Re: Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)
Hallo, Am 06.01.22 um 00:44 schrieb Carsten Knoll: b) Moderationsentscheidungen sind subjektiv und haben dadurch potenziell Akzeptanzschwierigkeiten. Algorithmen und deren Implementation sind und enthalten subjektive Entscheidungen des oder der Entwickelnden ("Code is Law"). Das Problem wird daher nur von der Einzelfallentscheidung hin zu einer generellen Entscheidung verschoben. Auch Gesetze sind (inter-)subjektive Entscheidungen der Gesetzgebenden. Sie enthalten Entscheidungen, die man mit guten Gründen auch anders treffen kann. Dafür fehlt es bei generellen Entscheidungen, die dann zu regeldeterminierten Ergebnissen führen, notwendigerweise oft an dem, was man "Einzelfallgerechtigkeit" nennt. Oder anders ausgedrückt: der Mensch wird zum Objekt des Entscheidungsverfahrens. Es ist also nicht zwingend, dass ein Algorithmus gerechter ist als ein Moderator oder eine Moderatorin (Mensch). Gruß Michael P.S.: "Akzeptanzschwierigkeiten" beim Output von IT-Systemen gehören zur "digitalen Souveränität". OpenPGP_signature Description: OpenPGP digital signature ___ FSFE-de mailing list FSFE-de@lists.fsfe.org https://lists.fsfe.org/mailman/listinfo/fsfe-de Diese Mailingliste wird durch den Verhaltenskodex der FSFE abgedeckt. Alle Teilnehmer werden gebeten, sich gegenseitig vorbildlich zu behandeln: https://fsfe.org/about/codeofconduct
Re: Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)
Hallo Alex (und Liste), vielen Dank für das Feedback. Ich gehe mal auf die einzelnen Punkte ein: On 05.01.22 17:38, Alexander Dahl wrote: > On Sat, Dec 18, 2021 at 02:51:46PM +, Carsten Knoll wrote: >> [...] >> 5. Das wünschenswerte Szenario wäre dagegen: >> - gemeinsames Zusammentragen der jeweiligen Pro- und Kontra-Argumente >> - Übersichtliche Darstellung des aktuellen Standes des Argument-Baumes >> - nachvollziehbare Quellenangaben für externe Information > > Bei mehreren Beiträgen hier im Thread hatte ich den Gedanken, dass die > angesprochenen Probleme durch ganz klassische Moderation gelöst oder > zumindest gemindert werden können, Das ist gut möglich. Ich sehe aber zwei Beschränkungen: a) Moderation macht Arbeit. → Moderationskapazität ist eine knappe Ressource. b) Moderationsentscheidungen sind subjektiv und haben dadurch potenziell Akzeptanzschwierigkeiten. > zusätzlich zu den von Dir genannten > Zusammentragen und Zusammenfassen des bisherigen Diskussionsstandes, > würde ich da noch ergänzen: > > - unangemessenes Verhalten ansprechen und unterbinden > - Lenkung der Diskussion zurück zum Thema Volle Zustimmung. > - Wiederaufnehmen der Diskussion bei längerem Stillstand Hängt vom Interesse der gerade aktiven Kommunikations-TN ab. > - gezielte Aufforderungen bisher unklare Aussagen zu konkretisieren > - Quellen aktiv einfordern Das sollte aus meiner Sicht implizit passieren (technische Lösung). Weil es sonst eben vermeidbaren Moderationsaufwand generiert. Und Menschen sich schon von der schlichten Aufforderung Quellen anzugeben beleidigt fühlen (wenn diese Aufforderung von einem Menschen kommt). > > Vermutlich noch mehr. Ich kann mich entsinnen, dass vor gut 20 Jahren > in lokalen Webforen engagierte Moderator*innen sich ebenso positiv auf > die Diskussionen ausgewirkt haben wie bei uns im Hackerspace in der > konsensbasierten Entscheidungsfindung. Das glaube ich gerne. Seitdem hat sich aber das schiere Aufkommen an digitaler Kommunikation massiv vergrößert. Die Bereitschaft und Fähigkeit die Moderationskapazität in erforderlichem Maß nachzuziehen siehe ich aktuell nicht. > >> 6. Die bisher genutzten Software-basierten Medien (Mailinglisten, >> Chatgruppen, Foren, Wikis, Threads auf Twitter oder Mastodon, Kommentare >> unter Medien-Beiträgen oder in Blogs) unterstützen dieses wünschenswerte >> Szenario deutlich zu wenig. >> >> 7. Die konkrete Funktionalität einer Kommunikations- und >> Dokumentationssoftware kann einen massiven (positiven) Einfluss auf die >> Art und das Ergebnis der Kommunikation haben. Beispiel: >> Stackoverflow-Prinzip statt klassischer Programmier-Foren. > > Ich meine eine gute Plattform oder Software kann Moderation durchaus > unterstützen. Vermutlich muss man hier gar nicht das Rad neu erfinden, > vielleicht hilft da der Input von Leuten, die bereits moderiert haben? Meine These ist ja, dass eine andere Organisation der einzelnen Diskussionsbeiträge den Moderationsaufwand signifikant senkt. Ich will also nicht das Rad neu erfinden, sondern aus einem viereckigen Rad ein achteckiges machen, um die Rolleigenschaften zu verbessern. :) > >> 8. Relevante Kommunikationssoftware sollte frei sein und ohne viel >> Aufwand von Individuen und (zivilgesellschaftlichen) Gruppen ausgerollt >> und genutzt werden können. > > Da sind wir uns hier wohl einig?! ;-) Für die FSFE-Liste war diese These einigermaßen überflüssig. Aber sie dient a) zur Vorbereitung von These 9 und b) sollen die Thesen auch außerhalb dieser Liste so schlüssig wie möglich sein. Ich habe den Text z.B. für bessere Referenzierbarkeit auf mein privates Blog gepackt: https://cknoll.github.io/software-zur-diskussions-verbesserung.html >> [...] >> Mich wundert, dass es für die aus meiner Sicht so offensichtlichen >> Missstände ("Alles was scheitert, scheitert an Kommunikation") bisher >> keine (mir bekannten) guten und vor allem systematischen Lösungen zu >> geben scheint. >> >> >> Wie seht Ihr das? > > Siehe oben. ;-) > Ich hatte ja eigentlich gehofft, dass es Menschen auf der Liste gibt, die sowohl in der Problemwahrnehmung als auch bezüglich möglicher Lösungen meine Thesen weitestgehend teilen, und ggf. auch Interesse an einer weiteren Verfolgung möglicher Lösungsideen signalisieren. Nach bisheriger Antwort-Lage scheint das eher nicht der Fall. Aber manche Ideen müssen auch ne Weile reifen, bis die Welt bereit für sie ist oder sie sich alles offensichtlich untauglich rausstellen. Im Moment würde ich sagen, ist weder das eine noch das andere der Fall :) Beste Grüße, Carsten -- https://python-fuer-ingenieure.de (Website zum "... für dummies"-Buch) https://tu-dresden.de/pythonkurs (Pythonkurs für Ingenieur:innen) https://dresden.bits-und-baeume.org/ https://cknoll.github.io (Blog) https://social.tchncs.de/@cark (Mastodon-Profil) https://tuuwi.de (TU Umweltinitiative) https://fsfw-dresden.de (HG für Freie Software und Freies Wissen) https://sober-arguments.net (Web-App
Re: Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)
