Re: Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)

2022-01-06 Diskussionsfäden Dr. Michael Stehmann

Hallo,

Am 06.01.22 um 00:44 schrieb Carsten Knoll:


b) Moderationsentscheidungen sind subjektiv und haben dadurch potenziell
Akzeptanzschwierigkeiten.


Algorithmen und deren Implementation sind und enthalten subjektive 
Entscheidungen des oder der Entwickelnden ("Code is Law").


Das Problem wird daher nur von der Einzelfallentscheidung hin zu einer 
generellen Entscheidung verschoben.


Auch Gesetze sind (inter-)subjektive Entscheidungen der Gesetzgebenden. 
Sie enthalten Entscheidungen, die man mit guten Gründen auch anders 
treffen kann.


Dafür fehlt es bei generellen Entscheidungen, die dann zu 
regeldeterminierten  Ergebnissen führen, notwendigerweise oft an dem, 
was man "Einzelfallgerechtigkeit" nennt. Oder anders ausgedrückt: der 
Mensch wird zum Objekt des Entscheidungsverfahrens.


Es ist also nicht zwingend, dass ein Algorithmus gerechter ist als ein 
Moderator oder eine Moderatorin (Mensch).


Gruß
Michael

P.S.: "Akzeptanzschwierigkeiten" beim Output von IT-Systemen gehören zur 
"digitalen Souveränität".






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Re: Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)

2022-01-05 Diskussionsfäden Carsten Knoll
Hallo Alex (und Liste),

vielen Dank für das Feedback. Ich gehe mal auf die einzelnen Punkte ein:


On 05.01.22 17:38, Alexander Dahl wrote:
> On Sat, Dec 18, 2021 at 02:51:46PM +, Carsten Knoll wrote:
>> [...]
>> 5. Das wünschenswerte Szenario wäre dagegen:
>>   - gemeinsames Zusammentragen der jeweiligen Pro- und Kontra-Argumente
>>   - Übersichtliche Darstellung des aktuellen Standes des Argument-Baumes
>>   - nachvollziehbare Quellenangaben für externe Information
> 
> Bei mehreren Beiträgen hier im Thread hatte ich den Gedanken, dass die
> angesprochenen Probleme durch ganz klassische Moderation gelöst oder
> zumindest gemindert werden können,

Das ist gut möglich. Ich sehe aber zwei Beschränkungen:

a) Moderation macht Arbeit. → Moderationskapazität ist eine knappe
Ressource.

b) Moderationsentscheidungen sind subjektiv und haben dadurch potenziell
Akzeptanzschwierigkeiten.



> zusätzlich zu den von Dir genannten
> Zusammentragen und Zusammenfassen des bisherigen Diskussionsstandes,
> würde ich da noch ergänzen:
> 
> - unangemessenes Verhalten ansprechen und unterbinden
> - Lenkung der Diskussion zurück zum Thema

Volle Zustimmung.

> - Wiederaufnehmen der Diskussion bei längerem Stillstand
Hängt vom Interesse der gerade aktiven Kommunikations-TN ab.


> - gezielte Aufforderungen bisher unklare Aussagen zu konkretisieren
> - Quellen aktiv einfordern

Das sollte aus meiner Sicht implizit passieren (technische Lösung). Weil
es sonst eben vermeidbaren Moderationsaufwand generiert. Und Menschen
sich schon von der schlichten Aufforderung Quellen anzugeben beleidigt
fühlen (wenn diese Aufforderung von einem Menschen kommt).


> 
> Vermutlich noch mehr. Ich kann mich entsinnen, dass vor gut 20 Jahren
> in lokalen Webforen engagierte Moderator*innen sich ebenso positiv auf
> die Diskussionen ausgewirkt haben wie bei uns im Hackerspace in der
> konsensbasierten Entscheidungsfindung.

Das glaube ich gerne. Seitdem hat sich aber das schiere Aufkommen an
digitaler Kommunikation massiv vergrößert. Die Bereitschaft und
Fähigkeit die Moderationskapazität in erforderlichem Maß nachzuziehen
siehe ich aktuell nicht.


> 
>> 6. Die bisher genutzten Software-basierten Medien (Mailinglisten,
>> Chatgruppen, Foren, Wikis, Threads auf Twitter oder Mastodon, Kommentare
>> unter Medien-Beiträgen oder in Blogs) unterstützen dieses wünschenswerte
>> Szenario deutlich zu wenig.
>>
>> 7. Die konkrete Funktionalität einer Kommunikations- und
>> Dokumentationssoftware kann einen massiven (positiven) Einfluss auf die
>> Art und das Ergebnis der Kommunikation haben. Beispiel:
>> Stackoverflow-Prinzip statt klassischer Programmier-Foren.
> 
> Ich meine eine gute Plattform oder Software kann Moderation durchaus
> unterstützen. Vermutlich muss man hier gar nicht das Rad neu erfinden,
> vielleicht hilft da der Input von Leuten, die bereits moderiert haben?

Meine These ist ja, dass eine andere Organisation der einzelnen
Diskussionsbeiträge den Moderationsaufwand signifikant senkt. Ich will
also nicht das Rad neu erfinden, sondern aus einem viereckigen Rad ein
achteckiges machen, um die Rolleigenschaften zu verbessern. :)


> 
>> 8. Relevante Kommunikationssoftware sollte frei sein und ohne viel
>> Aufwand von Individuen und (zivilgesellschaftlichen) Gruppen ausgerollt
>> und genutzt werden können.
> 
> Da sind wir uns hier wohl einig?! ;-)

Für die FSFE-Liste war diese These einigermaßen überflüssig. Aber sie
dient a) zur Vorbereitung von These 9 und b) sollen die Thesen auch
außerhalb dieser Liste so schlüssig wie möglich sein.

Ich habe den Text z.B. für bessere Referenzierbarkeit auf mein privates
Blog gepackt:

https://cknoll.github.io/software-zur-diskussions-verbesserung.html



>> [...] 
>> Mich wundert, dass es für die aus meiner Sicht so offensichtlichen
>> Missstände ("Alles was scheitert, scheitert an Kommunikation") bisher
>> keine (mir bekannten) guten und vor allem systematischen Lösungen zu
>> geben scheint.
>>
>>
>> Wie seht Ihr das?
> 
> Siehe oben. ;-)
> 

Ich hatte ja eigentlich gehofft, dass es Menschen auf der Liste gibt,
die sowohl in der Problemwahrnehmung als auch bezüglich möglicher
Lösungen meine Thesen weitestgehend teilen, und ggf. auch Interesse an
einer weiteren Verfolgung möglicher Lösungsideen signalisieren.

Nach bisheriger Antwort-Lage scheint das eher nicht der Fall. Aber
manche Ideen müssen auch ne Weile reifen, bis die Welt bereit für sie
ist oder sie sich alles offensichtlich untauglich rausstellen.

Im Moment würde ich sagen, ist weder das eine noch das andere der Fall :)


Beste Grüße,
Carsten




-- 


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Re: Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)

2022-01-05 Diskussionsfäden Alexander Dahl
Hallo Carsten,

On Sat, Dec 18, 2021 at 02:51:46PM +, Carsten Knoll wrote:
> da in den letzten Tagen ein erhöhtes Mailaufkommen auf dieser Liste rund
> um Meta-Themen stattgefunden hat würde mich mal Eure Meinung zu
> folgenden (subjektiven) Thesen interessieren:
> 
> 
> 1. Textbasierte und asynchron ablaufende Diskussionen (z.B. über
> Mailinglisten) zu kontroversen Themen haben ein erhebliches
> Frustrationspotential.

