Liebe Inke,
ich weiss nicht, ob du von meinem Text mehr als die Überchrift gelesen hast.
Deshalb zwei, drei Anmerkungen:
a) Ich wende mich gegen das Label MEDIENKUNST - nicht gegen Kunst, die
mit Medien arbeitet. (Natürlich musst du von dem Job und deiner
Institution her das Label verteidigen.)
b) Vollkommen klar, dass der Kittler'sche Mediendeterminismus, vor allem
wenn man ihn etwas einfältig als Tech-Affirmation versteht, im
Kunstumfeld keinen Sinn macht. Das habe ich im übrigen, von dir
anscheinend überlesen, auch geschrieben.
Die Arbeiten der Künstler, die du anführst, schätze ich im übrigen sehr.
Ich würde sie nur nicht mit der Bezeichnung Medienkunst strafen wollen.
Viele Grüße,
Stefan
Inke Arns schrieb:
Hier noch ein - zugegebenermassen recht spaeter - Beitrag zur Diskussion
um die Medienkunst ;-) Danke an alle fuer die Anregungen!
Viele Gruesse, Inke
* * *
-- erscheint Anfang April 2008 in: "Hartware MedienKunstVerein 1996 -
2008", hg. v. HMKV (Susanne Ackers, Inke Arns, Hans D. Christ, Iris
Dressler), Druckverlag Kettler, Boenen 2008 --
Inke Arns
Und es gibt sie doch
Ueber die Zeitgenossenschaft der medialen Kuenste
Wer Medienkunst heute noch mit spektakulaeren Virtual Reality
Installationen gleichsetzt, wie dies 2007 zuletzt die Berliner
Ausstellung Vom Funken zum Pixel oder Anfang 2008 der Polemiker Stefan
Heidenreich in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (1) getan
haben, hat entweder nicht genau hingesehen und die Diskussionen der
letzten Jahre nicht verfolgt oder ist unwillens, den Paradigmenwechsel
wahrzunehmen, der sich im letzten Jahrzehnt vollzogen hat. (2) Man
moechte weder dem Kurator des Einen noch dem Autor des Anderen das Eine
oder das Andere unterstellen.
In der Tat, die interaktive, immersive und technisch aufwaendige
Medienkunst der 1990er Jahre, die spitzzuengige Polemiker gerne als
“ZKM"-Kunst bezeichneten und der teils zu Recht vorgeworfen wurde, dass
sie die Medienkunst zu reiner Interface-Entwicklung degradiere, gibt es
heute in dieser Form nicht mehr - und das ist auch gut so. Allerdings
war diese Form von Medienkunst auch nie metonymisch gleichzusetzen mit
“der" Medienkunst. Hierbei handelte es sich vielmehr um einen
rhetorischen Kniff der Kritiker, der dazu diente, das gesamte Feld
medienkuenstlerischer Praktiken pauschal zu diskreditieren. So sicherte
man die eigene Diskurshoheit und konnte auf recht durchschaubare Weise -
naemlich durch simples Verschweigen - einer Auseinandersetzung mit den
wirklich spannenden Formen von Medienkunst aus dem Weg gehen. Oder war
es intellektuelle Faulheit? Man weiss es nicht so genau. Aergerlich
bleibt es auf jeden Fall - und ein Armutszeugnis fuer die
zeitgenoessische Kunstkritik in Deutschland, die es bis heute nur selten
geschafft hat, ernstzunehmende Positionen zur Medienkunst jenseits der
Polemik zu entwickeln.
Dass es dabei gerade die anderen Formen von Medienkunst waren, die
parallel zur technoutopischen und -affirmativen interaktiven Medienkunst
der 1990er Jahre die wirklich interessanten Projekte und Formate
hervorgebracht haben, wurde so uebersehen. Dabei sind es vor allem die
fruehen Formen der Netzkunst ab 1993/1994, die so genannte Softwarekunst
ab Anfang dieses Jahrzehnts sowie neue Arten und Formate medialer
Performances und des postdramatischen Theaters, auf denen die
gegenwaertigen spannenden Entwicklungen in diesem Bereich beruhen.