Hallo Carsten, On Sat, Dec 18, 2021 at 02:51:46PM +, Carsten Knoll wrote: > da in den letzten Tagen ein erhöhtes Mailaufkommen auf dieser Liste rund > um Meta-Themen stattgefunden hat würde mich mal Eure Meinung zu > folgenden (subjektiven) Thesen interessieren: > > > 1. Textbasierte und asynchron ablaufende Diskussionen (z.B. über > Mailinglisten) zu kontroversen Themen haben ein erhebliches > Frustrationspotential. In der Tat, die Erfahrung habe ich auch gemacht. Auf Mailinglisten habe ich aber auch gesehen, dass die meisten Leute lernfähig sind, was den Gebrauch dieses Mediums angeht und in der Lage ihre Kommunikation so anzupassen, dass höflicher und konstruktiver Austausch stattfindet. > 3. Ein Großteil der suboptimalen und objektiv falschen Entscheidungen in > Politik und Gesellschaft ist auf die Dysfunktionalität der > vorangegangenen Diskurse zurückzuführen. Beispiel: Luca-App. Ebenso ein > Großteil der Konflikt-bedingten "Reibungsverluste" z.B. in > Software-Projekten. > > 4. Typische Szenarien kontroverser Diskussionen sind: > - ergebnisloses im-Sande-Verlaufen > - Wegdriften vom ursprünglichen Thema > - offener Streit und Abbruch der Kommunikation > - Neubeginn nach längerer Pause mit stark unterschiedlichem > Kenntnisstand der bisherigen Diskussion > - Vermeidung einer breiten (und anstrengenden) Diskussion und > autokratische Entscheidungsfindung. > > 5. Das wünschenswerte Szenario wäre dagegen: > - gemeinsames Zusammentragen der jeweiligen Pro- und Kontra-Argumente > - Übersichtliche Darstellung des aktuellen Standes des Argument-Baumes > - nachvollziehbare Quellenangaben für externe Information Bei mehreren Beiträgen hier im Thread hatte ich den Gedanken, dass die angesprochenen Probleme durch ganz klassische Moderation gelöst oder zumindest gemindert werden können, zusätzlich zu den von Dir genannten Zusammentragen und Zusammenfassen des bisherigen Diskussionsstandes, würde ich da noch ergänzen: - unangemessenes Verhalten ansprechen und unterbinden - Lenkung der Diskussion zurück zum Thema - Wiederaufnehmen der Diskussion bei längerem Stillstand - gezielte Aufforderungen bisher unklare Aussagen zu konkretisieren - Quellen aktiv einfordern Vermutlich noch mehr. Ich kann mich entsinnen, dass vor gut 20 Jahren in lokalen Webforen engagierte Moderator*innen sich ebenso positiv auf die Diskussionen ausgewirkt haben wie bei uns im Hackerspace in der konsensbasierten Entscheidungsfindung. > 6. Die bisher genutzten Software-basierten Medien (Mailinglisten, > Chatgruppen, Foren, Wikis, Threads auf Twitter oder Mastodon, Kommentare > unter Medien-Beiträgen oder in Blogs) unterstützen dieses wünschenswerte > Szenario deutlich zu wenig. > > 7. Die konkrete Funktionalität einer Kommunikations- und > Dokumentationssoftware kann einen massiven (positiven) Einfluss auf die > Art und das Ergebnis der Kommunikation haben. Beispiel: > Stackoverflow-Prinzip statt klassischer Programmier-Foren. Ich meine eine gute Plattform oder Software kann Moderation durchaus unterstützen. Vermutlich muss man hier gar nicht das Rad neu erfinden, vielleicht hilft da der Input von Leuten, die bereits moderiert haben? > 8. Relevante Kommunikationssoftware sollte frei sein und ohne viel > Aufwand von Individuen und (zivilgesellschaftlichen) Gruppen ausgerollt > und genutzt werden können. Da sind wir uns hier wohl einig?! ;-) > 9. Die Freie-Software-Communitiy sollte eine zweckmäßige Lösung > entwickelen und deren Nutzung propagieren. Im eigenen und im > gesellschaftlichen Interesse. > > > > > Dieses ganze Thema beschäftigt mich schon eine ganze Weile. Auf dem 35C3 > (2018) habe ich einen Lightningtalk dazu gehalten: > > https://media.ccc.de/v/35c3-9568-lightning_talks_day_4#t=198 > > > Einen ersten Implementierungsversuch einer eigenen Umsetzungs-Idee dazu > gibt es unter: > > https://github.com/cknoll/django-sober > > aber ich bin mir bewusst, dass dieser Ansatz noch nicht überzeugend ist > und ggf. auch nie wird. > > > Aber mal ganz grundsätzlich: > > Mich wundert, dass es für die aus meiner Sicht so offensichtlichen > Missstände ("Alles was scheitert, scheitert an Kommunikation") bisher > keine (mir bekannten) guten und vor allem systematischen Lösungen zu > geben scheint. > > > Wie seht Ihr das? Siehe oben. ;-) Grüße Alex -- /"\ ASCII RIBBON | »With the first link, the chain is forged. The first \ / CAMPAIGN | speech censured, the first thought forbidden, the X AGAINST | first freedom denied, chains us all irrevocably.« / \ HTML MAIL| (Jean-Luc Picard, quoting Judge Aaron Satie) signature.asc Description: PGP signature ___ FSFE-de mailing list FSFE-de@lists.fsfe.org https://lists.fsfe.org/mailman/listinfo/fsfe-de Diese Mailingliste wird durch den Verhaltenskodex der FSFE abgedeckt. Alle Teilnehmer werden gebeten, sich gegenseitig vorbildlich zu behandeln: https://fsfe.org/about/codeofconduct
Re: Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)
On 20.12.21 08:06, Dr. Michael Stehmann wrote: > Hallo, > > nochmals ein paar kurze Anmerkungen: > > Was unterscheidet "Verbesserungen" von Beiträgen durch andere oder der > Zwang dazu durch "Flaggen" von Zensur? Ich würde hier unterscheiden: a) Verbesserungen durch andere . Das könnte man so ähnlich handhaben wie Pull- bzw. Merge-Requests auf git-hosting-Plattformen: Konkrete Verbesserungsvorschläge, die übernommen werden können, aber nicht müssen. b) Flaggen ist erstmal ein Indiz, dass ein:e User:in einen bestimmten Inhalt für problematisch hält. Ab einer bestimmten Zahl von Flagging-Meldungen könnte z.B. ein:e Moderator:in informiert werden, um ggf. weitere Maßnahmen zu ergreifen. Dass Plattformbetreiber oder die von Ihnen autorisierten Moderator:innen die Möglichkeit zur Zensur haben liegt in der Natur der Sache. Das ist ja auf dieser Mailingliste (und auf allen anderen Kommunikationsplattformen) auch so. Wenn man nicht bösen Willen uder Inkompetenz unterstellen möchte ist das auch kein Problem. Problematisch wäre nur, wenn das Flaggen dazu missbraucht würde, von bestimmten Individuen unerwünschte (aber grundsätzlich zulässige) Inhalte zu unterdrücken. Konstruiertes-Beispiel: Ein fanatischer GNOME-Anhänger flaggt Beiträge, die sich positiv auf KDE beziehen. An diesen Stellen kann ein ausformulierter Code-of-Conduct helfen: Wenn ein Beitrag (nach Meinung der Moderation) dagegen verstößt, muss er weg, wenn nicht, kann er bleiben. Wem er inhaltlich nicht passt, muss dann halt inhaltlich darauf reagieren. Außerdem kann man das Missbräuchliche Flaggen erschweren, indem man einen konkreten Grund angeben muss und User:innen sanktionieren, die (aus Inkompetenz oder Vorsatz) wiederholt missbräuchlich flaggen. Fazit: Die Möglichkeit zu "Zensur" gibt es jetzt auch schon. Durch eine Formalisierung ändert sich daran nichts. > Kultur auch Diskurskultur setzt IMO eine entsprechende Bildung voraus. Zustimmung. Die Spannende Frage ist, was diese *Voraussetzung* für die Praxis bedeutet. Sollen nur Menschen mit einem entsprechend formalen Bildungsabschluss sich an einem Diskurs beteiligen dürfen? Aus meiner Sicht sollte ein guter Diskurs offen für alle Interessierten sein, aber auch gleichzeitig abschätzbar sein, nach welchen Regeln er abläuft. Auch hier kann ein Code-of-Conduct helfen. Außerdem denke ich, dass Bildung kein Zustand sondern ein Prozess ist, das heißt eine nachhaltige Diskurskultur muss auch dazu beitragen, die Voraussetzung für eine konstruktive Teilnahme zu schaffen. Konkret meine ich damit, dass Diskursteilnehmer:innen Feedback über ihr Diskussionsverhalten bekommen, etwa indem klar wird warum ein Beitrag von ihnen gelöscht wurde oder – wichtiger – warum er inhaltlich nicht überzeugt (fehlende Quellen, Logikfehler, ...) > [Schach, asynchron vs. synchron] (Die Schachanalogie ist zwar interessant, aber dazu kann ich gerade nichts konstruktives beitragen) Gruß, Carsten -- https://python-fuer-ingenieure.de (Website zum "... für dummies"-Buch) https://tu-dresden.de/pythonkurs (Pythonkurs für Ingenieur:innen) https://dresden.bits-und-baeume.org/ https://cknoll.github.io (Blog) https://social.tchncs.de/@cark (Mastodon-Profil) https://tuuwi.de (TU Umweltinitiative) https://fsfw-dresden.de (HG für Freie Software und Freies Wissen) https://sober-arguments.net (Web-App für konstruktivere Diskussionen) https://moodpoll.uber.space (Web-App u.a. zum systemischen Konsensieren) https://plq.de (Gründungsinitiative der Partei für Lebensqualität) Was bedeutet eigentlich der Anhang "signature.asc"? -> http://cknoll.github.io/emails-signieren.html OpenPGP_signature Description: OpenPGP digital signature ___ FSFE-de mailing list FSFE-de@lists.fsfe.org https://lists.fsfe.org/mailman/listinfo/fsfe-de Diese Mailingliste wird durch den Verhaltenskodex der FSFE abgedeckt. Alle Teilnehmer werden gebeten, sich gegenseitig vorbildlich zu behandeln: https://fsfe.org/about/codeofconduct