In der Tat, die Erfahrung habe ich auch gemacht. Auf Mailinglisten
habe ich aber auch gesehen, dass die meisten Leute lernfähig sind, was
den Gebrauch dieses Mediums angeht und in der Lage ihre Kommunikation
so anzupassen, dass höflicher und konstruktiver Austausch stattfindet.

> 3. Ein Großteil der suboptimalen und objektiv falschen Entscheidungen in
> Politik und Gesellschaft ist auf die Dysfunktionalität der
> vorangegangenen Diskurse zurückzuführen. Beispiel: Luca-App. Ebenso ein
> Großteil der Konflikt-bedingten "Reibungsverluste" z.B. in
> Software-Projekten.
> 
> 4. Typische Szenarien kontroverser Diskussionen sind:
>   - ergebnisloses im-Sande-Verlaufen
>   - Wegdriften vom ursprünglichen Thema
>   - offener Streit und Abbruch der Kommunikation
>   - Neubeginn nach längerer Pause mit stark unterschiedlichem
> Kenntnisstand der bisherigen Diskussion
>   - Vermeidung einer breiten (und anstrengenden) Diskussion und
> autokratische Entscheidungsfindung.
> 
> 5. Das wünschenswerte Szenario wäre dagegen:
>   - gemeinsames Zusammentragen der jeweiligen Pro- und Kontra-Argumente
>   - Übersichtliche Darstellung des aktuellen Standes des Argument-Baumes
>   - nachvollziehbare Quellenangaben für externe Information

Bei mehreren Beiträgen hier im Thread hatte ich den Gedanken, dass die
angesprochenen Probleme durch ganz klassische Moderation gelöst oder
zumindest gemindert werden können, zusätzlich zu den von Dir genannten
Zusammentragen und Zusammenfassen des bisherigen Diskussionsstandes,
würde ich da noch ergänzen:

- unangemessenes Verhalten ansprechen und unterbinden
- Lenkung der Diskussion zurück zum Thema
- Wiederaufnehmen der Diskussion bei längerem Stillstand
- gezielte Aufforderungen bisher unklare Aussagen zu konkretisieren
- Quellen aktiv einfordern

Vermutlich noch mehr. Ich kann mich entsinnen, dass vor gut 20 Jahren
in lokalen Webforen engagierte Moderator*innen sich ebenso positiv auf
die Diskussionen ausgewirkt haben wie bei uns im Hackerspace in der
konsensbasierten Entscheidungsfindung.

> 6. Die bisher genutzten Software-basierten Medien (Mailinglisten,
> Chatgruppen, Foren, Wikis, Threads auf Twitter oder Mastodon, Kommentare
> unter Medien-Beiträgen oder in Blogs) unterstützen dieses wünschenswerte
> Szenario deutlich zu wenig.
> 
> 7. Die konkrete Funktionalität einer Kommunikations- und
> Dokumentationssoftware kann einen massiven (positiven) Einfluss auf die
> Art und das Ergebnis der Kommunikation haben. Beispiel:
> Stackoverflow-Prinzip statt klassischer Programmier-Foren.

Ich meine eine gute Plattform oder Software kann Moderation durchaus
unterstützen. Vermutlich muss man hier gar nicht das Rad neu erfinden,
vielleicht hilft da der Input von Leuten, die bereits moderiert haben?

> 8. Relevante Kommunikationssoftware sollte frei sein und ohne viel
> Aufwand von Individuen und (zivilgesellschaftlichen) Gruppen ausgerollt
> und genutzt werden können.

Da sind wir uns hier wohl einig?! ;-)

> 9. Die Freie-Software-Communitiy sollte eine zweckmäßige Lösung
> entwickelen und deren Nutzung propagieren. Im eigenen und im
> gesellschaftlichen Interesse.
> 
> 
> 
> 
> Dieses ganze Thema beschäftigt mich schon eine ganze Weile. Auf dem 35C3
> (2018) habe ich einen Lightningtalk dazu gehalten:
> 
> https://media.ccc.de/v/35c3-9568-lightning_talks_day_4#t=198
> 
> 
> Einen ersten Implementierungsversuch einer eigenen Umsetzungs-Idee dazu
> gibt es unter:
> 
> https://github.com/cknoll/django-sober
> 
> aber ich bin mir bewusst, dass dieser Ansatz noch nicht überzeugend ist
> und ggf. auch nie wird.
> 
> 
> Aber mal ganz grundsätzlich:
> 
> Mich wundert, dass es für die aus meiner Sicht so offensichtlichen
> Missstände ("Alles was scheitert, scheitert an Kommunikation") bisher
> keine (mir bekannten) guten und vor allem systematischen Lösungen zu
> geben scheint.
> 
> 
> Wie seht Ihr das?

Siehe oben. ;-)

Grüße
Alex

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Re: Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)

2021-12-20 Diskussionsfäden Carsten Knoll
On 20.12.21 08:06, Dr. Michael Stehmann wrote:
> Hallo,
> 
> nochmals ein paar kurze Anmerkungen:
> 
> Was unterscheidet "Verbesserungen" von Beiträgen durch andere oder der
> Zwang dazu durch "Flaggen" von Zensur?

Ich würde hier unterscheiden:

a) Verbesserungen durch andere .

Das könnte man so ähnlich handhaben wie Pull- bzw. Merge-Requests auf
git-hosting-Plattformen: Konkrete Verbesserungsvorschläge, die
übernommen werden können, aber nicht müssen.


b) Flaggen ist erstmal ein Indiz, dass ein:e User:in einen bestimmten
Inhalt für problematisch hält. Ab einer bestimmten Zahl von
Flagging-Meldungen könnte z.B. ein:e Moderator:in informiert werden, um
ggf. weitere Maßnahmen zu ergreifen.

Dass Plattformbetreiber oder die von Ihnen autorisierten Moderator:innen
die Möglichkeit zur Zensur haben liegt in der Natur der Sache. Das ist
ja auf dieser Mailingliste (und auf allen anderen
Kommunikationsplattformen) auch so.

Wenn man nicht bösen Willen uder Inkompetenz unterstellen möchte ist das
auch kein Problem.

Problematisch wäre nur, wenn das Flaggen dazu missbraucht würde,  von
bestimmten Individuen unerwünschte (aber grundsätzlich zulässige)
Inhalte zu unterdrücken. Konstruiertes-Beispiel: Ein fanatischer
GNOME-Anhänger flaggt Beiträge, die sich positiv auf KDE beziehen.


An diesen Stellen kann ein ausformulierter Code-of-Conduct helfen: Wenn
ein Beitrag (nach Meinung der Moderation) dagegen verstößt, muss er weg,
wenn nicht, kann er bleiben. Wem er inhaltlich nicht passt, muss dann
halt inhaltlich darauf reagieren.

Außerdem kann man das Missbräuchliche Flaggen erschweren, indem man
einen konkreten Grund angeben muss und User:innen sanktionieren, die
(aus Inkompetenz oder Vorsatz) wiederholt missbräuchlich flaggen.


Fazit: Die Möglichkeit zu "Zensur" gibt es jetzt auch schon. Durch eine
Formalisierung ändert sich daran nichts.


> Kultur auch Diskurskultur setzt IMO eine entsprechende Bildung voraus.

Zustimmung. Die Spannende Frage ist, was diese *Voraussetzung* für die
Praxis bedeutet. Sollen nur Menschen mit einem entsprechend formalen
Bildungsabschluss sich an einem Diskurs beteiligen dürfen?