Medienkunst umfasst heute ein weites Feld von Techniken, Strategien und
Praxen, bei denen die technischen Medien selbst oft in den Hintergrund
treten. (Neue) Medien und Technologien sind heutzutage alltaeglich und
ubiquitaer geworden. Sie sind zunehmend in alle Lebensbereiche
eingedrungen und sitzen heute bereits an den unscheinbarsten Stellen -
man denke nur an Bankautomaten, RFID-Chips auf Krankenkassenkarten und
in Reisepaessen, oder an Verwaltungssoftware und Datenbanken, die fuer
die ’Kunden' unsichtbar bleiben, aber die Arbeit des jeweiligen
Sachbearbeiters entsprechend vorstrukturieren. Analog zu dieser
ubiquitaeren Ausbreitung und Praesenz hat sich auch die Medienkunst
erweitert. Sie schaut an alle diese alltaeglichen, oft uebersehenen und
doch so wichtigen - weil medial und technologisch erweiterten - Stellen
und fokussiert unsere Aufmerksamkeit darauf. Eine solche Medienkunst tut
dies nicht auf spektakulaere Weise und ist selbst oft auch gar nicht
zwingend digital, denn es sind nicht die (Medien-)Technologien an sich,
die im Vordergrund stehen, sondern ihre Wirkungsweisen auf unser
Verhalten. Diese Art von erweiterter, manchmal fast beilaeufiger
Medienkunst verzichtet mitunter gar auf den Einsatz technischer Medien
und behaelt sich stattdessen fuer die Bewusstmachung der Rolle von
Medien in unserem Alltag (und gegebenenfalls die Formulierung von
Alternativen) die freie Wahl der Mittel vor. Die Medienkunst beginnt so,
sich vom Zwang der Verwendung neuer Medien und neuer Technologien zu
emanzipieren. Die Kunst unter postmedialen Bedingungen (3) loest sich
von der Beschaeftigung mit ihrer eigenen Materialitaet und wendet sich
den vielfaeltigen Formen von gegenwaertiger, ubiquitaerer Medialitaet zu.
Der spanische Kuenstler Daniel Garcia Andujar entwickelte vor genau zehn
Jahren eine Arbeit, die sich mit der zunehmenden Privatisierung und
Kommodifizierung von Sprache auseinandersetzt. Auf einer simplen
HTML-Seite listet er Saetze auf, die eingetragene Warenzeichen und damit
Eigentum ihrer jeweiligen Besitzer sind, wie z.B. “Where do you want to
go today?TM" (Microsoft), “A better return on informationTM" (SAP),
“What you never thought possibleTM" (Motorola). Indem Andujar dieses
Projekt mit “Remember, language is not freeTM" betitelt, nimmt er die in
den darauf folgenden Jahren einsetzenden Auseinandersetzungen um
“geistiges Eigentum" vorweg, die sich Mitte der 1990er Jahren in
erbitterten Verteilungskaempfen um Domainnamen im World Wide Web
abzuzeichnen begannen. (4)
Das makrolab des slowenischen Medienkuenstlers Marko Peljhan wurde
erstmals zur documenta X 1997 in Kassel aufgebaut, operierte Anfang 2000
an der Westkueste Australiens, im Fruehsommer 2002 in Schottland, dann
an der Westkueste der Vereinigten Staaten und von Juni bis Dezember 2003
auf der Insel Campalto bei Venedig. Beim makrolab handelt es sich um
eine autonome Forschungs-, Arbeits- und Wohneinheit, die mit Hilfe von
allerlei technischem Geraet die Topographie der Signale im gesamten
elektromagnetischen Spektrum kartografiert - als eine Art privates
ECHELON-System: Das Labor ist ausgeruestet mit Sende- und
Empfangsantennen, die verschiedene Signalbereiche erfassen und dort
zirkulierende Datenstroeme (private Telefongespraeche,
satellitengesteuerte Navigationssysteme und militaerische und
wirtschaftliche Kommunikation) aufzeichnen koennen. Das makrolab, das
als zehnjaehriges Forschungsprojekt konzipiert wurde, wird abseits
grosser Staedte oder Ausstellungen an moeglichst abgelegenen Orten
aufgebaut und soll 2008 permanent in der Antarktis installiert werden.