Re: Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)
Hallo, nochmals ein paar kurze Anmerkungen: Was unterscheidet "Verbesserungen" von Beiträgen durch andere oder der Zwang dazu durch "Flaggen" von Zensur? Für einen Vergleich von synchron vs. asynchron in komplexen Systemen wäre vielleicht Schach ein gutes Untersuchungsfeld: Was unterscheidet Fernschachpartien (mit Briefwechsel) von Partien, die mit Schachuhr gespielt werden? Es gibt sehr viele notierte Partien Aller "Leistungsklassen" in beiden Varianten, die Untersuchungen erlauben, die systematische Untersuchungen erlauben. Kultur auch Diskurskultur setzt IMO eine entsprechende Bildung voraus. Gruß Michael OpenPGP_signature Description: OpenPGP digital signature ___ FSFE-de mailing list FSFE-de@lists.fsfe.org https://lists.fsfe.org/mailman/listinfo/fsfe-de Diese Mailingliste wird durch den Verhaltenskodex der FSFE abgedeckt. Alle Teilnehmer werden gebeten, sich gegenseitig vorbildlich zu behandeln: https://fsfe.org/about/codeofconduct
Re: Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)
On 19.12.21 23:30, Antje Kazimiers wrote: > On 12/19/21 6:57 PM, Dr. Michael Stehmann wrote: > >> Beim ("hoch"-)Voten sehe ich das Problem des Populismus. >> >> Und zwar sowohl bei den Verfassenden von Beiträgen, als auch auf der >> Seite der Votierenden. > > Ein soziale Problem, welches man bei Adhocracy mit Technik lösen wollte, > ist, dass in einem Offline Raum ab einer bestimmten Anzahl an Personen > diejenigen mehr Raum bekommen, die lauter sind und länger sprechen und > nicht unbedingt diejenigen, die das beste Argument vortragen. Ein wichtiger Punkt. > > Ich glaube, bei Adhocracy gab es auch den Gedanken, dass es sinnvoll > sein kann, die Beiträge anderer umzuschreiben, um eine wirklich > stichhaltige Argumentation zu erhalten. Das sehe ich grundsätzlich auch so, aber das ist nicht trivial umsetzbar, weil "Verbesserungen" ggf. subjektiv sind und sich z.B. die Frage stellt, was passiert mit Gegenargumenten, die nicht mehr zum veränderten Argument passen. (Ist aber technisch bestimmt zufriedenstellend machbar.) > > Aber das Umschreiben könnte sowohl bei populistischen Beiträgen, als > auch bei Kommentaren, die die Regeln des gepflegten Diskurses verletzen, > hilfreich sein. Im Sinne der Skalierbarkeit des Moderationsaufwandes würde ich eher dafür plädieren, dass Beiträge, die bestimmte Qualitätsstandards nicht erfüllen "geflaggt" werden sollten und vom Original-Urheber überarbeitet werden müssen. Wenn das nicht geschieht bleiben sie unsichtbar oder zumindest versteckter. > Mich hat im Original-Post gewundert, dass die Asynchronität der > Kommunikation als problematisch angesehen wird. Das hatte ich nicht weiter ausgeführt, weil ich fälschlicherweise dachte, das das offensichtlich ist. Ich halte Zeitverzögerung zwischen den Kommunikationsakten für Herausforderung, weil man sich jedes Mal neu ins Thema reindenken muss. Das ist a) mentaler Aufwand und b) auch fehleranfällig. Ich habe es schon öfter erlebt, dass Leute in eine Diskussion einsteigen, die sie offenbar nicht von Anfang an nachvollzogen (oder ggf. vergessen) haben. Das senkt natürlich die Diskursqualität. > Um textliche Argumentation zu durchdenken benötigt man Zeit da passt > Asynchronität ganz gut denke ich. Das ist auch wahr. Asynchronität ist bei komplexeren Themen und größeren Gruppen eh nicht zu vermeiden und hat den positiven Nebeneffekt, dass man über Argumente nachdenken und eine Sachlage recherchieren kann. Die Probleme a) Reindenk-Aufwand und b) Fehleranfälligkeit gibt es aus meiner Sicht trotzdem. Um sie zu reduzieren und das Nachdenken über die bisherigen Positionen zu vereinfachen finde ich deshalb eine *übersichtliche Darstellung* des aktuellen Diskussionsstandes sehr wichtig. Beste Grüße und weiterhin Danke für das interessante Feedback! Carsten -- https://python-fuer-ingenieure.de (Website zum "... für dummies"-Buch) https://tu-dresden.de/pythonkurs (Pythonkurs für Ingenieur:innen) https://dresden.bits-und-baeume.org/ https://cknoll.github.io (Blog) https://social.tchncs.de/@cark (Mastodon-Profil) https://tuuwi.de (TU Umweltinitiative) https://fsfw-dresden.de (HG für Freie Software und Freies Wissen) https://sober-arguments.net (Web-App für konstruktivere Diskussionen) https://moodpoll.uber.space (Web-App u.a. zum systemischen Konsensieren) https://plq.de (Gründungsinitiative der Partei für Lebensqualität) Was bedeutet eigentlich der Anhang "signature.asc"? -> http://cknoll.github.io/emails-signieren.html OpenPGP_signature Description: OpenPGP digital signature ___ FSFE-de mailing list FSFE-de@lists.fsfe.org https://lists.fsfe.org/mailman/listinfo/fsfe-de Diese Mailingliste wird durch den Verhaltenskodex der FSFE abgedeckt. Alle Teilnehmer werden gebeten, sich gegenseitig vorbildlich zu behandeln: https://fsfe.org/about/codeofconduct
Re: Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)
On 19.12.21 18:57, Dr. Michael Stehmann wrote: > Hallo, > > nur kurz, weil es mehrfach angesprochen wurde: > > Beim ("hoch"-)Voten sehe ich das Problem des Populismus. > > Und zwar sowohl bei den Verfassenden von Beiträgen, als auch auf der > Seite der Votierenden. Sich sehe noch nicht, warum das Voten eine größere Populismus-Anfälligkeit haben sollte, als normale Konversation. Da gibt es das Problem ja auch, dass Menschen (mit durchsichtigen Manövern) nach Zustimmung heischen und das leider auch bei einigen Empfänger:innen verfängt. Aber in einer formaleren Argumentationsstruktur (inklusive Überzeugungskraft-Bewertung einzelner Beiträge bzw. Argumente) wird es aus meiner Sicht sogar leichter "eingängige Scheinwahrheiten" zu entzaubern. Zumindest ist das meine Arbeitshypothese. Vermutlich kommt es aber auch darauf an, welche Diskurskultur sich in der jeweiligen Gruppe etabliert. Aber gerade in technisch orientierten Gruppen (in denen Flamewars ja keine Seltenheit sind) halte ich Populismus nicht für ein geringeres Problem als Unübersichtlichkeit und ein schlechtes Signal-Rausch-Verhältnis (also Valide Argumente vs. Meinungsrauschen) Gruß, Carsten -- https://python-fuer-ingenieure.de (Website zum "... für dummies"-Buch) https://tu-dresden.de/pythonkurs (Pythonkurs für Ingenieur:innen) https://dresden.bits-und-baeume.org/ https://cknoll.github.io (Blog) https://social.tchncs.de/@cark (Mastodon-Profil) https://tuuwi.de (TU Umweltinitiative) https://fsfw-dresden.de (HG für Freie Software und Freies Wissen) https://sober-arguments.net (Web-App für konstruktivere Diskussionen) https://moodpoll.uber.space (Web-App u.a. zum systemischen Konsensieren) https://plq.de (Gründungsinitiative der Partei für Lebensqualität) Was bedeutet eigentlich der Anhang "signature.asc"? -> http://cknoll.github.io/emails-signieren.html OpenPGP_signature Description: OpenPGP digital signature ___ FSFE-de mailing list FSFE-de@lists.fsfe.org https://lists.fsfe.org/mailman/listinfo/fsfe-de Diese Mailingliste wird durch den Verhaltenskodex der FSFE abgedeckt. Alle Teilnehmer werden gebeten, sich gegenseitig vorbildlich zu behandeln: https://fsfe.org/about/codeofconduct