Aus meiner Sicht sollte ein guter Diskurs offen für alle Interessierten
sein, aber auch gleichzeitig abschätzbar sein, nach welchen Regeln er
abläuft. Auch hier kann ein Code-of-Conduct helfen.

Außerdem denke ich, dass Bildung kein Zustand sondern ein Prozess ist,
das heißt eine nachhaltige Diskurskultur muss auch dazu beitragen, die
Voraussetzung für eine konstruktive Teilnahme zu schaffen.

Konkret meine ich damit, dass Diskursteilnehmer:innen Feedback über ihr
Diskussionsverhalten bekommen, etwa indem klar wird warum ein Beitrag
von ihnen gelöscht wurde oder – wichtiger – warum er inhaltlich nicht
überzeugt (fehlende Quellen, Logikfehler, ...)

> [Schach, asynchron vs. synchron]

(Die Schachanalogie ist zwar interessant, aber dazu kann ich gerade
nichts konstruktives beitragen)


Gruß,
Carsten


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Re: Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)

2021-12-19 Diskussionsfäden Dr. Michael Stehmann

Hallo,

nochmals ein paar kurze Anmerkungen:

Was unterscheidet "Verbesserungen" von Beiträgen durch andere oder der 
Zwang dazu durch "Flaggen" von Zensur?


Für einen Vergleich von synchron vs. asynchron in komplexen Systemen 
wäre vielleicht Schach ein gutes Untersuchungsfeld: Was unterscheidet 
Fernschachpartien (mit Briefwechsel) von Partien, die mit Schachuhr 
gespielt werden?


Es gibt sehr viele notierte Partien Aller "Leistungsklassen" in beiden 
Varianten, die Untersuchungen erlauben, die systematische Untersuchungen 
erlauben.



Kultur auch Diskurskultur setzt IMO eine entsprechende Bildung voraus.

Gruß
Michael






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Re: Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)

2021-12-19 Diskussionsfäden Carsten Knoll
On 19.12.21 23:30, Antje Kazimiers wrote:
> On 12/19/21 6:57 PM, Dr. Michael Stehmann wrote:
> 
>> Beim ("hoch"-)Voten sehe ich das Problem des Populismus.
>>
>> Und zwar sowohl bei den Verfassenden von Beiträgen, als auch auf der
>> Seite der Votierenden.
> 
> Ein soziale Problem, welches man bei Adhocracy mit Technik lösen wollte,
> ist, dass in einem Offline Raum ab einer bestimmten Anzahl an Personen
> diejenigen mehr Raum bekommen, die lauter sind und länger sprechen und
> nicht unbedingt diejenigen, die das beste Argument vortragen.


Ein wichtiger Punkt.

> 
> Ich glaube, bei Adhocracy gab es auch den Gedanken, dass es sinnvoll
> sein kann, die Beiträge anderer umzuschreiben, um eine wirklich
> stichhaltige Argumentation zu erhalten.

Das sehe ich grundsätzlich auch so, aber das ist nicht trivial
umsetzbar, weil "Verbesserungen" ggf. subjektiv sind und sich z.B. die
Frage stellt, was passiert mit Gegenargumenten, die nicht mehr zum
veränderten Argument passen.

(Ist aber technisch bestimmt zufriedenstellend machbar.)



> 
> Aber das Umschreiben könnte sowohl bei populistischen Beiträgen, als
> auch bei Kommentaren, die die Regeln des gepflegten Diskurses verletzen,
> hilfreich sein.

Im Sinne der Skalierbarkeit des Moderationsaufwandes würde ich eher
dafür plädieren, dass Beiträge, die bestimmte Qualitätsstandards nicht
erfüllen "geflaggt" werden sollten und vom Original-Urheber überarbeitet
werden müssen. Wenn das nicht geschieht bleiben sie unsichtbar oder
zumindest versteckter.


> Mich hat im Original-Post gewundert, dass die Asynchronität der
> Kommunikation als problematisch angesehen wird.

Das hatte ich nicht weiter ausgeführt, weil ich fälschlicherweise
dachte, das das offensichtlich ist. Ich halte Zeitverzögerung zwischen
den Kommunikationsakten für Herausforderung, weil man sich jedes Mal neu
ins Thema reindenken muss. Das ist a) mentaler Aufwand und b) auch
fehleranfällig. Ich habe es schon öfter erlebt, dass Leute in eine
Diskussion einsteigen, die sie offenbar nicht von Anfang an
nachvollzogen (oder ggf. vergessen) haben. Das senkt natürlich die
Diskursqualität.


> Um textliche Argumentation zu durchdenken benötigt man Zeit da passt
> Asynchronität ganz gut denke ich.

Das ist auch wahr. Asynchronität ist bei komplexeren Themen und größeren
Gruppen eh nicht zu vermeiden und hat den positiven Nebeneffekt, dass
man über Argumente nachdenken und eine Sachlage recherchieren kann.

Die Probleme a) Reindenk-Aufwand und b) Fehleranfälligkeit gibt es aus
meiner Sicht trotzdem. Um sie zu reduzieren und das Nachdenken über die
bisherigen Positionen zu vereinfachen finde ich deshalb eine
*übersichtliche Darstellung* des aktuellen Diskussionsstandes sehr wichtig.



Beste Grüße und weiterhin Danke für das interessante Feedback!

Carsten


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Re: Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)

2021-12-19 Diskussionsfäden Carsten Knoll
On 19.12.21 18:57, Dr. Michael Stehmann wrote:
> Hallo,
> 
> nur kurz, weil es mehrfach angesprochen wurde:
> 
> Beim ("hoch"-)Voten sehe ich das Problem des Populismus.
> 
> Und zwar sowohl bei den Verfassenden von Beiträgen, als auch auf der
> Seite der Votierenden.


Sich sehe noch nicht, warum das Voten eine größere
Populismus-Anfälligkeit haben sollte, als normale Konversation. Da gibt
es das Problem ja auch, dass Menschen (mit durchsichtigen Manövern) nach
Zustimmung heischen und das leider auch bei einigen Empfänger:innen
verfängt. Aber in einer formaleren Argumentationsstruktur (inklusive
Überzeugungskraft-Bewertung einzelner Beiträge bzw. Argumente) wird es
aus meiner Sicht sogar leichter "eingängige Scheinwahrheiten" zu entzaubern.


Zumindest ist das meine Arbeitshypothese.


Vermutlich kommt es aber auch darauf an, welche Diskurskultur sich in
der jeweiligen Gruppe etabliert. Aber gerade in technisch orientierten
Gruppen (in denen Flamewars ja keine Seltenheit sind) halte ich
Populismus nicht für ein geringeres Problem als Unübersichtlichkeit und
ein schlechtes Signal-Rausch-Verhältnis (also Valide Argumente vs.
Meinungsrauschen)



Gruß,
Carsten


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Re: Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)

2021-12-19 Diskussionsfäden Antje Kazimiers
On 12/19/21 6:57 PM, Dr. Michael Stehmann wrote:

> Beim ("hoch"-)Voten sehe ich das Problem des Populismus.
>
> Und zwar sowohl bei den Verfassenden von Beiträgen, als auch auf der
> Seite der Votierenden.

Ein soziale Problem, welches man bei Adhocracy mit Technik lösen wollte,
ist, dass in einem Offline Raum ab einer bestimmten Anzahl an Personen
diejenigen mehr Raum bekommen, die lauter sind und länger sprechen und
nicht unbedingt diejenigen, die das beste Argument vortragen. Also
deswegen das Votieren der Beiträge, damit nicht der, der oft und viel
schreibt, am meisten gesehen wird sondern diejenigen mit den besten
Argumenten.