Anfang Juli 2006 fuhren zwei bulgarische LKW-Fahrer in einem umgebauten
Lastwagen 47 Zuschauer durch ein dichtes Netz von Autobahnraststaetten,
Verladerampen, Containerhafen und Lagerhallen im Ruhrgebiet. “Cargo
Sofia ist ein Modell Europas, eine Zelle der Globalisierung, in der die
Zuschauer zu Voyeuren der alleralltaeglichsten Perspektive des
Fernverkehrs werden [...]. Auf einem umgebauten Lastwagen mit
transparent verglaster Laengsseite fahren [die] Zuschauer durch die
nordrhein-westfaelische Landschaft aus Produktion und Konsum. [...] Zu
diesen Ready-Made-Buehnenbildern des Transits fuegen sich
suedosteuropaeische Biographien aus dem Fuehrerstand, Dialoge mit
Essener Autobahnpolizisten und Duisburger Containerspediteuren,
Balkanmusik und Motoren-Grooves." (5) Das Projekt von Stefan Kaegi,
Mitglied der schweizer-deutschen Performancegruppe Rimini Protokoll, ist
eine Mischung aus Theater, Performance und multimedialer Auffuehrung und
erlaubt so zwischen inszenierter Realitaet und alltaeglicher Fiktion
einen neuen Blick auf den (un)gewoehnlichen Alltag der Globalisierung.
Cargo Sofia faehrt als aufmerksam beobachtende Zelle durch eine sich
durch transnationalen Warenverkehr veraendernde Landschaft der
Globalisierung. Videoeinspielungen im Innenraum des LKW legen sich ueber
die Realitaet, schaffen und verweisen auf einen ’augmented space'. (6)
In diesem ist der mit Global Positioning System (GPS) ausgestattete LKW
von Anfang an praesent, sichtbar auf den Monitoren der Speditionszentrale.
Der britische Kuenstler Heath Bunting interessiert sich fuer die
Herstellung von Kommunikation und die Schaffung sozialer Kontexte und
Verbindungen von virtuellem und physischem Raum. Waehrend Bunting in den
1980er Jahren mittels Graffiti psycho-geographische Interventionen in
urbane Raeume vollzog, sich im Kontext von Fax- und Mail Art und
Londoner Piratenradios engagierte, wurde er in der 1990er Jahren zu
einem der exponiertesten Vertreter der so genannten “net.art", einer
informellen Gruppe vorrangig europaeischer NetzkuenstlerInnen, die dem
Mitte der 1990er Jahre einsetzenden Internethype kritisch
gegenueberstanden. Zwischen 1994 und 1997 entwickelte Bunting
kuenstlerische Projekte vorwiegend im Internet. Er war in dieser Zeit
einer der profiliertesten Netzkuenstler und einer der ersten, die sich
aus der Netzkunst wieder zurueckzogen. Seitdem erkundet er Reiserouten
fuer die unkontrollierte Ueberwindung europaeischer Staatsgrenzen. Das
von der Tate Modern London in Auftrag gegebene Internet-Projekt
BorderXing Guide (2001) dokumentiert die illegalen Grenzuebertritte
innerhalb und ausserhalb Europas, die Heath Bunting und Kayle Brandon in
den letzten Jahren im Selbstversuch vollzogen. BorderXing Guide versteht
sich als Anleitung zum Grenzuebertritt ohne Papiere. (7)
Der franzoesische Kuenstler Renaud Auguste-Dormeuil installierte 2005 im
Rahmen der Ausstellung Verstreute Momente der Konzentration. Urbane und
digitale Raeume in der PHOENIX Halle Dortmund zwei Arbeiten, die
aktuelle Technologien kommentieren, ohne diese jedoch selber
einzusetzen. GPS (2001) befasst sich mit der Ambivalenz von
Lokalisierung und Kontrolle im Zeitalter der Satellitennavigation. Die
zunaechst rein dekorativ erscheinende, in den Farben gelb, pink und
gruen gehaltene minimalistische Wandmalerei erweist sich auf den zweiten
Blick als eine Visualisierung der Funktionsweise des Global Positioning
System (GPS). GPS erlaubt weltweit eine auf wenige Meter genaue Ortung
von Personen oder Objekten. Code International Sol/Air No. 14 (1999),
realisiert als grosses Blumenbeet, kommuniziert eine geheime Botschaft
(“Brauchen Waffen und Munition") an vorbei fliegende Helikopter und
Flugzeuge.