Re: Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)
On 12/19/21 6:57 PM, Dr. Michael Stehmann wrote: > Beim ("hoch"-)Voten sehe ich das Problem des Populismus. > > Und zwar sowohl bei den Verfassenden von Beiträgen, als auch auf der > Seite der Votierenden. Ein soziale Problem, welches man bei Adhocracy mit Technik lösen wollte, ist, dass in einem Offline Raum ab einer bestimmten Anzahl an Personen diejenigen mehr Raum bekommen, die lauter sind und länger sprechen und nicht unbedingt diejenigen, die das beste Argument vortragen. Also deswegen das Votieren der Beiträge, damit nicht der, der oft und viel schreibt, am meisten gesehen wird sondern diejenigen mit den besten Argumenten. Ich glaube, bei Adhocracy gab es auch den Gedanken, dass es sinnvoll sein kann, die Beiträge anderer umzuschreiben, um eine wirklich stichhaltige Argumentation zu erhalten. Das geht bestimmt nur unter best. Bedingungen (Moderation?). Aber das Umschreiben könnte sowohl bei populistischen Beiträgen, als auch bei Kommentaren, die die Regeln des gepflegten Diskurses verletzen, hilfreich sein. Mich hat im Original-Post gewundert, dass die Asynchronität der Kommunikation als problematisch angesehen wird. Asynchron arbeiten alle diese Tools, also auch Carsten's Tool, oder? Tools, die den Diskussionsprozess synchron unterstützen, die man während einer (Online-)-Konferenz einsetzen kann um Meinungsbilder zu generieren sind auch interessant. Das ist noch einmal eine ganz eigene Kategorie an Tools. Um textliche Argumentation zu durchdenken benötigt man Zeit da passt Asynchronität ganz gut denke ich. Viele Grüße Antje ___ FSFE-de mailing list FSFE-de@lists.fsfe.org https://lists.fsfe.org/mailman/listinfo/fsfe-de Diese Mailingliste wird durch den Verhaltenskodex der FSFE abgedeckt. Alle Teilnehmer werden gebeten, sich gegenseitig vorbildlich zu behandeln: https://fsfe.org/about/codeofconduct
Re: Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)
Hallo, nur kurz, weil es mehrfach angesprochen wurde: Beim ("hoch"-)Voten sehe ich das Problem des Populismus. Und zwar sowohl bei den Verfassenden von Beiträgen, als auch auf der Seite der Votierenden. Gruß Michael OpenPGP_signature Description: OpenPGP digital signature ___ FSFE-de mailing list FSFE-de@lists.fsfe.org https://lists.fsfe.org/mailman/listinfo/fsfe-de Diese Mailingliste wird durch den Verhaltenskodex der FSFE abgedeckt. Alle Teilnehmer werden gebeten, sich gegenseitig vorbildlich zu behandeln: https://fsfe.org/about/codeofconduct
Re: Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)
Hallo Ilu, On 19.12.21 13:54, Ilu wrote: > Ich möchte dem entgegnen, dass nach meinem Eindruck Ursache für einem > großen Teil der politischen Entscheidungen nicht eine fehlgeschlagene > Diskussion ist, sondern eine Lobby-gesteuerte Absicht (häufig hart am > Rande der Korruption). Die wahrnehmbare Diskussion und die darin > vorgetragenen Argumente dienen nur als Feigenblatt für eine ohnehin > schon aus ganz anderen Gründen vorhandene Agenda. Partielle Zustimmung. Ich glaube auch, dass das (zumindest auf den höhren Ebenen von Politik und Verwaltung) eine große Rolle spielt. Aus meiner Sicht ist aber die "wahrnehmbare Diskussion", die sich als Feigenblatt benutzen lässt, das was ich auch "als dysfunktionalen Diskurs" bezeichnen würde. Eine Diskussion, in der nicht alle Argumente in der erforderlichen Breite transparent auf den Tisch kommen, sondern in der bestimmte (Schein)-Argumente in den Vordergrund gestellt und andere Argumente bewusst de-facto unsichtbar gemacht werden, sollte aus meiner Sicht keine Grundlage für eine Entscheidung sein. Ich glaube ich nicht, dass dieses Problem (allein) durch eine bessere Kommunikationssoftware gelöst werden kann. Aber eine solche kann dazu beitragen, dass sich eine andere, konstruktivere *Diskurskultur* entwickelt, und dass sich dann Entscheidungsträger:innen irgendwann für bestimmte Nebelkerzen-Manöver selber zu blöd sind (aus brechtigter Angst um ihren Ruf als ernstzunehmende Diskursteilnehmer:innen). > > Das klingt vielleicht wie eine Verschwörungstheorie, aber ich war selbst > 10 Jahre lang politisch tätig und habe dabei Einblick erhalten in > unschöne Vorgänge. Man kann meine These anhand beliebiger politischer > Vorgänge überprüfen und wird fast immer eine "heiße Spur" finden. Sehr > instruktiv z.B. die Landwirtschaftspolitik. (Investigativer Journalismus > leistet da gute Dienste, leider meistens erst Jahre später und > ignoriert vom Bürger und von der Politik.) Glaube ich gerne. Im Mediensystem gäbe natürlich auch noch viel zu verbessern (Stichworte: Themensetzung und Quellennennung). Aber das ist ein separates Projekt. > > Ein soziales Problem mit technischen Mitteln lösen - das wird nicht > gehen. Weder für die im Vordergrund stattfindende Diskussion (die Gründe > dafür hat Michael vorgetragen) noch für die im Hintergrund verfolgte > Agenda. Ich halte diese Ablehnung für zu pauschal (siehe meine Antwort an Michael). Tatsächlich haben wir (als Menschheit) schon viele soziale Probleme mit Hilfe von Technik gelöst: Bildung durch Buchdruck, Fotokopierer, Beamer, etc. > > Wir haben eigentlich genügend Diskussions-Tools. Ich denke die Quantität ist hier nicht entscheidend. Es gab auch X verschiedene Foren-Tools. Aber trotzdem hat das Stack-Overflow-Prinzip die Antworten nicht chronolotisch, sondern nach Bewertung zu sortieren einen fundamentalen Unterschied gebracht. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich eine Lösung finde (oder eine Antwort auf meine Frage bekomme) ist meiner Erfahrung nach drastisch gestiegen im Vergleich zur Prä-StackOverflow-Ära. > Das einzige, was ich > vermisse, ist ein brauchbares freies Abstimmungstool, mit dem Beschlüsse > und Wahlen - wenn nötig auch geheime Abstimmungen - von > Online-Versammlungen (in BBB, jitsi, mumble, matrix, ...) durchgeführt > und dokumentiert werden können (z.B. fürs Vereinsregister). Rechtlich Verbindliche Online-Abstimmungen sind schwierig (ich hatte letztes Jahr einen Vorschlag dazu gemacht und auf Basis des Feedbacks eingesehen, dass es (für mich) ein zu dickes Brett aus zu hartem Holz ist). Für weniger hohe Ansprüche (z.B. in Gruppen mit hohem gegenseitigem Vertrauensniveau) hier nochmal der Hinweis auf ein von mir entwickeltes Tool: https://moodpoll.uber.space (Web-App u.a. zum systemischen Konsensieren) https://video.dresden.network/w/9e2Cavpdjhm7bxJBLnWJQK Wie ich schon in der Antwort an Antje geschrieben habe, sind "Diskurs" und "Entscheidungsfindung" aus meiner Sicht aber getrennte Probleme, die mit getrennten Tools gelöst werden sollten. Noch was Allgemeines, weil das jetzt die vierte Mail ist, in der ich auf Feedback reagiere: Vielen Dank für Eure Anmerkungen und die konstruktive Kritik. Der Sinn meiner Antworten ist es nicht, Euch zu bekehren, sondern noch deutlicher zu machen warum es aus meiner Sicht bessere Diskussionstools braucht. Das kann man naturgemäß auch anders sehen. Ich persönlich glaube nicht, dass die Art und Weise wie wir (als Menschheit) bisher digitale Diskussionen organisieren die beste aller möglichen Optionen ist, oder dass wir nur "warten müssen" bis genügend Menschen verstehen, wie man auf den bestehenden Medien konstruktiv diskutiert – aber ich lasse mich auch gerne vom Gegenteil überzeugen. :) Gruß, Carsten -- https://python-fuer-ingenieure.de (Website zum "... für dummies"-Buch) https://tu-dresden.de/pythonkurs (Pythonkurs für Ingenieur:innen) https://dresden.bits-und-baeume.org/ https://cknoll.github.io (Blog) https://social.tchncs.de/@cark