Ich glaube, bei Adhocracy gab es auch den Gedanken, dass es sinnvoll
sein kann, die Beiträge anderer umzuschreiben, um eine wirklich
stichhaltige Argumentation zu erhalten. Das geht bestimmt nur unter
best. Bedingungen (Moderation?).

Aber das Umschreiben könnte sowohl bei populistischen Beiträgen, als
auch bei Kommentaren, die die Regeln des gepflegten Diskurses verletzen,
hilfreich sein.

Mich hat im Original-Post gewundert, dass die Asynchronität der
Kommunikation als problematisch angesehen wird. Asynchron arbeiten alle
diese Tools, also auch Carsten's Tool, oder? Tools, die den
Diskussionsprozess synchron unterstützen, die man während einer
(Online-)-Konferenz einsetzen kann um Meinungsbilder zu generieren sind
auch interessant. Das ist noch einmal eine ganz eigene Kategorie an Tools.

Um textliche Argumentation zu durchdenken benötigt man Zeit da passt
Asynchronität ganz gut denke ich.

Viele Grüße

Antje

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Re: Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)

2021-12-19 Diskussionsfäden Dr. Michael Stehmann

Hallo,

nur kurz, weil es mehrfach angesprochen wurde:

Beim ("hoch"-)Voten sehe ich das Problem des Populismus.

Und zwar sowohl bei den Verfassenden von Beiträgen, als auch auf der 
Seite der Votierenden.


Gruß
Michael



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Re: Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)

2021-12-19 Diskussionsfäden Carsten Knoll
Hallo Ilu,


On 19.12.21 13:54, Ilu wrote:
> Ich möchte dem entgegnen, dass nach meinem Eindruck Ursache für einem
> großen Teil der politischen Entscheidungen nicht eine fehlgeschlagene
> Diskussion ist, sondern eine Lobby-gesteuerte Absicht (häufig hart am
> Rande der Korruption). Die wahrnehmbare Diskussion und die darin
> vorgetragenen Argumente dienen nur als Feigenblatt für eine ohnehin
> schon aus ganz anderen Gründen vorhandene Agenda.

Partielle Zustimmung. Ich  glaube auch, dass das (zumindest auf den
höhren Ebenen von Politik und Verwaltung) eine große Rolle spielt.

Aus meiner Sicht ist aber die "wahrnehmbare Diskussion", die sich als
Feigenblatt benutzen lässt, das was ich auch "als dysfunktionalen
Diskurs" bezeichnen würde.

Eine Diskussion, in der nicht alle Argumente in der erforderlichen
Breite transparent auf den Tisch kommen, sondern in der bestimmte
(Schein)-Argumente in den Vordergrund gestellt und andere Argumente
bewusst de-facto unsichtbar gemacht werden, sollte aus meiner Sicht
keine Grundlage für eine Entscheidung sein.



Ich glaube ich nicht, dass dieses Problem (allein) durch eine bessere
Kommunikationssoftware gelöst werden kann. Aber eine solche kann dazu
beitragen, dass sich eine andere, konstruktivere *Diskurskultur*
entwickelt, und dass sich dann Entscheidungsträger:innen irgendwann für
bestimmte Nebelkerzen-Manöver selber zu blöd sind (aus brechtigter Angst
um ihren Ruf als ernstzunehmende Diskursteilnehmer:innen).


> 
> Das klingt vielleicht wie eine Verschwörungstheorie, aber ich war selbst
> 10 Jahre lang politisch tätig und habe dabei Einblick erhalten in
> unschöne Vorgänge. Man kann meine These anhand beliebiger politischer
> Vorgänge überprüfen und wird fast immer eine "heiße Spur" finden. Sehr
> instruktiv z.B. die Landwirtschaftspolitik. (Investigativer Journalismus
>  leistet da gute Dienste, leider meistens erst Jahre später und
> ignoriert vom Bürger und von der Politik.)

Glaube ich gerne. Im Mediensystem gäbe natürlich auch noch viel zu
verbessern (Stichworte: Themensetzung und Quellennennung). Aber das ist
ein separates Projekt.



> 
> Ein soziales Problem mit technischen Mitteln lösen - das wird nicht
> gehen. Weder für die im Vordergrund stattfindende Diskussion (die Gründe
> dafür hat Michael vorgetragen) noch für die im Hintergrund verfolgte
> Agenda.

Ich halte diese Ablehnung für zu pauschal (siehe meine Antwort an
Michael). Tatsächlich haben wir (als Menschheit) schon viele soziale
Probleme mit Hilfe von Technik gelöst: Bildung durch Buchdruck,
Fotokopierer, Beamer, etc.



> 
> Wir haben eigentlich genügend Diskussions-Tools.

Ich denke die Quantität ist hier nicht entscheidend. Es gab auch X
verschiedene Foren-Tools. Aber trotzdem hat das Stack-Overflow-Prinzip
die Antworten nicht chronolotisch, sondern nach Bewertung zu sortieren
einen fundamentalen Unterschied gebracht. Die Wahrscheinlichkeit, dass
ich eine Lösung finde (oder eine Antwort auf meine Frage bekomme) ist
meiner Erfahrung nach drastisch gestiegen im Vergleich zur
Prä-StackOverflow-Ära.

> Das einzige, was ich
> vermisse, ist ein brauchbares freies Abstimmungstool, mit dem Beschlüsse
> und Wahlen - wenn nötig auch geheime Abstimmungen - von
> Online-Versammlungen (in BBB, jitsi, mumble, matrix, ...) durchgeführt
> und dokumentiert werden können (z.B. fürs Vereinsregister).

Rechtlich Verbindliche Online-Abstimmungen sind schwierig (ich hatte
letztes Jahr einen Vorschlag dazu gemacht und auf Basis des Feedbacks
eingesehen, dass es (für mich) ein zu dickes Brett aus zu hartem Holz
ist). Für weniger hohe Ansprüche (z.B. in Gruppen mit hohem
gegenseitigem Vertrauensniveau) hier nochmal der Hinweis auf ein von mir
entwickeltes Tool:

https://moodpoll.uber.space (Web-App u.a. zum systemischen Konsensieren)
https://video.dresden.network/w/9e2Cavpdjhm7bxJBLnWJQK


Wie ich schon in der Antwort an Antje geschrieben habe, sind "Diskurs"
und "Entscheidungsfindung" aus meiner Sicht aber getrennte Probleme, die
mit getrennten Tools gelöst werden sollten.




Noch was Allgemeines, weil das jetzt die vierte Mail ist, in der ich auf
Feedback reagiere: Vielen Dank für Eure Anmerkungen und die konstruktive
Kritik. Der Sinn meiner Antworten ist es nicht, Euch zu bekehren,
sondern noch deutlicher zu machen warum es aus meiner Sicht bessere
Diskussionstools braucht. Das kann man naturgemäß auch anders sehen.

Ich persönlich glaube nicht, dass die Art und Weise wie wir (als
Menschheit) bisher digitale Diskussionen organisieren die beste aller
möglichen Optionen ist, oder dass wir nur "warten müssen" bis genügend
Menschen verstehen, wie man auf den bestehenden Medien konstruktiv
diskutiert – aber ich lasse mich auch gerne vom Gegenteil überzeugen. :)



Gruß,
Carsten


-- 


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Re: Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)

2021-12-19 Diskussionsfäden Carsten Knoll
Hallo Michael,


On 18.12.21 17:54, Dr. Michael Stehmann wrote:

> [...]
> Nun zur (hoffentlich konstruktiven) Kritik:
> 
> Ich fürchte, dass hier wieder einmal ein soziales Problem mit
> technischen Mitteln "gelöst" werden soll.