All diese Arbeiten, die in den letzten Jahren entstanden sind, zeigen,
dass Medienkunst heute zu einem erweiterten Feld der ’medialen Kuenste'
geworden ist. Sie bedient sich einer ganzen Reihe von Medien, die bis
vor ein paar Jahren im Medienkunstkontext noch nicht denkbar gewesen
oder rezipiert worden waeren. Language (property) und das makrolab sind
sicherlich durch die Medien und Technologien, die sie verwenden, am
deutlichsten als Medien- oder Netzkunst erkennbar. Buntings und Brandons
hybrides Projekt BorderXing Guide verschraenkt (wie uebrigens auch das
makrolab) den realen mit dem virtuellen Raum und nimmt die sich ab 2000
zunehmend auf Bewegungen im (sub-)urbanen oeffentlichen Raum
verlagernden Aktivitaeten dieses Teils von irational vorweg, die sich
der physischen Ueberwindung von Zaeunen und Grenzen widmen (Tour
d'Fence, Public Sculpture Climbing). Cargo Sofia macht als ’mobiler
Theaterraum' diese sich zunehmend verwebenden virtuellen (medialen) und
realen Raeume der Globalisierung als konkrete LKW-Routen erfahrbar.
Renaud Auguste-Dormeuil schafft ein Wandbild, das die Funktionsweise des
GPS Systems veranschaulicht und ein mobiles Blumenbeet, das seine
Nachrichten in den Himmel kommuniziert.
Das, was noch in den 1990er Jahren mit dem Sammelbegriff Medienkunst
bezeichnet wurde, befreit sich also langsam von dieser begrifflichen
Beschraenkung. Genauer: Die Medienkunst emanzipiert sich - in einer
paradoxen Bewegung - zunehmend von der Verwendung neuer
Medien/Technologien. Gleichzeitig spricht sie mit grosser Gelassenheit
darueber, wie sich die uns umgebende Welt, die zunehmend auf digitalen
Technologien basiert, durch eben diese Medien und Technologien
veraendert. Dieser Paradigmenwechsel ist zu einem grossen Teil dem heute
selbstverstaendlicheren Umgang mit diesen Medien/Technologien in unserem
Alltag geschuldet. Internet, Telekommunikation, Video, Fotokameras, die
moegliche Konvergenz aller dieser Medien in eines, naemlich die
’Universalmaschine Computer', all das ist in den letzten Jahren
selbstverstaendlich geworden.
Das Spezifische der medialen Kuenste unter postmedialen Bedingungen sind
heute nicht die Medien, sondern ihre spezifische Form der
Zeitgenossenschaft, ihre inhaltliche Auseinandersetzung mit unserer in
starkem Masse medial und technologisch gepraegten Gegenwart. Dabei
findet diese Auseinandersetzung nicht unbedingt unter Verwendung dieser
neuen Technologien statt, sondern die Kunst bedient sich (fast) aller
moeglichen Medien und Techniken. Diese Art von Medienkunst befreit sich
gleichermassen von dem Zwang, sich der neuesten Technologien zu
bedienen. Sie entledigt sich der konzeptuellen Entlastung durch die
Neuheit des Mediums und stellt sich der Herausforderung des
Kuenstlerischen. Sie wird (endlich) erwachsen.