Re: Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)
Hallo Michael, On 18.12.21 17:54, Dr. Michael Stehmann wrote: > [...] > Nun zur (hoffentlich konstruktiven) Kritik: > > Ich fürchte, dass hier wieder einmal ein soziales Problem mit > technischen Mitteln "gelöst" werden soll. Ich versuche mal Deine Befürchtung zu entkräften. Ich stimme Dir zu, dass das Potenzial technischer Lösungen sehr begrenzt (oder sogar negativ) ist, wenn sie nicht von wünschenswerten sozialen Innovationen begleitet werden. Aber ich strebe in meinem Wunschszenario eine eine "technisch vermittelte" soziale Innovation an. > Um dies an die These 1 anknüpfend zu verdeutlichen: > > Es gab "textbasierte und asynchron ablaufende Diskussionen" durch > Briefwechsel unter Gelehrten, die die Wissenschaft vorangebracht haben > [0]. Und es gab Bürgerversammlungen, die im Geschrei und Schlimmeren > endeten. Das stimmt, würde ich aber als "die Regel bestätigende Ausnahmen" klassifizieren. Wir machen vermutlich alle die Erfahrung, dass die Gefahr keiner dysfunktionalen Kommunikation via Mail etc. viel größer ist, als über Telefon oder persönlich. Ich vermute, dass es dazu auch Studien gibt und würde bei Bedarf mal suchen. Bisher nur eigene Erfahrung und anekdotische Evidenz. > Es ist leider nicht mit Sicherheit erwartbar, dass ein Mensch deshalb > respektiert wird, weil er ein Mensch ist (und ihm eine unantastbare > Würde eigen ist). Zustimmung. Aber das ist ehrlich gesagt nicht das Hauptproblem, was ich angehen möchte, bzw. möchte ich es indirekt angehen. Ich möchte, dass die *Sachebene* einer Diskussion gestärkt wird, dass die verschiedenen Argumente und Perspektiven möglichst transparent erkennbar sind. Zum Beispiel in dem (technischer Aspekt) die Urheberschaft eines Beitrages nicht erkennbar ist, sondern der Inhalt für sich steht (und für sich überzeugen muss). > Manche Menschen meinen, dass sie im Recht sind und alle anderen dies > einsehen müssen. Und dass eine andere Meinung schon deshalb auf > Boshaftigkeit beruhen muss, weil sie ja zu den "Guten" gehören. Bei > ihnen ist das Bewusstsein dafür verloren gegangen, dass auch derjenige, > der eine andere Auffassung vertritt, recht haben könnte. Dieses > Bewusstsein ist aber notwendige Voraussetzung für eine Diskursfähigkeit. Eingeschränkte Zustimmung. Ich glaube, die wenigsten Menschen würden in einer nüchternen Gesprächssituation für sich tatsächlich *Unfehlbarkeit* beanspruchen. Und wenn doch, dann müsste man sie nicht ernst nehmen. In einem emotional aufgeladenen Gespräch verhalten sich aber manche Menschen so, wie Du beschrieben hast. Ich glaube aber, dass (technisch erzwungene) Formalisierung hier (etwas) helfen kann. 1. Indem man die Kommunikationsbeiträge klar klassifiziert (z.B. These, Pro-Argument, Kontra-Argument, etc.), 2. indem man sie hinsichtlich ihrer Überzeugungskraft bewerten lässt (und damit ihre Sichtbarkeit beeinflusst), und drittens indem man (teilautomatisiert) moderiert. Schlecht bewertete (destruktive) Beiträge werden dann einfach weiter unten (oder gar nicht) angezeigt. Dann sind sie a) egal und b) überlegen sich Menschen für den nächsten Beitrag, wie sie erneute Irrelevanz verhindern können (oder ob sie lieber auf einer anderen Plattform rumnerven). > > (Schwierig wird es, wenn beiden Seiten recht haben können: Man stelle > sich eine Diskussion unter Wissenschaftlern vor, von denen einer die > Auffassung vertritt, Licht sei Wellen. Der andere hält dies für falsch, > weil Licht "ganz klar und experimental nachgewiesen" aus Teilchen bestehe.) Volle Zustimmung. Schwierig, aber auch sehr interessant und hochgradig relevant. Mein Wunsch in diesem Szenario wäre, dass beide Seiten einsehen müssen (durch die "normative Kraft des Faktischen"), dass es für beide Sichtweisen sehr gute Argumente und Belege gibt und dass die existierenden Begriffe offenbar die bekannten Eigenschaften von Licht nicht vollständig erfassen können. Dann kann jemand eine Modell vorschlagen, dass mit allen bisherigen Beobachtungen kompatibel ist, z.B. das Konzept der Aufenthaltswahrscheinlichkeit, die durch die Wellenfunktion bestimmt wird, siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Welle-Teilchen-Dualismus#Aufl%C3%B6sung_des_Welle-Teilchen-Dualismus_in_der_Quantenmechanik > > Auch ist zu bedenken, dass Menschen sich nicht deshalb an Diskussionen > beteiligen, weil sie ein Problem lösen wollen. Es gibt vielmehr > vielfältige andere Gründe und Motive, sich an einer Diskussion zu > beteiligen. Volle Zustimmung. Trolle zum Beispiel, die Diskussionen als Zeitvertreib torpedieren, oder Leute die aus eigenem Interesse verhindern wollen, dass eine Diskussion zu einem Ergebnis kommt. In meinem Wunschszenario sind deren Kommunikationsbeiträge schlicht irrelevant, weil sie leicht als "nicht sachdienlich" erkannt und markiert werden können. Genau so wie 23 schlechte und falsche Antworten auf Stack-Overvlow mich nicht davon abhalten, die guten (und hoch-gevoteten) Antworten zu finden. In den meisten Fällen sehe ich den irrelevanten Kram gar nic
Re: Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)
Hallo Henning, On 18.12.21 17:33, Henning Thielemann wrote: > > > [...] Ich sehe vor allem aber auch das Problem, dass nach > ermüdenden Diskussionen und mühsam gezimmerten Kompromissen ein > Regelwerk geschnürt wird, das dann die nächsten Jahrzehnte niemand mehr > anfassen will. Ich könnte mir vorstellen, dass es ein wenig "agiler" > besser klappen könnte. Klingt sehr plausibel. Ich vermute, dass die Agilität durch gute Diskussionssoftware erhöht werden könnte, eben weil Diskussionen bei gleicher "Erschließungstiefe" eines Themas deutlich weniger ermüdend und frustrierend sind und sich durch die bessere Übersichtlichkeit der Argumentationsstränge auch leichter auf bisherige Diskussionen aufbauen lässt. Beides könnte sehr gut dazu beitragen, die Antastbarkeitsschwelle von (suboptimalen) Kompromissen herabzusetzen. > > Also der langen Rede kurzer Sinn: Ich würde die Phase der > Vorwegdiskussion schrumpfen, Regelwerke schlank halten, lieber mehr in > der Praxis ausprobieren und Erfahrungen aus der Praxis ernst nehmen. Diese Schlussfolgerung *geht mir zu weit*. Klingt ein bisschen nach "Digitalisierung first, Bedenken second." Und dann kommt sowas raus wie das die Luca-App. Vielleicht habe ich Dich da auch falsch verstanden? Wir