Ich versuche mal Deine Befürchtung zu entkräften.


Ich stimme Dir zu, dass das Potenzial technischer Lösungen sehr begrenzt
(oder sogar negativ) ist, wenn sie nicht von wünschenswerten sozialen
Innovationen begleitet werden. Aber ich strebe in meinem Wunschszenario
eine eine "technisch vermittelte" soziale Innovation an.


> Um dies an die These 1 anknüpfend zu verdeutlichen:
> 
> Es gab "textbasierte und asynchron ablaufende Diskussionen" durch
> Briefwechsel unter Gelehrten, die die Wissenschaft vorangebracht haben
> [0]. Und es gab Bürgerversammlungen, die im Geschrei und Schlimmeren
> endeten.

Das stimmt, würde ich aber als "die Regel bestätigende Ausnahmen"
klassifizieren. Wir machen vermutlich alle die Erfahrung, dass die
Gefahr keiner dysfunktionalen Kommunikation via Mail etc. viel größer
ist, als über Telefon oder persönlich. Ich vermute, dass es dazu auch
Studien gibt und würde bei Bedarf mal suchen. Bisher nur eigene
Erfahrung und anekdotische Evidenz.


> Es ist leider nicht mit Sicherheit erwartbar, dass ein Mensch deshalb
> respektiert wird, weil er ein Mensch ist (und ihm eine unantastbare
> Würde eigen ist).

Zustimmung. Aber das ist ehrlich gesagt nicht das Hauptproblem, was ich
angehen möchte, bzw. möchte ich es indirekt angehen.

Ich möchte, dass die *Sachebene* einer Diskussion gestärkt wird, dass
die verschiedenen Argumente und Perspektiven möglichst transparent
erkennbar sind. Zum Beispiel in dem (technischer Aspekt) die
Urheberschaft eines Beitrages nicht erkennbar ist, sondern der Inhalt
für sich steht (und für sich überzeugen muss).


> Manche Menschen meinen, dass sie im Recht sind und alle anderen dies
> einsehen müssen. Und dass eine andere Meinung schon deshalb auf
> Boshaftigkeit beruhen muss, weil sie ja zu den "Guten" gehören. Bei
> ihnen ist das Bewusstsein dafür verloren gegangen, dass auch derjenige,
> der eine andere Auffassung vertritt, recht haben könnte. Dieses
> Bewusstsein ist aber notwendige Voraussetzung für eine Diskursfähigkeit.

Eingeschränkte Zustimmung. Ich glaube, die wenigsten Menschen würden in
einer nüchternen Gesprächssituation für sich tatsächlich *Unfehlbarkeit*
beanspruchen. Und wenn doch, dann müsste man sie nicht ernst nehmen. In
einem emotional aufgeladenen Gespräch verhalten sich aber manche
Menschen so, wie Du beschrieben hast. Ich glaube aber, dass (technisch
erzwungene) Formalisierung hier (etwas) helfen kann. 1. Indem man die
Kommunikationsbeiträge klar klassifiziert (z.B. These, Pro-Argument,
Kontra-Argument, etc.), 2. indem man sie hinsichtlich ihrer
Überzeugungskraft bewerten lässt (und damit ihre Sichtbarkeit
beeinflusst), und drittens indem man (teilautomatisiert) moderiert.

Schlecht bewertete (destruktive) Beiträge werden dann einfach weiter
unten (oder gar nicht) angezeigt. Dann sind sie a) egal und b) überlegen
sich Menschen für den nächsten Beitrag, wie sie erneute Irrelevanz
verhindern können (oder ob sie lieber auf einer anderen Plattform
rumnerven).


> 
> (Schwierig wird es, wenn beiden Seiten recht haben können: Man stelle
> sich eine Diskussion unter Wissenschaftlern vor, von denen einer die
> Auffassung vertritt, Licht sei Wellen. Der andere hält dies für falsch,
> weil Licht "ganz klar und experimental nachgewiesen" aus Teilchen bestehe.)


Volle Zustimmung. Schwierig, aber auch sehr interessant und hochgradig
relevant. Mein Wunsch in diesem Szenario wäre, dass beide Seiten
einsehen müssen (durch die "normative Kraft des Faktischen"), dass es
für beide Sichtweisen sehr gute Argumente und Belege gibt und dass die
existierenden Begriffe offenbar die bekannten Eigenschaften von Licht
nicht vollständig erfassen können. Dann kann jemand eine Modell
vorschlagen, dass mit allen bisherigen Beobachtungen kompatibel ist,
z.B. das Konzept der Aufenthaltswahrscheinlichkeit, die durch die
Wellenfunktion bestimmt wird, siehe
https://de.wikipedia.org/wiki/Welle-Teilchen-Dualismus#Aufl%C3%B6sung_des_Welle-Teilchen-Dualismus_in_der_Quantenmechanik



> 
> Auch ist zu bedenken, dass Menschen sich nicht deshalb an Diskussionen
> beteiligen, weil sie ein Problem lösen wollen. Es gibt vielmehr
> vielfältige andere Gründe und Motive, sich an einer Diskussion zu
> beteiligen.


Volle Zustimmung. Trolle zum Beispiel, die Diskussionen als Zeitvertreib
torpedieren, oder Leute die aus eigenem Interesse verhindern wollen,
dass eine Diskussion zu einem Ergebnis kommt.

In meinem Wunschszenario sind deren Kommunikationsbeiträge schlicht
irrelevant, weil sie leicht als "nicht sachdienlich" erkannt und
markiert werden können. Genau so wie 23 schlechte und falsche Antworten
auf Stack-Overvlow mich nicht davon abhalten, die guten (und
hoch-gevoteten) Antworten zu finden. In den meisten Fällen sehe ich den
irrelevanten Kram gar nic

Re: Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)

2021-12-19 Diskussionsfäden Carsten Knoll
Hallo Henning,

On 18.12.21 17:33, Henning Thielemann wrote:
> 
> 
> [...] Ich sehe vor allem aber auch das Problem, dass nach
> ermüdenden Diskussionen und mühsam gezimmerten Kompromissen ein
> Regelwerk geschnürt wird, das dann die nächsten Jahrzehnte niemand mehr
> anfassen will. Ich könnte mir vorstellen, dass es ein wenig "agiler"
> besser klappen könnte.

Klingt sehr plausibel. Ich vermute, dass die Agilität durch gute
Diskussionssoftware erhöht werden könnte, eben weil Diskussionen bei
gleicher "Erschließungstiefe" eines Themas deutlich weniger ermüdend und
frustrierend sind und sich durch die bessere Übersichtlichkeit der
Argumentationsstränge auch leichter auf bisherige Diskussionen aufbauen
lässt.

Beides könnte sehr gut dazu beitragen, die Antastbarkeitsschwelle von
(suboptimalen) Kompromissen herabzusetzen.


> 
> Also der langen Rede kurzer Sinn: Ich würde die Phase der
> Vorwegdiskussion schrumpfen, Regelwerke schlank halten, lieber mehr in
> der Praxis ausprobieren und Erfahrungen aus der Praxis ernst nehmen.

Diese Schlussfolgerung *geht mir zu weit*. Klingt ein bisschen nach
"Digitalisierung first, Bedenken second."  Und dann kommt sowas raus wie
das die Luca-App. Vielleicht habe ich Dich da auch falsch verstanden?

Wir brauchen schon ein *Mindestmaß an inhaltlicher Auseinandersetzung*.
mir geht es darum, dass diese im Vergleich zu bisher weniger
anstrengend, verwirrend und frustrierend wird und damit im Idealfall a)
schneller und b) zu besseren Ergebnissen kommt.