Die spezifische Art der Zeitgenossenschaft von Medienkunst ist nicht
ihre ingenieurwissenschaftliche Technikkompetenz, wie dies Friedrich
Kittler und seine Anhaenger - wie z.B. Stefan Heidenreich - in den
1990er Jahren fuer die Medienkunst apodiktisch gefordert haben. Vielmehr
sind die oben genannten Kuenstlerinnen und Kuenstler Erfinder in einem
erweiterten Sinne, eben im Sinne ihrer Zeitgenossenschaft, der in ihr
geaeusserten inhaltlichen Auseinandersetzung und durchaus auch in ihrer
Teilhabe und Teilnahme an einer Welt, die einen immer
selbstverstaendlicheren Umgang mit Medien und Technologien pflegt und
sich dadurch radikal veraendert. Es liesse sich gar eine - durchaus
polemische - These aufstellen: Im Kontext der zeitgenoessischen Kunst
sind es gerade die medialen Kuenste, die sich durch eine genuine
Zeitgenossenschaft - also eine Teilhabe an und eine interessierte
Auseinandersetzung mit der Gegenwart - auszeichnen. Nirgendwo im Bereich
der zeitgenoessischen Kunst findet sich eine vergleichbar intensive
inhaltliche und konzeptuelle Auseinandersetzung mit der wachsenden
medialen Verfasstheit unserer Welt.
Voraussetzung fuer eine informierte, kuenstlerische Verhandlung der
heutigen Medialitaeten unserer Lebensumwelt ist eine intensive
Beschaeftigung mit den, und ein umfassendes Verstaendnis fuer die
Materialitaeten der Medien und Technologien. Nur auf der Basis und vor
dem Hintergrund einer solchen kritischen Informiertheit - einer
Medienkompetenz, die ueber reine Bedienertaetigkeit hinausgeht - sind
die medialen Kuenste heute denkbar. Kunst im Zeitalter ihrer
postmedialen Bedingung bedeutet naemlich nicht anything goes, weil alles
sowieso von den Medien erfasst und alles zum Medium wird. Es bedeutet
vielmehr - analog zur Konzeptkunst - eine freie Wahl der kuenstlerischen
Mittel, basierend auf der kritischen Analyse der Materialitaet und der
den Medien zugrunde liegenden “Medialitaeten, Dispositive(n) und
Performanzen, die die medialen Prozesse begleiten und in sie eingehen."
(8) Die Bandbreite der kuenstlerischen Mittel kann dabei so gross sein
wie in den oben beschriebenen Projekten: von HTML-Seiten, literarischen
Fiktionen ueber illegale Grenzuebertritte bis hin zu mobilen
Forschungslabors und Blumenbeeten.
Warum, so lautet eine berechtigte Frage, sollte man heute ueberhaupt
noch am Begriff Medienkunst festhalten? Weil das, was in den medialen
Kuensten verhandelt wird, noch immer nicht vollstaendig in die
zeitgenoessische bildende Kunst integriert ist. Diese Geringschaetzung
von Seiten der bildenden Kunst hat sich die Medienkunst zum grossen Teil
selbst zuzuschreiben: Sie hat sich (durchaus zu Recht) eigene Formate
und Institutionen geschaffen - ihr ist es jedoch nicht gelungen, aus
diesem selbst geschaffenen Ghetto zu entkommen. (9) Das liegt einerseits
an der Fokussierung auf die Technik und dem oft simplen
Interaktivitaetskonzept der Medienkunst. Der andere, nicht minder
wichtige Grund ist im Format von Medienkunstfestivals zu suchen. Seit
Ende der 1970er Jahre hat sich in Europa und darueber hinaus eine
Festival-Landschaft etabliert, die fuer die Zirkulation der neuesten
Arbeiten und Themen sorgt. Es sei unbenommen: Festivals sind wichtige
internationale Treffpunkte und Katalysatoren. Aber als Format fuer die
medialen Kuenste reichen sie nicht (mehr) aus.