brauchen schon ein *Mindestmaß an inhaltlicher Auseinandersetzung*. mir geht es darum, dass diese im Vergleich zu bisher weniger anstrengend, verwirrend und frustrierend wird und damit im Idealfall a) schneller und b) zu besseren Ergebnissen kommt. Dazu müssen vor allem auch *Scheinargumente* leichter als solche *erkennbar gemacht* werden können und das ist bisher leider zu schwierig. Gruß, Carsten -- https://python-fuer-ingenieure.de (Website zum "... für dummies"-Buch) https://tu-dresden.de/pythonkurs (Pythonkurs für Ingenieur:innen) https://dresden.bits-und-baeume.org/ https://cknoll.github.io (Blog) https://social.tchncs.de/@cark (Mastodon-Profil) https://tuuwi.de (TU Umweltinitiative) https://fsfw-dresden.de (HG für Freie Software und Freies Wissen) https://sober-arguments.net (Web-App für konstruktivere Diskussionen) https://moodpoll.uber.space (Web-App u.a. zum systemischen Konsensieren) https://plq.de (Gründungsinitiative der Partei für Lebensqualität) Was bedeutet eigentlich der Anhang "signature.asc"? -> http://cknoll.github.io/emails-signieren.html OpenPGP_signature Description: OpenPGP digital signature ___ FSFE-de mailing list FSFE-de@lists.fsfe.org https://lists.fsfe.org/mailman/listinfo/fsfe-de Diese Mailingliste wird durch den Verhaltenskodex der FSFE abgedeckt. Alle Teilnehmer werden gebeten, sich gegenseitig vorbildlich zu behandeln: https://fsfe.org/about/codeofconduct
Re: Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)
Hallo Antje, vielen Dank für das Feedback und den Hinweis auf Liquid Democracy und Liquid Feedback. Von beiden Projekten hatte ich zwar schon gehört, aber sie mir länger nicht mehr angeschaut. Tatsächlich glaube ich aber, dass sie auf einen anderen Use-Case abzielen. > Würd mich interessieren, ob du deine Software für andere Arten von > Diskussionen konzipiert hast? Ja, nämlich für eher *informellere Diskussionen*, die entweder gar nicht oder zumindest nicht von Anfang an auf eine Entscheidungsfindung hinauslaufen. Also letztlich für Diskussionen, wie sie in Gruppen wie dieser hier auf der FSFE-Mainlingliste stattfinden: Eine Gruppe von Menschen tauscht sich über ein Thema aus und unterschiedliche Meinungen und Argumente treffen aufeinander. Menschen schildern ihre Perspektive, andere ergänzen oder widersprechen. Grundsätzlich funktioniert das hier auch noch ganz gut, aber trotzdem wird die Diskussion nach einigen Antworten **tendenziell schnell unübersichtlich** und fasert sich in Teildiskussionen auf. Für Menschen, die den Anfang verpasst haben oder Monate später die **Diskussion nachvollziehen** wollen, macht es das das schwierig. Und dann sinkt die Qualität und. Ich glaube eine gute Diskussionssoftware sollte die Teilnehmer:innen dabei *unterstützen, eine Diskussion so konstruktiv wie möglich* zu führen. Formalisierung (Unterscheidung in Pro- und Kontra-Argumente, explizite Abfrage von Quellen etc.) kann da aus meiner Sicht helfen. Ein weiterer von mir gewünschter *Anwendungsfall* wäre ein *Kommentarsystem unter Medienbeiträgen*. Dort wird ja zur Zeit oft kommunikativer Müll abgekippt. Sachliche Kritik geht dann oft im Rauschen unter. Formalisierung könnte hier zum Beispiel dabei helfen, Redundanz oder inhaltsleeres Geblubber zu erkennen und dann entsprechend die (teilautomatische) Moderation zu erleichtern. Ich erhoffe mir davon auch einen didaktischen Effekt: Dass Menschen den Unterschied zwischen überzeugend dargelegten Argumenten und bloßen Behauptungen erkennen und sich dadurch a) nicht mehr so leicht von diesen Behauptungen beeindrucken lassen und b) auch *höhere Ansprüche an ihre eigenen Äußerungen* stellen. Zusammenfassung: mir schwebt eine Kommunikationssoftware vor, die deutlich *niedrigschwelliger* ist als das, was Liquid Democracy (im Vortrag) vorstellt. Semi-Offtopic-Hinweis: Zum Problem der Entscheidungsfindung habe ich mit einem Kumpel zusammen auch ein Tool gebaut, mit dem sich unter anderem das systemische Konsensieren hoffentlich sehr intuitiv umsetzen lässt. Video: https://video.dresden.network/w/9e2Cavpdjhm7bxJBLnWJQK https://moodpoll.uber.space (Ich sehe 'Diskurs' und 'Enscheidungsfindung' aber als zwei getrennte Probleme) Gruß, Carsten On 18.12.21 16:45, Antje Kazimiers wrote: > Hallo Carsten, > > Klasse Thema, vielen Dank für den Aufschlag! > > On 12/18/21 3:51 PM, Carsten Knoll wrote: >> Dieses ganze Thema beschäftigt mich schon eine ganze Weile. Auf dem 35C3 >> (2018) habe ich einen Lightningtalk dazu gehalten: >> >> https://media.ccc.de/v/35c3-9568-lightning_talks_day_4#t=198 >> >> >> Einen ersten Implementierungsversuch einer eigenen Umsetzungs-Idee dazu >> gibt es unter: >> >> https://github.com/cknoll/django-sober >> >> aber ich bin mir bewusst, dass dieser Ansatz noch nicht überzeugend ist >> und ggf. auch nie wird. >> >> >> Aber mal ganz grundsätzlich: >> >> Mich wundert, dass es für die aus meiner Sicht so offensichtlichen >> Missstände ("Alles was scheitert, scheitert an Kommunikation") bisher >> keine (mir bekannten) guten und vor allem systematischen Lösungen zu >> geben scheint. >> >> >> Wie seht Ihr das? > > Es gibt da schon auch andere Ansätze und Software. > > Auf dem 26C3 gab es den Talk "Liquid Democracy - Direkter > Parlamentarismus – gemeinsam verbindlich entscheiden" > > https://media.ccc.de/v/26c3-3464-de-liquid_democracy > > Es geht um die Software adhocracy, die wurde eine zeit lang sehr rege > und erfolgreich für Diskussionen genutzt (Enquete Kommission für ein > digitales Thema, Thema für ein Zeitmagazin und eigene Plattformen für > bestimmte Projekte), den aktuellen Stand des Projekts kann ich aber > nicht einschätzen. > > Es ging dabei immer um strukturierte Debatte. Es gab Themen, die konnten > kommentiert werden, die Kommentare konnten "hochgevotet" werden, und die > Kommentare mit den besten Bewertungen erschienen zu Beginn der > Diskussion. Es gab auch Abstimmungen und man konnte an Texten als > Ergebnis einer Diskussion arbeiten. Also die Idee war denke ich, es für > politische Debatten zu nutzen, wo in der Regel ein Text als Ergebnis > herauskommt (10 Punkte Plan, Gesetzesvorlage etc.) > > Meiner Erinnerung nach klappte alles bzgl Diskussion und Abstimmung sehr > gut, die Arbeit am Text war dann ein bißchen sperriger und habe ich > weniger in Gebrauch gesehen. > > Es gibt auch noch das Projekt LiquidFeedback, dazu kann ich aber nicht > viel sagen. > > https://liquidfeedback.com/de/ > > Würd mich interessieren, ob d
Re: Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)