Dazu müssen vor allem auch *Scheinargumente* leichter als solche
*erkennbar gemacht* werden können und das ist bisher leider zu schwierig.


Gruß,
Carsten


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Re: Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)

2021-12-19 Diskussionsfäden Carsten Knoll
Hallo Antje,

vielen Dank für das Feedback und den Hinweis auf Liquid Democracy und
Liquid Feedback.

Von beiden Projekten hatte ich zwar schon gehört, aber sie mir länger
nicht mehr angeschaut. Tatsächlich glaube ich aber, dass sie auf einen
anderen Use-Case abzielen.

> Würd mich interessieren, ob du deine Software für andere Arten von
> Diskussionen konzipiert hast?

Ja, nämlich für eher *informellere Diskussionen*, die entweder gar nicht
oder zumindest nicht von Anfang an auf eine Entscheidungsfindung
hinauslaufen. Also letztlich für Diskussionen, wie sie in Gruppen wie
dieser hier auf der FSFE-Mainlingliste stattfinden: Eine Gruppe von
Menschen tauscht sich über ein Thema aus und unterschiedliche Meinungen
und Argumente treffen aufeinander. Menschen schildern ihre Perspektive,
andere ergänzen oder widersprechen. Grundsätzlich funktioniert das hier
auch noch ganz gut, aber trotzdem wird die Diskussion nach einigen
Antworten **tendenziell schnell unübersichtlich** und fasert sich in
Teildiskussionen auf. Für Menschen, die den Anfang verpasst haben oder
Monate später die **Diskussion nachvollziehen** wollen, macht es das das
schwierig. Und dann sinkt die Qualität und.

Ich glaube eine gute Diskussionssoftware sollte die Teilnehmer:innen
dabei *unterstützen, eine Diskussion so konstruktiv wie möglich* zu
führen. Formalisierung (Unterscheidung in Pro- und Kontra-Argumente,
explizite Abfrage von Quellen etc.) kann da aus meiner Sicht helfen.

Ein weiterer von mir gewünschter *Anwendungsfall* wäre ein
*Kommentarsystem unter Medienbeiträgen*. Dort wird ja zur Zeit oft
kommunikativer Müll abgekippt. Sachliche Kritik geht dann oft im
Rauschen unter. Formalisierung könnte hier zum Beispiel dabei helfen,
Redundanz oder inhaltsleeres Geblubber zu erkennen und dann entsprechend
die (teilautomatische) Moderation zu erleichtern.

Ich erhoffe mir davon auch einen didaktischen Effekt: Dass Menschen den
Unterschied zwischen überzeugend dargelegten Argumenten und bloßen
Behauptungen erkennen und sich dadurch a) nicht mehr so leicht von
diesen Behauptungen beeindrucken lassen und b) auch *höhere Ansprüche an
ihre eigenen Äußerungen* stellen.

Zusammenfassung: mir schwebt eine Kommunikationssoftware vor, die
deutlich *niedrigschwelliger* ist als das, was Liquid Democracy (im
Vortrag) vorstellt.



Semi-Offtopic-Hinweis: Zum Problem der Entscheidungsfindung habe ich mit
einem Kumpel zusammen auch ein Tool gebaut, mit dem sich unter anderem
das systemische Konsensieren hoffentlich sehr intuitiv umsetzen lässt.
Video:

https://video.dresden.network/w/9e2Cavpdjhm7bxJBLnWJQK

https://moodpoll.uber.space

(Ich sehe 'Diskurs' und 'Enscheidungsfindung' aber als zwei getrennte
Probleme)



Gruß,
Carsten




On 18.12.21 16:45, Antje Kazimiers wrote:
> Hallo Carsten,
> 
> Klasse Thema, vielen Dank für den Aufschlag!
> 
> On 12/18/21 3:51 PM, Carsten Knoll wrote:
>> Dieses ganze Thema beschäftigt mich schon eine ganze Weile. Auf dem 35C3
>> (2018) habe ich einen Lightningtalk dazu gehalten:
>>
>> https://media.ccc.de/v/35c3-9568-lightning_talks_day_4#t=198
>>
>>
>> Einen ersten Implementierungsversuch einer eigenen Umsetzungs-Idee dazu
>> gibt es unter:
>>
>> https://github.com/cknoll/django-sober
>>
>> aber ich bin mir bewusst, dass dieser Ansatz noch nicht überzeugend ist
>> und ggf. auch nie wird.
>>
>>
>> Aber mal ganz grundsätzlich:
>>
>> Mich wundert, dass es für die aus meiner Sicht so offensichtlichen
>> Missstände ("Alles was scheitert, scheitert an Kommunikation") bisher
>> keine (mir bekannten) guten und vor allem systematischen Lösungen zu
>> geben scheint.
>>
>>
>> Wie seht Ihr das?
> 
> Es gibt da schon auch andere Ansätze und Software.
> 
> Auf dem 26C3 gab es den Talk "Liquid Democracy - Direkter
> Parlamentarismus – gemeinsam verbindlich entscheiden"
> 
> https://media.ccc.de/v/26c3-3464-de-liquid_democracy
> 
> Es geht um die Software adhocracy, die wurde eine zeit lang sehr rege
> und erfolgreich für Diskussionen genutzt (Enquete Kommission für ein
> digitales Thema, Thema für ein Zeitmagazin und eigene Plattformen für
> bestimmte Projekte), den aktuellen Stand des Projekts kann ich aber
> nicht einschätzen.
> 
> Es ging dabei immer um strukturierte Debatte. Es gab Themen, die konnten
> kommentiert werden, die Kommentare konnten "hochgevotet" werden, und die
> Kommentare mit den besten Bewertungen erschienen zu Beginn der
> Diskussion. Es gab auch Abstimmungen und man konnte an Texten als
> Ergebnis einer Diskussion arbeiten. Also die Idee war denke ich, es für
> politische Debatten zu nutzen, wo in der Regel ein Text als Ergebnis
> herauskommt (10 Punkte Plan, Gesetzesvorlage etc.)
> 
> Meiner Erinnerung nach klappte alles bzgl Diskussion und Abstimmung sehr
> gut, die Arbeit am Text war dann ein bißchen sperriger und habe ich
> weniger in Gebrauch gesehen.
> 
> Es gibt auch noch das Projekt LiquidFeedback, dazu kann ich aber nicht
> viel sagen.
> 
> https://liquidfeedback.com/de/
> 
> Würd mich interessieren, ob d

Re: Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)

2021-12-19 Diskussionsfäden Ilu
Ich möchte dem entgegnen, dass nach meinem Eindruck Ursache für einem 
großen Teil der politischen Entscheidungen nicht eine fehlgeschlagene 
Diskussion ist, sondern eine Lobby-gesteuerte Absicht (häufig hart am 
Rande der Korruption). Die wahrnehmbare Diskussion und die darin 
vorgetragenen Argumente dienen nur als Feigenblatt für eine ohnehin 
schon aus ganz anderen Gründen vorhandene Agenda.


Das klingt vielleicht wie eine Verschwörungstheorie, aber ich war selbst 
10 Jahre lang politisch tätig und habe dabei Einblick erhalten in 
unschöne Vorgänge. Man kann meine These anhand beliebiger politischer 
Vorgänge überprüfen und wird fast immer eine "heiße Spur" finden. Sehr 
instruktiv z.B. die Landwirtschaftspolitik. (Investigativer Journalismus 
 leistet da gute Dienste, leider meistens erst Jahre später und 
ignoriert vom Bürger und von der Politik.)