Medienkunstfestivals sind temporaere Formate, die oft qualitativ nur
unzureichende Moeglichkeiten fuer die Praesentation komplexer
Installationen bieten. In der zeitgenoessischen (Medien-)Kunst ist
jedoch die Qualitaet der Praesentation fuer die Rezeption des Ganzen
mitentscheidend. Speziell die Praesentation von Medienkunst ist dabei
ein aeusserst komplexes Unterfangen - man denke nur an die spezifischen
Aspekte von Licht, Ton, Raumsituationen und dem Einsatz aeusserst
heterogener Installationsmaterialien. Oft erlaubt der Festivalkontext
jedoch keine Beruecksichtigung dieser vielen Einzelaspekte. Dies fuehrte
dazu, dass die Medienkunst, die sich, chronologisch betrachtet, von
zeitbasierten einkanaligen Videoarbeiten (1960er Jahre) ueber
’Videoskulpturen' (1980er Jahre) zunehmend in Richtung komplexer,
durchaus auch partizipativer Projekte und Installationen entwickelte, in
einem ’Festival-Stadium' gehalten wurde, ueber das sie nur selten
hinauszuwachsen vermochte. Dabei haette gerade die Wegentwicklung vom
Format ’Film' hin zum Format ’Kunst' einer veraenderten, oft auch
praeziseren und durchdachteren Praesentation bedurft. (10)
Genau diesen Fragen widmet sich der Hartware MedienKunstVerein seit
seiner Gruendung 1996 - in Ausstellungen, Film- und Videoscreenings,
Musik- und Performanceprogrammen sowie Konferenzen und Workshops. Und er
kann dabei durchaus fuer sich in Anspruch nehmen, spannende Loesungen
entwickelt zu haben.
Fussnoten
1 Stefan Heidenreich, Es gibt gar keine Medienkunst! In: Frankfurter
Allgemeine Sonntagszeitung, 27.1.2008.
2 Vgl. z.B. die Podiumsdiskussion "Media Art Undone" auf der
transmediale.07, Berlin, 3.2.2007,
http://www.mikro.in-berlin.de/wiki/tiki-index.php?page=MAU (20.2.2008);
Armin Medosch, Technological Determinism in Media Art, University of
Sussex, October 2005,
http://theoriebild.ung.at//pub/Main/TechnologicalDeterminismInMediaArt/TechnoDeterminismAM.pdf
(19.2.2008).
3 Vgl. Rosalind Krauss: A Voyage on the North Sea: Art in the Age of the
Post-Medium Condition, London: Thames & Hudson, 2000; Elisabeth Fiedler,
Christa Steinle, Peter Weibel (Hg.): Die Postmediale Kondition, Graz
2005, http://www.neuegalerie.at/05/postmediale/konzept.html (20.2.2008).
4 Vgl. dazu die von Inke Arns und Jacob Lillemose kuratierte Ausstellung
The Wonderful World of irational.org. Tools, Techniques and Events 1996
- 2006, HMKV in der PHOENIX Halle Dortmund, 2006, sowie die Publikation
The Hartware Guide to irational, hg. v. Susanne Ackers, Inke Arns,
Francis Hunger und Jacob Lillemose, Revolver: Frankfurt am Main 2006.
5 Vgl. Website PACT Zollverein, www.pact-zollverein.de, 27. Juli 2006.
6 Der Hartware MedienKunstVerein (HMKV) setzt sich seit Anfang 2005
intensiv mit dem sogenannten “augmented space" (dt. “erweiterter" oder
“verdichteter Raum"). Der von dem russischen Medientheoretiker Lev
Manovich gepraegte Begriff beschreibt den uns umgebenden Realraum, der
zunehmend mit Informationen angereichert und durchsetzt ist bzw. von
immateriellen Informationsstroemen durchzogen wird. Vgl. Verstreute
Momente der Konzentration. Urbane und digitale Raeume, hg.v. Hartware
MedienKunstVerein / Inke Arns, Revolver: Frankfurt am Main 2005.
7 Vgl. Fussnote 4.
8 Dieter Mersch: Mediale Paradoxa. Zum Verhaeltnis von Kunst und Medien,
in: sic et non. Zeitschrift fuer Philosophie und Kultur, 2006.
9 Vgl. dazu: Inke Arns, Jacob Lillemose, "It's contemporary art,
stupid": Curating computer based art out of the ghetto, in: Argos
Festival, hg. v. Anke Buxmann, Frie Depraetere, argoseditions: Bruessel
2005, English: S. 136-145; Dutch S. 342-353.
10 Die 1984 gegruendete Videonale in Bonn widmet sich der Entwicklung
neuer Praesentationsformate v.a. von Videokunst. Vgl. www.videonale.de
(20.2.2008).
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