Ich möchte dem entgegnen, dass nach meinem Eindruck Ursache für einem großen Teil der politischen Entscheidungen nicht eine fehlgeschlagene Diskussion ist, sondern eine Lobby-gesteuerte Absicht (häufig hart am Rande der Korruption). Die wahrnehmbare Diskussion und die darin vorgetragenen Argumente dienen nur als Feigenblatt für eine ohnehin schon aus ganz anderen Gründen vorhandene Agenda. Das klingt vielleicht wie eine Verschwörungstheorie, aber ich war selbst 10 Jahre lang politisch tätig und habe dabei Einblick erhalten in unschöne Vorgänge. Man kann meine These anhand beliebiger politischer Vorgänge überprüfen und wird fast immer eine "heiße Spur" finden. Sehr instruktiv z.B. die Landwirtschaftspolitik. (Investigativer Journalismus leistet da gute Dienste, leider meistens erst Jahre später und ignoriert vom Bürger und von der Politik.) Ein soziales Problem mit technischen Mitteln lösen - das wird nicht gehen. Weder für die im Vordergrund stattfindende Diskussion (die Gründe dafür hat Michael vorgetragen) noch für die im Hintergrund verfolgte Agenda. Wir haben eigentlich genügend Diskussions-Tools. Das einzige, was ich vermisse, ist ein brauchbares freies Abstimmungstool, mit dem Beschlüsse und Wahlen - wenn nötig auch geheime Abstimmungen - von Online-Versammlungen (in BBB, jitsi, mumble, matrix, ...) durchgeführt und dokumentiert werden können (z.B. fürs Vereinsregister). Viele Grüße Ilu ___ FSFE-de mailing list FSFE-de@lists.fsfe.org https://lists.fsfe.org/mailman/listinfo/fsfe-de Diese Mailingliste wird durch den Verhaltenskodex der FSFE abgedeckt. Alle Teilnehmer werden gebeten, sich gegenseitig vorbildlich zu behandeln: https://fsfe.org/about/codeofconduct
Re: Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)
Hallo, da fehlte etwas. Wird hier nachgereicht: 1. "Mit freundlichem Gruß Michael" 2. "[1] s. z. B. https://www.ccc.de/de/hackerethik - vierter Punkt" Ich bitte, mein Versehen zu entschuldigen. Mit freundlichem Gruß Michael OpenPGP_signature Description: OpenPGP digital signature ___ FSFE-de mailing list FSFE-de@lists.fsfe.org https://lists.fsfe.org/mailman/listinfo/fsfe-de Diese Mailingliste wird durch den Verhaltenskodex der FSFE abgedeckt. Alle Teilnehmer werden gebeten, sich gegenseitig vorbildlich zu behandeln: https://fsfe.org/about/codeofconduct
Re: Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)
Hallo Carsten; erst einmal die Zustimmung: Ich bin auch der Meinung, dass jedes neue Medium, jede neue Technik, die eine Verbesserung gegenüber den Bisherigen darstellt, begrüßenswert ist. Das gilt erst recht dann, wenn sie gegenüber den Bisherigen "Alleinstellungsmerkmale" aufweist. Ich bin auch der Meinung, dass Kommunikationstechniken auf Offenen Standards basieren und (zumindest auch) in Freier Software implementiert sein sollen (oder besser: müssen). (Ich hoffe, dass die Diskursfähigkeit mündiger, aufgeklärter Bürger der Grund dafür ist, warum wir Kindern in Schulen Lesen und Schreiben und noch einige andere Dinge beibringen.) Nun zur (hoffentlich konstruktiven) Kritik: Ich fürchte, dass hier wieder einmal ein soziales Problem mit technischen Mitteln "gelöst" werden soll. Um dies an die These 1 anknüpfend zu verdeutlichen: Es gab "textbasierte und asynchron ablaufende Diskussionen" durch Briefwechsel unter Gelehrten, die die Wissenschaft vorangebracht haben [0]. Und es gab Bürgerversammlungen, die im Geschrei und Schlimmeren endeten. Um Aspekte des sozialen Problems zu nennen: Es ist leider nicht mit Sicherheit erwartbar, dass ein Mensch deshalb respektiert wird, weil er ein Mensch ist (und ihm eine unantastbare Würde eigen ist). Es ist nicht selbstverständlich, dass alle anderen Attributierungen (Geschlecht, sexuelle Präferenzen, Hautfarbe, Vereinszugehörigkeit, Alter, Sozialisation, Herkunft, Prominenz etc.) Akzidentien betreffen. [1] Manche Menschen meinen, dass sie im Recht sind und alle anderen dies einsehen müssen. Und dass eine andere Meinung schon deshalb auf Boshaftigkeit beruhen muss, weil sie ja zu den "Guten" gehören. Bei ihnen ist das Bewusstsein dafür verloren gegangen, dass auch derjenige, der eine andere Auffassung vertritt, recht haben könnte. Dieses Bewusstsein ist aber notwendige Voraussetzung für eine Diskursfähigkeit. (Schwierig wird es, wenn beiden Seiten recht haben können: Man stelle sich eine Diskussion unter Wissenschaftlern vor, von denen einer die Auffassung vertritt, Licht sei Wellen. Der andere hält dies für falsch, weil Licht "ganz klar und experimental nachgewiesen" aus Teilchen bestehe.) Auch ist zu bedenken, dass Menschen sich nicht deshalb an Diskussionen beteiligen, weil sie ein Problem lösen wollen. Es gibt vielmehr vielfältige andere Gründe und Motive, sich an einer Diskussion zu beteiligen. Dass meiner Meinung nach ein Code of Conduct kein "Königsweg" zur Lösung dieser sozialen Probleme ist, dürfte bekannt sein. Auch eine Deanonymisierung ist keine Lösung, denn leider werden Hass bis hin zu Morddrohungen auch unter "Klarnamen" verbreitet. Auch Mobbing geschieht oft ebenso so offen. Was hilft: Respekt und Toleranz als selbstverständliche Haltung. Dies zum Allgemeingut zu machen ist aber eine Frage der (Volks-)Bildung. Vielleicht ist es ein erster Schritt, wenn unsere Community mit gutem Beispiel vorangeht. [0] ein Beispiel: https://de.wikipedia.org/wiki/Teilungsproblem [1] s. z. B. OpenPGP_signature Description: OpenPGP digital signature ___ FSFE-de mailing list FSFE-de@lists.fsfe.org https://lists.fsfe.org/mailman/listinfo/fsfe-de Diese Mailingliste wird durch den Verhaltenskodex der FSFE abgedeckt. Alle Teilnehmer werden gebeten, sich gegenseitig vorbildlich zu behandeln: https://fsfe.org/about/codeofconduct
Re: Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)
On Sat, 18 Dec 2021, Carsten Knoll wrote: 3. Ein Großteil der suboptimalen und objektiv falschen Entscheidungen in Politik und Gesellschaft ist auf die Dysfunktionalität der vorangegangenen Diskurse zurückzuführen. Sicher ja. Ich sehe vor allem aber auch das Problem, dass nach ermüdenden Diskussionen und mühsam gezimmerten Kompromissen ein Regelwerk geschnürt wird, das dann die nächsten Jahrzehnte niemand mehr anfassen will. Ich könnte mir vorstellen, dass es ein wenig "agiler" besser klappen könnte. Nicht so viel Zeit investieren, um in der Theorie herauszufinden, welche Pro- und Contra-Argumente in Praxis nun stärker zum Tragen kommen werden, sondern mehr so Ziele formulieren, Pilotprojekte starten und schauen, was in der Praxis tatsächlich passiert. Und dann den Willen haben, die in der Praxis gewonnenen Erfahrungen in die Verbesserung des Regelwerkes einfließen zu lassen oder nutzlose und schädliche Regelungen auch wieder zu streichen. Heute sieht es im Gegenteil so aus, dass Politiker in bestimmte Maßnahmen (Beispiel Überwachung im Allgemeinen und Vorratsdatenspeicherung im Besonderen) verliebt sind und dann jede Gelegenheit nutzen, diese Maßnahme voranzutreiben. Und dann sind die Fingerabdruckspflicht und das biometrische Passbild in Ausweisen da und keiner fragt mehr danach, ob damit die gewünschten Ziele erreicht wurden, geschweige denn, was die Ziele überhaupt waren. Und falls jemand herausfindet, dass die Maßnahmen nichts gebracht haben, dann wollen die Politiker sogar noch eine Verschärfung der Maßnahmen. Sie gehen wie selbstverständlich davon aus, dass die Maßnahmen richtig sind und ausbleibender Erfolg daher nur daran liegen kann, dass sie ihre Maßnahmen nicht entschlossen genug durchgesetzt haben. Wie bei Glücksspielern, die von ihrer Strategie überzeugt sind, und wenn das eigene Geld alle ist, verspielen sie noch das Geld der Verwandschaft, in der Hoffnung, dass sie mit dem bald eintretenden großen Gewinn alle Schulden zurückzahlen können werden. Also der langen Rede kurzer Sinn: Ich würde die Phase der Vorwegdiskussion schrumpfen, Regelwerke schlank halten, lieber mehr in der Praxis ausprobieren und Erfahrungen aus der Praxis ernst nehmen.___ FSFE-de mailing list FSFE-de@lists.fsfe.org https://lists.fsfe.org/mailman/listinfo/fsfe-de Diese Mailingliste wird durch den Verhaltenskodex der FSFE abgedeckt. Alle Teilnehmer werden gebeten, sich gegenseitig vorbildlich zu behandeln: https://fsfe.org/about/codeofconduct