Ein soziales Problem mit technischen Mitteln lösen - das wird nicht 
gehen. Weder für die im Vordergrund stattfindende Diskussion (die Gründe 
dafür hat Michael vorgetragen) noch für die im Hintergrund verfolgte Agenda.


Wir haben eigentlich genügend Diskussions-Tools. Das einzige, was ich 
vermisse, ist ein brauchbares freies Abstimmungstool, mit dem Beschlüsse 
und Wahlen - wenn nötig auch geheime Abstimmungen - von 
Online-Versammlungen (in BBB, jitsi, mumble, matrix, ...) durchgeführt 
und dokumentiert werden können (z.B. fürs Vereinsregister).


Viele Grüße
Ilu
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Re: Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)

2021-12-18 Diskussionsfäden Dr. Michael Stehmann

Hallo,

da fehlte etwas. Wird hier nachgereicht:

1.

"Mit freundlichem Gruß
Michael"

2.

"[1] s. z. B. https://www.ccc.de/de/hackerethik - vierter Punkt"

Ich bitte, mein Versehen zu entschuldigen.

Mit freundlichem Gruß
Michael



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Re: Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)

2021-12-18 Diskussionsfäden Dr. Michael Stehmann

Hallo Carsten;

erst einmal die Zustimmung:

Ich bin auch der Meinung, dass jedes neue Medium, jede neue Technik, die 
eine Verbesserung gegenüber den Bisherigen darstellt, begrüßenswert ist. 
Das gilt erst recht dann, wenn sie gegenüber den Bisherigen 
"Alleinstellungsmerkmale" aufweist.


Ich bin auch der Meinung, dass Kommunikationstechniken auf Offenen 
Standards basieren und (zumindest auch) in Freier Software implementiert 
sein sollen (oder besser: müssen). (Ich hoffe, dass die Diskursfähigkeit 
mündiger, aufgeklärter Bürger der Grund dafür ist, warum wir Kindern in 
Schulen Lesen und Schreiben und noch einige andere Dinge beibringen.)


Nun zur (hoffentlich konstruktiven) Kritik:

Ich fürchte, dass hier wieder einmal ein soziales Problem mit 
technischen Mitteln "gelöst" werden soll.


Um dies an die These 1 anknüpfend zu verdeutlichen:

Es gab "textbasierte und asynchron ablaufende Diskussionen" durch 
Briefwechsel unter Gelehrten, die die Wissenschaft vorangebracht haben 
[0]. Und es gab Bürgerversammlungen, die im Geschrei und Schlimmeren 
endeten.


Um Aspekte des sozialen Problems zu nennen:

Es ist leider nicht mit Sicherheit erwartbar, dass ein Mensch deshalb 
respektiert wird, weil er ein Mensch ist (und ihm eine unantastbare 
Würde eigen ist). Es ist nicht selbstverständlich, dass alle anderen 
Attributierungen (Geschlecht, sexuelle Präferenzen, Hautfarbe, 
Vereinszugehörigkeit, Alter, Sozialisation, Herkunft, Prominenz etc.) 
Akzidentien betreffen. [1]


Manche Menschen meinen, dass sie im Recht sind und alle anderen dies 
einsehen müssen. Und dass eine andere Meinung schon deshalb auf 
Boshaftigkeit beruhen muss, weil sie ja zu den "Guten" gehören. Bei 
ihnen ist das Bewusstsein dafür verloren gegangen, dass auch derjenige, 
der eine andere Auffassung vertritt, recht haben könnte. Dieses 
Bewusstsein ist aber notwendige Voraussetzung für eine Diskursfähigkeit.


(Schwierig wird es, wenn beiden Seiten recht haben können: Man stelle 
sich eine Diskussion unter Wissenschaftlern vor, von denen einer die 
Auffassung vertritt, Licht sei Wellen. Der andere hält dies für falsch, 
weil Licht "ganz klar und experimental nachgewiesen" aus Teilchen bestehe.)


Auch ist zu bedenken, dass Menschen sich nicht deshalb an Diskussionen 
beteiligen, weil sie ein Problem lösen wollen. Es gibt vielmehr 
vielfältige andere Gründe und Motive, sich an einer Diskussion zu 
beteiligen.


Dass meiner Meinung nach ein Code of Conduct kein "Königsweg" zur Lösung 
dieser sozialen Probleme ist, dürfte bekannt sein.


Auch eine Deanonymisierung ist keine Lösung, denn leider werden Hass bis 
hin zu Morddrohungen auch unter "Klarnamen" verbreitet. Auch Mobbing 
geschieht oft ebenso so offen.


Was hilft: Respekt und Toleranz als selbstverständliche Haltung. Dies 
zum Allgemeingut zu machen ist aber eine Frage der (Volks-)Bildung.


Vielleicht ist es ein erster Schritt, wenn unsere Community mit gutem 
Beispiel vorangeht.











[0] ein Beispiel: https://de.wikipedia.org/wiki/Teilungsproblem
[1] s. z. B.





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Re: Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)

2021-12-18 Diskussionsfäden Henning Thielemann


On Sat, 18 Dec 2021, Carsten Knoll wrote:

3. Ein Großteil der suboptimalen und objektiv falschen Entscheidungen in 
Politik und Gesellschaft ist auf die Dysfunktionalität der 
vorangegangenen Diskurse zurückzuführen.


Sicher ja. Ich sehe vor allem aber auch das Problem, dass nach ermüdenden 
Diskussionen und mühsam gezimmerten Kompromissen ein Regelwerk geschnürt 
wird, das dann die nächsten Jahrzehnte niemand mehr anfassen will. Ich 
könnte mir vorstellen, dass es ein wenig "agiler" besser klappen könnte. 
Nicht so viel Zeit investieren, um in der Theorie herauszufinden, welche 
Pro- und Contra-Argumente in Praxis nun stärker zum Tragen kommen werden, 
sondern mehr so Ziele formulieren, Pilotprojekte starten und schauen, was 
in der Praxis tatsächlich passiert. Und dann den Willen haben, die in der 
Praxis gewonnenen Erfahrungen in die Verbesserung des Regelwerkes 
einfließen zu lassen oder nutzlose und schädliche Regelungen auch wieder 
zu streichen.


Heute sieht es im Gegenteil so aus, dass Politiker in bestimmte Maßnahmen 
(Beispiel Überwachung im Allgemeinen und Vorratsdatenspeicherung im 
Besonderen) verliebt sind und dann jede Gelegenheit nutzen, diese Maßnahme 
voranzutreiben. Und dann sind die Fingerabdruckspflicht und das 
biometrische Passbild in Ausweisen da und keiner fragt mehr danach, ob 
damit die gewünschten Ziele erreicht wurden, geschweige denn, was die 
Ziele überhaupt waren. Und falls jemand herausfindet, dass die Maßnahmen 
nichts gebracht haben, dann wollen die Politiker sogar noch eine 
Verschärfung der Maßnahmen. Sie gehen wie selbstverständlich davon aus, 
dass die Maßnahmen richtig sind und ausbleibender Erfolg daher nur daran 
liegen kann, dass sie ihre Maßnahmen nicht entschlossen genug durchgesetzt 
haben. Wie bei Glücksspielern, die von ihrer Strategie überzeugt sind, und 
wenn das eigene Geld alle ist, verspielen sie noch das Geld der 
Verwandschaft, in der Hoffnung, dass sie mit dem bald eintretenden großen 
Gewinn alle Schulden zurückzahlen können werden.


