

Selten zu sehen ist etwa der Found-Footage-Film „Ein Tag im Leben der Endverbraucher“ von Harun Farocki, der aus Werbeclips einen Tagesablauf zusammen schnipselt. Die Plexiglaslinsen von Schweizers Kurt Gerstner, mit denen man das Fernsehbild verzerren kann, sind bisher ebenso wenig Teil des Kanons wie die Maske für den Fernsehbildschirm des rumänisch-französischen Situationisten Isidore Isou, den man eigentlich als radikal-experimentellen Dichter und Filmemacher kennt. Auch die malerische Auseinandersetzung mit der Leuchtpunkt-Ästhetik des Fernsehbildes durch den Informel-Maler K. O. Götz – die wiederum eine wichtige Inspiration für Nam Jun Paik war – ist bislang wenig bekannt.

„Tele-Gen” bis zum 17. Januar im Kunstmuseum Bonn, danach im Kunstmuseum Liechtenstein




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