Re: Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)
Hallo Carsten, Klasse Thema, vielen Dank für den Aufschlag! On 12/18/21 3:51 PM, Carsten Knoll wrote: > Dieses ganze Thema beschäftigt mich schon eine ganze Weile. Auf dem 35C3 > (2018) habe ich einen Lightningtalk dazu gehalten: > > https://media.ccc.de/v/35c3-9568-lightning_talks_day_4#t=198 > > > Einen ersten Implementierungsversuch einer eigenen Umsetzungs-Idee dazu > gibt es unter: > > https://github.com/cknoll/django-sober > > aber ich bin mir bewusst, dass dieser Ansatz noch nicht überzeugend ist > und ggf. auch nie wird. > > > Aber mal ganz grundsätzlich: > > Mich wundert, dass es für die aus meiner Sicht so offensichtlichen > Missstände ("Alles was scheitert, scheitert an Kommunikation") bisher > keine (mir bekannten) guten und vor allem systematischen Lösungen zu > geben scheint. > > > Wie seht Ihr das? Es gibt da schon auch andere Ansätze und Software. Auf dem 26C3 gab es den Talk "Liquid Democracy - Direkter Parlamentarismus – gemeinsam verbindlich entscheiden" https://media.ccc.de/v/26c3-3464-de-liquid_democracy Es geht um die Software adhocracy, die wurde eine zeit lang sehr rege und erfolgreich für Diskussionen genutzt (Enquete Kommission für ein digitales Thema, Thema für ein Zeitmagazin und eigene Plattformen für bestimmte Projekte), den aktuellen Stand des Projekts kann ich aber nicht einschätzen. Es ging dabei immer um strukturierte Debatte. Es gab Themen, die konnten kommentiert werden, die Kommentare konnten "hochgevotet" werden, und die Kommentare mit den besten Bewertungen erschienen zu Beginn der Diskussion. Es gab auch Abstimmungen und man konnte an Texten als Ergebnis einer Diskussion arbeiten. Also die Idee war denke ich, es für politische Debatten zu nutzen, wo in der Regel ein Text als Ergebnis herauskommt (10 Punkte Plan, Gesetzesvorlage etc.) Meiner Erinnerung nach klappte alles bzgl Diskussion und Abstimmung sehr gut, die Arbeit am Text war dann ein bißchen sperriger und habe ich weniger in Gebrauch gesehen. Es gibt auch noch das Projekt LiquidFeedback, dazu kann ich aber nicht viel sagen. https://liquidfeedback.com/de/ Würd mich interessieren, ob du deine Software für andere Arten von Diskussionen konzipiert hast? Auf den 1. Blick schön übersichtliche UI, die Unterscheidung in Pro und Kontra Argument gab es so in Adhocracy glaube aber nicht. Viele Grüße Antje ___ FSFE-de mailing list FSFE-de@lists.fsfe.org https://lists.fsfe.org/mailman/listinfo/fsfe-de Diese Mailingliste wird durch den Verhaltenskodex der FSFE abgedeckt. Alle Teilnehmer werden gebeten, sich gegenseitig vorbildlich zu behandeln: https://fsfe.org/about/codeofconduct
Bessere Software-Unterstützung für kontroverse Diskussionen (9 Thesen und ein Appell)
Hallo FSFE-Liste, da in den letzten Tagen ein erhöhtes Mailaufkommen auf dieser Liste rund um Meta-Themen stattgefunden hat würde mich mal Eure Meinung zu folgenden (subjektiven) Thesen interessieren: 1. Textbasierte und asynchron ablaufende Diskussionen (z.B. über Mailinglisten) zu kontroversen Themen haben ein erhebliches Frustrationspotential. 2. Kontroverse und zugleich sehr wichtige Themen gibt es zahlreiche auf gesellschaftlicher Ebene (Freiheitsrechte vs. Pandemiebekämpfung, Freiheitsrechte vs. Kriminalitätsbekämpfung, Digitalisierung in der Bildung, Bewaffnung von Drohnen, ...) und auch innerhalb der Freien-Software-Community (Lizenz A vs. B, Projekt X vs. Fork Y, etc.) 3. Ein Großteil der suboptimalen und objektiv falschen Entscheidungen in Politik und Gesellschaft ist auf die Dysfunktionalität der vorangegangenen Diskurse zurückzuführen. Beispiel: Luca-App. Ebenso ein Großteil der Konflikt-bedingten "Reibungsverluste" z.B. in Software-Projekten. 4. Typische Szenarien kontroverser Diskussionen sind: - ergebnisloses im-Sande-Verlaufen - Wegdriften vom ursprünglichen Thema - offener Streit und Abbruch der Kommunikation - Neubeginn nach längerer Pause mit stark unterschiedlichem Kenntnisstand der bisherigen Diskussion - Vermeidung einer breiten (und anstrengenden) Diskussion und autokratische Entscheidungsfindung. 5. Das wünschenswerte Szenario wäre dagegen: - gemeinsames Zusammentragen der jeweiligen Pro- und Kontra-Argumente - Übersichtliche Darstellung des aktuellen Standes des Argument-Baumes - nachvollziehbare Quellenangaben für externe Information 6. Die bisher genutzten Software-basierten Medien (Mailinglisten, Chatgruppen, Foren, Wikis, Threads auf Twitter oder Mastodon, Kommentare unter Medien-Beiträgen oder in Blogs) unterstützen dieses wünschenswerte Szenario deutlich zu wenig. 7. Die konkrete Funktionalität einer Kommunikations- und Dokumentationssoftware kann einen massiven (positiven) Einfluss auf die Art und das Ergebnis der Kommunikation haben. Beispiel: Stackoverflow-Prinzip statt klassischer Programmier-Foren. 8. Relevante Kommunikationssoftware sollte frei sein und ohne viel Aufwand von Individuen und (zivilgesellschaftlichen) Gruppen ausgerollt und genutzt werden können. 9. Die Freie-Software-Communitiy sollte eine zweckmäßige Lösung entwickelen und deren Nutzung propagieren. Im eigenen und im gesellschaftlichen Interesse. Dieses ganze Thema beschäftigt mich schon eine ganze Weile. Auf dem 35C3 (2018) habe ich einen Lightningtalk dazu gehalten: https://media.ccc.de/v/35c3-9568-lightning_talks_day_4#t=198 Einen ersten Implementierungsversuch einer eigenen Umsetzungs-Idee dazu gibt es unter: https://github.com/cknoll/django-sober aber ich bin mir bewusst, dass dieser Ansatz noch nicht überzeugend ist und ggf. auch nie wird. Aber mal ganz grundsätzlich: Mich wundert, dass es für die aus meiner Sicht so offensichtlichen Missstände ("Alles was scheitert, scheitert an Kommunikation") bisher keine (mir bekannten) guten und vor allem systematischen Lösungen zu geben scheint. Wie seht Ihr das? Hätte jemand Lust und ggf. ein paar Ressourcen (Zeit, Kompetenz, Geld, Kontakte, Reichweite), sich mittelfristig diesem Problem mit anzunehmen? Ich sehe da sowohl großes Potenzial als auch massive Notwendigkeit. Gruß, Carsten -- https://python-fuer-ingenieure.de (Website zum "... für dummies"-Buch) https://tu-dresden.de/pythonkurs (Pythonkurs für Ingenieur:innen) https://dresden.bits-und-baeume.org/ https://cknoll.github.io (Blog) https://social.tchncs.de/@cark (Mastodon-Profil) https://tuuwi.de (TU Umweltinitiative) https://fsfw-dresden.de (HG für Freie Software und Freies Wissen) https://sober-arguments.net (Web-App für konstruktivere Diskussionen) https://moodpoll.uber.space (Web-App u.a. zum systemischen Konsensieren) https://plq.de (Gründungsinitiative der Partei für Lebensqualität) Was bedeutet eigentlich der Anhang "signature.asc"? -> http://cknoll.github.io/emails-signieren.html OpenPGP_signature Description: OpenPGP digital signature ___ FSFE-de mailing list FSFE-de@lists.fsfe.org https://lists.fsfe.org/mailman/listinfo/fsfe-de Diese Mailingliste wird durch den Verhaltenskodex der FSFE abgedeckt. Alle Teilnehmer werden gebeten, sich gegenseitig vorbildlich zu behandeln: https://fsfe.org/about/codeofconduct