Also der langen Rede kurzer Sinn: Ich würde die Phase der Vorwegdiskussion 
schrumpfen, Regelwerke schlank halten, lieber mehr in der Praxis 
ausprobieren und Erfahrungen aus der Praxis ernst nehmen.___
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Re: Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)

2021-12-18 Diskussionsfäden Antje Kazimiers
Hallo Carsten,

Klasse Thema, vielen Dank für den Aufschlag!

On 12/18/21 3:51 PM, Carsten Knoll wrote:
> Dieses ganze Thema beschäftigt mich schon eine ganze Weile. Auf dem 35C3
> (2018) habe ich einen Lightningtalk dazu gehalten:
>
> https://media.ccc.de/v/35c3-9568-lightning_talks_day_4#t=198
>
>
> Einen ersten Implementierungsversuch einer eigenen Umsetzungs-Idee dazu
> gibt es unter:
>
> https://github.com/cknoll/django-sober
>
> aber ich bin mir bewusst, dass dieser Ansatz noch nicht überzeugend ist
> und ggf. auch nie wird.
>
>
> Aber mal ganz grundsätzlich:
>
> Mich wundert, dass es für die aus meiner Sicht so offensichtlichen
> Missstände ("Alles was scheitert, scheitert an Kommunikation") bisher
> keine (mir bekannten) guten und vor allem systematischen Lösungen zu
> geben scheint.
>
>
> Wie seht Ihr das?

Es gibt da schon auch andere Ansätze und Software.

Auf dem 26C3 gab es den Talk "Liquid Democracy - Direkter
Parlamentarismus – gemeinsam verbindlich entscheiden"

https://media.ccc.de/v/26c3-3464-de-liquid_democracy

Es geht um die Software adhocracy, die wurde eine zeit lang sehr rege
und erfolgreich für Diskussionen genutzt (Enquete Kommission für ein
digitales Thema, Thema für ein Zeitmagazin und eigene Plattformen für
bestimmte Projekte), den aktuellen Stand des Projekts kann ich aber
nicht einschätzen.

Es ging dabei immer um strukturierte Debatte. Es gab Themen, die konnten
kommentiert werden, die Kommentare konnten "hochgevotet" werden, und die
Kommentare mit den besten Bewertungen erschienen zu Beginn der
Diskussion. Es gab auch Abstimmungen und man konnte an Texten als
Ergebnis einer Diskussion arbeiten. Also die Idee war denke ich, es für
politische Debatten zu nutzen, wo in der Regel ein Text als Ergebnis
herauskommt (10 Punkte Plan, Gesetzesvorlage etc.)

Meiner Erinnerung nach klappte alles bzgl Diskussion und Abstimmung sehr
gut, die Arbeit am Text war dann ein bißchen sperriger und habe ich
weniger in Gebrauch gesehen.

Es gibt auch noch das Projekt LiquidFeedback, dazu kann ich aber nicht
viel sagen.

https://liquidfeedback.com/de/

Würd mich interessieren, ob du deine Software für andere Arten von
Diskussionen konzipiert hast? Auf den 1. Blick schön übersichtliche UI,
die Unterscheidung in Pro und Kontra Argument gab es so in Adhocracy
glaube aber nicht.

Viele Grüße

Antje


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Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)

2021-12-18 Diskussionsfäden Carsten Knoll
Hallo FSFE-Liste,

da in den letzten Tagen ein erhöhtes Mailaufkommen auf dieser Liste rund
um Meta-Themen stattgefunden hat würde mich mal Eure Meinung zu
folgenden (subjektiven) Thesen interessieren:


1. Textbasierte und asynchron ablaufende Diskussionen (z.B. über
Mailinglisten) zu kontroversen Themen haben ein erhebliches
Frustrationspotential.

2. Kontroverse und zugleich sehr wichtige Themen gibt es zahlreiche auf
gesellschaftlicher Ebene (Freiheitsrechte vs. Pandemiebekämpfung,
Freiheitsrechte vs. Kriminalitätsbekämpfung, Digitalisierung in der
Bildung, Bewaffnung von Drohnen, ...) und auch innerhalb der
Freien-Software-Community (Lizenz A vs. B, Projekt X vs. Fork Y, etc.)

3. Ein Großteil der suboptimalen und objektiv falschen Entscheidungen in
Politik und Gesellschaft ist auf die Dysfunktionalität der
vorangegangenen Diskurse zurückzuführen. Beispiel: Luca-App. Ebenso ein
Großteil der Konflikt-bedingten "Reibungsverluste" z.B. in
Software-Projekten.

4. Typische Szenarien kontroverser Diskussionen sind:
  - ergebnisloses im-Sande-Verlaufen
  - Wegdriften vom ursprünglichen Thema
  - offener Streit und Abbruch der Kommunikation
  - Neubeginn nach längerer Pause mit stark unterschiedlichem
Kenntnisstand der bisherigen Diskussion
  - Vermeidung einer breiten (und anstrengenden) Diskussion und
autokratische Entscheidungsfindung.

5. Das wünschenswerte Szenario wäre dagegen:
  - gemeinsames Zusammentragen der jeweiligen Pro- und Kontra-Argumente
  - Übersichtliche Darstellung des aktuellen Standes des Argument-Baumes
  - nachvollziehbare Quellenangaben für externe Information

6. Die bisher genutzten Software-basierten Medien (Mailinglisten,
Chatgruppen, Foren, Wikis, Threads auf Twitter oder Mastodon, Kommentare
unter Medien-Beiträgen oder in Blogs) unterstützen dieses wünschenswerte
Szenario deutlich zu wenig.

7. Die konkrete Funktionalität einer Kommunikations- und
Dokumentationssoftware kann einen massiven (positiven) Einfluss auf die
Art und das Ergebnis der Kommunikation haben. Beispiel:
Stackoverflow-Prinzip statt klassischer Programmier-Foren.

8. Relevante Kommunikationssoftware sollte frei sein und ohne viel
Aufwand von Individuen und (zivilgesellschaftlichen) Gruppen ausgerollt
und genutzt werden können.

9. Die Freie-Software-Communitiy sollte eine zweckmäßige Lösung
entwickelen und deren Nutzung propagieren. Im eigenen und im
gesellschaftlichen Interesse.




Dieses ganze Thema beschäftigt mich schon eine ganze Weile. Auf dem 35C3
(2018) habe ich einen Lightningtalk dazu gehalten:

https://media.ccc.de/v/35c3-9568-lightning_talks_day_4#t=198


Einen ersten Implementierungsversuch einer eigenen Umsetzungs-Idee dazu
gibt es unter:

https://github.com/cknoll/django-sober

aber ich bin mir bewusst, dass dieser Ansatz noch nicht überzeugend ist
und ggf. auch nie wird.


Aber mal ganz grundsätzlich:

Mich wundert, dass es für die aus meiner Sicht so offensichtlichen
Missstände ("Alles was scheitert, scheitert an Kommunikation") bisher
keine (mir bekannten) guten und vor allem systematischen Lösungen zu
geben scheint.


Wie seht Ihr das?


Hätte jemand Lust und ggf. ein paar Ressourcen (Zeit, Kompetenz, Geld,
Kontakte, Reichweite), sich mittelfristig diesem Problem mit  anzunehmen?


Ich sehe da sowohl großes Potenzial als auch massive Notwendigkeit.


Gruß,
Carsten



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https://tuuwi.de (TU Umweltinitiative)
https://fsfw-dresden.de (HG für Freie Software und Freies Wissen)
https://sober-arguments.net (Web-App für konstruktivere Diskussionen)
https://moodpoll.uber.space (Web-App u.a. zum systemischen Konsensieren)
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Was bedeutet eigentlich der Anhang "signature.asc"?
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